Der Pakt des Lucifer von sarah 

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Kapitel Der Marquis du Lû

„Der Teufel soll diesen verdammten Kardinalisten holen!“
Für einen Moment ebbte das Lachen und Grölen, das die drückende Luft in dem kleinen Gasthaus erfüllte, ein wenig ab. Die Gäste in der Nähe der Tür wandten neugierig die Köpfe, als diese von jenem jungen Mann aufgerissen wurde, dem es gelungen war, den unsagbaren Tumult in dem überfüllten Gasthaus mit seinem Fluch noch zu übertönen. Der wütende Blick, das zerzauste dunkle Haar und nicht zuletzt die eindrucksvolle längliche Schnittwunde, die sich von seiner Nase bis zu seinem linken Ohr hinzog, verliehen dem Eintretenden ein beinahe furchteinflößendes Aussehen. Wütend schnaubend ließ er sich auf einem Stuhl am letzten unbesetzten Tisch nieder ohne den neugierigen Blicken Beachtung zu schenken. Sein Begleiter, dessen edles Gesicht mit den schwarzen ruhigen Augen ein weniger aufbrausendes Temperament verriet, schien ihn gut genug zu kennen: Er machte sich garnicht erst die Mühe den Freund beruhigen zu wollen, sondern setzte sich ihm gegenüber. Geduldig schien er das Ende des Zornausbruchs seines Gefährten abzuwarten.
„Ein arroganter Schnösel ist er, dieser du Lû! Und soetwas nennt sich Marquis! So tief ist der Hochadel also schon gesunken! Teufel nochmal, Athos, eins sag‘ ich Euch: so wenig ich auch übrig habe für den Kardinal, so hätte ich ihm doch einen besseren Leutnant für seine Gardisten gegönnt!“
„Nun...“ bemerkte Athos vorsichtig und mit einem feinen Hauch von Ironie in den Augen, wobei er es vermied die Schramme anzublicken, welche die linke Wange seines Freundes zierte: „Immerhin hat dieser verabscheuenswürdige Mensch es fertig gebracht, dem bestem Mann unter den Musketieren des Monsieur de Tréville einen kleinen Denkzettel zu verpassen. Einer solcher Leistung kann sich nicht jeder rühmen...“
Sein Freund warf ihm einen jener Blicke zu, die soviel bedeuten sollten, wie: „Wärt Ihr nicht, wer Ihr seid, so hättet Ihr Euch gerade einen Todfeind gemacht!“, worauf Athos rasch und mit einem Lächeln hinzufügte: „Doch ich bin sicher, dass Ihr es ihm bei nächster Gelegenheit doppelt und dreifach heimzahlen werdet, d‘Artagnan!“
„Pah!“ machte dieser: „Du Lû kann sich glücklich schätzen, wenn er es schafft vom Boden hochzukommen, wenn wir uns das nächste Mal begegnen!... Nicolette, wo bleibt der Wein?“
Nicolette, die Tochter des Gastwirts, war wohl, zusammen mit dem guten Wein und dem unfreundlichen Dezemberabend, der viele Pariser in die warme Gaststube getrieben hatte, der Hauptgrund für deren Beliebtheit. Auch d’Artagnan hatte ihr schon des öfteren den Hof gemacht. Heute abend jedoch mühte die kleine blonde Gastwirtstochter sich vergeblich, den jungen Gascogner auf sich aufmerksam zu machen, indem sie ihm beim Wein einschenken einen tiefen Blick in ihren Ausschnitt gewährte. In seinem Zorn auf du Lû schien er es nicht einmal zu bemerken.
„Teufel, wenn er das nächste Mal versucht...“
Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment wurde die Tür des Gasthauses zum zweiten Mal aufgerissen. Ein Gassenjunge mit feuchtem Haar, den ein eisiger schneegeschwängerter Windzug begleitete, stolperte hinein .
„Ein Mord!“ schrie er aufgeregt. „Ein Mord in Saint-Eustache!“
„Mach, dass du fortkommst!“ schallte es aus dem hinteren Teil der Gaststube. „Ein Mord in einem Gotteshaus? Du willst uns wohl zum Narren halten, Morveux!“
„Nein, ich schwöre. Seht selbst, wenn ihr’s nicht glaubt!“
Und schon war der Kleine wieder aus der Tür hinaus und man hörte, wie er die Straße entlang lief und lauthals seine Neuigkeiten verkündete. Der Tumult im Gasthaus stieg an: Stühlerücken, Gläser, die zu Bruch gingen, aufgeregtes Stimmengewirr und duzende von Gästen, die gleichzeitig den Raum durch die einzige Tür zu verlassen suchten. In wenigen Minuten war das Gasthaus zum Affenstall geworden.
Auch d’Artagnan war auf die Füße gesprungen. Athos dagegen runzelte unwillig die Stirn.
„D’Artagnan...“
„Ich weiß, was Ihr sagen wollt.“ Unterbrach ihn der Gascogner. „Es ist ganz gewiss nicht ehrenhaft einer Meute nach Blut lechzender Schaulustiger hinterher zu hetzen, ... jedoch es lenkt mich zumindest von dem Gedanken an diesen Hund du Lû ab.“
Doch in diesem Punkt sollte d’Artagnan sich gewaltig irren.
Vor dem Hauptportal der gotischen Kirche stand der Küster von Saint-Eustache mit ausgebreiteten Armen und versuchte die Menschenmasse, die sich die breite Treppe hinauf wälzte, davon abzuhalten die Kirche zu stürmen. Sein verzweifelter Gesichtsausdruck verriet jedoch, dass er nicht mehr lange würde standhalten können.
Athos bereute es bereits, dass er sich von d’Artagnan hatte mitziehen lassen. Gerade wollte er sich aus diesem lärmenden Menschenknäuel befreien, als er einer Gestalt gewahr wurde, die etwas abseits stand, in eine schwarze Kutte gehüllt, deren rechter Ärmel einen Riss aufwies – so, als habe der Fremde vor nicht allzu langer Zeit Bekanntschaft mit einem Degen oder Schwert gemacht. Er schien sie zu beobachten. Etwas an jenem Mann –vielleicht die anmutige Haltung, vielleicht die zierlich, ja, fast zerbrechlich wirkende Gestalt - kam Athos bekannt vor. Gerade wollte er d’Artagnan auf den Fremden aufmerksam machen, als die beiden von der Menge mitgerissen wurden: Der Küster hatte seinen Widerstand aufgegeben und das Hauptportal den Parisern geöffnet.
Kaum hatten die ersten Schaulustigen den Altarraum erreicht, waren Rufe des Entsetzens zu vernehmen. D’Artagnan zog Athos hinter sich her durch den Langbau. Abrupt blieben sie stehen: Hinter dem Altar befand sich ein Kruzifix. Dem sterbenden Jesu zu Füßen lag die Leiche, die man wie zum Hohn statt mit einem Leichentuch mit einer schwarzen Leinendecke bedeckt hatte. Drei Kerzen waren im Dreieck um den Kopf des Opfers angeordnet worden. Eine bittere Verspottung der Heiligen Dreifaltigkeit Gottes. Und schließlich jene Ungeheuerlichkeit, die Empörungsschreie bei den einen und stummes Entsetzen bei den andern hervorrief: Jemand hatte die Kreuzinschrift „INRI“ mit blutroten Buchstaben überschrieben, sodass der leidende Christus nun den Titel „LUCIFER“ trug ... Wer außer dem Teufel selbst, konnte es gewagt haben, solch eine makabre Tat zu vollbringen? Gotteslästerung an einem Ort, der dem Herrn geweiht war?
D’Artagnan stieß einen kleinen Schrei aus, als er den Toten erkannte.
„Der Marquis du Lû!“ Schlagartig wich das Blut aus seinem Gesicht. „Athos“ flüsterte er, „Was sagte ich vorhin, als wie den Gasthof betraten?“
„Ihr sagtet, der Teufel solle den Marquis holen.“ antwortete Athos mit belegter Stimme. Stumm wechselten die Freunde einen Blick.
„Euer Befehl scheint unverzüglich ausgeführt worden zu sein, Herr Leutnant. Meine Glückwünsche! Ihr müsst treue Untergebene haben!“
D’Artagnan und Athos fuhren herum. Der Chevalier de Rochefort! Der gerissenste Spion und ergebenste Diener Seiner Eminenz des Kardinals! Wer außer ihm hätte es fertig gebracht in einer solchen Situation eine derart zynische Bemerkung zu machen!
Als Athos dem Chevalier jedoch ins Gesicht blickte, stutzte er. Die angespannten Züge um dessen Mund nämlich und der bittere Ausdruck seiner Augen passten so ganz und garnicht zu der makaber-spöttischen Kaltblütigkeit, die aus seinen Worten sprach. Der Musketier tauschte einen Blick mit d’Artagnan. Dieser schien sich auf diese Unstimmigkeit genauso wenig wie er selbst einen Reim machen zu können.
„Weiß man, woran der Marquis gestorben ist?“ fragte der junge Musketierleutnant ohne auf Rocheforts Bemerkung einzugehen.
„Ich nehme einmal an, dass die Wunde in seiner Brust ihn dahingerafft hat.“
D’Artagnan reckte den Hals, um die Leiche über die Köpfe der Umstehenden hinweg besser erkennen zu können. Tatsächlich konnte ein sehr aufmerksamer Betrachter in Brusthöhe des Toten eine tiefschwarze Verfärbung des Tuchstoffes erkennen.
Führte der Teufel etwa einen Degen? Ein seltsames Spiel.
Der Mann in der schwarzen Kutte wartete in der Kälte vor der Kirche. Sein Gesicht war unter der weiten Kapuze nicht erkennbar. Die langen weißen Finger, die den Edelmann verrieten, tasteten nervös nach etwas, das er unter seinem Wams versteckt hielt.
Er vernahm das Hufgetrappel schon von weitem. Die Kutsche hielt einige Pferdelängen von ihm entfernt. Eine Zeitlang passierte garnichts, dann jedoch wurde der Kutschenschlag ruckartig von innen geöffnet. Der Fremde schaute sich unruhig nach allen Seiten um, ging raschen Schrittes auf das Gefährt zu und stieg ein. Einem Befehl folgend, der ihm offensichtlich im Vorhinein gegeben worden war, ließ der Kutscher die Pferde antraben.
Im Innern der Kutsche war es stockfinster und der Hinzugestiegene konnte den Herrn zu seiner linken nicht sehen. Nur ab und zu, wenn sie an einem Haus mit erleuchteten Fenstern vorbeifuhren, tauchte für einen Augenblick, wie eine Vision, die einen des Nachts heimsucht und an die man sich schon am nächsten Morgen nicht mehr erinnern kann, das skelettartiges Gesicht eines Mannes mittleren Alters vor dem seinem auf. Die Wangen eingefallen, die Augenhöhlen leer.
Eine Weile fuhren sie schweigend. Schließlich richtete der Ältere unvermittelt das Wort an den Edelmann.
„Mein Befehl wurde ausgeführt?“
„Man hat die Leiche bereits gefunden.“
„Und die Dame?“
„Ich habe dafür gesorgt, dass ihre Kutsche in der Nähe der Kirche gesehen wurde.“
„Gut. Alles weitere wird der Kardinal besorgen. Dessen bin ich mir gewiss. Was ist mit dem Brief, habt Ihr ihn?“
Der Edelmann griff unter seine Kutte, förderte ein Couvert zutage und überreichte es seinem Auftraggeber.
„Wie seid Ihr an ihn heran gekommen?“
„Die Tochter. Ich bin mit ihr bekannt. Sie stahl ihn aus dem Schlafzimmer ihrer Mutter. “
„Wieviel weiß sie, diese Tochter?“ Die Stimme des Älteren hatte sich verschärft.
„Nichts“ antwortete der Edelmann hastig, „ Sie ist eine Frau. Sie fragt nichts, sondern vertraut mir.“
Der Ältere richtete noch einmal seine dunklen Augenhöhlen auf sein Gegenüber, dann öffnete er den Brief und drehte ihn abtastend in den Händen, als überprüfe er auf diese Weise die Authentizität des Schriftstückes. Sein Gegenüber hielt den Atem an.
„Lest ihn mir vor!“
Der Edelmann stieß erleichtert den Atem aus, nahm den Brief entgegen und las so gut er es in der Dunkelheit vermochte. Bereits nach dem ersten Absatz verzerrte eine Grimasse, die wohl ein zufriedenes Grinsen darstellen sollte, das Totenkopfgesicht des Älteren. Seine dürren Finger griffen nach dem Brief.
„Das reicht.“
Er begann das Schreiben in kleine Fetzten zu zerreißen, die er sich daraufhin in den Mund steckte, sorgfältig zerkaute und hinunterschluckte. Angewidert beobachtete der Edelmann ihn dabei und als habe der Blinde seinen Blick gespürt, sagte er:
„Ich traue dem Feuer nicht. Die Asche, die es hinterlässt, kann verräterisch sein.“ Und übergangslos fuhr er fort, „Ich hatte recht. Sie weiß zu viel. Ich will sie zerstört wissen. Ihr habt Euch bewiesen. Übernehmt Ihr den Rest des Auftrags?“
„Famulus, ich war Euch immer treu ergeben.... Wie lauten die Namen?“
Er gewahrte eine Bewegung: Famulus hatte seine Hand erhoben. Ein Lichtstrahl von draußen fiel ins Innere der Kutsche und erhellte für einen Augenblick die Handfläche. In die bleiche Haut waren zwei Namen eingeritzt. Der Edelmann las und erschauerte. Famulus, der das Entsetzen seines Getreuen zu spüren schien, jedoch nicht wissen konnte, woher es rührte, lachte leise und düster und ließ die Hand zurücksinken.
„Ein nettes Wortspiel, nicht wahr?“
Doch sein Mitverschwörer war nicht gewillt zu antworten. Starr blickte er aus dem Kutschenfenster.