Der Pakt des Lucifer von sarah
Durchschnittliche Wertung: 4, basierend auf 5 BewertungenKapitel Der Marquis du Lû
„Der Teufel soll diesen verdammten Kardinalisten holen!“
Für einen Moment ebbte das Lachen und Grölen, das die drückende
Luft in dem kleinen Gasthaus erfüllte, ein wenig ab. Die Gäste in
der Nähe der Tür wandten neugierig die Köpfe, als diese von jenem
jungen Mann aufgerissen wurde, dem es gelungen war, den unsagbaren
Tumult in dem überfüllten Gasthaus mit seinem Fluch noch zu
übertönen. Der wütende Blick, das zerzauste dunkle Haar und nicht
zuletzt die eindrucksvolle längliche Schnittwunde, die sich von
seiner Nase bis zu seinem linken Ohr hinzog, verliehen dem
Eintretenden ein beinahe furchteinflößendes Aussehen. Wütend
schnaubend ließ er sich auf einem Stuhl am letzten unbesetzten
Tisch nieder ohne den neugierigen Blicken Beachtung zu schenken.
Sein Begleiter, dessen edles Gesicht mit den schwarzen ruhigen
Augen ein weniger aufbrausendes Temperament verriet, schien ihn gut
genug zu kennen: Er machte sich garnicht erst die Mühe den Freund
beruhigen zu wollen, sondern setzte sich ihm gegenüber. Geduldig
schien er das Ende des Zornausbruchs seines Gefährten
abzuwarten.
„Ein arroganter Schnösel ist er, dieser du Lû! Und soetwas nennt
sich Marquis! So tief ist der Hochadel also schon gesunken! Teufel
nochmal, Athos, eins sag‘ ich Euch: so wenig ich auch übrig habe
für den Kardinal, so hätte ich ihm doch einen besseren Leutnant für
seine Gardisten gegönnt!“
„Nun...“ bemerkte Athos vorsichtig und mit einem feinen Hauch von
Ironie in den Augen, wobei er es vermied die Schramme anzublicken,
welche die linke Wange seines Freundes zierte: „Immerhin hat dieser
verabscheuenswürdige Mensch es fertig gebracht, dem bestem Mann
unter den Musketieren des Monsieur de Tréville einen kleinen
Denkzettel zu verpassen. Einer solcher Leistung kann sich nicht
jeder rühmen...“
Sein Freund warf ihm einen jener Blicke zu, die soviel bedeuten
sollten, wie: „Wärt Ihr nicht, wer Ihr seid, so hättet Ihr Euch
gerade einen Todfeind gemacht!“, worauf Athos rasch und mit einem
Lächeln hinzufügte: „Doch ich bin sicher, dass Ihr es ihm bei
nächster Gelegenheit doppelt und dreifach heimzahlen werdet,
d‘Artagnan!“
„Pah!“ machte dieser: „Du Lû kann sich glücklich schätzen, wenn er
es schafft vom Boden hochzukommen, wenn wir uns das nächste Mal
begegnen!... Nicolette, wo bleibt der Wein?“
Nicolette, die Tochter des Gastwirts, war wohl, zusammen mit dem
guten Wein und dem unfreundlichen Dezemberabend, der viele Pariser
in die warme Gaststube getrieben hatte, der Hauptgrund für deren
Beliebtheit. Auch d’Artagnan hatte ihr schon des öfteren den Hof
gemacht. Heute abend jedoch mühte die kleine blonde
Gastwirtstochter sich vergeblich, den jungen Gascogner auf sich
aufmerksam zu machen, indem sie ihm beim Wein einschenken einen
tiefen Blick in ihren Ausschnitt gewährte. In seinem Zorn auf du Lû
schien er es nicht einmal zu bemerken.
„Teufel, wenn er das nächste Mal versucht...“
Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment wurde die Tür des
Gasthauses zum zweiten Mal aufgerissen. Ein Gassenjunge mit
feuchtem Haar, den ein eisiger schneegeschwängerter Windzug
begleitete, stolperte hinein .
„Ein Mord!“ schrie er aufgeregt. „Ein Mord in
Saint-Eustache!“
„Mach, dass du fortkommst!“ schallte es aus dem hinteren Teil der
Gaststube. „Ein Mord in einem Gotteshaus? Du willst uns wohl zum
Narren halten, Morveux!“
„Nein, ich schwöre. Seht selbst, wenn ihr’s nicht glaubt!“
Und schon war der Kleine wieder aus der Tür hinaus und man hörte,
wie er die Straße entlang lief und lauthals seine Neuigkeiten
verkündete. Der Tumult im Gasthaus stieg an: Stühlerücken, Gläser,
die zu Bruch gingen, aufgeregtes Stimmengewirr und duzende von
Gästen, die gleichzeitig den Raum durch die einzige Tür zu
verlassen suchten. In wenigen Minuten war das Gasthaus zum
Affenstall geworden.
Auch d’Artagnan war auf die Füße gesprungen. Athos dagegen runzelte
unwillig die Stirn.
„D’Artagnan...“
„Ich weiß, was Ihr sagen wollt.“ Unterbrach ihn der Gascogner. „Es
ist ganz gewiss nicht ehrenhaft einer Meute nach Blut lechzender
Schaulustiger hinterher zu hetzen, ... jedoch es lenkt mich
zumindest von dem Gedanken an diesen Hund du Lû ab.“
Doch in diesem Punkt sollte d’Artagnan sich gewaltig irren.
Vor dem Hauptportal der gotischen Kirche stand der Küster von
Saint-Eustache mit ausgebreiteten Armen und versuchte die
Menschenmasse, die sich die breite Treppe hinauf wälzte, davon
abzuhalten die Kirche zu stürmen. Sein verzweifelter
Gesichtsausdruck verriet jedoch, dass er nicht mehr lange würde
standhalten können.
Athos bereute es bereits, dass er sich von d’Artagnan hatte
mitziehen lassen. Gerade wollte er sich aus diesem lärmenden
Menschenknäuel befreien, als er einer Gestalt gewahr wurde, die
etwas abseits stand, in eine schwarze Kutte gehüllt, deren rechter
Ärmel einen Riss aufwies – so, als habe der Fremde vor nicht allzu
langer Zeit Bekanntschaft mit einem Degen oder Schwert gemacht. Er
schien sie zu beobachten. Etwas an jenem Mann –vielleicht die
anmutige Haltung, vielleicht die zierlich, ja, fast zerbrechlich
wirkende Gestalt - kam Athos bekannt vor. Gerade wollte er
d’Artagnan auf den Fremden aufmerksam machen, als die beiden von
der Menge mitgerissen wurden: Der Küster hatte seinen Widerstand
aufgegeben und das Hauptportal den Parisern geöffnet.
Kaum hatten die ersten Schaulustigen den Altarraum erreicht, waren
Rufe des Entsetzens zu vernehmen. D’Artagnan zog Athos hinter sich
her durch den Langbau. Abrupt blieben sie stehen: Hinter dem Altar
befand sich ein Kruzifix. Dem sterbenden Jesu zu Füßen lag die
Leiche, die man wie zum Hohn statt mit einem Leichentuch mit einer
schwarzen Leinendecke bedeckt hatte. Drei Kerzen waren im Dreieck
um den Kopf des Opfers angeordnet worden. Eine bittere Verspottung
der Heiligen Dreifaltigkeit Gottes. Und schließlich jene
Ungeheuerlichkeit, die Empörungsschreie bei den einen und stummes
Entsetzen bei den andern hervorrief: Jemand hatte die
Kreuzinschrift „INRI“ mit blutroten Buchstaben überschrieben,
sodass der leidende Christus nun den Titel „LUCIFER“ trug ... Wer
außer dem Teufel selbst, konnte es gewagt haben, solch eine makabre
Tat zu vollbringen? Gotteslästerung an einem Ort, der dem Herrn
geweiht war?
D’Artagnan stieß einen kleinen Schrei aus, als er den Toten
erkannte.
„Der Marquis du Lû!“ Schlagartig wich das Blut aus seinem Gesicht.
„Athos“ flüsterte er, „Was sagte ich vorhin, als wie den Gasthof
betraten?“
„Ihr sagtet, der Teufel solle den Marquis holen.“ antwortete Athos
mit belegter Stimme. Stumm wechselten die Freunde einen
Blick.
„Euer Befehl scheint unverzüglich ausgeführt worden zu sein, Herr
Leutnant. Meine Glückwünsche! Ihr müsst treue Untergebene
haben!“
D’Artagnan und Athos fuhren herum. Der Chevalier de Rochefort! Der
gerissenste Spion und ergebenste Diener Seiner Eminenz des
Kardinals! Wer außer ihm hätte es fertig gebracht in einer solchen
Situation eine derart zynische Bemerkung zu machen!
Als Athos dem Chevalier jedoch ins Gesicht blickte, stutzte er. Die
angespannten Züge um dessen Mund nämlich und der bittere Ausdruck
seiner Augen passten so ganz und garnicht zu der
makaber-spöttischen Kaltblütigkeit, die aus seinen Worten sprach.
Der Musketier tauschte einen Blick mit d’Artagnan. Dieser schien
sich auf diese Unstimmigkeit genauso wenig wie er selbst einen Reim
machen zu können.
„Weiß man, woran der Marquis gestorben ist?“ fragte der junge
Musketierleutnant ohne auf Rocheforts Bemerkung einzugehen.
„Ich nehme einmal an, dass die Wunde in seiner Brust ihn
dahingerafft hat.“
D’Artagnan reckte den Hals, um die Leiche über die Köpfe der
Umstehenden hinweg besser erkennen zu können. Tatsächlich konnte
ein sehr aufmerksamer Betrachter in Brusthöhe des Toten eine
tiefschwarze Verfärbung des Tuchstoffes erkennen.
Führte der Teufel etwa einen Degen? Ein seltsames Spiel.
Der Mann in der schwarzen Kutte wartete in der Kälte vor der
Kirche. Sein Gesicht war unter der weiten Kapuze nicht erkennbar.
Die langen weißen Finger, die den Edelmann verrieten, tasteten
nervös nach etwas, das er unter seinem Wams versteckt hielt.
Er vernahm das Hufgetrappel schon von weitem. Die Kutsche hielt
einige Pferdelängen von ihm entfernt. Eine Zeitlang passierte
garnichts, dann jedoch wurde der Kutschenschlag ruckartig von innen
geöffnet. Der Fremde schaute sich unruhig nach allen Seiten um,
ging raschen Schrittes auf das Gefährt zu und stieg ein. Einem
Befehl folgend, der ihm offensichtlich im Vorhinein gegeben worden
war, ließ der Kutscher die Pferde antraben.
Im Innern der Kutsche war es stockfinster und der Hinzugestiegene
konnte den Herrn zu seiner linken nicht sehen. Nur ab und zu, wenn
sie an einem Haus mit erleuchteten Fenstern vorbeifuhren, tauchte
für einen Augenblick, wie eine Vision, die einen des Nachts
heimsucht und an die man sich schon am nächsten Morgen nicht mehr
erinnern kann, das skelettartiges Gesicht eines Mannes mittleren
Alters vor dem seinem auf. Die Wangen eingefallen, die Augenhöhlen
leer.
Eine Weile fuhren sie schweigend. Schließlich richtete der Ältere
unvermittelt das Wort an den Edelmann.
„Mein Befehl wurde ausgeführt?“
„Man hat die Leiche bereits gefunden.“
„Und die Dame?“
„Ich habe dafür gesorgt, dass ihre Kutsche in der Nähe der Kirche
gesehen wurde.“
„Gut. Alles weitere wird der Kardinal besorgen. Dessen bin ich mir
gewiss. Was ist mit dem Brief, habt Ihr ihn?“
Der Edelmann griff unter seine Kutte, förderte ein Couvert zutage
und überreichte es seinem Auftraggeber.
„Wie seid Ihr an ihn heran gekommen?“
„Die Tochter. Ich bin mit ihr bekannt. Sie stahl ihn aus dem
Schlafzimmer ihrer Mutter. “
„Wieviel weiß sie, diese Tochter?“ Die Stimme des Älteren hatte
sich verschärft.
„Nichts“ antwortete der Edelmann hastig, „ Sie ist eine Frau. Sie
fragt nichts, sondern vertraut mir.“
Der Ältere richtete noch einmal seine dunklen Augenhöhlen auf sein
Gegenüber, dann öffnete er den Brief und drehte ihn abtastend in
den Händen, als überprüfe er auf diese Weise die Authentizität des
Schriftstückes. Sein Gegenüber hielt den Atem an.
„Lest ihn mir vor!“
Der Edelmann stieß erleichtert den Atem aus, nahm den Brief
entgegen und las so gut er es in der Dunkelheit vermochte. Bereits
nach dem ersten Absatz verzerrte eine Grimasse, die wohl ein
zufriedenes Grinsen darstellen sollte, das Totenkopfgesicht des
Älteren. Seine dürren Finger griffen nach dem Brief.
„Das reicht.“
Er begann das Schreiben in kleine Fetzten zu zerreißen, die er sich
daraufhin in den Mund steckte, sorgfältig zerkaute und
hinunterschluckte. Angewidert beobachtete der Edelmann ihn dabei
und als habe der Blinde seinen Blick gespürt, sagte er:
„Ich traue dem Feuer nicht. Die Asche, die es hinterlässt, kann
verräterisch sein.“ Und übergangslos fuhr er fort, „Ich hatte
recht. Sie weiß zu viel. Ich will sie zerstört wissen. Ihr habt
Euch bewiesen. Übernehmt Ihr den Rest des Auftrags?“
„Famulus, ich war Euch immer treu ergeben.... Wie lauten die
Namen?“
Er gewahrte eine Bewegung: Famulus hatte seine Hand erhoben. Ein
Lichtstrahl von draußen fiel ins Innere der Kutsche und erhellte
für einen Augenblick die Handfläche. In die bleiche Haut waren zwei
Namen eingeritzt. Der Edelmann las und erschauerte. Famulus, der
das Entsetzen seines Getreuen zu spüren schien, jedoch nicht wissen
konnte, woher es rührte, lachte leise und düster und ließ die Hand
zurücksinken.
„Ein nettes Wortspiel, nicht wahr?“
Doch sein Mitverschwörer war nicht gewillt zu antworten. Starr
blickte er aus dem Kutschenfenster.