„Ein Wolf im Palais Cardinal?“ von Armand-Jean-du-Plessis

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Kapitel Eine finanzielle Angelegenheit!

„Ah, Monsieur le Comte, gut dass Ihr wieder da seid!” Nur mühsam erhob sich Hector aus seinem gepolsterten Stuhl.  Seine klaren blauen Augen bildeten einen offensichtlichen Kontrast zu seiner sich krampfhaft an einen silbernen Stock klammernden Gestalt. Rocheforts Miene verfinsterte sich augenblicklich als er bemerkte, wie schwer es Hector fiel aufzustehen. Der Privatsekretär von Kardinal Richelieu war um den Jahreswechsel fast einem feigen Schussattentat zum Opfer gefallen und erholte sich nur sehr langsam. Wahrscheinlich würde die Verletzung niemals ganz abheilen. Trotz düsterer Gedanken waren die Worte des Comte extrem freundlich: „Mein lieber Hector, wie oft muss ich Euch noch sagen, dass Ihr nicht aufstehen sollt, wenn ich ins Zimmer komme. Also setzt Euch wieder und berichtet mir, warum ich zu Euch kommen sollte.“ Einen Schmerzenslaut unterdrückend, ließ sich Hector zurück auf seinen Lehnstuhl sinken. „Monsieur le Comte sind zu gütig, aber ich weiß, was sich gehört, und ein einfacher Sekretär hat sich zu erheben, wenn ein Graf den Raum betritt“, war die kurze Erwiderung. „Von wegen einfacher Sekretär, mein lieber Chevalier, aber lassen wir das ... was wolltet Ihr? Ihr wisst doch, dass ich am Weg zu Seiner Eminenz bin.“ Rochefort wirkte jetzt leicht verwundert.

„Nun, eigentlich ist es mir nicht gestattet dem Kardinal vorzugreifen, aber Seine Eminenz möchten eine finanzielle Angelegenheit mit Euch besprechen und eines noch: Übt Euch ein wenig in Contenance und bedenkt, dass der Erste Minister von Frankreich  bisweilen eine etwas seltsame Art von Humor besitzt. Mehr kann und darf ich nicht sagen.“ Mit diesen Worten wendete Hector seinen Blick ab und begann sich auffällig seinen in makellosen Reihen aufgestapelten Berichten zu widmen. Schließlich war er auch Rocheforts Stellvertreter im Geheimdienst von Richelieu und seine Arbeit schien nie ein Ende zu finden. Der Graf von Rochefort wusste, dass Hector in dieser Angelegenheit nichts weiter sagen würde, zu groß war dessen Respekt vor dem Kardinal. Also verließ er, noch kurz grüßend, das Arbeitszimmer und begab sich am schnellsten Weg zu Richelieu. Natürlich ließen ihn alle Wachen passieren. „Schon ein wenig seltsam“, dachte Rochefort bei sich, „ eine finanzielle Angelegenheit?“ Finanzen waren so gut wie nie ein Thema zwischen dem Comte de Rochefort und Kardinal Richelieu. Die Grafschaft Rochefort warf gute Gewinne ab, da der Comte seine Ländereien sorgsam verwaltete und sein Geld auch nicht bei Hofe verprasste. Oft benötigte er nicht einmal die Rente, die er als Stallmeister Seiner Eminenz bezog, und die Ausgaben auf seinen Reisen als Geheimdienstchef waren niemals übertrieben und selbst da steuerte Rochefort oftmals wie selbstverständlich Gelder aus eigenen Ressourcen bei.

Ein kurzes Klopfen, dann trat Rochefort flotten Schrittes in das Arbeitszimmer des Ersten Ministers ein. Der Comte wurde hinter vorgehaltener Hand „Die wandelnde Klinge des Kardinals“ genannt, seine Reaktionen waren die eines der besten Fechter von ganz Europa und doch war er diesmal fast einen Augenblick zu langsam. Bevor er noch den Kardinal begrüßen konnte, schoss mit atemberaubender Geschwindigkeit ein wolfsgraues Fellbündel hinter einem Canapé hervor, jaulte entzückt, sprang an dem leicht verdutzen Stallmeister empor und begann ihn begeistert mit spitzen Welpenzähnen zu zwicken und mit krallenbewehrten Pfoten zu kratzen. Luna, die kleine Halbwölfin, war ganz außer sich vor Freude ihr „Herrchen“ wieder zu sehen. Blitzschnell hatte Rochefort Luna abgestreift und versuchte ihr mit strengen Kommandos Einhalt zu gebieten. Erst nach dem vierten energischen „Nein!!“ reagierte das Energiebündel endlich und ließ von Rochefort ab. Nun eigentlich nicht ganz –  mit einem letzten Zuschnappen erwischte sie noch einen Bommel vom Rüschenhemd des Comte, zog daran so heftig, dass dieser abriss und verschwand blitzschnell mit ihrer Beute wieder unter dem Canapé.

Kardinal Richelieu hatte die Szenerie aufmerksam beobachtet, fast könnte man meinen, mit einer gewissen Befriedigung. „Nun dann können wir also in medias res gehen, mein lieber Rochefort, so setzt Euch doch.“ Mit diesen Worten deutete Richelieu auf den Sessel an seinen Schreibtisch und nahm gleichzeitig ein Schriftstück, das vor ihm gelegen hatte, und platzierte es im Blickfeld seines Gegenübers. Auch ein kleines, mit einer Lilie verziertes, Tintenfässchen und eine Schreibfeder stellte er dazu. „Wie Eure Eminenz wünschen.“ Rochefort nahm Platz und begutachtete das Schriftstück. Es war sehr fein und äußerst präzise geschrieben, ohne dass man aber Eigenheiten einer Handschrift erkennen konnte. Es wirkte wie gedruckt. Der Stallmeister des Kardinals vermutete, dass wohl Hector dies auf Diktat des Kardinals verfasst hatte. Beim Lesen des Textes legte sich die Stirn des Comte in Falten. Er wirkte etwas verwundert, vielleicht sogar verärgert. Denn es handelte sich um einen Schuldschein. Der darin benannte Schuldner war er selbst. „Für die von ihm zu verantwortenden Schäden“, war eine Passage und als Pfand für die zu bezahlende Schuld war Rocheforts Stadthaus in Paris angeführt, samt Garten und Nebengebäuden, alles genau aufgelistet mit Anschrift und exakter Beschreibung. Am auffälligsten aber war die Zeile mit der geschuldeten Summe. In ihr war ein Abstand vor den Worten „ ..... tausend Livres“, der beträchtlich war, also in den man „zwanzig“ oder gar „zweihundert“ einsetzen konnte.

„Ich denke, Ihr benötigt noch eine kleine Erläuterung, Monsieur.“, ließ sich Richelieu mit leicht süffisantem Unterton in der Stimme vernehmen und läutete eine kleine goldene Glocke, die auf seinem Schreibtisch stand. Sofort erschien ein Lakai in der Livree des Kardinals durch eine kleine Tapetentür im Zimmer. „Die Kurzfassung des Berichts.“, wies der erste Minister den Lakaien an. Dieser holte einige papierene Seiten aus seinem Ärmel und begann:

„18. Juli: Das Tier genannt „Luna“ scheint sich an den Exerzierübungen der Garde Seiner Eminenz zu erfreuen und beteiligt sich daran in wölfischer Art. Dabei werden drei Uniformhosen, zwei Rüschenhemden und der neue Brokatkassack mit handgestickten Seidenverzierungen des Gardehauptmanns erheblich beschädigt.

22. Juli: Trotz der angeordneten Bewachung des Halbwolfes gelangt selbiger während der Vorbereitungen zum Empfang des Spanischen Botschafters in die Küche des Palais Cardinal und verschlingt neben 3 Wachteln auch 2 Pfund exklusive weiße Piemont-Trüffel. Der Maître de Cuisine kann nur mühsam davon abgebracht werden den Dienst bei Seiner Eminenz zu quittieren.

25. Juli: Die zeitweilige Verwahrung von Luna bei den Jagdhunden Seiner Eminenz erweist sich als unwirksam. Nach einem Ausflug in die Stallungen und ausgiebigem Wälzen in Pferdedung besucht das Tier die herzogliche Wäscherei und macht mehrere Garnituren seidener Bettwäsche unwiederbringlich unbrauchbar.

1. August: Ein Kammerdiener hört verdächtige Geräusche aus dem Souvenirzimmer des Ersten Ministers von Frankreich. Da dieses zu jeder Tages- und Nachtzeit verschlossen ist, wird die Wachmannschaft alarmiert. Der diensthabende Offizier beschreibt wie folgt: „Als ich das Zimmer betrat, versuchte der Wolf gerade eine Katze auf die Vorhänge des Zimmers zu jagen. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um „Attila“, den Kartäuserkater Seiner Eminenz, ein Geschenk von Pater Josef.  Dabei wurden die Vorhänge sowohl durch Katzen- als auch durch Wolfskrallen stark in Mitleidenschaft gezogen. Danach schien sich der Kater seiner Kampffähigkeiten zu besinnen, fauchte, machte einen Buckel und führte eine Attacke gegen den jungen Wolf. Dieser schien ob der Gegenwehr zuerst verwundert und eingeschüchtert, ging dann aber seinerseits zum Gegenangriff über. Das daraus resultierende Gefecht dauerte mehrere Minuten. Meine Männer und ich versuchten, leider vorerst vergeblich, die Kontrahenten zu trennen. Die Schlacht forderte neben einigen Leichtverletzten unter meinen Kameraden, vor allem durch Kratzwunden, zu meinem größten Bedauern auch Opfer an der Einrichtung. Zwei Teetassen aus China, angeblich Originale von der Reise Marco Polos, gingen zu Bruch. Ebenso wurden die Kristallpokale mit den güldenen Fleur-de-Lys Wappen von der Kommode gefegt und weisen beide jetzt deutlich sichtbare Sprünge auf. Da diese ein Geschenk Seiner Majestät Ludwigs XIII. anlässlich der Ernennung Seiner Eminenz zum Herzog von Richelieu waren, biete ich in diesem Zusammenhang meinen Rücktritt an. Auch der Renaissancegobelin, ein Geschenk des venezianischen Botschafters, weist jetzt deutliche Krallenspuren auf. Erst mit Hilfe eines Kübels Brunnenwassers konnte der erbitterte Kampf beendet werden.“

Es folgt eine Auflistung kleinerer Zwischenfälle mit dem  Halbwolf Luna …“

„Ich denke, wir haben genug gehört.“ Mit einer Handbewegung des Kardinals war der Lakai entlassen und er verschwand so schnell, wie er gekommen war. „Nun, ich glaube, Ihr versteht das vor Euch liegende Papier jetzt etwas besser, Monsieur le Comte“, bemerkte Richelieu mit gespielter Strenge. Rochefort hatte den Bericht mit unbewegter Miene verfolgt. Zuerst wollte er unterbrechen, doch dann erinnerte er sich an Hectors Bemerkung mit der Contenance. Richelieu wollte dieses Schauspiel also zu Ende spielen. Nun gut, dann würde er eben mitspielen. Daraus entwickelte sich folgender Dialog:

„Monsieur verstehen den Ernst der Situation.“

„Aber voll und ganz, Eure Eminenz.“

„Hauptmann Jussac ist erbost wegen seines Kassacks ...“

„Der Herr Hauptmann hat es nicht zuletzt mir zu verdanken, dass er diesen Posten innehat und vor kurzem von Seiner Majestät  zum Comte erhoben worden ist…“

„Akzeptabel … die Trüffel für das Bankett…“

„...wurden vom Maître de Cuisine sicherlich durch exquisite andere Köstlichkeiten ersetzt, die den Spanischen Botschafter wohl begeistert haben, und der Maître wird von mir dafür eine meiner besten Flaschen Bordeaux erhalten, die er so gerne trinkt.

„ Ausgezeichnet … die Bettwäsche…“

„…ist ersetzbar und kaum der Rede wert.“

„Hmmm, nun ja, aber das Teeservice…“

„…hat Eure Eminenz immer als eine Frechheit bezeichnet, eine Fälschung, auf die der Erzbischof von Reims wohl hereingefallen ist, da Marco Polo kein Porzellan aus China mitgebracht hat.“

„Mag sein…aber doch nicht ohne Wert… und die Kristallpokale Seiner Majestät…“

„ …haben Eure Eminenz selbst ins Souvenirzimmer verbannt, um diese ´protzige Hässlichkeit ´ nicht mehr sehen zu müssen.“

„Ihr habt ein ausgezeichnetes Gedächtnis, Monsieur, aber wertvoll waren sie dennoch…“

„…aber nicht unersetzlich.“

„Zugegeben, das nicht gerade, aber ich mochte den Renaissancegobelin sehr…“

„…weswegen ich auch die besten Handwerker von Paris beauftragen werde ihn so zu restaurieren, dass nicht einmal die ursprünglichen Künstler den Unterschied bemerken würden.

„Trotzdem werdet Ihr Euch zusätzlich zu all Euren Aufgaben auch Eurer Luna widmen und ihr Manieren beibringen.“

„ Der Wunsch Eurer Eminenz ist mir Befehl, aber können wir jetzt zu meinem Bericht über Gaston kommen?“

Luna, die, als ihr Name laut ausgesprochen wurde, aufmerksam geworden war, lugte neugierig hinter dem Canapé hervor, ihre riesigen, fast fledermausartigen Ohren steil nach oben gerichtet…