Novemberherausforderung 2004 von Silvia 

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Kapitel Ein stilles Haus von Anonymous

Ein knappes Wort zuvor: meine Geister sind etwas sangesfreudig und ich entschuldige mich für die nicht besonders gelungene Lyrik.

Ein stilles Haus

Abends wenn die Heimchen singen
Und die Lampe düster schwelt,
hör ich gern von Spukedingen,
die die Tante mir erzählt.

Wie es klopfte in Wänden!
Wie der alte Schrank geknackt!
Wie mich einst mit kalten Händen,
Mutter Urschel angepackt!

Hat man gar ein leises Jammern,
gar um Mitternacht gehört,
oben in den Bodenkammern,
scheint mir höchst bemerkenswert.

Und erzählt sie gar das Märchen,
von dem Geiste ohne Kopf!
Ja da sträubt sich jedes Härchen
Angsterfüllt in meinem Schopf!

Und ich kann es nicht verneinen,
dass es böse Geister gibt.
Denn ich habe selber einen,
der schon manchen Streich verübt!

(Wilhelm Busch: Von allerlei Geistern)

1. Die Legende von Beaucourt

Hört ihr Herrn und lasst Euch sagen:
unsre Glocke hat zehn geschlagen,
zehn Gebote setzt Gott ein,
gib das wir gehorsam sein!

Menschenwachen kann nichts nützen,
Gott muss wachen, Gott muss schützen,
Herr durch deine Güt’ und Macht
Gib uns eine gute Nacht!

Lobet Gott den Herrn!

Sieg im Krieg werden stets äußerst ausgiebig gefeiert und mit Gottesdiensten und viel Lärm zelebriert. Friedenschlüsse haben selten die gleiche Ehre, man begeht sie leiser, tragen sie doch dass Eingeständnis dass man nicht vollständig siegen konnte mir sich. Doch in diesem Falle wurde der Friedensschluss so laut und fröhlich gefeiert, er erfüllte die Gassen hinter dem Luxembourg mit Lärm, die Nacht mit fröhlich spöttischen Gesängen und drei Wirte hintereinander mit Grausen bis die ganze Gesellschaft ihrer fünf sich schließlich im „Le Grande Cerf“ niederließ, dessen Wirt wenigstens einen von ihnen kannte und nicht allzu geschockt war. Und während draußen jenseits der Fenster der letzte Abend des Oktober kalt und dunkel sich dem Ende zuneigte, klirrten an dem Tisch fröhlich die Becher.

Rochefort stieß freundschaftlich mit d’Artagnan an. Er spürte noch die Stichwunde von ihrem letzten Duell vor nicht weniger als zwei Tagen, aber er beachtete man sie kaum. Er konnte anerkennen, dass sein Kontrahent die bessere Klinge geschlagen hatte. Zumal Rocheforts erste Waffe selten der Degen war. Der Gascogner hielt seinen Stolz trotz des Umstandes, dass er Rochefort zum dritten Mal besiegt hatte, ebenfalls zurück. „Wir hören wirklich besser damit auf, bevor Euer Herr uns beide dafür in Conciergerie wirft.“ Meinte er lachend.

Porthos – der soeben mit Athos angestoßen hatte, nickte düster. „Allerdings. Wenn der Kardinal so weitermacht, wird es bald keine Duelle mehr geben!“

„Porthos!“ fuhr Aramis ihn an. „Es gehört sich nicht, schlecht über Rocheforts Herrn zu sprechen, jetzt wo er unser Freund ist.“ Damit gönnte er sich einen weiteren Schluck Wein.

Rochefort lächelte hinter seinem Weinbecher. „Aber Aramis, ihr müsst Euch nicht für mich einsetzen.“ Sagte er freundlich. „Einem unglücklichen Manne nehme ich gar nichts übel.“
„Unglücklich wahrhaftig!“ stimmte Athos zu. „sich an ein Weib zu binden! Ihr seid unvernünftig Porthos!“

Nun war an eben jenem wackeren Musketier erbost dreinzuschauen. „Unglücklich? Ich! Rochefort ich verbitte mir dass und noch mehr verbitte ich mir Spott über meine Herzogin.“

Bei diesen Worten grinste d’Artagnan, der ja über besagte Person ganz gut in Kenntnis war, doch Rocheforts Worte überraschten ihn. „Sie ist doch die Erbin der Beaucourthinterlassenschaften, trotz ihrer bürgerlichen ersten Ehe?“ fragte er ernst. „Porthos , selbst wenn Ihr mit Mylady de Winter - Gott hab sie selig! – verlobt wärt, unglücklicher könntet ihr nicht sein!“

„Und warum?“ erkundigte sich Porthos, der insgeheim bereits annahm, dass Rochefort in seinem Kummer über das verlorene Duell etwas zu viel getrunken hatte. „ich habe mir diesen Beaucourtbesitz bereits angesehen, ein wundervolles Stadthaus und dazu Ländereien in der Provinz.“

„Und ein Fluch.“ Sagte Rochefort düster. „Ein Fluch der bisher jeden männlichen Besitzer dieses Hausstandes unfehlbar getötet hat.“

„Ein Fluch?“ fragten die vier Musketiere zugleich, dann war es Aramis der weitersprach. „Sagt Rochefort, ich habe einiges über den Tod des letzten Comte de Beaucourt gehört, ist da wirklich etwas unheimliches an am Werke gewesen?“

Rochefort sah auf. „ich kenne dieses Haus.“ Sagte er leise. „Von meinem Vater her, war ich mit der Familie befreundet und weiß wie es heimgesucht es ist.“ Hastig trank er seinen Becher aus und füllte ihn nach.

Die Blicke der vier Freunde hingen an ihm. „Heimgesucht? Doch nicht von Gläubigern?“ erkundigte sich Porthos sofort besorgt. Ein strenger Blick von Athos brachte ihn zum schweigen.

Rochefort schüttelte den Kopf. „Nein. Es ist heimgesucht auf die schlimmste und schrecklichste Weise wie Ihr sie Euch vorstellen könnt. Der Bischof von Nancy der vor zehn Jahren in dem Hause umkam – man hatte ihn geholt um den unheiligen Treiben jenes grässlichen Ahns ein Ende zu machen – er fiel diesem Schrecken zum Opfer und lies Leben und Seele in diesem Hause.“

Unruhige Blicke wechselten zwischen den Freunden. Der Tod jenes Bischofs hatte tatsächlich Anlass zu einer Menge Gerede gegeben und war noch heute in Erinnerung von vielen Pariser Bürgern. „Ein Ahn?“ fragte Athos schließlich. „Es ist ein Vorfahr, der dieses Haus heimsucht?“

Ein düsteres Nicken war die Antwort, dann trank Rochefort einen weiteren Schluck. „Ich habe ihn selbst nie gesehen, Gott sei Dank dafür! Aber seine Werke habe ich gesehen.“ Es schien als wollte er nicht weitersprechen, sondern stumm trinken.

D’Artagnan, entschlossen seinen neu gewonnen Freund seine düsteren Erinnerungen nicht einfach ertränken zu lassen, setzte das Gespräch tapfer fort. „Was sollte diesen Vorfahren veranlasst haben, auf diese Weise die Nachwelt zu behelligen, anstelle still in der Erde zu ruhen, und vergessen zu werden?“

Rochefort lachte leise und bitter. „Seine Untaten! D’Artagnan, seine Untaten! In grundloser Eifersucht ermordete er seine Frau und seine Kinder, bis auf die jüngste Tochter die entkam. Und seitdem ist er verflucht in diesem Haus umzugehen.“ Der Graf stellte den Becher weg. „Seit damals muss jede Nacht, wenn der Tag der Untat sich jährt jemand in diesem Haus zu sterben, der männliche Besitzer zuerst, und hat es keinen, so trifft es andere. Ich selbst habe gesehen wie sie vor zwei Jahren diesen armen Hund von Segullier unter der Seitentreppe fanden – tot, ohne ein Mal an ihm. Und im Jahr davor war ich in jener Nacht dort zu Gast und habe den Schrei gehört als der junge Giutarde starb und ich habe das körperlose Licht dass sich rasch entfernte gesehen als ich hinzu eilte. Dieses Haus ist heimgesucht.“

„Wann wurde das Verbrechen begangen?“ erkundigte sich Aramis. „Wenn ich mich recht entsinne starb der Bischof von Nancy...“

„Am Vorabend von Allerheiligen.“ Erwiderte der Graf flüsternd.

Erschrocken sahen die Freunde Porthos an. Wenn er die Witwe und Erbin heiratete, würde er in einem Jahr der Besitzer des Hauses sein. Entschlossen stand d’Artagnan auf. „Dann müssen wir diesem Spuk ein Ende machen.“ Sprach er aus, was die Freunde alle dachten.

„Sucht Ihr den Tod?“ fragte Rochefort bitter. „Wenn Ihr dorthin geht, seid ihr vielleicht der nächste den sie begraben werden.“

D’Artagnan sah den Grafen streng an. „Vielleicht. Aber vielleicht finde ich ja auch einen Weg, diesen Spuk zu beenden. Ich glaube nicht an mordende Vorfahren und rächende Ahnen. Darum werdet Ihr uns zu diesem Haus führen und wir werden schon sehen ob wir einen düsteren Ahn dort finden.“

Eine Weile zögerte der Graf, doch dann nickte er. „Es ist Euer Begräbnis.“ Sagte er schließlich. „Aber ich werde mit Euch kommen.“

2. Ein merkwürdiges Haus

Hört ihr Herrn und lasst euch sagen:
unsre Glocke hat elf geschlagen,
elf der Jünger blieben treu,
einer trieb Verräterei!

Menschenwachen kann nichts nützen,
Gott muss wachen, Gott muss schützen,
Herr durch deine Güt’ und Macht
Gib uns eine gute Nacht!

Lobet Gott den Herrn!

Vom Turm von Saint Jacques de Boucherie schlug es die elfte Stunde, als die vier Gefährten zum Hôtel de Beaucourt ritten. „Das liegt ja gar nicht so weit von der Porte de St. Antoine.“ Murmelte d’Artagnan als sie es schließlich erreichten.

Rochefort lächelte schwach. „Immer gut zu wissen wohin man noch gehen kann, oder?“ er saß ab. „Im Moment befinden sich wohl nur Bedienstete und eine entfernte Verwandte hier, die wohl das ganze zu verwalten hat, bis das Haus seiner Erbin übergeben werden kann.“

Porthos nickte bestätigend. „Das ist richtig. Madame sind eine entfernte Verwandte meiner Herzogin und waren so freundlich, diese Aufgabe zu übernehmen.“ Er schack zusammen als aus dem dunkel des Hofes ein buckliger Knecht heran tat um ihnen die Pferde abzunehmen. Er schien Rochefort zu kennen, denn er nickte diesem nur zu. Dann führte er die vier Pferde davon.

Die Freunde sahen sich um. Der Hof unterschied sich nicht viel von dem anderer Stadthäuser auch, er wirkte lediglich etwas düsterer, weil er völlig verlassen war. Bis auf sehr wenige Fenster schien das ganze Haus dunkel zu sein. Am Eingang des Hauses wurden sie von einer ältlichen, mürrischen Haushälterin in Empfang genommen. Die Porthos Erklärung, er sei gekommen um zu sehen was denn nun das Erbe seiner Verlobt so heimsuche, mit den knappen Worten: „Hier gibt’s nichts zu sehen.“ Beschied. Erst als Rochefort sie bat ihn bei Madame zu melden, lies sie sich mit Mühe breitschlagen, die vier Musketiere an der unteren Treppe warten zu lassen, während sie Rochefort hinauf führte und Madame meldete.

Für eine Weile hatten die Freunde schweigend ihre Umgebung gemustert. Auch wenn Treppenhäuser nicht viel dazu sagen mochte, wirkte das Haus wohlhabend, aber irgendwie unbewohnt, als würde hier schon länger niemand mehr wirklich leben. Zudem war es drückend still. Rochefort kam und kam nicht wieder. Die Kerze auf dem einzelnen Leuchter den die Haushälterin bei ihnen gelassen hatte, flackerte unruhig. „Wahrscheinlich sind Madame schon schlafen gegangen.“ Stellte Aramis leise fest. „Es ist unhöflich um eine solche Nachtszeit...“

Ein spitzer Schrei unterbrach ihn. Es war eindeutig eine Frau die da schrie und ein Klirren folgte. Die vier Freunde zögerten keinen Moment den Platz wo sie warten sollten zu verlassen und sie eilten durch das Treppenhaus in die Richtung aus der sie den Schrei gehört hatten. Es ging die Stufen hinauf in die nächste Etage und noch eine halbe Treppe höher. Überall war es dunkel, doch auf halber Treppe flackerte noch eine umgefallene Kerze, die nicht verloschen war und beleuchtete die unheimliche Szenerie. Auf dem Absatz der Treppe sahen sie eine Frau liegen, die sie selbst im schlechten Schein der Kerze und des Leuchters den Porthos trug als eine Dienerin erkannten und um sie herum war eine dunkle Lache, die langsam immer größer wurde. „Heilige Maria Mutter Gottes!“ entfuhr es Aramis. Er rannte los, drei Treppen auf einmal überspringend und erreichte die Frau als erster. Als er neben ihr niederknien wollte, schnitt ihn etwas hartes ins Knie und ein wohlvertrauter Geruch stieg ihm in die Nase. Mit einem sehr unheiligen Fluch sprang der Musketier auf.

„Aramis – seid ihr verletzt?“ fragte d’Artagnan, der ihn als erster erreichte, besorgt. In diesem mörderischen Hause schien alles zu erwarten zu sein.

„Verletzt? Nein.“ Erwiderte Aramis und ein eigenwilliges Lächeln erschien auf seinen Zügen. „Aber dass ich mich in die Scherben der Tasse knien musste!“

Porthos hob dem Leuchter und die Freunde begriffen fast im selben Moment. Die Dienerin war ohnmächtig und neben ihr lag eine große zerschlagene Porzellantasse deren Inhalt – anscheinend heiße Schokolade – sich über den Boden verteilte. D’Artagnan musste Lachen. „Schaut uns an! Wir alle eilen herbei das schlimmste vermutend, und dabei ist nur eine Dienerin in Ohnmacht gefallen und hat den Abendtrunk für den Gast Ihrer Herrin verschüttet! Heiße Schokolade – hm, Rochefort hat merkwürdige Gewohnheiten.“

Athos hatte sich neben die Ohnmächtige gehockt. „Aber was brachte sie dazu in Ohmacht zu fallen?“ fragte er nachdenklich.

Weiter oben im Dunkeln hörten sie ein huschen leiser Füße, und ein Rascheln. Athos sprang auf, als eine Helle Stimme in der Dunkelheit zu singen begann:

„Eins zwei drei
Ein Schatten zieht vorbei
Unten am Tor
Da hörst du einen Schrei.

Vier, fünf und Sechs,
ein Fremder kommt des Wegs,
er bringt dich um
wenn du dich nur regst.

Sieben und Acht,
geh nicht in die Nacht,
ein böser Geist,
der hält im Dunkeln wacht.

Neun und zehn
Wirst nimmer fort mehr geh’n
Unten am Tor,
da bleibt der Schatten stehn.“

Eine zweite helle Stimme gesellte sich dazu und sang gemeinsam mit der ersten weiter.

„Eins und zwei,
wer es auch sei,
mach nicht auf das Tor,
lass ihn ziehn vorbei.

Drei und vier
Bleib heut Nacht fein hier,
sonst holt dich der Ahn
und der teilt dich vier.

Fünf und Sechs,
dass du dich nicht regst,
sonst hängt er dich auf,
schnell und gradewegs.

Sieben und Acht,
so wird das gemacht,
mit Schnüfflern die kommen
ungewollt heut nacht.

Neun und Zehn,
bleib am Tor nicht stehn,
sonst holt dich der Ahn
du wirst es schon sehn!“

Die Freunde gingen raschen Schrittes die Treppen hinauf. In oberen Stockwerk angekommen, stand sie immer noch im Dunkeln. Weit reichte der Lichtschein der Kerze nicht. Weit und breit war niemand zu sehen. Sich vorsichtig nach allen Seiten umschauend gingen die Freunde einige Schritte in das stille Stockwerk hinein. Auf einem Beistelltischchen entdeckte Athos zwei abgestellte Kerzenhalter mit nur halb heruntergebrannten Kerzen. Er entzündete sie an Porthos Kerze, einen gab er an Aramis und den anderen an d’Artagnan weiter. „Wir trennen und uns schauen uns hier oben um.“ Sagte er entschlossen. „Haben wir in zehn Minuten nichts gefunden, treffen wir uns wieder hier an der Treppe.“

3. Die Erscheinung

Hört ihr Herrn und lass Euch sagen:
zwölf hat unsere Glocke geschlagen
Zwölf das ist das Ziel der Zeit,
Mensch bedenk die Ewigkeit!

Menschenwachen kann nichts nützen,
Gott muss wachen, Gott muss schützen,
Herr durch deine Güt’ und Macht
Gib uns eine gute Nacht!

Lobet Gott den Herrn!

Aramis ging allein durch die Räume die seit Ewigkeiten verlassen schienen. Staub lag auf dem Boden und den Möbeln. Einige male musste er niesen, wenn sein Schritt den Staub allzu sehr aufwirbelte. Er war sich sicher dass die Sänger dieses merkwürdigen Liedchens nicht hier gewesen sein konnten, denn sie hätten Spuren im Staub hinterlassen. Eine unruhige Bewegung lies ihn herumfahren. Für einen Moment meinte er dass jemand durch den Raum gehuscht wäre, doch dann wurde ihm klar, dass sich seitlich von ihm ein Spiegel befand und er aus dem Augenwinkel seine eigene Bewegung im Spiegelglas reflektiert gewesen hatte. Er trat näher und hob die Kerze. Ja der Spiegel war recht alt, Flecken und Schatten hatten sich auf der silbrigen Fläche gebildet und trübten das einstmals klare Spiegelbild ein wenig. Dennoch bedurfte es für Aramis keiner Mühe einen alten Venezianischen Spiegel zu erkennen, wenn er einen sah.

Sein eigenes Spiegelbild wirkte getrübt darin, fast als wäre ein Schleier zwischen ihm und der Welt. Aramis schrack zusammen als er sah, dass er nicht mehr allein in dem Spiegelbild war. Hinter ihm stand jemand, ein Mann in etwa seinem eigenen Alter, hochgewachsen, von sehr schlanker Statur und mit dunklem Haar. Seine Züge wirkten still und etwas schwermütig. Er hob die Hand als wolle er Aramis etwas bedeuten, der Musketier wandte sich hastig um, doch hinter ihm war nur das leere Zimmer, voll von Staub und Spinnweben und im Staub auf dem Boden waren keine Spuren zu sehen. Hastig eilte Aramis zur Treppe zurück.

***

Porthos war eine ganze Weile erfolglos von Raum zu Raum gegangen und hatte ebenfalls nicht viel mehr als Staub und Spinnenweben gefunden. Als er wiedereinmal niesen musste und sich anschließend ausgiebig schnäuzte, hielt er inne und lehnte sich gegen einen alten hölzernen Sekretär. „Eigentlich ist es dumm was wir hier tun.“ Sagte er nachdenklich zu sich selbst. „Wir haben Kinder singen hören, hier oben. Und was werden die gemacht haben, als sie uns kommen hörten? Sie haben sich versteckt. So haben wir vier zu Hause das ja auch gemacht und Vater konnte sich tot suchen nach uns.“

Wesentlich vorsichtiger ging der große Mann den Weg den er gekommen war zurück und betrachte die Räume noch einmal mit anderen Augen. Es fiel ihm nicht schwer sich gedanklich in seine eigene Kindheit zurückzuversetzen und mit diesen Augen den Raum zu mustern. Schließlich fiel ihm ein schwerer alter Kleiderschrank auf, dessen Tür eine Winzigkeit angelehnt war. Der hünenhafte Musketier lächelte. Ja das sah ganz nach dem aus, was er gesucht hatte. Er trat herbei und öffnete die Tür, ohne sie jedoch aufzureißen. Im Schein der Kerze sah er einen vielleicht siebenjährigen Jungen, der in einer Ecke des Schrankes kauerte und nun erschrocken ins Licht blinzelte. „Geh weg.“ Sagte er leise.

Porthos war sich sofort darüber im klaren, dass er den Jungen so erschreckte, also hockte er sich und stellte die Kerze auf den Boden. „Was machst du hier?“ fragte er freundlich. Egal ob Rochefort das hier inszeniert hatte oder ob dies ein Junge von Hauspersonal war, es gab keinen Grund gleich harsch mit ihm zu werden.

„Spielen.“ Erwiderte der Junge. „Und was willst du hier?“

„Ich schaue mir das Haus an, weil ich bald hier wohnen werde.“ Erwiderte Porthos immer noch freundlich.

Er sah wie der Junge hart schluckte. „Dann werden Emanuel und Anne wohl bald fortgehen.“ Sagte er leise. „vielleicht gehe ich mit.“

„Wer sind Emanuel und Anne?“ fragte Porthos, der den Kummer des Jungen an dessen Stimme hörte. „Und was machen sie in einem so leeren Haus?“

„Sie kommen, jedenfalls manchmal.“ Erwiderte der Junge leise. „Immer des Nachts, wenn der Mond scheint. Anne und ich spielen dann und Emanuel passt auf uns auf, oder er erzählt uns Geschichten. Aber wenn du hier wohnst, werden sie fortgehen, sie können nicht bleiben wo viele Menschen sind.“

Porthos streckte dem Jungen die Hand entgegen. „nun komm erst mal raus aus dem Schrank.“ Lud er ihn ein. „Und dann gehen wir nach Emanuel und Anne schauen. Wie heißt du eigentlich und warum lebst du hier?“

Tatsächlich fasste der Kleine die Pranke des Musketiers und kam aus dem Schrank geklettert. „Ich bin Armand und Tante hat hier gewohnt bis sie...“ er schluckte erneut.

Porthos strubbelte dem Jungen durch die Haare. Vage hatte er gehört dass die Erblasserin einen unehelichen Jungen gehabt haben sollte. Aber ihn mutterseelenallein in diesem Haus zu lassen! Mit wer weis welchen merkwürdigen Existenzen als Gesellschaft! Er würde sich darüber wohl einmal mit seiner Herzogin unterhalten müssen. „Ich bin Porthos.“ Stellte er sich vor. „Komm Armand, wir gehen und suchen deine Freunde.“

Der Junge hatte eben genickt und den Leuchter aufgenommen, als D’Artagnans Lautes Fluchen die Stille des Hauses durchbrach. Porthos sah zu Armand. „Das ist ein Freund von mir, ich muss nachsehen gehen, kommst du mit?“ Als er sah dass der Junge nickte, eilte er los.

Sie erreichten das obere Ende der Treppe rasch wieder und sahen d’Artagnan der sich gerade mühsam wieder aus dem Staub aufrappelte. Offensichtlich war er gestürzt. Als er den Jungen hinter Porthos sah, grollte er. „Rochefort und seine Scherze! Ich hätte wissen sollen, dass er sich irgendeine merkwürdige Revanche erlauben würde.“

Aramis wollte eben etwas einwenden und von der Erscheinung im Spiegel erzählen, als sie eine Stimme hörten, die unten aus der Eingangshalle heraufdrang. Es war die Stimme eines Mannes, der ein schwermütiges Lied sang.

„Und das er einst eine Spanierin geliebt,
doch dann kam ja dieser Krieg.
Und auch wenn er nicht mehr als seine Pflicht getan,
hat er sie nicht gefunden nach dem Sieg.
Und wenn er jemals wieder lieben wollte,
dann keine die von dieser Welt,
denn hier hätte er nur eine lieben sollen,
doch der Weg dazu blieb verstellt.
Und so bleibt nur noch die Hoffnung,
auf den Moment wo sie sich wieder sehn,
denn dort – auf der anderen Seite,
da wird sie ihn sicher dann verstehn,
doch noch liegt zwischen ihnen,
diese Welt und eine lange Nacht,
Und als ihn dann nichts mehr hier hielt,
hat er sich schließlich auf den Weg gemacht.
Bei einem Kämpfer – so wie er es war,
da brauchte es der Gegner drei....“

„Es reicht!“ D’Artagnan riss der geduldsfaden. „ich werde jetzt gehen und Rochefort sagen, dass er diesen Unsinn beenden kann!“ Verärgert griff er nach seinem Waffengurt und lockerte den Degen. Entschlossen wandte er sich der Treppe zu.

Es war totenstill als die Freunde gemeinsam das Treppenhaus betraten. Nichts rührte sich, selbst die Diener waren anscheinend schlafen gegangen und um die Anwesenheit einiger wartender Gäste schien sich niemand gekümmert zu haben. Nur der Wind draußen und der Regen gegen die Fenster durchbrachen die Stille mit ihrem gleichförmigen Geräusch. Die Freunde bemühten sich leise zu gehen und dennoch schien jeder ihrer Schritte in der großen Stille dieses Hauses wiederzuhallen. Ein Quietschen lies sie auffahren. Weiter unten, am Treppenabsatz war eines der hohen Fenster aufgegangen und die schweren Vorhänge bauschten sich im Wind. Zwischen ihnen konnten die Freunde jedoch die unruhigen Bewegungen einer Schattenhaften Gestalt erahnen. D’Artagnans Augen blitzten auf. Er würde Rochefort schon lehren Gespenst zu spielen!

Mit zwei raschen Schritten überwand er die Treppen, packte den Vorhang und wickelte die Gestalt, die sich heftig wehrte und zappelte, darin ein und zwang sie zu Boden. Die Gegenwehr war kräftig und er spürte dass er der Person etwas von dem Vorhang in den Mund gestopft haben musste. Da er den Vertrauten Richelieus nicht ersticken wollte, lockerte er seinen Griff um den Mund, was ein gewaltiger Fehler war, denn der Hilfeschrei der Haushälterin war markerschütternd. „Hilfe! Räuber! Lüstlinge! Ahh...“ Das Treppenhaus hallte von dem Geschrei wider.

Unten hörte man wie eine Klinge gezogen wurde und jemand kam die Treppe hinaufgeeilt. „Rochefort...“ wollte Aramis ihn ansprechen. Doch es war nicht Rochefort. Es war ein junger Mann von vielleicht neunzehn Jahren, dunkelhaarig und mit einem Rapier in der Hand. Entsetzt erkannte Aramis das Gesicht aus dem Spiegel wider. Doch ihm blieb keine Zeit zu fragen, die Haushälterin hatte sich befreit und gebärdete sich als hätten die Musketiere ihr Leben oder wenigstens ihre Jungfräulichkeit ernsthaft gefährdet.

Der junge Mann streckte den Rapier weg und trat auf sie zu. „Es ist gut Jeanette, die Herren werden euch nichts tun.“ Sagte er sanft. Seine klangvolle Stimme verriet ihn sofort als den Sänger des Liedes, dass sie vorher gehört hatten.

„Was hat sie überhaupt hier gemacht?“ brummte d’Artagnan, dem der Zwischenfall doch unangenehm war.

„Ich habe das Fenster schließen wollen, der Wind hat es aufgedrückt, ihr Rohling!“ empörte sich die Haushälterin. Damit wandte sie sich um, schloss das Fenster und entfernte sich höchstlich verärgert.

Immer noch fassungslos sah Aramis den Fremden an, und nun war er sich sicher, dass es derjenige der oben am Spiegel ihn angesehen hatte. Doch wieder wurde eine Frage von seiner Seite verhindert, denn Armand eilte auf den unbekannten zu. „Emanuel!“ rief er.

Porthos wurde klar, dass er es mit dem geheimnisvollen Gast dieses Hauses zu tun haben musste. „ich habe den Jungen oben gefunden.“ Sagte er zu Emanuel. „Er erzählte mir von Euch. Wer seid Ihr?“

Emanuel lächelte. Es war ein schwermütiges Lächeln. „das ist nicht wichtig. Ich bin nur ein wenig länger geblieben um auf den Kleinen aufzupassen. Aber viel länger wird dies nicht mehr möglich sein.“

Porthos sah den ängstlichen Blick des Jungen und gleichzeitig erahnte er was Emanuels Worte bedeuteten. „Wenn er der Sohn de letzten Hausherrin ist, dann ist er ein Verwandter meiner Verlobten. Er gehört zur Familie, ich werde mich um ihn kümmern, Ihr habt mein Wort.“

„Ich will nicht dass ihr geht, du und Anne.“ Sagte Armand leise. Emanuel hockte sich. „Aber es ist Zeit dafür. Du gehörst hierher, wir nicht. Und du brauchst uns nicht mehr.“ Sein Lächeln war eigenwillig. „Vielleicht kommt es dir jetzt noch schrecklich vor, aber bald schon wirst du uns vergessen haben, und das ist auch richtig so.“

Er erhob sich als ein kleines Mädchen die Treppe hinauf gehuscht kam. „Emanuel, der Mond geht bald unter.“ Sagte sie leise. Emanuel richtete kein Wort an einen der Anwesenden. Leichtfüßig eilte er die Stufen hinunter und nahm die Kleine auf den Arm. „Du hast recht Anne, es ist schon spät.“ Er nahm die Kleine auf den Arm und wandte sich zu Porthos. „Es hat in diesem Haus immer nur ein Böses gegeben Porthos und das kam aus dem Herzen derer die hier wohnten, lasst Euch von niemandem etwas anderes erzählen.“ Ein leises Lächeln ging an Armand. "Leb wohl, werde alles was als versprechen schon in dir angelegt ist."

Damit gingen die zwei die Treppen hinunter. Vielleicht war es nur eine Täuschung des Mondlichtes dass zwischen den Vorhängen hereinfiel, dass man sie bereits nach wenigen Schritten nicht mehr richtig sehen konnte und sie rasch entschwanden. Was länger blieb, war Emanuels Stimme, der wieder leise zu singen begonnen hatte.

Die Pilger sagen die Welt ist rund,
mein Pfad führt gradeaus,
geh fort, geh fort, und bleib gesund,
dein Weg führt dich nach Haus..

4. Haus de Beaucourt

Hört ihr Herrn und lasst Euch sagen:
Unsre Glocke hat eins geschlagen,
s’ist nur ein Gott in der Welt,
der sie liebt und auch erhält.

Alle Sternlein müssen schwinden
Und der Tag wird sich anfinden,
Danket Gott der uns die Nacht,
hat so Väterlich gewacht!

Lobet Gott den Herrn!

Hastige Schritte näherten sich unseren Freunden, die immer noch wie angewurzelt standen auf der Treppe. Rochefort kam mit langen Schritten hinauf. „Was machen die Herren hier oben?“ fragte er. „Beinahe hätte ich die Haushälterin wecken lassen, Euch suchen.“

„Die Dame ist wahrscheinlich schon wach.“ Stellte Athos trocken fest. „Wo wart ihr so lange, Rochefort?“

„Die meiste Zeit damit befasst Euch zu suchen, nachdem Ihr verschwunden wart. Ich war in Sorge.“ Erwiderte der Graf und es klang ehrlich genug.

„Nun dazu bestand wohl kein Grund.“ Erwiderte d’Artagnan bissig als sie gemeinsam die Treppe hinunter gingen. Auf dem letzten Absatz blieb Porthos stehen und hob die Kerze vor einem Gemälde das dort hing. „Rochefort, man sagt Ihr kennt dieses Haus. Könnt Ihr mir sagen wer die dieses Mädchen auf diesem bild ist?“ fragte er.

Der Graf blieb stehen. „Das sind die unglückliche Seele, die bei jener scheußlichen Bluttat von ihrem eigenen Vater gemeuchelt wurde.“ Sagte er leise.

Stumm sahen sich die Freunde an. Das Bild zeigte ein Mädchen, Anne recht ähnlich sah. Sehr schweigsam verließen sie alle das Haus und ritten davon. Porthos nahm Armand mit zu sich.

***

Am Morgen von Allerheiligen übergab Rochefort seinem Herrn dem Kardinal de Richelieu eine Reihe von wichtigen Dokumenten. Dieser sah höchst erfreut auf. „Und es wird niemand Euch mit dem Diebstahl in Verbindung bringen?“ fragte er.

Der Graf schüttelte den Kopf. „ich habe vier Musketiere zu Zeugen, dass ich - außer der Suche nach einem lang verschiedenen mörderischen Ahn, - an keinerlei Dingen beteiligt gewesen sein kann.“ Erwiderte er.

Der Kardinal lehnte sich zurück. „Sehr gut Rochefort. Erhaltet Euch diese Zeugen, man wird geneigt sein ihnen zu glauben.“