Porthos von AstridB
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 21 BewertungenKapitel Unter Calvinisten
Für alle Fan's bestimmter Charaktere: Bitte seid nicht enttäuscht, dass euer Liebling nicht sofort auftaucht, verschiedene Charaktere kommen erst im Lauf der Geschichte dazu. Da nur die Charaktere des ersten Kapitels in der Übersicht angezeigt werden, führe ich da alle auf, auch die, die erst später auftreten. Ich hoffe, das ist für euch auch OK.
Das ist mein erster Versuch eine Geschichte zu schreiben. Daher entschuldigt meinen nicht so guten Stil. Ich habe mich bemüht, die geschichtliche Realität zu berücksichtigen, das ist jedoch nicht immer möglich. Dort, wo ich bewusst von der Historie abweiche, will ich das in einem Kommentar im Kapitelanfang bemerken. Ich möchte mich auch gleich mal für fehlerhafte Ortsbeschreibungen entschuldigen, Vallon Pont-d’Arc, Mende und Montauban gibt’s natürlich wirklich, nur ich war noch nie dort.
Herzlichen Dank an meine Betaleserin Constance, die sich
durch eine Gescichte mit dem eher ungeliebten Porthos gelesen
hat.
Sais-tu, dit Porthos, que tordre le cou à cette damnée
Milady serait un péché moins grand que de le tordre à ces pauvres
diables de huguenots, qui n'ont jamais commis d'autres crimes que
de chanter en français des psaumes que nous chantons en latin
?
(les trois musquetaires, Chapitre XLVII Le conseil des
mousquetaires)
Das Wasser der Ardèche glitzerte im Sonnenschein. Die Ardèche
hatte hier tiefe Schluchten in die Ausläufer der Cevennen gegraben.
Unweit der Stadt begann hinter einem beeindruckenden Felsportal
eine wilde Flusslandschaft. Steile Kalkfelsen schienen sich aus dem
Fluss zu erheben, unterbrochen durch sanfte bewaldete Hügel, die
mit weißen Stränden die mäandernde Ardèche säumten.
Auf einem Hügel zügelte er sein Pferd und blickte auf Vallon
Pont-d’Arc herab. Er freute sich darauf, sein Zuhause und seine
Eltern wiederzusehen. Vor fünf Jahren hatte er Vallon Pont-d’Arc
verlassen. Ein entfernter Onkel mütterlicherseits hatte ihn
aufgenommen. Seine Eltern waren damals sehr froh darüber, ihren
jüngsten Sohn gut untergebracht zu wissen. Jetzt kehrte er zurück.
Die Stadt sah noch genauso aus, wie er sie in Erinnerung
hatte.
Pierre du Vallon, groß und gutaussehend, war gerade 17 Jahre alt
geworden. Die vielen Leibesübungen im Fechten und Reiten, wie sie
für einen jungen Adligen damals üblich waren, hatten seinen
athletischen Körper geformt.
Pierre verharrte nur einen Augenblick dann ließ er die Zügel
schießen und ritt in schnellem Galopp den Hügel hinunter. Die Stadt
hatte sich in den letzten fünf Jahren verändert. Ganze Stadtviertel
waren aus dem Boden gestampft worden. In der Stadt herrschte
geschäftiges Treiben, einerseits so vertraut, und doch auch etwas
fremd. Erst nach einiger Zeit merkte Pierre, was ihn störte. Vor
jedem Haus standen zwar noch die steinernen Bänke, die schon seit
ewigen Zeiten Treffpunkte der Nachbarn waren, jetzt waren sie
verwaist. Um die Mittagszeit saßen die Männer sonst immer vor ihren
Häusern, redeten oder schliefen, bis die Hitze etwas nachließ und
sie wieder an die Arbeit gingen. Doch heute war es anders. In der
größten Hitze des Tages hörte Pierre die bekannten Geräusche aus
den Werkstätten der Handwerker. Sogar der Schmied beschlug in der
Hitze ein Pferd.
Pierre kehrte in seiner liebsten Taverne ein. Vor dem einstündigen
Ritt nach le Vallon mochte er sich noch erfrischen und vielleicht
ein wenig Klatsch erfahren. Pierre setzte sich in ein dunkles Eck
und bestellte Wein. Der Wirt erkannte ihn sogleich „Pierre du
Vallon, Ihr hier? Ihr wart doch bei Eurem Onkel?“ – „Ja doch meine
Eltern haben mich jetzt zurückgerufen.“ – „Was darf ich Euch
bringen?“ – „Das Übliche, einen Krug Wein.“ Diese Bestellung schien
den Wirt in höchste Freude zu versetzen, fröhlich pfeifend ging er
und holte den Wein.
Unterdessen konnte Pierre die lautstarken Schimpftiraden am
Nachbartisch nicht überhören.
„Ich wollte ihr ja nur einen Kuss abluchsen, glaubt mir, da war der
Kerl schon hinter mir her. Er drohte mir und schrie: dieser
Nichtsnutz, wehe wenn er sich meiner Tochter noch einmal nähert.“ –
„Was findest du nur an der, sie ist nicht besonders schön und dann
noch Hugenottin.“ – „Ne Hugenottin würde ich nie heiraten, die
verbietet dir alles, das Kartenspiel, das Trinken. Der ganze Spaß
wird dir verdorben.“
Inzwischen kehrte der Wirt zurück. „Herr Wirt, was erfreut Euch so?“ – „Ihr seid seit langem der erste Gast, der meinen guten Wein zu schätzen weiß.“ – „Wieso, hier wurde doch immer viel Wein getrunken?“ – „Seit ihr Vallon verlassen habt, sind viele Hugenotten in die Stadt gekommen. Alkohol, Glücksspiele und Müßiggang sind für die Tabu. Allenfalls mal ein Becher verdünntes Bier, was anderes verlangen die nie bei mir.“ Und leise, Pierre konnte es kaum hören „wenn überhaupt einer von denen meine Gaststube betritt.“
Nachdenklich machte sich Pierre auf den Weg nach le Vallon. Das Gut lag außerhalb von Vallon Pont-d’Arc umgeben von Feldern. Er war gespannt darauf, was ihn hier erwartete, denn seine Eltern hatten nur geschrieben, dass er heimkehren sollte. Warum, das stand nicht in dem Brief. Langsam ritt Pierre die einzige Straße entlang die Vallon Pont-d’Arc mit le Vallon verband. Im Sonnenlicht blitzte das Gut auf. Der Anblick täuschte, wie Pierre wusste, das Gut war zwar gepflegt, doch für Schönheitsreparaturen fehlte das Geld.
Auf der Treppe rannte ihm seine Mutter entgegen: „Pierre, mein Junge, endlich! Ich habe dich so lange nicht mehr gesehen.“ – „Maman, ich freue mich wieder zu Hause zu sein.“ Florence du Vallon umarmte voller Freude ihren Sohn. „Komm ins Haus, wir haben dir dein altes Zimmer vorbereitet. Ich lasse dir auch gleich ein Bad richten, du bist ja ganz staubig von der Reise.“ Es verwunderte Pierre, dass er einerseits überschwänglich begrüßt wurde, andererseits aber kein Wort über den Grund seiner Anwesenheit verloren wurde.
Nach einem Bad fühlte er sich wieder frisch und stieg,
rechtzeitig zum Abendessen, die Treppe hinunter in den Salon. Sein
Vater Etienne du Vallon war eben zurückgekehrt. „Hallo Pierre, gut
dass du da bist! Wir brauchen dich ganz dringend. Komm doch nach
dem Essen in mein Arbeitszimmer, dann kann ich dir meine Pläne
erläutern.“
Mit fast jugendlichem Enthusiasmus beschrieb Etienne seinem Sohn
seine Ideen. Ganz in der Nähe, an einem Seitenarm der Ardèche hatte
er bereits eine Getreidemühle erbaut. Die warf bereits einen ganz
erklecklichen Gewinn ab. Mit dem Gewinn wollte er eine Papiermühle
erbauen, was noch mehr Gewinn versprach. „Pierre, das ist unsere
große Chance. Der Calvinismus ist unsere Zukunft! Und er braucht
Papier, viel Papier, das ich, Etienne du Vallon, herstellen werde!“
- „Papa, und was soll ich dabei?“ – „Mein lieber Pierre, du hast
lange genug dem Müßiggang gefrönt, es ist an der Zeit, dass du was
ordentliches arbeitest. Du wirst die Papiermühle leiten.“
Von da an verbrachte Pierre jeden Tag auf der Baustelle für die
Papiermühle. Der Aufbau machte ihm Spaß, konnte er doch so richtig
mit anpacken. Doch nach der Fertigstellung änderte sich dies. Nun
war nicht mehr die Kraft und das Mitanpacken gefragt, sondern die
Verwaltung. Sein Vater Etienne nahm Pierre unter seine Fittiche und
lehrte ihn die Bücher zu führen. Mit seinen nicht sonderlich
ausgeprägten Rechenkünsten musste sich Pierre Tag für Tag unter der
strengen Aufsicht seines Vaters durch die Bücher quälen.
Stundenlang saßen sie im Arbeitszimmer seines Vaters, Pierre musste
wieder und wieder nachrechnen, bis sein Vater endlich zufrieden
war.
Des Abends war Pierre völlig ermattet im Geist, aber nicht im
Körper. Am liebsten würde Pierre jetzt ausreiten oder fechten und
ab und zu einen Abend im Gasthof versumpfen, doch das wurde als
Müßiggang gegeißelt. Statt dessen verwickelte Florence ihren Sohn
in verzwickte Diskussionen über den Calvinismus. „Mein Sohn,“ sagte
sie einmal „du musst fleißig sein und hart arbeiten. Dein Erfolg
dafür ist ein Zeichen, dass du von Gott auserwählt bist.“ Pierre
konnte den Sinn in der Lehre Calvins nicht verstehen: „Maman, du
sagst, dass man entweder auserwählt ist, oder nicht, aber das weiß
man nicht und das Auserwählt sein ändert sich nicht, egal was man
tut, wieso sollte ich dann Arbeiten?“ – „Ein Auserwählter ist von
sich aus fleißig. Sonst wäre er nicht auserwählt.“ – „Also entweder
ist man’s oder nicht, wozu soll ich mich so anstrengen?“ – „Pierre,
mach uns um Himmels Willen keine Schande! Ich möchte dich nicht
angeprangert vor der ganzen Gemeinde stehen sehen, nur weil du
nicht gehorchen willst.“
Pierre, aufgewachsen ohne ernsthafte religiöse Führung wurde nun
mit der strengen Kirchenzucht des Calvinismus konfrontiert. Seine
Eltern propagierten ein Leben in Fleiß und Arbeit, ohne jeglichen
Luxus. Dies stand im krassen Gegensatz zu dem lustigen Leben, das
er im Hause seines Onkels geführt hatte. Pierre träumte von einem
Leben am Hofe König Ludwigs XIII, voll prächtiger Kleider und
Diener in Livree, nicht von einem Leben, wie seine Eltern,
vermögend zwar, aber das Leben eines Bürgers, ohne den Luxus und
die Privilegien des Adels.
Aus Liebe zu seinen Eltern bemühte Pierre sich, auch wenn es ihm schwer fiel, nach den Grundsätzen des Calvinismus zu leben. Dennoch geschah es häufig, dass er sich am Sonntag vor der versammelten Gemeinde rechtfertigen musste, weil es ihm nicht gelungen war, die Gebote einzuhalten. Er nutzte jede Möglichkeit um dem strengen Regiment seiner Eltern entfliehen zu können.
Zum Bruch mit seinen Eltern kam es, als diese den alten Gaston
hinauswarfen. Seit Pierre denken konnte war Gaston Teil der
Familie. Eigentlich ein Diener, hatte er bald eine
Vertrauensstellung innerhalb des Haushalts inne und wurde zum
Erzieher von Pierre. Jetzt, nach mehr als 30 Jahren auf le Vallon,
war er alt geworden und konnte nicht mehr so viel arbeiten. Pierre
war entsetzt, dass sein Vater diesen verdienten Diener einfach so
entließ.
Alles zusammen, die Buchführung, mit der Pierre einfach nicht
zurechtkam, die religiöse Ordnung seiner Eltern und noch der
Hinauswurf des Vertrauten, führte letztendlich dazu, dass Pierre le
Vallon wieder verließ. Von seinem Vater trennte sich Pierre im
Streit, seine Mutter verabschiedete sich weinend von ihm.
An einem strahlenden Sommertag reitet unser junger Freund auf
den Hof eines Gasthofes in Mende. Bei seiner Ankunft schien es ihm,
als wäre unter einigen Gästen ein Disput ausgebrochen. Pierre war
jung und sehr selbstsicher. Eine mögliche Wirtshaus-Schlägerei
konnte ihn nicht schrecken. Pierre setzte sich also und verlangte
Wein.
Kaum hatte Pierre seinen Wein und ließ seinen Gedanken freien Lauf,
entwickelte sich der Disput am anderen Tisch zu einem Kampf.
Pierre, vollkommen ahnungslos bezüglich der Hintergründe, sah nur,
dass hier vier Kämpfer gegen einen standen. Diese Übermacht bewog
Pierre dazu, in den Kampf auf Seiten des einzelnen Kämpfers
einzugreifen, während die anderen Gäste schreiend das Weite
suchten. Alle sechs Kämpfer zogen ihre Degen. Der Kampf schien bald
beendet, die vier Angreifer bedrängten jeweils zu zweit einen
Gegner, der immer weiter zurückweichen musste. Pierre sah sich zwei
wenig geübten Gegnern gegenüber. Allerdings fuchtelten sie so wild
mit ihren Degen, dass Pierre Mühe hatte, die Stöße zu parieren.
Sobald er sich auf den Kampfstil eingestellt hatte, focht Pierre
ruhig und überlegt. Ihre Unerfahrenheit gereichte seinen Gegnern
nun schnell zum Nachteil. Schnell lag ein Gegner Pierre’s tödlich
getroffen vor dem Wirtshaus. Pierre rechnete schon mit einem
schnellen Sieg über den verbliebenen Angreifer, da sah er sich
wieder von zwei Seiten attackiert. Pierre’s Partner hatte Mühe
gegen seine beiden Angreifer, da drehte sich einer um und
attackierte Pierre. Dem gelang es einen weiteren Gegner
niederzustrecken, so dass er nur noch einen Gegner hatte. Sein
Partner setzte nun seinen Gegner mühelos außer Gefecht (war ja nur
noch einer). Da Pierre sich in einer guten Stellung gegenüber
seinem verbliebenen Gegner befand, wäre es Unehrenhaft für Pierre’s
Partner gewesen, in den Kampf einzugreifen, so blieb ihm nichts
weiter, als den Kampf zu beobachten. Der im übrigen auch nicht mehr
lange anhielt, da Pierre’s Fechtkünste seinem Gegner weit überlegen
waren.
Der Kämpfer zog Pierre nach Ende seines Kampfes zu den Pferden und
bedeutete ihm, dass sie Mende zügig verlassen müssten. Unsere
beiden Kameraden ritten gemeinsam aus Mende und suchten erst zur
Nacht Schutz in einem Wäldchen. Erst jetzt kam Pierre zu
Bewusstsein, dass er nicht wusste mit wem er ritt und um was sie
gekämpft hatten. Pierre’s Gefährte stellte sich vor: „Mein Name ist
Noël Ronjeau. Ich danke Euch für eure Hilfe, ohne Euch wäre es mir
nicht gelungen, den vieren zu entkommen und auch jetzt sind wir
nicht außer Gefahr, falls unsere Gegner Hilfe geholt haben und uns
verfolgen.“ Solange Pierre sich nicht im klaren war, in was er da
geraten war, schien es ihm angeraten, seinen Namen nicht zu nennen,
so stellte er sich als „Porthos“ vor. Ronjeau erkannte den falschen
Namen, respektierte aber, dass sein Kamerad unerkannt bleiben
wollte. Dennoch waren sie gemeinsam einer tödlichen Gefahr
entkommen und Pierre (der sich ja jetzt Porthos nannte) hatte ein
Anrecht darauf, zu erfahren, wofür er sich in diese Gefahr begeben
hatte. Ronjeau erzählte. „Ich bin Soldat in der compagnie de
cavalerie de la maison de Condé. Wir wurden nach Montauban
entsandt, wo wir gegen die Unterdrückung der Katholiken durch die
Hugenotten kämpfen. Ich wurde als Kundschafter ausgesandt um die
hugenottischen Umtriebe zu beobachten und war gerade auf dem Weg zu
meiner Kompanie. Die vier Männer in dem Gasthaus hatte ich in ein
Gespräch verwickelt. Leider geriet ich diesmal an fanatische
Hugenotten, die im Verlauf des Gesprächs misstrauisch wurden.
Möglicherweise waren es nur meine Fragen, die sie misstrauisch
machten, vielleicht war aber auch schon vor Kundschaftern gewarnt
worden und sie warteten auf mich, ich weiß es nicht. Es gelang mir
nicht, das Misstrauen zu zerstören, was sich dann weiter entwickelt
hat, habt ihr ja hautnah miterlebt.“ Einen Moment schwieg Ronjeau,
er wollte Porthos die Gelegenheit geben, das Gehörte zu
verarbeiten. „Und Ihr, Monsieur? Was gedenkt ihr zu tun?“ Aufgrund
dieser Erzählung war Porthos klar, dass er seinen wahren Namen auf
keinen Fall nennen durfte, denn der Name du Vallon war Ronjeau
sicher ein Begriff, als Name aktiver und gefährlicher Hugenotten.
Und, wer weiß, möglicher Weise hatten es die Hugenotten auch auf
ihn abgesehen, schließlich waren sie beide von ähnlicher Statur?
Also antwortete er: „Ich bin selbst auf der Flucht vor den
Hugenotten, die alle Katholiken aus meiner Heimat vertreiben. Ich
will erst mal weg, dahin wo ich mich sicher auf den Straßen bewegen
kann, ohne hugenottische Heimtücke befürchten zu müssen. Weiter
habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“ Nun war es an Ronjeau,
die Stille zu unterbrechen: „Ich habe Euren Kampf beobachtet. Ihr
seid ein hervorragender Kämpfer, stark und tapfer. Männer wie Ihr
sind selten, sie werden gesucht für die Armee des Königs. Als
Soldat könnt ihr Ruhm ernten, so wie ihr kämpft ist euch der Ruhm
gewiß, Kost und Logis sind frei und ihr bekommt regelmäßig euren
Sold, von dem es sich durchaus leben lässt und die Frauen reißen
sich regelrecht um Männer in Uniform. Kommt doch einfach mit, ich
werde beim Capitaine ein gutes Wort für euch einlegen.“ Porthos
wollte sich den Vorschlag erst durch den Kopf gehen lassen, vorerst
aber mit Ronjeau reiten.
Der nächste Morgen sah unsere Helden schon früh auf dem Weg nach
Montauban. Sie ritten zügig, denn sie wollten möglichst schnell weg
von den Cevennen in denen sie immer mit Hinterhalten hugenottischer
Räuber rechnen mussten. Verfolger konnten sie keine entdecken, so
dass sie nach ein paar Tagen eine recht lustige Reisegesellschaft
bildeten. Es gab kaum ein Gasthaus, an dem die Beiden nicht
gehalten hätten um sich mit Wein zu stärken und ein Spielchen zu
wagen. Nicht selten mussten sie sich vor Trunkenheit
aufeinandergestützt auf ihr Zimmer begeben. Nicht immer waren sie
am nächsten Tag imstande ihre Reise fortzusetzen, bis es Ronjeau
einfiel, dass er ja in zwei Tagen in Montauban zurück erwartet
wurde. Von da an reisten Porthos und Ronjeau mit der Disziplin, die
sich für einen Soldaten gehörte.
Kapitel Eine Belagerung
Zur Historie: Montauban wurde tatsächlich 1621 vom frz. König 88 Tage lang erfolglos belagert. Die Kompanie der Musketiere wurde erst 1622 gegründet, konnte bei dieser Belagerung daher nicht dabei sein, ich brauch’ sie aber für die Geschichte.
De leur côté les mousquetaires qui n'avaient pas grand-chose
à faire au siège n'étaient pas tenus sévèrement et menaient joyeuse
vie.
(les trois musquetaires, Chapitre XLIII L'Auberge du
Colombier-Rouge)
Porthos und sein neuer Kamerad Ronjeau erreichten also das Feldlager in Montauban. Porthos hatte während des Rittes ausreichend Zeit, sich Gedanken über seine Zukunft zu machen. Naheliegend wäre eine Rückkehr zu seinem Onkel, das kam für Porthos jedoch nicht in Frage, dann hätte er sein Versagen bei seinen Eltern eingestehen müssen.
Der Militärdienst könnte seine Chance sein. Sollte er sich im
Kampf auszeichnen, und er hatte daran nicht den geringsten Zweifel,
konnte er es weit bringen. Mit diesen Gedanken bat Porthos den
Hauptmann der compagnie de cavalerie de la maison de Condé um die
Aufnahme in das Dragonerregiment, die ihm auch aufgrund der
Fürsprache von Noel Ronjeau gewährt wurde. Porthos trat unter
seinem nom de guerre der Kompanie bei. Er wollte das Vertrauen, das
zwischen ihm und Ronjeau entstanden war, nicht zerstören, zumal die
du Vallons als fanatische Calvinisten bekannt waren, und dies auch
ihm zum Nachteil gereicht hätte.
Schnell fand sich Porthos in die Routine des Lagerlebens ein.
Fröhlich, in der Erwartung eines baldigen Sieges, versah er
regelmäßig seinen Dienst in den Laufgräben. Seine Tapferkeit und
Loyalität stellte er bei vielen waghalsigen Aufgaben unter Beweis.
Wie ein Rammbock stürmte er seinen Kameraden im Angriff voraus. Als
hervorragender Fechter, wurde er von seinen Freunden geschätzt, von
den Feinden gefürchtet. Zu Beginn hatten die Dragoner ein lustiges
Leben, denn häufig waren sie zu einer Bereitstellungs-Wache
eingeteilt. Für die Dragoner bedeutete es, sich bei den Pferden
bereit zu halten, um im Falle eines Ausfalls der Belagerten schnell
der eigenen Truppe zu Hilfe zu eilen. Meistens bedeutete es für
sie, den Dienst bei Kartenspiel und Würfeln abzusitzen und auf
einen Alarm zu warten. Seltener mussten sie tatsächlich losreiten.
Dieses änderte sich, als der König mit den Musketieren eintraf. Die
Musketiere wurden häufiger zur Bereitstellungs-Wache eingeteilt,
die Dragoner demnach stärker in den Gräben eingesetzt. Porthos,
Ronjeau und Vazins waren darüber nicht gerade erfreut und daher auf
Musketiere nicht besonders gut zu sprechen.
Außerhalb seines Dienstes streifte Porthos durch das Lager. Ein
fröhlicher junger Mann wie er fand schnell Kontakt, auch zu
Soldaten anderer Kompanien. In jeder Runde war Porthos ein gern
gesehener Gast. Es wurde viel gescherzt und gelacht, was dem stets
fröhlichen Porthos gefiel. Meistens scherzten sie über die
Belagerten in Montauban, doch auch die unterschiedlichen Kompanien
bekamen ihr Fett weg. Solange die Stimmung, in Erwartung eines
baldigen Sieges, gut war, blieb es bei gutmütigen Sprüchen.
An einem Abend, saß Porthos mit Ronjeau und einigen anderen
Kameraden beim Spiel in einer Wirtschaft. In all dem fröhlichen
Treiben, fiel Porthos ein Soldat auf. In der Uniform der
königlichen Musketiere saß ein junger Mann von 25 Jahren trübsinnig
an einem Tisch in der Ecke. Er fiel auf, weil er sich als einziger
nicht an dem lebhaften Gespräch seiner Nachbarn beteiligte.
Irgendwas an dem Mann zog Porthos an. Er erkundigte sich bei
Ronjeau nach ihm. „Athos? Hat mit Euch was gemeinsam, er ist auch
zum erstenmal im Feld.“ Weiter wollte Ronjeau sich nicht dazu
äußern. Vazins war nicht so diskret. Er erzählte Porthos brühwarm
alles, was über Athos geredet wurde, so, als hätte er es selbst
gesehen. Porthos, im Umgangston der Soldaten im Feld nicht
vertraut, nahm alles was ihm erzählt wurde für bare Münze.
In der Folge achtete Porthos stärker auf Athos’ Verhalten. Athos
selbst schien die Beobachtung nicht zu bemerken. Im Lichte dessen,
was Porthos von den anderen erzählt wurde, wirkte Athos arrogant
und überheblich auf Porthos. Der stets vorschriftsmäßig gesäuberte
Rock Athos’ wurde zur Eitelkeit erklärt. Seine tadellose Haltung
wurde übermäßigem Stolz zugeschrieben, ja selbst seine
herausragenden Leistungen im Kampfe konnten ins negative verkehrt
werden.
Athos wurde, ohne es zu wissen, zum Ziel der Spottlust von Porthos
und seinen Kameraden. Je mehr nun die Stimmung sank, dies Aufgrund
der andauernden Belagerung und großer Verluste, desto mehr wurde
aus gutmütigem Spott üble Gerüchte. Die militärischen Erfolge
blieben aus, die Soldaten suchten ihre Erfolgserlebnisse auf
anderen Gebieten. Eines davon bestand darin, Streiche gegen andere
Kompanien zu spielen. Dies war umso reizvoller, als eine Entdeckung
harte Strafen nach sich zog.
Ronjeau und seine Freunde mischten in diesem munteren Treiben schon
lange mit, jetzt stieß auch Porthos dazu. Nach dem Zapfenstreich
schlichen sie sich in das Lager der Musketiere. Sie holten die
Wappenröcke der Musketiere aus den Zelten. Hier tat sich besonders
der kleine und wendige Michol hervor, der unter der Zeltwand
hindurchkroch. Die Wappenröcke wurden zusammengebunden und als
Fahne am Mast aufgezogen. Unsere Verschwörer verschwanden wieder
genauso lautlos, wie sie gekommen waren, in ihre Zelte.
Im Licht der aufgehenden Sonne wurde die „Heldentat“ für alle
sichtbar. Unter allgemeinem Gelächter mussten die Musketiere ihre
Wappenröcke vom Mast bergen. Die Vergeltung ließ dann auch nicht
lange warten. Sie nutzten das leichte Gefälle zwischen ihren Zelten
und den Dragonern in einer dunklen, regnerischen Nacht. Gräben
leiteten das Wasser um, direkt in die Zelte der Dragoner. Die nun
in ihren pudelnassen Uniformen der Lächerlichkeit preisgegeben
waren.
Doch nicht alle Streiche waren so spektakulär und manchmal wurden
die Verschwörer auch erwischt. So misslang der Versuch von Porthos
und seinen Freunden, Athos das Zelt über dem Kopf wegzutragen. Eine
aufmerksame Wache erwischte sie. Zur Strafe durfte die Bande die
Latrinen reinigen. Das wiederum war keine gute Idee, denn unsere
Freunde heckten schon den nächsten Streich aus. Diesmal, wie kann
es anders sein, schütteten sie die Hinterlassenschaften der Latrine
vor das Zelt in dem Athos und seine Freunde schliefen. Am Eingang
befestigten sie einen Draht, damit die Musketiere stolperten und in
den Unrat fielen. Wie’s der Zufall wollte, war es Athos, der
stolperte und in den Matsch fiel. Athos’ Kameraden sannen auf
Rache. Athos selbst beteiligte sich nicht an den Racheplänen. Um zu
zeigen, dass sie es besser können, trugen nun Athos’ Zeltgenossen,
ohne Athos, Porthos und seinen Zeltgenossen das Zelt über dem Kopf
weg und ließen sie im Freien erwachen. Diese Schmach konnten unsere
Dragoner natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Es war Porthos’
Idee, und nicht ganz ungefährlich, denn sollten sie diesmal
erwischt werden, lautete die Strafe nicht mehr Latrine putzen, oder
Strafdienst, dann wäre ein Arrest fällig. Ihr Ziel waren die
Musketen. Wieder war der schlanke Michol ihre Wunderwaffe und holte
die Musketen aus den Zelten. Gemeinsam stapelten sie die Musketen
vor Athos’ Zelt, so, dass keiner das Zelt mehr verlassen konnte. Zu
ihrem Glück blieben sie unentdeckt.
An der Gegenreaktion beteiligte sich Athos wieder nicht. Aus dem
sportlichen Wettkampf zweier Kompanien wurde immer mehr ein
spezieller Feldzug gegen Athos, der die Dragoner durch seine
Reaktionslosigkeit herausforderte. Ein cleverer junger Dragoner
namens Vazins verfiel auf eine Idee, Athos in Misskredit zubringen.
In der Nacht vor einer Truppen-Inspektion schlichen sich Vazins und
Michol in Athos Zelt. Seinen Wappenrock reichten sie an Porthos und
Ronjeau weiter, die ihn ordentlich verschmutzten. Derweil
schütteten Vazins und Michol mitgebrachtes Wasser in Athos’
Stiefel.
Wie erwartet wurde Athos bestraft. Der wiederum klaglos seinen
Strafdienst versah. Athos mochte sich nicht an den, seiner Meinung
nach niveaulosen Streichen beteiligen, auch dann nicht, wenn er
dafür bestraft wurde. Die Dragoner, von denen er sich sicher war,
dass sie die Urheber waren, beim Hauptmann anzuschwärzen, kam für
ihn auch nicht in Frage und da ihm die Namen der Täter nicht
bekannt waren, konnte er sie auch nicht fordern. Seine Kameraden
hinderte das aber nicht daran, weiterhin Streiche gegen Dragoner
auszuhecken.
Mittlerweile hatte der Zwist die Aufmerksamkeit aller Kompanien
erreicht. Es war eine willkommene Abwechslung zum zermürbenden
Stellungskrieg in Form dieser Belagerung. Nach mehr als zwei
Monaten zeichnete sich immer noch kein Sieg gegen die Hugenotten
ab. So beschäftigten sich alle viel lieber mit den Ereignissen im
Lager, die zudem viel unterhaltsamer waren. Auf den Erfolg oder
Misserfolg der Dragoner wurden im ganzen Lager Wetten
abgeschlossen.
Was auch für die betroffenen Hauptleute M. de Tréville und Herzog d’Enghien zunächst noch ein harmloser Spaß war, zumal ihre Personen von beiden Seiten nicht angetastet wurden, artete in ein ernstes Ärgernis aus. Allmählich fürchteten beide Hauptleute, dass in dem eskalierenden Konflikt Soldaten zu Schaden kommen könnten. Um dies zu vermeiden, patroullierten vermehrt Gardisten des Kardinals in den Lagerbereichen von Dragonern und Musketieren. Diese Taktik schien zunächst erfolgreich, doch bald tricksten die Unruhestifter beider Seiten die Gardisten aus.
Und unser Quartett? Porthos, Ronjeau, Vazins und Michol gerieten immer mehr in Rage, ob der fortgesetzten Missachtung durch Athos. Auf dem Tiefpunkt der Stimmung im Lager, an dem jeden Tag mit dem Abbruch der erfolglosen Belagerung gerechnet wurde, heckten die vier einen neuen Plan aus. Sie wollten Athos einen endgültigen Denkzettel verpassen. Schon in der folgenden Nacht setzten sie ihren Plan in die Tat um.
Sie hatten beobachtet, dass Athos gerne ein bestimmtes Wirtshaus aufsuchte und dort bis nach dem Zapfenstreich bleiben durfte. Ideal für ihren Plan erwies sich ein Wald, den Athos durchqueren musste. So legten sich die vier in der Nacht auf einer Lichtung auf die Lauer.
---
Athos ritt, in seine Gedanken vertieft, zum Lager zurück. Er
dachte daran, dass er bald schon nach Paris zurückkehren würde und
freute sich darauf, nach dem Lagerleben wieder einen normalen
Alltag mit alltäglichen Gefahren vor sich zu haben. Er war nicht
besonders Aufmerksam, denn bisher war ihm noch nie etwas zugestoßen
und diesen Weg kannte er wie seine Westentasche. So war er auch
überrascht, als er vom Pferd gerissen wurde.
Athos konnte weder erkennen wer ihn angriff, noch wie viele. Seine
Gegner versuchten ihn auf den Boden zu zwingen, doch Athos wehrte
sich. An den Degen kam er zwar nicht mehr ran, aber den Dolch
konnte er ziehen. Im Kampf musste er auf sein Pferd achten, das
seltsamerweise nicht weggelaufen war, nicht weglaufen konnte und
daher in Panik ausschlug. Mit dem Dolch gelang es ihm einen Gegner
niederzustrecken, doch bevor er den Dolch zurückziehen konnte, traf
ihn ein Knüppel am Kopf. Athos ging zu Boden. Sein Pferd trat immer
noch panisch um sich und traf Athos an der Brust. Ein weiterer Hieb
eines Knüppels gegen seinen Kopf senkte ihn in die
Bewusstlosigkeit.
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Der Plan lief schief. Athos leistete mehr Wiederstand, als sie erwartet hatten. Porthos und Michol gelang es zwar, Athos vom Pferd zu ziehen, sie konnten ihn jedoch nicht zu Boden ringen. Der Zügel von Athos’ Pferd hatte sich im Gesträuch verheddert, daher konnte es nicht weglaufen. Das panische Pferd machte die Situation noch komplizierter. Sie hatten vor allem auf Athos’ Degen geachtet. Es war Porthos’ Aufgabe ihn daran zu hindern, den Degen zu ziehen. Dann zog Athos einen Dolch, mit dem niemand gerechnet hatte. Michol sank getroffen zu Boden. In ihrer Wut schlugen Ronjeau und Vazins auf Athos ein. Mittlerweile gelang es Porthos den Zügel des Pferdes durchzuschneiden. Das Pferd stürmte davon. Über ihren Fehlschlag waren die Männer in Panik geraten und liefen Richtung Lager, geradewegs in eine Patrouille der Garde des Kardinals.
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Athos kam wieder zu sich. Tannen-Nadeln stachen in sein Gesicht. Mühsam und unter großen Schmerzen drehte Athos sich um. Neben ihm lag ein Mann. Sein Dolch steckte in seiner Seite. Athos sank erschöpft zurück. Er konnte sich nur noch daran erinnern, dass er durch den Wald geritten war. Wie er auf den Boden kam, das wusste der nicht, genauso wenig, wie der Mann mit seinem Dolch verwundet wurde. Sein Kopf schmerzte und irgendetwas hatte ihn an der Brust getroffen, denn jeder Atemzug tat ihm weh. Der Verwundete neben ihm schien ohne Bewusstsein, Athos konnte nur leise Atemzüge vernehmen. Athos kämpfte sich auf die Knie. Er atmete so flach wie möglich, um seine Rippen zu schonen und beugte sich über den Verwundeten.
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In diesem Moment erreichten die Gardisten unter der Leitung von
Jussac die Lichtung. Sie rissen Athos von seinem vermeintlichen
Opfer fort. Noch bevor Athos realisieren konnte, was da geschah,
sah er sich von drei Degen bedroht. Jussac schickte einen seiner
Begleiter nach einem Arzt. Dann drehte er sich zu Athos um: „Ich
muß Euch festnehmen. Euren Degen!“ Athos händigte Jussac seinen
Degen aus. Auf einen Wink Jussacs wurden Athos die Hände auf den
Rücken gebunden.
Mit dem Arzt erreichte die zweite Hälfte der Patrouille, mit den
geflohenen Dragonern, die Lichtung. Während der Arzt sich um Michol
kümmerte, ließ sich Jussac das Geschehen von Ronjeau, Porhos und
Vazins erklären. Die drei erklärten, sie wären zufällig auf Athos
gestoßen und wollten ihn um einen Gefallen bitten, da hätte Athos
seinen Dolch gezogen und wäre auf sie losgegangen. Sie konnten ihn
gerade noch mit herumliegenden Knüppeln niederschlagen und seien
losgerannt, um die Garde zu holen.
Es ging auf Mitternacht zu und die Sache ließ sich an diesem Abend sowieso nicht mehr aufklären, daher entließ Jussac die drei Dragoner, mit der Anweisung, sich zur Verfügung zu halten und das Lager nicht zu verlassen. Für den verwundeten Michol orderte er einen Wagen für den Transport. Athos, dessen Verletzungen bisher niemandem aufgefallen waren, wurde von einem der Gardisten mit aufs Pferd genommen.
Kapitel Ende der Belagerung
Athos konnte sich kaum Aufrecht halten. Der kurze Ritt zurück ins Lager verstärkte seine Pein so sehr, dass der Gardist hinter ihm, ihn halten musste. Zurück im Lager gab Jussac seine Befehle: „Arrestiert ihn für die Nacht. Ich werde morgen Kardinal Richelieu Bericht erstatten.“ Athos’ Wächter meldete sich: „Jussac, lasst einen Arzt holen, Athos ist auch nicht wohlauf.“ Da erst fiel Jussac das schmerzverzerrte Gesicht auf. „In Ordnung, wenn der Arzt sich um Michol gekümmert hat, soll er sich Athos ansehen.“
Athos sank in einer Zelle zu Boden. Es war ihm so Elend, dass er seine Umgebung nicht wahrnahm. Die Schmerzen verhinderten, dass er einschlief aber er dämmerte vor sich hin, als der Arzt kam. Athos konnte sich immer noch nicht an das Geschehen erinnern. Daraus und aus der Wunde an Athos Kopf, schloß der Arzt auf eine ernste Erschütterung des Hirns. Er konnte den Kopf verbinden, aber gegen die Schmerzen half nur Schlaf. Vorsichtig öffnete der Arzt Athos’ Kleidung. Auf Athos’ Brust zeichnete sich deutlich der Abdruck eines Pferdehufes ab. Der Arzt tastete die Rippen ab. Trotz der großen Schmerzen ließ es Athos regungslos geschehen. „Ihr habt eine Erschütterung des Hirns und ein paar gebrochene Rippen. Euren Kopf habe ich bereits verbunden, um Eure Rippen lege ich ebenfalls einen Verband, der Euch das Atmen erleichtert.“ So gut er konnte, richtete sich Athos mit Hilfe des Arztes auf. Vorsichtig nahm Athos ein paar tiefere Atemzüge, nachdem seine Brust verbunden war. „Mehr kann ich nicht für Euch tun. Ich komme bald wieder und bringe euch einen Trank, der euch in tiefen Schlaf versetzt.“ Athos nickte schwach und ließ sich auf sein Lager zurücksinken. Der Trank ließ ihn schmerzfrei bis zum späten Nachmittag schlummern.
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Ronjeau, Porthos und Vazins kehrten bedrückt in das Lager zurück. Unterwegs hatten sie sich eine Geschichte ausgedacht, passend zu der improvisierten Version, die sie Jussac erzählt hatten. Damit sie alle Fragen bzgl. der heutigen Geschehnisse einheitlich beantworten konnten. Ihre Abwesenheit war diesmal nicht unbemerkt geblieben, so dass sie sich zuerst gegenüber d’Enghien erklären mussten. Ein wenig ängstlich standen die drei vor ihrem Hauptmann. D’Enghien wandte sich an Porthos, den Jüngsten und Unerfahrensten, in der Hoffnung auf eine wahre Erläuterung: „Porthos, könnt Ihr mir erklären, wie es kommt, dass vier meiner Dragoner nach dem Zapfenstreich außerhalb des Lagers von der Garde des Kardinals aufgegriffen werden? Ich sehe Michol nicht, was ist passiert?“ Porthos sah seine Mitverschwörer an, holte tief Luft und erzählte alles so, wie es die drei abgesprochen hatten. Er gab Athos die Schuld an den Geschehnissen und auch an der Verwundung Michol’s. d’Enghien schwieg und drehte sich von den dreien weg. Porthos und seine Kameraden warteten angespannt auf das Urteil. Strafdienst war das mindeste, was sie zu erwarten hatten, eher sogar noch Arrest. D’Enghien drehte sich wieder zu ihnen um: „Zumindest zum Strafdienst sollte ich euch einteilen, da wir aber in Kürze nach Paris aufbrechen werden und ich euch vorerst glauben schenken will, sehe ich von einer Bestrafung ab. Ich warne euch: sollte auch nur einer in der verbleibenden Zeit hier, außer der Reihe aufgegriffen werden, dann erwartet ihn eine härtere Strafe, als der Arrest. Abtreten.“
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Am nächsten Morgen erstattete Jussac Kardinal Richelieu Bericht.
Der vermeintliche Angriff Athos, eines Musketiers, auf einen
einfachen Dragoner, veranlasste Richelieu, diesen Fall an sich zu
reißen. Um heimliche Absprachen zu verhindern, und damit Athos
keine Hilfe von außerhalb erhält, untersagte er jeglichen Kontakt
zu dem Gefangenen, nicht einmal Tréville durfte Athos sehen.
Anschließend ließ Richelieu die Hauptleute Tréville und d’Enghien
rufen. Richelieu genoss in hämischer Freude den nervösen Ausdruck
Trévilles, der sich fragen musste, ob ein Zusammenhang zwischen dem
Treffen mit Richelieu und dem unentschuldigten Fehlen von Athos
bestand. Der Kardinal informierte die Hauptleute, dass er, in
Anbetracht der Schwere des Vergehens, die Untersuchung persönlich
durchführen wollte.
„Wie Euch bekannt ist, wird die Belagerung abgebrochen. Die Truppen
werden wie geplant nach Paris zurückkehren. Der König wird morgen
mit Euch M. de Tréville und den Musketieren abreisen. Ihr Herzog
d’Enghien werdet in zwei Wochen mit Eurer Kompanie abreisen. Die
Herren Dragoner Ronjeau, Vazin und Porthos, sowie der Gefangene
Athos reiten in einer Woche mit meiner Garde nach Paris.“ Und
weiter: „Die Untersuchung dieses Vorfalls und die Befragung der
Beteiligten führe ich persönlich in Paris durch. Hauptmann
d’Enghien?“ – „Wie Euer Eminenz wünscht.“ D’Enghien verneigte sich
und ging. „Monsieur de Tréville?“ – „Eminenz, wie befindet sich
Athos momentan?“ – „Jussac hat Athos in der Nacht noch arrestiert.
Jeglicher Besuch bei Athos ist untersagt. Ich werde jedoch Euch und
dem Herzog d’Enghien die Gunst zu gewähren, bei den Verhören
zugegen zu sein.“ Tréville wusste, dass er keine weiteren
Zugeständnisse erwarten durfte und verabschiedete sich
zähneknirschend.
Die erzwungene Ruhe im Arrest hatte Athos gut getan. Seine Wunden
heilten weitgehend in dieser Woche. Die Kopfschmerzen schwanden,
nur die Rippen schmerzten noch. Seine Erinnerung an die Ereignisse
dieser verhängnisvollen Nacht blieb auch weiterhin getrübt. Mit der
Besserung seiner Verfassung, wurde ihm seine Lage schmerzlich
bewusst. Am meisten beunruhigte Ihn, dass Tréville sich
offensichtlich von ihm abgewandt hatte.
Nach Ablauf der Woche erschien Jussac mit vier weiteren Gardisten,
die er als Michael, Gabriel, Rafael und Uriel vorstellte, in Athos
Zelle. Die Nennung der Namen verhieß Athos nichts Gutes, denn unter
den Musketieren waren diese vier als Garde-Engel des Kardinals und
erklärte Feinde der Musketiere bekannt. So überraschte ihn das
großmütige Angebot Jussacs’: „Athos, auf Befehl Seiner Eminenz des
Kardinal Richelieu werdet Ihr zur weiteren Untersuchung des
Angriffs auf den Dragoner Michol nach Paris verbracht. Ich werde
Euch die Unannehmlichkeiten des Rittes mindern, indem ich Eure
Hände vorne binden lasse. Gebt mir Euer Wort als Edelmann, dass ihr
nicht fliehen wollt, so will ich wie besprochen verfahren,
andernfalls binden wir Euch die Hände auf dem Rücken.“ – „Ihr habt
mein Wort, dass ich nicht fliehen werde.“ Das Versprechen fiel
Athos leicht, da er seine Kompanie nicht durch einen Fluchtversuch
entehren wollte. Jussac ließ Athos Hände vorne binden. Doch bevor
sie die Zelle verließen, musste Athos noch eine demütigende
Durchsuchung nach versteckten Waffen über sich ergehen
lassen.
Michael half Athos aufs Pferd und gab die Zügel an Gabriel, der
bereits auf seinem Pferd saß, weiter. Athos, der es als demütigend
empfand, vor aller Augen als Gefangener vorgeführt zu werden und
der das Gefühl hatte, bereits von allen Anwesenden verurteilt zu
sein, reckte wie zum Trotz den Kopf und bemühte sich um eine
besonders aufrechte Haltung. Wären da nicht die Handfesseln
gewesen, und die Tatsache, dass Athos’ Pferd geführt wurde, hätte
man Athos für einen Prinzen mit seiner Eskorte halten können. Die
Garde-Engel führten Athos’ Pferd zu einem Platz im letzten Drittel
der langen Reihe der Gardisten. Porthos, Ronjeau und Vazins mussten
sich ganz am Ende einreihen. So sehr er auch um sich schaute, Athos
konnte unter den Zuschauern des Abzugs keinen Musketier entdecken,
das konnte nur bedeuten, dass die Musketiere ihn im Stich ließen,
dass sie von seiner Schuld überzeugt waren. Athos wurde mit einem
Ruck aus seinen düsteren Gedanken gerissen, als sein Pferd
loslief.
Während des Rittes verweilte Porthos’ Blick des öfteren bei
Athos. Der Musketier, der da so ruhig zwischen seinen Wächtern
ritt, übte ungewollt eine gewisse Faszination auf ihn aus. Er gab
immer noch Athos die Schuld daran, dass Michol verletzt wurde und
dass sie dem Kardinal nach Paris folgen mußten. Es empörte ihn, wie
Athos da stolz auf seinem Pferd saß, ohne jegliches Schuldgefühl zu
zeigen. Er empfand es nur als gerecht, dass die „Garde-Engel“ Athos
rau anfassten. Der Kardinal strebte eilends nach Paris, so dass nur
die nötigsten Rasten eingelegt wurden. Porthos, Vazins und Ronjeau
war das nur recht, denn sie wollten alles so schnell wie möglich
hinter sich haben. Athos dagegen war für solch einen schnellen Ritt
noch nicht ausreichend genesen. Die „Garde-Engel“ quälten Athos
zwar nicht direkt, sorgten aber dafür, dass der Ritt hinreichend
unbequem verlief. Sie gestatten es Athos nicht, seine steifen
Glieder aufzulockern, indem er bei einer Rast herumlief. Er durfte
zwar absteigen, musste sich aber gleich setzen. Immer umgeben von
mindestens vier Gardisten. Die Nächte waren besonders unbequem,
denn Athos wurde zusätzlich an den Beinen gefesselt. Zudem wurde er
an einen Pflock gebunden, damit er sich nicht wegrollen
konnte.
Es war der Abend des zweiten Tages, an dem Porthos das Stöhnen von
Athos beim Absitzen auffiel. Ein genauer Blick zeigte ihm einen
erschreckend blassen Athos. Weder Porthos noch seine Kameraden
hatten gewusst, dass, geschweige denn wie sehr Athos im Wald
verletzt worden war. Porthos machte sich also zunächst keine
Gedanken darüber. Am nächsten Tag hatte er Athos wieder vergessen
und ritt fröhlich scherzend mit Ronjeau und Vazins am Ende der
Reihe. Erst am Abend fiel im Athos wieder ein. Diesmal achtete er
auf Athos und bemerkte, dass er starke Schmerzen erleiden musste.
Ronjeau und Vazins hatten auch etwas bemerkt und spotteten über den
Musketier, der nicht mal zwei Tage scharfen Rittes aushalten
konnte. Porthos beteiligte sich zwar vordergründig an dem Spott,
seine wahren Gedanken behielt er aber lieber für sich. Denn Porthos
vermeinte in Athos Gesicht echte Pein abzulesen, die sich nicht mit
Erschöpfung erklären lies. Er ging sogar soweit, einige Gardisten
nach Athos zu fragen, doch erhielt er keine Auskunft. So blieb ihm
nur seine Beobachtung. Vorsichtig bemühte Porthos sich, bei den
Rasten näher an Athos und seine Wächter heranzurücken. Inzwischen
mussten die „Garde-Engel“ Athos nicht mehr zum hinsitzen nötigen,
Athos sank sofort zu Boden, kaum war er abgesessen. Die Kürze der
Rasten reichte nicht aus, dass Athos sich erholen konnte im
Gegenteil kaum saß er, schon musste er wieder die Anstrengung auf
sich nehmen und aufsteigen. Jussac’s „Garde-Engel“ beachteten Athos
Pein nicht. Als jedoch Rafael Athos in die Seite trat, weil er
nicht schnell genug aufstehen konnte, wurde es Porthos zu viel.
Während Athos sich vor Schmerzen krümmte, sprang Porthos durch die
Reihen der Gardisten und riss Rafael von Athos weg. Vor Jussac
rechtfertigte sich Porthos damit, dass es nichts Ehrenhaftes daran
ist, einen wehrlosen Mann zu treten. Ab jetzt sorgte Jussac dafür,
dass Porthos bei Ronjeau und Vazins blieb und auch einen deutlichen
Abstand zu Athos hielt.
Angesichts seines stummen Leidens wuchs Porthos Respekt vor Athos.
Doch momentan musste er sich naheliegenderen Angelegenheiten
widmen. Ronjeau und Vazins hielten nämlich von seiner „Rettungstat“
genauso wenig wie Jussac. Sie befürchteten nun, dass Porthos
einknicken könnte und die ganze Geschichte verraten würde. Immer
wieder verlangten sie von Porthos die Zusicherung, dass er sie
keinesfalls verraten würde. Das entstandene Misstrauen konnte
Porthos jedoch nicht mehr ganz entkräften. In dieser Atmosphäre war
es für Porthos nachgerade eine Erleichterung, als sie in Paris
ankamen. Athos nahm in seiner Qual die Ankunft in Paris kaum mehr
war.
Im Palais Cardinale kümmerte sich Kardinal Richelieu erstmals um
seine Gäste seit sie Montauban verlassen hatten. Er verfügte, dass
die drei Dragoner bis auf weiteres in der Kaserne seiner Garde
untergebracht werden sollten. Athos Anblick erzürnte den Kardinal,
denn obwohl er kein Freund der Musketiere war, hielt er nichts
davon einem gefangenen Edelmann unnötige Leiden zu verursachen. Es
waren dann auch nicht Jussac und auch nicht die Garde-Engel, die
Athos zum Châtelet begleiteten. Athos neue Wächter gingen
wesentlich respektvoller mit ihm um. Vorsichtig halfen sie Athos
vom Pferd und in die Zelle. Dort lösten sie sogleich die Fesseln
und führten Athos zu einem Lager aus Stroh. „Athos? Ein Arzt wird
gleich noch zu Euch kommen.“
Athos war kaum noch bei Bewusstsein, als der Arzt kam. Es war
derselbe, der ihn auch in Montauban behandelt hatte. „Der Ritt hat
die Schmerzen verschlimmert, nicht wahr? Dann wollen wir mal sehen,
was der Ritt noch angerichtet hat.“ Vorsichtig zog der Arzt Athos
den Kittel aus und schnitt den Verband auf. „Was ist das?“ Der Arzt
hatte einen neuen blauen Fleck unter den alten, verblassten
entdeckt. Athos konnte kaum mehr antworten: „Das ist eine
Liebesbezeigung von Rafael.“ Der Arzt betastete den Fleck „Da habt
ihr aber Glück gehabt, es sind keine neuen Brüche dazu gekommen.
Nun ja, ich kann Euch jetzt auch nichts anderes empfehlen, als in
Montauban. Was Ihr braucht ist vor allem Ruhe. Für die kommende
Nacht bringe ich Euch einen Schlaftrunk, damit ihr bis zum Morgen,
ohne Schmerzen, schlafen könnt.“
Kapitel Zivilcourage
Kaum in Paris angekommen, verlor Kardinal Richelieu keine Zeit und ordnete die ersten Vernehmungen bereits für den nächsten Tag an. Nach dem Bericht Jussac’s schien der Fall eindeutig zu sein, nur das Strafmaß musste noch festgelegt werden. Da der Streit die beiden Kompanien der Musketiere und der Dragoner betraf, lud Richelieu die Hauptmänner Tréville und d’Enghien als Beisitzer zu den Vernehmungen ein.
Richelieu bat zunächst Jussac um seine Einschätzung der
damaligen Situation. Wir erinnern uns, Jussac erreichte die
Lichtung als Athos dem verwundeten Michol zu Hilfe eilen wollte.
Jussac interpretierte die Situation so, dass Athos Michol in diesem
Moment den Todesstoß geben wollte. Dies war eine sehr schwere
Anschuldigung, die, im Falle sie würde sich bestätigen, die
ernsteste Strafe nach sich ziehen konnte.
Unsere drei Dragoner Porthos, Ronjeau und Vazins hielten sich
getreu an die gemeinsam ausgeheckte Aussage und trugen somit nichts
zur Erhellung der Angelegenheit bei. Allerdings schien ihre Aussage
die Einschätzung Jussac’s, Athos wollte Michol töten, zu
bestätigen.
Noch bevor Athos vernommen wurde, waren Kardinal Richelieu und
Hauptmann d’Enghien bereits von seiner Schuld überzeugt. Tréville
dagegen war äußerst besorgt. Er kannte Athos zwar noch nicht sehr
lange, dennoch passte das alles nicht zu Athos Charakter.
Fieberhaft überlegte Tréville, wie er Athos helfen könnte und die
wahren Umstände aufklären könnte.
Man darf sich dieses Verfahren nicht wie die heutigen
Gerichtsverfahren vorstellen. Die einzige „Öffentlichkeit“ bei
diesem Verfahren, bestand in den Herren de Tréville und d’Enghien.
Der Angeklagte Athos wurde nur zur Vernehmung vorgeführt, über die
Aussagen der Dragoner wurde er nicht informiert.
Aufgrund der Schwere des Verdachts und einer Aussage der
Garde-Engel, Athos wäre streitlustig, wurde Athos in Fesseln
vorgeführt. In den Tagen seit seiner Ankunft in Paris, hatte Athos
sich ein wenig erholt. Er war jedoch noch immer blass und krümmte
sich hin und wieder vor Schmerz zusammen. Erschüttert über Athos
Aussehen versuchte Tréville Athos ein aufmunterndes Lächeln zu
schenken, Athos ließ jedoch nicht erkennen, ob er es gesehen hatte.
Zu gern wäre Tréville zu seinem Musketier geeilt, doch gerade dies
durfte er nicht tun, um nicht von der Vernehmung ausgeschlossen zu
werden. Er brauchte so dringend jede noch so kleine Information,
wollte er Athos helfen. Richelieu führte ein regelrechtes Verhör
mit Athos durch. Dass Athos’ Erinnerung an jenen Abend getrübt war,
wurde ihm zum Nachteil ausgelegt. Er wusste nur noch, dass sein
Rückweg ihn durch ein Wäldchen führte. An den Kampf konnte er sich
nicht mehr erinnern. Erst nach dem Erwachen habe er den
bewusstlosen Michol bemerkt und sich aufgerichtet um nach dessen
Verletzungen zu sehen. In diesem Moment war Jussac aufgetaucht.
Richelieu reagierte ungehalten auf Athos’ Antworten, er bezichtigte
ihn der Lüge und drohte mit der Folter, falls Athos nicht die
Wahrheit sprach. Athos beteuerte, dass er die Wahrheit spräche. Er
blieb Standhaft, auch wenn es ihm Angesichts der Folterdrohung
schwer fiel. Im Anschluß an die Vernehmung setzte Tréville alles
daran, Athos die Folter zu ersparen. Es gelang ihm auch, Richelieu
zu dem Versprechen zu bewegen, dass die Folter auf keinen Fall vor
dem Eintreffen des verwundeten Michol in Paris, stattfinden sollte.
Tréville’s Wunsch nach einem Gespräch mit Athos wurde jedoch
abschlägig beschieden.
—-
Zurück zu unseren drei Dragonern. Nach wie vor waren sie in der Kaserne der Kardinalsgarde einquartiert und jeglichen Dienstes enthoben. Ihre langen Mußestunden verbrachten sie im Spiel und im Gespräch miteinander. Sie standen nicht unter Hausarrest und durften die Kaserne verlassen. Doch weiter als zur nächsten Bar bewegten sie sich eigentlich nicht.
Porthos fühlte sich in einer Zwickmühle. Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg daraus. Es war eine Frage der Ehre. Einerseits konnte er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, dass durch seine Lüge, Athos, unschuldig, im Gefängnis saß und einer harten Bestrafung entgegensah. Andererseits konnte er die Wahrheit nicht erzählen, ohne dabei seine Kameraden schwer zu belasten. Die drei Dragoner waren jeglicher Aufgaben entledigt und hatten daher viele Mußestunden. Diese verbrachten sie größtenteils miteinander. Während Ronjeau und Vazins anfingen Kontakt zu den Kardinalsgardisten aufzunehmen, zog Porthos sich immer mehr in sich zurück. So langsam war er es leid, ständig von Ronjeau und Vazins bedrängt zu werden, dass er sich an die vorgegebene Geschichte hielt. Er focht einen intensiven Kampf mit seinem Gewissen aus. Er empfand eine echte Freundschaft zu Ronjeau und Vazins, die zu erwartende Strafe, sollte er die Wahrheit sagen, flößte ihm Angst ein. Und dann war da noch Athos, es war nicht Porthos Art, einen Unschuldigen für seine (Porthos) Fehler büßen zu lassen. Zudem hatte Porthos während der langen Reise eine gewisse Sympathie zu Athos entwickelt. Welches Gut war nun höher einzuschätzen: Die Loyalität gegenüber seinen Freunden, die er nicht verraten wollte, oder seine Ehre, die durch die Lüge befleckt wurde? In seiner Verzweiflung ging er, der Kirchen eher mied, in die Kirche und betete zur Jungfrau Maria um Erleuchtung.
Michol war noch nicht in Paris eingetroffen, doch Richelieu wurde ungeduldig. Die täglichen Verhöre von Athos brachten keinerlei neue Erkenntnisse. Im Gegenteil, Athos beharrte auf seiner Aussage. Richelieu drohte Athos nun sehr konkret mit der Folter. Gerüchte darüber erreichten einen verzweifelten Tréville. Sie erreichten aber auch die Dragoner. Während Ronjeau und Vazins auf ein Geständnis von Athos hofften, war Porthos bestürzt. Er vergegenwärtigte sich, was die Folter und eine darauffolgende Verurteilung für Athos bedeuten mussten. Die Folgen gingen weit über einen einfachen Denkzettel, wie er ursprünglich beabsichtigt war, hinaus. Porthos nahm seinen ganzen Mut zusammen und ging zu Tréville, da Richelieu ihm zu furchteinflössend war und er fürchtete, dass d’Enghien ihm keinen Glauben schenken würde.
Der Weg zu Tréville führte durch den Hof des Hôtel de Tréville,
in dem sich stets 50-60 Musketiere aufhielten. Sobald Porthos den
Hof betrat, brach Stille über den Hof herein. Alle drehten sich zu
dem Dragoner um. Einige Musketiere erkannten in Porthos sogleich
einen der Dragoner, die ihnen vor Montauban so viel Verdruss
bereiteten und warfen ihm böse Blicke zu. Ihre Achtung für M. de
Tréville verbot jegliche feindliche Aktion gegen Porthos, so dass
dieser, entgegen seiner Erwartung, unbehelligt den Hof durchqueren
konnte. Im Stillen hatte Porthos mit weit schlimmerem gerechnet,
geboren aus seinen Schuldgefühlen Athos gegenüber. Andererseits gab
es für die Musketiere auch keinen Grund, Porthos zu hassen, denn M.
de Tréville hatte seine Musketiere über die näheren Umstände der
Inhaftierung von Athos im Unklaren gelassen. Es kursierten
lediglich Gerüchte, denen wenig Glaubwürdigkeit eingeräumt wurde,
da sie aus den Reihen der Kardinalsgardisten kamen.
Tréville selbst war aufgrund der plötzlichen Stille auf seinen
Balkon getreten und sah den Dragoner den Hof durchqueren. Er
erkannte, dass dieser Besuch von größter Wichtigkeit sein mußte,
daher wies er seinen Adjutanten an, Porthos sofort in sein
Arbeitszimmer zu geleiten.
So gelangte Porthos unter den neidischen Blicken der Wartenden ohne
Aufenthalt im Vorzimmer gleich ins Kabinett M. de Trévilles. Vor
dem von ihm heimlich verehrten Tréville geriet seine
Entschlossenheit ins Wanken. Doch auf einen auffordernden Blick
hin, riss Porthos sich zusammen und begann zu Erzählen. Stockend
zunächst, durch Trévilles ruhige Aufmerksamkeit jedoch ermutigt und
zunehmend flüssiger erzählte er, was sich an diesem Abend wirklich
in jenem Wäldchen vor Montauban zugetragen hatte. Tréville hatte
bereits nach den ersten Worten seinen Adjutanten aus dem Zimmer
geschickt, da er erkannte, das dies nur für seine Ohren bestimmt
war. Porthos erzählte, wie sie geplant hatten, Athos eine Lektion
zu erteilen. Wie sie ihn vom Pferd geholt hatten und eigentlich nur
ein bisschen verprügeln wollten. Athos Dolch war nicht eingeplant
und wie Athos einen verwundet hatte, wären die anderen über ihn
hergefallen. Athos lag bewusstlos am Boden als sie ihn verließen.
Die Kardinalsgarde hätte die beiden dann gefunden und aus einem
bösen Streich war eine ernste Angelegenheit geworden. Ein
zerknirschter Porthos beendete seinen Bericht: „M. de Tréville, ich
habe einen Fehler gemacht und ich bedaure zutiefst die Leiden, die
für Athos daraus erwachsen sind. Es war mein Wunsch, als Soldat dem
König zu dienen, ich habe mich dessen unwürdig erwiesen.“
Tréville war beeindruckt von diesem jungen Mann. Er bewies mehr
Mut, als manch weit älterer Mann. Daher erwiderte Tréville: „Mein
Junge, Ihr habt euch heute wie ein Edelmann verhalten, indem Ihr zu
Eurer Tat steht, auch und gerade in Anbetracht der zu erwartenden
Strafe. Ich danke Euch für Eure Informationen. Es war richtig von
Euch, mich zu informieren, ich werde mir jetzt eine gute Strategie
überlegen um Kardinal Richelieu und Capitaine d’Enghien zu
überzeugen. Euch bitte ich vor allem darum, zu Eurem Schutz, über
dieses Gespräch vollständiges Stillschweigen zu bewahren.“ Tréville
ermahnte Porthos noch zu besonderer Vorsicht, wenn er wieder mit
seinen Kameraden beisammen war, dann entließ er ihn. Porthos wollte
gerade gehen, da wurde er unvermittelt nochmal von M. de Tréville
angesprochen: „Euer verwundeter Kamerad ist noch nicht in Paris?
was wird er erzählen?“ Porthos antwortete: „Ich kann es Euch nicht
sagen, wir hatten bisher keine Gelegenheit ihn in unsere Erzählung
einzuweihen. Das wollten wir bei seinem Eintreffen in Paris
nachholen.“ – „Gut.“ Antwortete M. de Tréville „Ihr müsst mir
vollständig vertrauen und abwarten was geschieht, ich werde alles
Notwendige in die Wege leiten. Ihr dürft auf gar keinen Fall,
nochmals hierher kommen, das ist zu gefährlich für meinen Plan. Zur
rechten Zeit, werdet Ihr wissen, was zu tun ist.“
Porthos grüßte und verließ das Arbeitszimmer. Tréville begab sich sofort zu Kardinal Richelieu: „Eminenz, die leidige Affäre mit dem Angriff auf einen Dragoner,...“ - „Wollt ihr mir erklären, dass Athos unschuldig ist? Könnt Ihr das beweisen?“ - „Ich habe an etwas anderes gedacht. Ich bitte Euch um einen Gefallen. Das Opfer des Angriffs, der verletzte Dragoner ist doch noch nicht in Paris eingetroffen? Nun ich möchte, dass Ihr ihn sogleich nach seiner Ankunft hierher zu einer Anhörung bestellt. Er darf keine Gelegenheit bekommen, mit irgendjemandem hier in Paris Kontakt aufzunehmen.“ - „Es soll so geschehen.“
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Porthos kehrte in die Kaserne zurück. Ronjeau und Vazins war seine
Abwesenheit aufgefallen, was Porthos ein intensives Verhör durch
seine Kameraden einbrachte. Das Misstrauen Ronjeau’s und Vazins‘
gegenüber Porthos ebbte jedoch schnell wieder ab, da
augenscheinlich nichts geschah. Porthos jedoch machte die
Ungewißheit zu schaffen, je mehr Tage verstrichen.
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Tréville und d’Enghien wurden ein paar Tage später von der Ankunft des Dragoners benachrichtigt. Sie begaben sich unverzüglich ins Palais Cardinale. Michol, der ja von seinen Kameraden isoliert war und deren Absprache nicht kannte, verstrickte sich in Wiedersprüche. Richelieu, der sehr genau auf den Befragten achtete und jede Unsicherheit registrierte, vertiefte seine Fragen an Michol. Schlussendlich blieb Michol nichts anderes übrig, als detailliert und wahrheitsgemäß alles zu erzählen, von der Planung ihrer Aktion bis hin zu seiner Verwundung. Diese Aussage warf erste Zweifel an der Korrektheit der Aussagen von Porthos, Ronjeau und Vazins auf. Richelieu lud diese drei auch unverzüglich vor. Für Tréville begann nun ein heikler Teil, denn einerseits war Porthos wahrheitsgemäße Aussage ein wesentlicher Schritt zu Athos Befreiung, andererseits sah er auch die Gefahren, die Porthos von Seiten seiner Kameraden drohten. Für die Befragung der Dragoner schlug M. de Tréville vor, jeden Dragoner einzeln anzuhören. Im Vertrauen auf Porthos verzichtete er auch auf eine Anwesenheit bei diesen Befragungen. Wie von M. de Tréville beabsichtigt, verzichtete auch Capitaine d’Enghien auf seine Anwesenheit.
Auf sich alleine gestellt und unter dem Druck der bohrenden
Fragen des Kardinals verstrickten sich auch Ronjeau und Vazins in
Wiedersprüche, bis sie schließlich aufgaben und die Wahrheit
erzählten. Porthos war als letzter an der Reihe. Er erfuhr nicht,
wie die Befragungen seiner Kameraden abgelaufen waren, doch alleine
die Tatsache, dass weder Ronjeau noch Vazins, noch d’Enghien
anwesend waren, bestärkte Porthos darin, diesmal die Wahrheit zu
erzählen, so wie er sie auch Tréville erzählt hatte. Zunächst
zögernd, zunehmend sicherer berichtete Porthos dem Kardinal.
Dem Kardinal gefiel der Verlauf der Verhandlung sichtlich immer
weniger, denn immer deutlicher kristallisierte es sich heraus, dass
er seine Zeit auf die Auswüchse kindlicher Streiche verschwendet
hatte. Aus seiner Stimme sprach der Ärger, als er sich zum Schluß
an die drei Kameraden wandte: „Ich bin sehr von Euch enttäuscht.
Ein solch kindisches Verhalten kann und will ich nicht billigen.
Zur Aburteilung dieser Tat verweise ich Euch an Hauptmann d’Enghien
und euer Regiment.“
M. de Tréville freute sich wie ein Vater, Athos aus dem Châtelet in
die Freiheit führen zu dürfen. Über seine Freude vergaß er jedoch
den unglücklichen Porthos nicht. Bereits bei der Belagerung von
Montauban waren sein Mut und seine Kampfkraft gerühmt worden und
Tréville, immer auf der Suche nach geeigneten Kämpfern für seine
Musketiere, hatte heimlich Erkundungen über Porthos eingezogen.
Nach Porthos Besuch im Hôtel de Tréville hatte es ihn nur noch mehr
interessiert, woher dieser junge Mann kam. So stieß M. de Tréville
auf Porthos’ Onkel, der sich als herausragender Fechter in Paris
einen Namen gemacht hatte und ein begehrter Lehrer für die
Sprösslinge des gesamten Adels war.
Porthos ahnte nichts von alledem. Gemeinsam mit Ronjeau und Vazins verbrachte nun er einige Tage im Châtelet, bis das Regiment zum Feldgericht zusammentreten konnte. Der Profoss trug die Anschuldigungen gegen Porthos, Ronjeau und Vazins ihrem versammelten Dragoner-Regiment vor. Über die Strafe entschied das ganze Regiment. Es schien ihnen wie eine Ewigkeit, bis ihre Kameraden endlich ihr Urteil fällten und der Profoss die Strafe verkündete. Das Urteil wurde unmittelbar vollstreckt. Zwei Dragoner entkleideten Ronjeau’s Oberkörper und fesselten ihm die Hände vor der Brust, genauso verfuhren sie mit Vazins. Porthos hatte bereits selbst seine Oberbekleidung abgelegt und ließ sich fesseln. Ihre Kameraden hatten sich mit Weidenruten bewaffnet und bildeten zwischen den drei Verurteilten und der Regimentsfahne eine Gasse. Ein Trommler gab das Signal zum Beginn der Strafe. Ronjeau war als erstes dran und musste durch die Gasse bis zur Fahne und wieder zurück gehen, während die Soldaten ihm ihre Weidenruten über den Rücken zogen. Damit er nicht losrannte, ging ein Soldat mit gezücktem Säbel vor ihm her. Porthos musste als letzter den Spießrutenlauf antreten. Er bat darum, ohne vorgehaltenen Säbel gehen zu dürfen, was ihm auch gewährt wurde. Hochgereckt ging Porthos los. Anfangs konnte er die Schläge, die auf seinen Rücken prasselten ignorieren, doch bald brannte der Rücken wie Feuer. Und er hatte noch nicht mal den Weg bis zur Fahne geschafft. Sein Rücken krümmte sich, um den schlimmsten Schlägen zu entgehen, Porthos biss die Zähne zusammen und ging langsam weiter. Bei der Fahne angekommen strauchelte er. Die Soldaten halfen ihm auf die Beine und schickten ihn wieder ins Rennen. Selbst wenn er gewollt hätte, wäre es ihm jetzt unmöglich gewesen zu rennen, vielmehr taumelte er mehr als er ging. Am Ziel fiel er auf den Boden und blieb reglos liegen.
Die Strafe war damit beendet und die Ehre des Regiments wieder hergestellt. Zukünftig würde kein Wort mehr über die Angelegenheit verloren. Schnell waren die Weidenruten verschwunden und die Soldaten brachten Porthos in ein Zelt, indem sich ein Arzt bereits Ronjeau’s und Vazins Rücken annahm. Doch während beide bereits wieder einigermaßen munter wirkten, schwand Porthos zunehmend die Besinnung.
Vielleicht weil Ronjeau und Vazins schon lange in diesem Regiment dienten, vielleicht weil beide sehr beliebt waren, vielleicht hatten sich Gerüchte verbreitet, die Porthos mehr Schuld gaben? Auf jeden Fall wurde Porthos härter geschlagen als seine beiden Mitschuldigen. Während Ronjeau und Vazins lediglich rote Striemen auf dem Rücken hatten und schon nach wenigen Tagen in den Dienst zurückkehrten, war Porthos bis aufs Blut geschlagen worden. Trotz sofortiger Behandlung fing Porthos an zu fiebern, die Wunden entzündeten sich.
Kapitel Eine königliche Jagd
S'agissait-il de science héraldique, Athos connaissait toutes les familles nobles du royaume, leur généalogie, leurs alliances, leurs armes et l'origine de leurs armes. L'étiquette n'avait pas de minuties qui lui fussent étrangères, il savait quels étaient les droits des grands propriétaires, il connaissait à fond la vénerie et la fauconnerie, et un jour il avait, en causant de ce grand art, étonné le roi Louis XIII lui-même, qui cependant y était passé maître.
(les trois musquetaires, Chapitre XXVII La femme d’Athos)
An die folgenden Wochen konnte Porthos sich später nicht mehr richtig entsinnen. Die meiste Zeit verbrachte er fiebernd im Bett im Haus seines Onkels. Michel d’Hugues war ein in Paris wohlbekannter Fechtmeister, der viele junge Adlige unterrichtete. Bei d’Hugues studiert zu haben, öffnete die Türen in etliche durchaus angesehene Regimenter. So ist es kein Wunder, dass M. de Tréville regelmäßigen Kontakt mit Michel d’Hugues pflegte. So blieb M. de Tréville ständig über Porthos Befinden orientiert.
Kaum war Porthos ausreichend genesen, reiste er mit dem ebenfalls genesenen Michol ins Gâtinais Français zu ihrem Regiment. Dieses befand sich schon einige Wochen im Manöver kaum eine Tagesreise nordwestlich von Fontainebleau. Das Manöver war in Folge des vor Montauban gezeigten ungebührlichen Verhaltens und der daraus resultierenden Affäre um Athos.
Inzwischen war es Spätsommer. Diese Jahreszeit zeichnete sich durch kühleres Wetter am Übergang zum Herbst aus. Dennoch waren die starken und zahlreichen Regenfälle ungewöhnlich. Die Bäche und Flüsse konnten die Wassermassen kaum mehr Richtung Meer ableiten. Die abgeernteten Felder erinnerten eher an Schlammbäder, manche an geflutete Reisfelder und auf den Wiesen stand zum Teil knöcheltief das Wasser. Man kann sich leicht vorstellen, dass sich unter diesen Umständen jegliches Manöver mühselig und schlammig gestaltete. Schießübungen wurden dadurch erschwert, dass das Pulver leicht durchfeuchtete und dann nicht mehr zündete. Gelang es dennoch, einen Schuss abzufeuern, so war das Zielen durch einen dichten Regenvorhang erschwert. Die Fechter tanzten wie auf rohen Eiern, um auf dem glitschigen Untergrund nicht auszugleiten.
Unter diesen Umständen gestaltete sich das Marschieren in Formation sicherlich als schwierigste Übung. Hier kam es vor allem darauf an, dass alle Mann präzise und gleichzeitig auf Befehle reagierten. Im Kampf mit Nässe und Schlamm war das nicht gerade einfach. Porthos, der sich diesen Übungen zum ersten Mal in seinem Leben gegenüber sah, kam sich häufig wie ein Tollpatsch vor, wie er da, beim Versuch den anderen zu folgen, durch den Matsch stolperte. Dies änderte sich aber schnell und Porthos blieb genauso Präzise in der Formation, wie seine Kameraden.
Von morgens bis abends und manchmal auch des Nachts wurden die Soldaten von M. d’Enghien und seinen Leutnants zu immer neuen Übungen befohlen, so dass ihnen kaum Ruhe blieb. In den wenigen Pausen, die ihnen gegönnt wurden, fielen sie auf ihre Feldbetten und schliefen sofort ein.
Trotz der widrigen Umstände, fühlte sich Porthos wohl. Allerdings fehlte ihm die ungezwungene Kameradschaft, die zwischen Ronjeau, Vazins, Michol und ihm im Lager vor Montauban bestanden hatte. Das konnte daran liegen, dass sie immer zu erschöpft waren, um noch miteinander zu reden, oder, was Porthos im Stillen argwöhnte, dass die ganze Affäre um Athos, die nach dem Spießrutenlauf erledigt sein sollte, eben doch nicht vergessen war.
Große Freude im Regiment löste dann die Nachricht aus, dass König Ludwig XIII die Truppe inspizieren wolle und auch gleich einen neuen Einsatzbefehl überbringen werde. Das ersehnte Ende der Schinderei gelangte in greifbare Nähe!
Leider verbesserte sich das Wetter nicht so, wie die Laune der Soldaten. Es blieb regnerisch und trüb. Inzwischen wurde die Gefahr von Überschwemmungen durchaus real. Capitaine d’Enghien betraute vier Freiwillige mit der verantwortungsvollen Aufgabe, der königlichen Entourage entgegen zureiten und den König sicher durch mögliche Überflutungen zu geleiten. Porthos, der insgeheim auf ein Zusammentreffen mit Athos hoffte, da dieser ihm sehr imponierte und er sich für Montauban entschuldigen wollte, meldete sich sofort für diese Aufgabe. Unter seinen Begleitern fand sich noch Michol. Gerade Ronjeau, Porthos erster Freund bei den Dragonern, der sonst alle Sonderaufgaben mit Begeisterung erfüllte, meldete sich diesmal nicht. Vielleicht wollte er nicht mit Porthos reiten? Die Leitung erhielt ein älterer Dragoner namens Lapierre.
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König Ludwig XIII war bereits auf dem Weg nach Fontainebleau. Dort wollte er zunächst einen kurzen Halt einlegen, bevor er zur Inspektion des Regiments d’Enghien aufbrechen würde.
König Ludwig XIII hatte es nicht eilig, Fontainebleau zu erreichen. Er betrachtete das Ganze als spätsommerliche Vergnügungsreise. Dennoch reiste er mit einer eher kleinen Entourage. Außer dem Herzog François de Bonne, befanden sich in der Reise-Gesellschaft noch die notwendige Dienerschaft, sowie eine Abordnung seiner Musketiere unter der Leitung von M. de Tréville. Bei den Musketieren befand sich auch Athos, der M. de Tréville besonders ans Herz gewachsen war. Da Fontainebleau ein gutes Jagdrevier bot, begleiteten auch der Falkenmeister mit einem Gehilfen und zwei Falken den König.
Trotz des zunehmend schlechteren Wetters, unterbrach der König die Reise, für seine Lieblingsbeschäftigung, die Falkenjagd. Der König beabsichtigte, sich bis zum Abend in Fontainebleau einzufinden. Daher schickte er den gesamten, langsameren Tross aus Hausstand und Dienerschaft voraus. M. de Tréville begleitete mit einigen Musketieren den Tross, mit einer Nachricht für Kardinal Richelieu. Der König übertrug M. de Tréville die Leitung des Trosses und damit die Verantwortung, dass Schloss Fontainebleau bis zum Abend für die Ankunft des Königs vorbereitet wurde. Die verbleibenden Musketiere wurden von einem erfahrenen Leutnant, namens Leblanc befohlen.
Die Jagd führte den König und seine Eskorte weit ab vom üblichen Weg. Die ersten kleineren Gewässer waren bereits über die Ufer getreten und die Jagdgesellschaft kämpfte mit den gleichen Widrigkeiten wie die Dragoner während ihres Manövers. Eine Jagd war unter den widrigen Umständen eigentlich kaum möglich, da die Falken im Regen kaum fliegen mochten und die Beute sich auch größtenteils verkrochen hatte. Dennoch gab der König nicht auf. Die beiden Falken hatten der König und der Herzog de Bonne auf dem Sattel, damit sie sie jederzeit aufsteigen lassen konnten. Da passierte das Unglück. Gerade bei der Durchquerung eines Flusses in einer Furt schwoll der Fluss zu einem reißenden Strom an. Der König, de Bonne und auch die Musketiere, die allesamt gute Reiter waren, konnten sich gerade noch ans andere Ufer retten. Das Unglück traf den Falkenmeister und seinen Gehilfen am Ende des Zugs. Sie beide wurden im reißenden Strom mitgerissen. Leutnant Leblanc wollte unverzüglich den beiden Falknern folgen, in der Hoffnung, sie vor Einbruch der Dunkelheit aus dem Fluss retten zu können. An eine Weiterreise und damit an ein warmes Abendmahl auf Schloss Fontainebleau war nicht zu denken. Leblanc betraute Marillac und Athos, die jüngsten und unerfahrensten unter den Musketieren, damit, im benachbarten Dorf für die Unterbringung des Königs zu sorgen.
Das Dorf bestand aus wenigen Häusern darunter ein Gasthaus. Es bot kaum Platz für König, Herzog und die Musketiere. Marillac, der von Haus aus eher den Umgang mit Tieren gewohnt war, kümmerte sich um die Unterbringung der Pferde. So fiel Athos die Aufgabe zu, sich um den Hausstand zu kümmern. Athos bewies ein unerwartetes Geschick in der Erfüllung dieser Aufgabe. Trotz widriger Umstände gelang es ihm, aus einem einfachen Gasthof eine beinahe königl. Unterkunft zu zaubern.
Als erstes reservierte er die zwei Tische am Kamin für den König, den Herzog und die Musketiere und hieß den Wirt, seinen besten Wein auszuschenken. In der Küche stellte er mit der Wirtin aus den wenigen vorhandenen Zutaten ein wahrhaft königliches Mahl zusammen. Die Jagdgesellschaft konnte ein paar Hasen und sogar Vögel, beisteuern, hinzu kam, dass die Wirtsleute am selben Tag geschlachtet hatten. Die Wirtstochter suchte im Wald noch ein paar passende Kräuter.
Die Zimmer waren erfreulicherweise relativ sauber. Athos bestimmte zwei für König und Herzog. Marillac und er würden sich mit Plätzen im Gastraum begnügen.
Marillac hatte inzwischen die Pferde über das halbe Dorf verteilt, weil im Stall nicht genug Plätze waren, jetzt stand er einigermaßen ratlos im Gastraum, da er nicht wusste, was er mit den beiden Falken anfangen sollte. „Athos, könnt ihr mir sagen, was ich mit den Falken anfangen soll?“ Athos, der schon etwas erschöpft wirkte, nickte bejahend. „Schaut als erstes nach einem geeigneten Raum, eine Scheune oder was ähnliches.“ „Wie wäre es im Stall?“ schlug Marillac vor. „Das ist kein geeigneter Platz, da sind zu viele Tiere zusammen. Schaut euch lieber die Scheune an. Ein paar Sitzblöcke brauchen wir auch, Schaut euch um, ob ihr Holz findet.“ erwiderte Athos. Während Marillac sich die Scheune ansah, sah Athos sich die Vögel an, die der ratlose Marillac auf den Sitzstangen an den Sätteln sitzen gelassen hatte. Die Falken waren aufgeregt und hungrig. Die Scheune erwies sich als geeignete Unterkunft für die Vögel, nicht zu warm, aber auch nicht zu zugig. Aus dem herumliegenden Feuerholz improvisierten die zwei Musketiere Blöcke mit Sitzstangen für die beiden Vögel. „Kommt, Marillac, holen wir die Falken.“ „Äh, Athos, macht es euch was aus, die Falken alleine zu tragen? Ich weiß doch gar nicht, wie man die hält.“ Athos stülpte sich seinen Reithandschuh über, er hätte lieber einen Falknerhandschuh gehabt, aber die Reithandschuhe schützten wenigstens etwas vor den Krallen, dabei bemerkte er zu Marillac „Marillac, wir brauchen Atzung, fangt Ihr schon mal ein paar Mäuse für die Falken.“ Sprachs und ging hinaus, um den ersten Falken zu holen. Mit geübtem Griff nahm er den Vogel auf sein Handgelenk. Marillac brachte einige Mäuse in die Scheune und beobachtete staunend, wie Athos den zweiten Falken auf seinen Block setzte, die Leine schnell und sicher befestigte, die verkappten Vögel beruhigte und anfing mit den Resten der Jagdbeute zu atzen. Bei Marillacs Eintreten schlugen die Falken mit den Flügeln und wurden laut. Marillac, der einen enormen Respekt vor den Tieren hatte, reichte Athos mit weit ausgestreckter Hand die verlangten Mäuse und verließ die Scheune auf schnellstem Wege wieder. Athos atzte die Vögel, bevor er sich im Gastraum am Mahl von König und Herzog beteiligte, an dem auch Marillac bereits Platz genommen hatte.
Der Gasthof bestand aus einem Wohngebäude, dem Stall und einer Scheune, um einen kleinen Hof gruppiert. Er befand sich an einer Straßenkreuzung, so dass der Zugang zum Gastraum und Hof über verschiedene Straßen erfolgte. Zur Straße hin, begrenzte eine Mauer den Hof. Ein großes Tor bildete den Zugang. Von der Hauptstraße aus, führte zudem eine Tür in den Gastraum. Den Hof konnte man vom Flur aus durch die Hintertür erreichen.
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Unterdessen ritten Leblanc und die anderen Musketiere flussabwärts, in der Hoffnung auf Spuren der beiden Vermissten zu stoßen. Obwohl sie unter Lebensgefahr beide Ufergründlich absuchten, fanden sie zunächst keine Spuren. Die Pferde der Falkner trieben Tod an verschiedenen Stellen der Uferböschung an. So konnten sie immerhin die Sättel und das Gepäck der Falkner bergen. Es dämmerte schon, da begegneten sie der Vorhut der Dragoner. Und wie durch ein Wunder, auch ihren Falknern. Diese waren, wie durch ein Wunder, den Dragonern quasi in die Arme getrieben. Porthos, unbestreitbar der Kräftigste, rettete die Erschöpften aus dem Wasser. Porthos und Lapierre stellten ihre Pferde den beiden Falknern zur Verfügung und liefen nebenher. So begegneten Leblanc und seine Musketiere dieser eher seltsamen Karawane. Unverzüglich brachen sie alle auf zu dem kleinen Dorf, in dem der König nächtigte.
Es war schon Dunkel, als Leblanc, und Lapierre die Männer in den Hof des Gasthofs führten. Marillac nahm sich der Pferde an, er wußte bereits, wo er die Pferde unterbringen konnte. Der Falkenmeister, obwohl er fror wie ein Schlosshund, schaute erst nach den Falken. Zufrieden über deren vorzügliche Unterbringung wärmte er sich erst mal am Kaminfeuer des Gastraums auf, wo der Gehilfe bereits Platz genommen hatte. Jetzt wurde es allerdings richtig eng! Immerhin waren es plötzlich zehn Personen mehr! Ein Falkenmeister trennt sich jedoch ungern von seinen Vögeln, sodass beide Falkner sich für die Scheune als Schlafplatz entschieden. Neben der Nähe zu den Falken, gab es auch viel Stroh, das Garantierte ein weiches und warmes Nachtlager. Leutnant Leblanc requirierte das letzte verfügbare Zimmer für sich und Lapierre. Die restlichen sechs Männer richteten sich ihr Lager im Gastraum am Kamin ein. Das war zwar hart, aber dafür warm. Porthos und seine Kameraden boten sich als Unterstützung bei der nächtlichen Wache an. Ein Angebot, das Leblanc gerne annahm, war es so doch möglich, dass alle den dringend benötigten Schlaf fanden. Es wurde vereinbart, dass immer drei wachten. Einer an der Tür des Gastraums, zwei am Hoftor. Nach vier Stunden wurde gewechselt. Jede Wache bestand gemischt aus Dragonern und Musketieren. In dieser Nacht geschah nichts.
Auf den Schreck beschlossen König Ludwig XIII und Herzog de Bonne einen Ruhetag einzulegen, da die Eskorte immer noch zu klein war, um die Gesellschaft aufzuteilen. Lediglich Michol und der vierte Dragoner wurden als Boten nach Fontainebleau geschickt. Der König änderte den Plan und wollte am nächsten Tag nicht nach Fontainebleau, sondern direkt zu Hauptmann d’Enghien reiten. Richelieu und Tréville sollten ihn dort treffen.
Natürlich hatte es sich herumgesprochen, wer im Dorfgasthof abgestiegen war. Dies war auch einigen Banditen aus der Gegend zu Ohren gekommen. Normalerweise gingen sie dem Viehdiebstahl und der Wilderei nach, doch eine Entführung des Königs erschien ihnen eine interessante Option. Sie beobachteten den Gasthof und sehr genau alle die Ein- und Ausgingen.
Das Wetter war auch an diesem Ruhetag trüb und regnerisch. Dies begünstigte vor allem die Banditen. Da sie jederzeit mit der Abreise des Königs rechnen mussten, und dann jede Chance auf ein Lösegeld vertan wäre, wollten sie schnell zuschlagen. Die Banditen waren denkbar schlecht für so eine Mission vorbereitet, sie wußten nicht mal, wie der König aussah. So hielten sie Ausschau nach einem Mann, der ihrer Ansicht nach königlich wirkte. So schnappten sie sich übereilt den ersten, der ihnen in vornehmem Gebaren und Kleidung über den Weg lief. Sie lauerten gerade um die Ecke der Gasthof-Mauer in einer Nische. Ihrem Opfer stülpten sie von hinten einen Sack über den Kopf und ehe er sich’s versah, war er in Seile eingewickelt, wie ein Kokon. Das Gerangel und die ersten überraschten Schreie hatten die Wache am Tor aufmerksam gemacht. Wie der Zufall es will, handelte es sich um Porthos. Er stürmte um die Mauer, konnte aber nur noch sehen, wie mehrere Männer ein zappelndes Paket bäuchlings über ein Pferd warfen. An den Stiefeln erkannte er, dass es ein Musketier sein musste. Ohne groß Nachzudenken rannte er in den Stall und sattelte sein Pferd. Die Banditen waren natürlich nicht mehr zu sehen, bis Porthos die Stelle erreicht, wo er die Pferde gesehen hatte, allerdings konnte er im matschigen Untergrund den Spuren bequem folgen. Den Tag über konnte er den Abstand nicht verkürzen, da er immer wieder anhalten musste und nach neuen Spuren suchen. Er nahm an, dass die Banditen über Nacht ein Versteck aufsuchen würden. Da er das Gelände nicht so gut kannte, konnte er nur hoffen, dass die Verfolgten nicht bis in die tiefste Dunkelheit reiten würden, denn dann könnte er das Versteck nicht finden.
Kapitel Die Verfolgung
Die Entführer schlugen ein flottes Tempo an. Erst nach etwa einer Stunde blieben die Pferde stehen. Athos, denn kein anderer war es, erhoffte sich eine Erleichterung, aber seine Entführer banden ihm nur die Beine, sowie die Hände auf dem Rücken fest zusammen und vergewisserten sich, dass er noch fest auf dem Pferderücken angebunden war. Athos kämpfte schon nach dieser kurzen Zeit mit einer Vielzahl von Beschwerden. Sein Kopf begann zu schmerzen, da ihm das Blut in den Schädel lief, der Magen drückte ihn von den holpernden Bewegungen des Pferdes, der Sack war aber das größte Ärgernis. Hier mischte sich der Geruch des Pferdes mit dem Gestank eines alten Sackes, indem zuvor höchst zweifelhafte Güter transportiert wurden, zu einer wahrhaft Übelkeit erregenden Melange. Athos Gleichgewichtssinn litt stark darunter, dass er nichts sehen konnte. Dass das Pferd einen sehr unangenehmen Passgang hatte, verbesserte die Situation nicht gerade. Im Gegenteil, Athos hatte das Gefühl, abwechselnd mit den Füßen oder dem Kopf voran vom Pferd zu rutschen. Er traute sich nicht, den Mund aufzumachen, um zu rufen, da er Angst hatte, sich dabei in den Sack übergeben zu müssen, was dem Odeur eine weitere schlechte Note hinzugefügt hätte. Athos presste den Mund fest zusammen und hoffte auf ein baldiges Erreichen des Zieles. Jegliches Zeitgefühl hatte er schon lange verloren. Nicht einmal die Helligkeit war eine Orientierung, da sie häufig im Dickicht des Waldes ritten. Das vermutete Athos, da er sich nicht gegen die Äste wehren konnte, die an seine Beine schlugen. Den Kopf versuchte er zu schützen, indem er ihn ganz nah an den Bauch des Pferdes presste.
Erst nach unendlich langer Zeit, jedenfalls kam es Athos so vor, wurden sie langsamer. Inzwischen hatte es zu Regnen begonnen und Athos war völlig durchnässt. Die Entführer hatten ein schwierigeres Terrain erreicht, denn sie hielten kurz an. Athos hörte sich entfernende Pferdeschritte. Es dauerte einige Zeit, dann ging das Geruckel wieder los. Er spürte, dass ein Mann das Pferd führte. Der Weg war schmal, seine Beinkleider wurden von Felsen zerrissen. Das Pferd musste mehrere enge Kurven laufen, bei denen es immer wieder den Kopf warf und wieherte, wie um zu sagen, da geht’s nicht weiter. Ein Fuß rutschte weg und Athos dachte schon, jetzt ist es aus, wir stürzen ab. Doch das Pferd konnte sich wieder fangen. Dafür stemmte es jetzt die vorderen Hufe in den Boden, so dass der Bandit es Vorwärts ziehen musste. Noch ein weiteres, diesmal kürzeres Stück Weges, auf dem Athos den schaukelnden Passgang ertragen musste, dann waren sie am Ziel.
Ein Bandit löste die Bande, die ihn an das Pferd fesselten und Athos rutschte vom Pferderücken und prallte unsanft auf den Boden. Er wurde über den Boden geschleift und wie ein Mehlsack in die Ecke geworfen. Inzwischen war Athos alles egal, er lag lang ausgestreckt am Boden und wartete, dass die Übelkeit etwas abklang. Es regnete nicht mehr, oder er lag unter einem Überhang, doch das nützte ihm recht wenig, denn es wehte ein unangenehmer Wind, so dass Athos noch mehr fror. Ein Lagerfeuer knisterte, aber es war zu weit weg um Athos zu erwärmen.
Bis dahin hatten die Banditen kaum ein Wort miteinander gesprochen. Athos wusste noch immer nicht, was der Grund für die Entführung war. Am Lagerfeuer begannen die Banditen zu reden und Athos lauschte angestrengt, um sich kein Wort entgehen zu lassen.
Er erfuhr, dass er sich in einer schmalen Schlucht befand, die den Banditen schon oft als Versteck für gestohlenes Vieh gedient hatte. Der Zugang zur Schlucht lag versteckt durch ein Gewirr von Felsen und Sträucher, nach Einbruch der Dunkelheit würde er nicht mehr auffindbar sein. Besorgniserregend war allerdings, dass die Banditen meinten, den König entführt zu haben. Athos einzige Chance war es, darauf zu hoffen, dass die Banditen ihn auch weiterhin für König Ludwig XIII hielten.
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Wir wollen Porthos nicht vergessen. Wie berichtet, hatte er sein Pferd gesattelt um die Verfolgung aufzunehmen. Durch den Regen der vorangegangenen Tage waren glücklicherweise die älteren Pferdespuren verwischt, zudem hatten sich die neuen Spuren sehr deutlich im schlammigen Boden eingedrückt. Das erleichterte die Verfolgung. Porthos musste dennoch langsam reiten und sich immer wieder weit herunterbeugen um die Spuren nicht zu verlieren. An der Stelle, an der sie Athos noch fester gebunden hatten, waren Fußabdrücke zu erkennen. Porthos schätzte, dass er es mit sechs Mann zu tun hatte. Eines der Pferde hatte wohl einen Gangfehler, Porthos konnte an den Spuren erkennen, dass es einen recht eigenwilligen Passgang hatte. Er merkte sich das Gangbild, denn dies würde ihm helfen, die richtige Gruppe zu identifizieren. Die Reiter waren alle hintereinander geritten, so dass sich ihre Spuren überlagerten, doch das Pferd mit dem Passgang lief seitlich des Pfades. Vermutlich als Handpferd, was die Vermutung nahelegt, dass der Gefangene darauf transportiert wurde. So unangenehm die Lage des Entführten auf einem Pferd mit Passgang auch war, für Porthos war das ein Glücksfall, konnte er doch mit Leichtigkeit seine Spuren von den kreuzenden Spuren anderer Reiter unterscheiden.
Zu Mittag setzte Regen ein, nun musste Porthos sich beeilen, den die Pferdespuren drohten zu verwischen. War der Wald bisher jedoch recht licht und einigermaßen hell gewesen, mit ein paar Sträucher am Wegrand, so wurde er jetzt immer dichter. Die Banditen waren vom Weg abgebogen und hatten offensichtlich ein Dickicht durchquert. Porthos erkannte neue Spuren, die durch abgeknickte Äste entstanden waren. Verursacht vermutlich, durch das seitlich versetzte Handpferd, denn der kaum erkennbare Pfad war gerade breit genug für einen Reiter. Das machte die Verfolgung sogar leichter und Porthos konnte schneller reiten. Zum Schutz gegen den Regen zog Porthos seinen dicht gewebten Umhang über den Kopf.
Dann verloren sich die Spuren auf felsigem Untergrund. Porthos begann daran zu zweifeln, dass er die Entführer noch erwischen würde. Akribisch suchte er die Umgebung ab. Der Weg endete hier offensichtlich. Porthos stand vor einem Gewirr aus Felsen und Sträuchern. Da entdeckte er einen merkwürdig aussehenden Strauch, der aus einer kleinen Felsspalte wuchs. Abrieb-Spuren verrieten, dass hier ein Pferd angebunden war. Bei näherer Betrachtung erkannte er auch Biss-Spuren.
Nun begann Porthos noch gründlicher zu suchen. Da das Pferd hier gestanden hatte, könnte der Weg so schwierig sein, dass die Pferde geführt werden mussten. Er stieg ab, band sein Pferd am gleichen Strauch an, und suchte nun gezielt im Gewirr der Felsen und Sträucher. Er entdeckte einen schmalen Durchlass, so schmal, dass Pferde hier nicht freiwillig hindurchgehen. Vorsichtig schlich Porthos weiter. Es war beinahe wie ein Labyrinth, doch wie Wegzeichen fand er immer wieder Stoff-Fetzen an den Felsen. Nach etlichen Wendungen öffnete sich der Durchlass in eine Schlucht. Porthos schlich vorsichtig weiter, sein Pferd ließ er stehen, es war sicher angebunden und würde ihn bei der Durchquerung der Engstelle nur verraten.
In der Schlucht entdeckte Porthos auch wieder die Spuren des Pferdes mit dem Passgang. Die Dämmerung setzte ein. Porthos hörte Pferde wiehern, ein Hinweis, dass er sich dem Versteck näherte. Sehr leise schlich Porthos weiter da sah er durch Sträucher flackerndes Licht scheinen. Er versteckte sich im Gebüsch.
Von seinem Versteck aus hatte er einen guten Überblick über den Unterschlupf der Banditen. Ein Felsüberhang bot Schutz vor dem Regen. Darunter befand sich eine freie, mit Gras bewachsene Fläche, die gegen die Schlucht blickdicht durch Sträucher abgeschirmt war. Die Pferde mussten sich weiter drin in der Schlucht befinden, zu sehen waren sie nicht, nur ein gelegentliches Wiehern war zu hören. Die Banditen hatten ein kleines Feuer unter dem Felsüberhang entzündet. Im flackernden Schein zählte er sechs Männer. Sie hatten ein Fass geöffnet und sprachen dem Inhalt fleißig zu. Deutlich alkoholisiert prahlten die Banditen lautstark, was sie mit dem Lösegeld für den (vermeintlichen) König alles anfangen würden. Ihre Kleidung war an vielen Stellen geflickt und bestand aus einer einfachen Tunika und Beinkleidern. Dazu trugen sie stark abgewetzte Stiefel. In den Stricken, die als Gürtel die Hosen zusammenhielten, steckten einfache Dolche. Das war die gesamte Bewaffnung. In einer Ecke lehnten geschnitzte Stöcke, die ebenfalls als Waffen dienen mochten. Eine schwache Bewegung tief unter dem Überhang verriet Porthos, dass sich da ein weiteres Lebewesen verbarg. Er schlich näher, um das genauer anzusehen. Entsetzen durchströmte Porthos: Konnte das der Gefangene sein? Gefesselt in einem alten Sack?
Während Porthos auf eine günstige Gelegenheit für einen Angriff wartete, trat ein Bandit in ein nahes Gebüsch um sich zu erleichtern. Die Gelegenheit, die Gegner unauffällig zu dezimieren. Porthos überwältigte den ersten Banditen, fesselte und knebelte ihn. Der spitze Schrei wurde von seinen Kameraden zum Glück nicht wahrgenommen. Porthos lauerte auf den nächsten. Da sie dem Alkohol fleißig zusprachen, würde einer nach dem anderen in die Büsche gehen müssen. Erst nach dem Dritten dämmerte es den Banditen, dass einige nicht zurück gekommen waren. Zwei Banditen begannen nun, das Gebüsch zu durchforsten. Doch zwei Gegner konnte Porthos mit Leichtigkeit erledigen. Mit Ihren Dolchen waren sie seinem Degen in keinster Weise gewachsen.
Der letzte Bandit griff alarmiert zu einem Stock. Dieser Gegner war der weitaus Gefährlichste. Porthos stellte sich ihm gegenüber, wie für einen Fechtkampf auf. Die ersten Schläge waren vorsichtig, die Gegner testeten zunächst die Stärke des Gegners. Schnell machte sich Porthos bessere Technik bemerkbar, dennoch brachten ihn die unkonventionellen Abwehr-Schläge seines Gegners durchaus auch in Bedrängnis. Der Bandit verlegte sich immer mehr auf die Verteidigung, ohne selbst anzugreifen. Porthos dagegen, wollte den Kampf möglichst schnell beenden, da er sich in unmittelbarer Nähe des hilflos verschnürten Gefangenen abspielte. Letztendlich erwies sich Porthos bessere Kondition und höhere Wendigkeit auf dem engen Platz als Vorteil. Es gelang ihm, die Abwehr seines Gegners zu unterlaufen und ihn durch einen Treffer in die Seite kampfunfähig zu machen.
Porthos versicherte sich, dass der Bandit ihm nicht mehr gefährlich werden konnte. Dann wandte er sich dem Musketier zu. Dieser lag noch immer verschnürt und mit einem Sack über dem Kopf am Boden. Porthos stieß die Luft erschreckt aus, als er die Beine des Mannes bemerkte. Oberhalb des Knies waren die Beinkleider zerrissen und die Haut mit Schnitten und Kratzern übersät. Er durchtrennte sogleich die Fußfesseln.
Porthos kniete sich neben den Musketier. Er berührte ihn vorsichtig und brachte seinen Mund dorthin, wo er das Ohr vermutete. „Erschreckt nicht. Ich bin es, Porthos. Ihr seid gerettet. Ich löse Euch die Fesseln.“ Sanft drehte er den Gefangenen und durchtrennte die Handfesseln, der Musketier versuchte schwach, sich den Sack über den Kopf zu ziehen. „Athos, ihr!“ rief Porthos erschreckt aus, denn bis zu diesem Moment hatte er nicht gewusst, wer entführt wurde. Athos wollte antworten, doch das war zu viel, die Übelkeit, die er so lange zurückgedrängt hatte, überwältigte ihn und er musste sich übergeben. Porthos half Athos, damit er sich auf die Seite drehen konnte, wie er es auch schon in Montauban bei kranken Kameraden getan hatte. Da sich Porthos‘ Wasserflasche noch am Sattel seines Pferdes, außerhalb des Verstecks befand, musste er anderweitig Wasser besorgen. Leise informierte er Athos: „Ich lasse euch für eine kurze Zeit alleine.“ Athos nickte bestätigend. Porthos folgte mit einem der irdenen Krüge in der Hand dem Geplätscher, das ihm schon früher aufgefallen war und gelangte zu einer kleinen Quelle. Er füllte den Krug mit Wasser und kehrte zu Athos zurück. Vorsichtig wusch er ihm mit seinem Tuch das Gesicht. Er stieß Athos vorsichtig an, um seine Aufmerksamkeit zu erregen: „Athos, hier richtet Euch auf, ich habe Euch etwas zu trinken.“ Athos sah ihn dankbar an, wirkte aber immer noch sehr schwach.
Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, doch Porthos wollte auf keinen Fall in diesem Lager bleiben. Athos war durchnässt und in keiner Verfassung, in der er eine kalte Nacht auf den Felsen verbringen sollte. Zunächst sammelte Porthos die sechs Banditen ein. Sechs Gefangene und der geschwächte Athos konnte Porthos nicht mitnehmen. Er schrak aber auch davor zurück, hilflose Gefangene einfach zu töten.
Er legte sie daher alle sorgfältig gefesselt unter den Überhang. Einen Dolch platzierte er so, dass es ihnen innerhalb einer Stunde gelingen konnte sich zu befreien. Die Stöcke verbrannte er, die restlichen Dolche steckte er ein. Dann holte er die Pferde der Entführer. Tatsächlich hatte eines einen wirklich schrecklichen Passgang entwickelt. Porthos nahm es trotzdem mit, um die Banditen jeder Möglichkeit einer Verfolgung zu berauben.
Wackelig kam Athos mit Porthos Hilfe auf die Beine und auf ein Pferd, allerdings nicht auf das mit dem Passgang. Im Gepäck der Banditen fand sich auch eine zerschlissene Wolldecke, die Porthos vorsorglich um Athos schlang. Eigentlich sollte er Athos entkleiden, aber es war Athos deutlich anzusehen, was er davon hielt. Porthos führte die sieben Pferde zurück zum Schlucht-Eingang. Die Engstelle musste er mit jedem Pferd einzeln durchqueren. Als erstes das Pferd, das Athos trug, den Athos machte schon Anstalten, selbst da durch zu reiten. Nach und nach holte er alle Pferde und koppelte sie aneinander. Sein Plan war es, mit Athos zum König zurückzukehren, doch dieser war völlig durchgefroren und für einen längeren Ritt zu schwach.
Porthos erinnerte sich, dass sie nicht weit vom Lager der Dragoner entfernt waren. Sein neuer Plan war es nun, Athos auf seinem (Porthos) Pferd zu Hauptmann d’Enghien zu schicken. Das Pferd würde notfalls den Weg alleine finden! Er selbst wollte mit den sieben Pferden der Banditen zur königl. Entourage zurückkehren und von der glücklichen Rettung Athos berichten. Dazu musste Athos allerdings das Pferd wechseln. Mit etwas Mühe gelang das auch.
Porthos stieg auf, nahm die reiterlosen Pferde am Zügel und führte seine kleine Karawane bis, sie auf einen gepflasterten Weg trafen. Linker Hand führte der Weg innerhalb der Hälfte einer Stunde in das Lager d’Enghiens. Porthos wandte sich um „Athos, wir sind nicht mehr weit vom Lager des Capitaine d’Enghien entfernt. Ihr braucht nur Linkerhand dem gepflasterten Weg zu folgen. Er führt direkt in das Lager. Ich informiere Euren Vorgesetzten. Schafft ihr das?“ Athos bestätigte und wandte sich nach links.
Porthos sah der zusammengesunkenen Gestalt von Athos nach. Er hoffte, dass Athos heil im Lager ankommen würde. Dann besann er sich und kehrte auf seinen Weg zurück.
Kapitel Eine Reihe von Mißverständnissen
Zurück zum Dorfgasthof, den Porthos in heilloser Verwirrung zurückgelassen hatte. Es war noch früh am Morgen und Leutnant Leblanc gerade erst bei der Morgentoilette angelangt. Die lärmende Aufgeregtheit im Hof veranlasste ihn, sich in den Hof zu begeben und nach der Ursache der Aufregung zu forschen. Leider konnten die Wachen nicht viel zur Erhellung der Geschehnisse beitragen. Von den wenigen Worten, die Porthos geäußert hatte, blieben nur „Entführung“, „Musketier“ und „Rettung“ in Erinnerung. Erst die von Leblanc veranlasste gründliche Durchsuchung des Hofes erbrachte die Gewissheit, dass neben Porthos auch Athos vermisst wurde. Eine Befragung des Gastwirts ergab, dass dieses Dorf bereits in der Vergangenheit regelmäßig von Banditen heimgesucht wurde. Versuche, die Banditen zu verfolgen endeten zumeist erfolglos in der gleichen zerklüfteten und schwer zugänglichen Region. Bisher waren alle Versuche, das Versteck ausfindig zu machen gescheitert.
Einige Musketiere waren den Spuren der Entführer gefolgt, bis zu einer zertrampelten Lichtung, ein Zeichen dafür, dass die Banditen hier Halt gemacht hatten. Nachdem sie sich über die Himmelsrichtung versichert hatten, die die Banditen einschlugen, kehrten sie zurück. Die Erkenntnisse der Musketiere bestätigten die Aussagen des Gastwirts, so dass sie getrost davon ausgehen konnten, Athos in der vom Gastwirt genannten Region ausfindig machen zu können. Jedoch war die Schar zu klein, um einen Verfolgungstrupp loszuschicken. Und bis die Gesellschaft tatsächlich abreiten könnte, obwohl die Vorbereitungen für den Aufbruch längst eingeleitet waren, würden sie so spät am Tage die gesuchte Region erreichen können, dass das Tageslicht für eine Suchaktion nicht mehr ausreichte. Sie konnten jedoch das Lager von Capitaine d’Enghien bis zur Nacht erreichen. Und dieses lag nicht weit entfernt vom Versteck der Banditen. Zudem würden sie am Morgen bei Tageslicht auch die Unterstützung der Dragoner für eine viel effektivere Suche nach dem Unterschlupf der Banditen haben. Ein Bote wurde unverzüglich nach Fontainebleau entsandt, um M. de Tréville und Kardinal Richelieu über die Geschehnisse zu informieren und beide ebenfalls in das Lager d’Enghiens zu bestellen.
Es wurde, trotz aller Eile, später Vormittag, bis die Jagdgesellschaft den Gasthof verlassen konnte. Ein nicht zu unterschätzendes Hindernis war der Verlust der Pferde des Falkenmeisters und seines Gehilfen und auch der zugehörigen Sättel mit den Sitzblöcken für die Falken. Der Geselle improvisierte, als Ersatz, Sitzblöcke am Sattel von Herzog de Bonne und an Athos Sattel. Der Falkenmeister bekam Athos Pferd als Reitpferd zugeteilt. So fehlte nur noch ein Pferd, doch da der Geselle noch ein schmächtiger Jüngling war, wurde er abwechselnd von den Musketieren und Dragonern mit aufs Pferd genommen.
Athos Pferd war an eine starke, aber nichtsdestotrotz feinfühlige Hand gewöhnt. Es reagierte nervös auf die zaghaften Hilfen des Falkenmeisters. Das unruhig tänzelnde Pferd übertrug seine Unsicherheit auf den Falken, dessen Flügelschlagen nicht zur Beruhigung des Pferdes beitrug. Zunächst versuchte Marillac das Pferd am Zügel zu führen, was das Pferd aber noch nervöser machte. Leblanc befahl daraufhin einen Halt und hieß Marillac mit dem Falkenmeister das Pferd tauschen. Athos Pferd, nun des Falken ledig und von kundiger Hand geritten, zeigte sich nun von seiner besten Seite. Ohne weitere Störung machte sich der Tross auf den Weg.
Die Boten des Königs erreichten Tréville und Richelieu weit früher, als erwartet. Nachdem der König nicht, wie ursprünglich geplant, am Vorabend in Fontainebleau eingetroffen war, hatten Tréville und Richelieu bereits am frühen Morgen den Aufbruch befohlen. Die Nachricht des Königs veranlasste Kardinal Richelieu seinerseits, die Garde-Engel auf die Verfolgung von Porthos anzusetzen. Er war überzeugt davon, dass Porthos an der Entführung beteiligt war und Befahl, dass Porthos um jeden Preis in Gewahrsam zu nehmen sei.
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Capitaine d’Enghien hatte den Zapfenstreich blasen lassen. Im Lager war Ruhe eingekehrt. Wer keine Wache hatte, hatte sich zur Ruhe gelegt, oder hielt sich in seinem Quartier auf. Die Posten am Tor waren in ein sicherlich sehr interessantes Gespräch vertieft, sie achteten eher nachlässig auf die Straße. So bemerkten sie das Pferd erst, als es freudig wiehernd den Schritt beschleunigte. Eine Bewegung machte sie auf den, in eine abgewetzte Decke gewickelten, Reiter aufmerksam. Ronjeau trat auf das Pferd zu. Er erkannte Porthos Pferd und konnte gerade rechtzeitig eingreifen, um den Reiter vor einem Sturz zu bewahren. Durch die verrutschte Decke konnte er erkennen, dass es sich um einen ziemlich derangierten Musketier handelte.
Während Ronjeau das Pferd am Zügel zum Lager führte, bat er Vazins den Adjutanten von M. d’Enghien zu holen.
Unter Mithilfe des Adjutanten gelang es Ronjeau Pferd und Reiter zum Zelt des Capitaine zu führen. M. d’Enghien und sein Adjutant fingen den erschöpften und durchnässten Musketier auf, als er sich vom Pferd rutschen ließ und manövrierten ihn erst mal in einen Feldstuhl. Der Adjutant reichte dem Musketier einen Becher aufgewärmten Weins. Erst als der Musketier dankbar den Kopf hob und sie, ohne jegliches Anzeichen des Erkennens, anblickte, erkannte M. d’Enghien, dass es sich um Athos handelte. Dass Athos auf Porthos‘ Pferd das Lager erreichte, bedeutete, dass einerseits Lapierre und seine Begleiter den König erreicht hatten und andererseits, dass die Schar des Königs nicht mehr allzu weit entfernt sein konnte. Zudem musste etwas Ungewöhnliches geschehen sein. Es war klar ersichtlich, dass Athos nicht mehr in der Lage war, Aufklärung über die Geschehnisse zu erteilen. M. d’Enghien befahl seinem Adjutanten ein Feldbett für Athos, gleich hier im Zelt aufzustellen. Sie entkleideten Athos und streiften ihm eine wollene Tunika über. Athos schlummerte schon, kaum dass sie ihn auf das Feldbett gelegt hatten. Er erwachte auch nicht, als der Adjutant die Wunden an seinen Beinen sorgfältig auswusch und Arme und Beine abrubbelte, um den Blutkreislauf wieder in Gang zu bringen. Zum Abschluss packte er Athos in mehrere Lagen wollener Decken.
M. d’Enghien wanderte unruhig in seinem Zelt umher. Untätig herumzusitzen, wiewohl unumgänglich, gefiel ihm nicht. Am liebsten würde er selbst losreiten, um zu erkunden, was vorgefallen war. Es stand jedoch außer Frage, dass er als Hauptmann bei seiner Truppe bliebe. Zumal in der einbrechenden Dunkelheit ein Suchtrupp nichts würde ausrichten können. Es blieb ihm keine andere Wahl, als bis zum Morgen zu warten, wenn dann auch Athos, nach erholsamem Schlummer, selbst berichten könnte, was vorgefallen war.
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Porthos hatte Athos besorgt nachgesehen. Er hoffte, dass sein Pferd Athos sicher in das Lager M. d’Enghiens führen würde. Dann wendete er seine kleine Karawane und ritt in die entgegengesetzte Richtung.
Urplötzlich sah sich Porthos von vier Männern umringt. Er erkannte die Wappenröcke der Kardinalsgarde und enthielt sich jeglicher Gegenwehr. Es waren die Garde-Engel, ein bei allen Regimentern berühmt-berüchtigtes Quartett. Mit diesen vieren hatte er sich auf dem Ritt von Montauban nach Paris angelegt, wegen ihrer Behandlung von Athos.
Dass er den Garde-Engeln in die Hände geritten war, gefiel ihm, ob deren Hang zur Grausamkeit, gar nicht. Die Bezeichnung Garde-Engel war nicht schmeichelhaft gemeint. Wie der Zufall es wollte, hatten sie eines gemeinsam: Sie waren nach den Erzengeln benannt worden. Da sie unzertrennlich waren und zudem in der Garde des Kardinals dienten, war ein Soldat der Kompanie des Essarts auf den Spott-Namen Garde-Engel gekommen. Ein Name, der sich in Windeseile durch alle Kompanien verbreitet hatte.
Dass die vier ihm die Hände binden wollten, gefiel Porthos jedoch viel weniger. Er versuchte, die vier mit Worten davon zu überzeugen, dass Fesseln unnötig seien. Zudem versuchte er, ihnen klar zu machen, dass sie den geretteten Athos im Dragoner-Lager finden würden. Die vier Gardisten hörten ihm erst nicht zu, dann drohten sie mit einem Knebel, falls er nicht mit Reden aufhört. Porthos resignierte und ließ sich binden, er hoffte darauf, dass sich beim Zusammentreffen mit der Gruppe des Königs alles aufklären würde.
Unbeobachtet von anderen Gardisten, konnten die Garde-Engel Porthos nach Gutdünken quälen und drangsalieren. Porthos wurde an einem Seil hinter Gabriel’s Pferd angebunden. Er musste fast rennen, um nicht zu fallen und geschleift zu werden. Die Hufe wirbelten den Dreck und Staub des Weges Porthos ins Gesicht, so dass ihm das Atmen zur Qual wurde. Hinzukam, dass dem Pferd der unfreiwillige Verfolger nicht behagte und es daher immer wieder bockte. Gelegenheiten, bei denen Porthos des Öfteren ins straucheln geriet.
Rechtzeitig, vor dem Zusammentreffen mit den anderen Gardisten, beendeten die Garde-Engel ihre Spielchen und setzten Porthos auf ein Pferd.
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Mit Einbruch der Nacht trafen M. de Tréville und Kardinal Richelieu auf König Ludwig XIII und sein Gefolge. Von der Aussendung weiterer Suchtrupps wurde abgesehen, da es bereits dämmerte und eine Suche nach Spuren bald unmöglich würde. Da zudem das Lager Capitaine d’Enghien’s in wenigen Stunden erreicht werden konnte, wollte man das Lager erreichen, um am Morgen von dort aus die Suche nach Athos und Porthos zu organisieren. Mit der Unterstützung durch die Dragoner würde die Suche wesentlich effektiver.
Die meisten Suchtrupps hatten ihre Suche bereits erfolglos abgebrochen, wegen der zunehmenden Dunkelheit. Der letzte Trupp bestand aus den Garde-Engeln mit Porthos und den Pferden der Banditen, die hochwillkommen waren. Der Mond erhellte den breiten Weg, dem sie unter Führung Lapierres und seiner Dragoner folgten. Die Garde-Engel reihten sich, auf einen Wink Richelieu’s hin, mit Porthos in der Kolonne ein.
Innerhalb der Kolonne entstanden die wildesten Spekulationen, angetrieben von der Anwesenheit des gefesselten Porthos. Darunter verbreiteten sich auch Porthos Entgegnungen zu den Schmäh-Reden der Garde-Engel. Die Gerüchte gelangten auch an Tréville’s Ohr, der inständig hoffte, dass einige davon wahr sein mögen und Athos sicher im Lager d’Enghien’s eingetroffen war.
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Zu später Stunde entstand erneut ein Tumult am Lager-Tor. Capitaine d’Enghien sah sich mit der unerwarteten Ankunft des Königs sowie des Kardinals und M. de Trévilles mit ihren Männern, die erst in einigen Tagen angekündigt waren, konfrontiert. Während Capitaine d’Enghien König, Herzog und Kardinal in seinem Zelt mit rasch organisierten Speisen und Getränken verköstigte und bei dieser Gelegenheit einen ersten Einblick in die Geschehnisse der letzten Tage erhielt, organisierte M. de Tréville mit d’Enghiens Adjutant in aller Eile die Errichtung geeigneter Unterkünfte für die Neuankömmlinge.
Der Lärm hatte die Dragoner aus ihrer Nachtruhe gerissen. Neugierig versammelten sich immer mehr Männer um das neu entstehende Lager. Porthos, gefesselt inmitten seiner Bewacher, wäre am liebsten im Boden versunken, während seine Kameraden tuschelnd mit den Fingern auf ihn zeigten. Erst mit der Fertigstellung der Unterkünfte bemerkte d’Enghiens Adjutant den gefesselten Porthos. Mit dem Befehl an die Unteroffiziere der verschiedenen Kompanien, die Lagerdisziplin wieder herzustellen, ließen sie Porthos zu Capitaine d’Enghien’s Zelt eskortieren. Mit Erleichterung vernahm Tréville die Kunde von Athos Ankunft, wenige Stunden vorher. Wenn auch eine Befragung Athos, aufgrund dessen Erschöpfung, bis zum Morgen aufgeschoben werden mußte. M. de Tréville, dessen Hoffnungen sich erfüllt hatten setzte sich dafür ein, Porthos auf Ehrenwort in seine Unterkunft zu entlassen. Das Lager könne er sowieso nicht unbemerkt verlassen, war die Argumentation. Dem Widersprach Kardinal Richelieu vehement. Er bestand darauf, dass Porthos bis zur endgültigen Klärung in Gewahrsam zu verbleiben habe. Kellerräume, die einzigen Überreste eines verlassenen Gutes, dienten als Vorratsspeicher. Einer dieser Räume wurde zum provisorischen Gefängnis. M. de Tréville war misstrauisch gegenüber den Gardisten des Kardinals. Vor allem, was die Häscher von Porthos betraf, war ihm einiges zu Ohren gekommen. Er bestand darauf, dass die Wachen für diese Nacht aus Dragonern und Musketieren zusammengestellt wurden.
Porthos selbst war erschöpft. Er war erleichtert, von der gaffenden Menge wegzukommen. Er hätte des Strohs nicht bedurft, das ihm ein mitfühlender Kamerad in seine Zelle reichte, um in tiefen Schlaf zu fallen.
Kapitel Die Heerschau
Athos erwachte am frühen Morgen, völlig wiederhergestellt, von den unvermeidlichen Geräuschen eines erwachenden Lagers. Er schälte sich gerade aus einem wahren Berg von Decken, als der Adjutant M. d’Enghiens den Musketier Marillac ankündigte. Marillac reichte Athos dessen Mantelsack, damit er sich waschen und geziemend kleiden konnte. Er erfuhr, dass M. de Tréville in der Nacht eingetroffen war und begab sich unverzüglich zu seinem Hauptmann um sich zum Dienst zu melden. Tréville begrüßte freudig den jungen Musketier. Nach einem ausgiebigen Frühstück ließ er Athos berichten.
Porthos schrak derweil aus einem unruhigen Schlaf. Der Versuch, seine Augen zu reiben, erinnerte ihn daran, dass er noch gefesselt war. Hungrig und Durstig wand er sich hin und her um seine Glieder von der nächtlichen Steife zu befreien. Michael trat ein. „Porthos, der Kardinal will Euch sehen.“ Er trat zu dem Gefangenen und löste die Fußfesseln. Ein zweites Mal wurde der gefesselte Porthos von den Garde-Engeln des Kardinals durch das Lager geführt. Die Blicke die die anderen Soldaten auf ihn warfen, waren schlimmer als der Spießrutenlauf, den er überstanden hatte. Porthos hielt den Blick gesenkt und versuchte, die bissigen Zurufe zu überhören. Es gelang ihm, fast. Ab und an geriet er in Rage und schlug mit gefesselten Händen um sich. Was ihm jedoch nur Hiebe von Uriel eintrug.
Der dadurch entstandene Aufruhr erreichte auch Athos, der sich nach dem ausgiebigen Frühstück auf der Suche nach seinem Quartier befand. Athos sah nach der Ursache des Krawalls. Einen Moment sah er Porthos in die Augen. Wie ein Schlag traf ihn die Erkenntnis: Das war sein Retter! An ein Durchkommen durch die Menge war nicht zu denken, so folgte er zum Zelt Hauptmann d’Enghiens. Er drängte sich durch die Menge, eine Wache erkannte ihn und ließ ihn passieren. Neben dem Hauptmann waren auch König Ludwig und Herzog de Bonne, sowie Kardinal Richelieu und M. de Tréville anwesend. Gemeinsam wollten sie den Ablauf der heutigen Heerschau besprechen.
Athos stürmte in das Zelt. Er trat neben Porthos vor den Kardinal: „Eminenz, ihr müßt diesen Mann sofort freilassen, er hat mich vor den Banditen gerettet.“ M. de Tréville im Hintergrund war sichtbar bemüht, sich ein Lächeln zu verkneifen. Niemand redete so mit Kardinal Richelieu und noch weniger stand es einem einfachen Musketier zu, Forderungen an den Kardinal zu richten. Ein solcher Bruch mit der Etikette war bei Athos so ungewöhnlich, es musste sich um eine wichtige Sache handeln. Richelieu hub an, Athos zu Maßregeln, da hob der König die Hand und wandte seine ungeteilte Aufmerksamkeit Athos zu. Athos trat in seiner ihm ureigensten Anmut vor den König und verbeugte sich artig. Auf einen Wink M. de Trévilles hin, gab er dem König einen sachlichen Bericht über die Ereignisse seiner Entführung. Noch während Athos‘ Bericht, gab der König mit einem Wink den Befehl, Porthos von seinen Banden zu befreien. Dieser stand, sichtbar verlegen, ob der ihm geltenden Aufmerksamkeit neben Athos. Der König, der erst jetzt erfuhr, dass die Entführung ihm gegolten hatte, dankte Athos und besonders auch Porthos für die Errettung seines tapferen Musketiers. Mit Blick auf die in wenigen Stunden angesetzte Heerschau wurden Athos und Porthos entlassen.
Ohne einander groß anzusehen, gingen Athos und Porthos ihrer Wege. Porthos hatte es eilig, er musste sich waschen und umkleiden, außerdem wollte er sich noch ein Frühstück einverleiben. Athos brachte sein Bündel in das ihm zugewiesene Quartier und schlenderte anschließend durch das Lager.
Zur festgesetzten Zeit begann die Heerschau. König Ludwig XIII, Kardinal Richelieu, Herzog de Bonne de Créquy und die beiden Hauptmänner d’Enghien und de Tréville , sowie eine Eskorte aus Gardisten und Musketieren, darunter Athos standen auf einer hastig zusammengezimmerten Tribüne am Rand einer riesigen Wiese. Mit dem Appell begann eine Parade aller Dragoner vor dem König. Anschließend wurden verschiedene Gefechtssituationen der Dragoner simuliert. Dabei dienten die Pferde nur der Heranführung der Truppe an den Gegner, einmal angekommen, sprangen sie ab und stellten sich mit ihren Musketen in Formation bereit. Wie bei der Infanterie: die erste Reihe kniend, die zweite stehend, den Vorderlader im Anschlag. Geschossen wurde nacheinander auf Befehl immer eine Reihe gleichzeitig, nun musste hastig nachgeladen werden, für den nächsten Schuss. War der Gegner dann zu Nahe herangerückt, flogen die Gewehre davon und die Dragoner stürmten mit gezückten Degen in den Nahkampf.
Nach diesen großen Vorführungen, an denen alle Dragoner beteiligt waren, wurde der Umgang mit den Waffen demonstriert. Hier konnten sich einzelne Kämpfer hervortun. Hauptmann d’Enghien hatte dabei eine Art Wettbewerb organisiert um die Motivation zu steigern. Zuerst wurde geschossen. Mit Gewehren und Pistolen. Aus diesen Wettbewerben gingen Ronjeau und Vazins als Sieger hervor, doch auch Porthos erreichte gute Ergebnisse. Im Nahkampf mit dem Degen spielte Porthos seine ganze Stärke aus. Er gewann nicht nur alle seine Einzel-Kämpfe, er trat auch gegen eine Übermacht an und ging als Sieger daraus hervor. Seine Überlegenheit war so frappierend, das M. de Tréville den Hauptmann d’Enghien darauf ansprach: „Capitaine, könnt ihr keinen ebenbürtigen Gegner für M. Porthos aufbieten? Nun, wir könnten ihn gegen einen Musketier antreten lassen? Ich schlage Athos vor.“ D’Enghien stimmte dem Ansinnen zu. M. de Tréville war auf der Schau nach geeigneten Kandidaten für die Musketiere. Porthos war ihm bereits vor Montauban aufgefallen und er hatte die Absicht ihn für die Musketiere zu rekrutieren. Ein Risiko war, dass der Kardinal ebenfalls nach Rekruten für seine Garde schaute, dem galt es zuvor zu kommen!
Athos und Porthos machten sich zum Kampf bereit. Athos hatte einen kleinen Vorteil, da er ja die Gelegenheit hatte, seines Gegners Kampfstil zu studieren. Andererseits war Porthos noch kaum gefordert worden, so dass sich noch unerwartetes Potential offenbaren mochte. Sie trugen ihr Gefecht vor der Tribüne unter den Augen des Königs aus. Von der Wiese konnte keine Rede mehr sein, der Untergrund war völlig durchweicht und durch die vielen Durchläufe matschig und ausgetreten. Dennoch glichen Athos Bewegungen, denen eines Tänzers. Obwohl auch Porthos behände kämpfte, wirkte er fast unbeholfen, gegenüber Athos Eleganz. Dieser Kampf versprach spannend zu werden.
Für die Fechtkämpfe hatten sich die Dragoner weiträumig auf der Wiese verteilt, so dass sich überall Gruppen aus Kämpfern und Zuschauern gebildet hatten. Der Kampf zwischen Athos und Porthos sprach sich herum und die Dragoner beendeten nach und nach ihre Gefechte und versammelten sich um die beiden Kämpfer vor der Tribüne. Porthos kämpfte verbissen, während Athos Stil fast mühelos erschien. Doch keinem von beiden gelang es einen Vorteil zu Erringen. Jede Parade von Porthos konnte Athos leicht parieren. Porthos gab sich aber auch keine Blöße und parierte geschickt Athos‘ Stöße. Jedem Zuschauer war sofort ersichtlich, dass sich hier zwei ebenbürtige Gegner gegenüber standen. Kaum einem Zuschauer gelang es, den Kampf unvoreingenommen zu beobachten. Findige Soldaten, vor allem aus den Reihen der Kardinals-Garde und der Dragoner, nahmen Wetten auf den Ausgang des Kampfes an. Dies und eine zunehmende Aggressivität der Zuschauer untereinander alarmierten M. de Tréville. Er wollte einen fairen Kampf, der nicht von den Aktionen der Außenstehenden beeinflusst wurde. Trévilles Eingreifen kam zu spät. Er trat vor, um den Kampf zu beenden, doch in diesem Moment stolperte Porthos unerwartet rücklings. Nur Athos Geistesgegenwart bewahrte ihn vor einer erheblichen Verletzung durch Athos Degen. Was war geschehen? Athos hatte seinen Gegner weit zurückgedrängt. Die Zuschauer, darunter die Garde-Engel des Kardinals, standen knapp hinter Porthos und drängelten und schubsten einander. Diese Situation nutzten Uriel und Michael schamlos aus. Sie tauchten ein wenig ab und spannten unbemerkt einen dünnen Faden hinter seinem Fuß. Porthos strauchelte und fiel rücklings auf den Boden. Zu seinem Pech, war es ausgerechnet da felsig und nicht matschig. Der Aufprall war sehr heftig, ihm wurde die Luft aus den Lungen gepreßt. Athos, der seine Vorwärtsbewegung gerade noch bremsen konnte, ließ den Degen fallen und sprang zur Seite, um nicht über den am Boden liegenden Gegner zu stolpern. Athos sprang zu Porthos, der bewegungslos dalag und offensichtlich etwas mitteilen wollte, doch kein Wort drang durch seine Lippen. M. de Tréville erreichte in diesem Moment die beiden Kämpfer. Besorgt beugte er sich über den Liegenden. Athos und M. de Tréville zogen Porthos auf die Beine. Erst jetzt spürte er einen stechenden Schmerz und eine warme Flüssigkeit, die ihm in die Hand lief. Athos hatte ihn am Arm getroffen.
Im allgemeinen Tumult, der dem Sturz folgte, gelang es Uriel und Michael unauffällig zu verschwinden. Keiner der Umstehenden hatte bemerkt, dass etwas ungewöhnliches Geschehen war. Lediglich Tréville, der, wie wir ja wissen, ein besonderes Interesse an Porthos hatte, hatte ihn genauestens beobachtet und argwöhnte, dass mehr hinter dem Sturz steckte. Tréville beendete den Kampf und bat Athos Porthos, der etwas wackelig auf den Beinen war, zu seinem (Trévilles) Leibarzt zu begleiten.
Damit beendete der König auch die Heerschau und entließ die Soldaten. Ludwig XIII und Herzog de Bonne zogen sich mit M. d’Enghien, M. de Tréville und dem Kardinal in Hauptmann d’Enghien’s Zelt zurück.
Es war erst später Nachmittag und bis zum Zapfenstreich blieb noch Zeit. Nachdem der Arzt mit Porthos fertig war, suchten die beiden Männer eine Bude am Rande des Lagers auf. Wie bei jedem Heerlager, ob in Friedens- oder Kriegszeiten, fand sich auch hier eine Reihe hastig zusammengezimmerter Buden, in denen Alles angeboten wurde, was das Herz des Soldaten erfreute. Kaum hatten Athos und Porthos das Lokal betreten, wurden sie getrennt und von ihren jeweiligen Kameraden in Beschlag genommen.
Es ging hoch her in dieser Bude. Soldaten der Dragoner, der Musketiere und der Garde mischten sich unter einander. Gruppierten sich auf Baumstümpfen und leeren Fässern sitzend um weitere leere Fässer, die als Tisch dienten. Lautstark spielten Soldaten um ihren Sold, mit Würfeln oder Karten. Junge Frauen, fast noch Mädchen, brachten Wein und manchmal auch mehr. Porthos, von Natur aus ein fröhlicher Charakter, beteiligte sich an einer fröhlichen Würfelrunde.
In einer anderen Ecke sprachen Musketiere dem Wein zu. Sie übertrumpften sich mit lautstarken Erzählungen. Einige spielten Karten. Andere fanden Gefallen an zotigen Liedern. Inmitten dieser Runde gleich einer stillen Insel, saß ein nachdenklicher Athos. Er beteiligte sich nur beiläufig an den Gesprächen.
Ohne dass es groß bemerkt wurde, verlies Athos das Lokal und kehrte, solange es noch hell war, zum Kampfplatz zurück. Athos gingen die seltsamen Umstände von Porthos Sturz nicht mehr aus dem Sinn. Im matschigen Grund versuchte er die Ursache des Stolperers seines Gegners zu finden. Sein Fuß verhedderte sich im Schlamm an etwas langem Dünnem. Statt der erwarteten Wurzel, fand seine Hand einen langen, dünnen Draht. Das schien seinen Verdacht zu bestätigen: Irgendjemand wollte Porthos stolpern lassen. Aber wer?
Athos kehrte nach der Schenke zurück, in der die Dragoner noch würfelten. Athos setzte sich in eine Ecke und bestellte einen Krug Wein, er würde warten, bis auch Porthos die Bude verlies. Da traten auch die vier Garde-Engel des Kardinals das Lokal. Sie gratulierten Athos in einem ironischen Tonfall zu seinem Sieg. Athos war nicht erfreut, die vier zu sehen, denn die Garde-Engel hatten einen schlechten Ruf unter den Musketieren.
Es dauerte auch nicht lange, bis die Garde-Engel zur Tat schritten. Athos Abneigung gegenüber Frauen war auch bei den Garden bekannt, so bezahlten sie eine Dirne, die ihn bedrängte. Ohne jede Regung ließ er dies über sich ergehen, in der Hoffnung dadurch den Spaß an derlei Scherzen zu verderben. Seine Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Immer schlimmere Beleidigungen trafen Athos, der sie schweigend und ohne Regung hinnahm.
Inzwischen hielt der Weinkonsum der Garde-Engel mit den Bösartigkeiten mit und sie wirkten merklich betrunken. Da bekanntlich der Wein die Zunge löst, begannen die vier zu prahlen. Erst mit ihrem Gewinn, den sie Dank Athos gemacht hatten. Athos erbleichte, regte sich aber nicht. Später traten immer mehr Details zum Vorschein, bis auch der ahnungsloseste Zecher begriffen hatte, dass Uriel und Michael für Porthos Sturz verantwortlich waren. Wie ein Mann standen Athos und Porthos auf, stellten sich Seit‘ an Seit‘ den Garde-Engeln gegenüber. In der nun folgenden Schlägerei wirkte sich ihre Unterzahl nicht als Nachteil aus.
Das Getümmel in der Bude, rief die Leutnants der drei Regimenter, die für die Einhaltung der Ordnung unter den Soldaten verantwortlich waren, auf den Plan. Diese beendeten die Schlägerei, indem sie alle sechs Hauptbeteiligten arretierten.