Zwischen den Fronten von kaloubet , Rochefort, Aramis  und Armand-Jean-du-Plessis

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Kapitel Intermezzo

Einen interessanten Spielsalon hatte ihm der Comte der Rochefort empfohlen. Hier im Untergeschoss des Théâtre de l’hôtel de Bourgogne spielte man um hohe Summen, während oben die Tragödien und Pastoralen von Alexandre Hardy aufgeführt wurden. Shamrock gefiel die Idee, dass man offiziell ins Theater ging und dann mehr oder weniger heimlich nach unten abbog, um dem Kartenspiel zu frönen. Paris war ein teures Pflaster, und die meist adeligen Gäste des Spielsalons waren keine leicht auszunehmenden Höflinge. Man musste sich durchaus anstrengen und auch ein wenig auf Fortunas Hilfe hoffen, wenn man mit Gewinn nach Hause gehen wollte. Trotzdem mochte der junge Ire die Atmosphäre hier. Es wurde nicht aus Langeweile gespielt, sondern des Nervenkitzels wegen, wenn die Summen im Laufe eines Abends höher und höher wurden.

Seamus war vorsichtig genug, keine allzu großen Summen zu setzen. Seit einer Woche kam er nun hierher, und so manch interessante Bekanntschaft hatte er bereits gemacht. Heute aber sah er zu seinem Erstaunen jemanden, den er von seinem Besuch in Den Haag her kannte. Nun, Besuch war wohl das falsche Wort, aber das war eine andere Geschichte. Auch der Neuankömmling erkannte ihn sofort und schien erstaunt, ihn zu sehen. Wie immer war Alvise Contarini elegant und fast überkorrekt gekleidet. „Sieh an, ein Ire in Paris“, wurde er begrüßt, „welch‘ interessante Überraschung“.

„Nicht überraschender, als den Botschafter der Republik Venedig in England hier zu sehen“, erwiderte Shamrock.

„Ich bin auf der Rückreise aus meinem geliebten Venedig nach London. Die aktuelle Politik gönnt mir keine Pause. Aber sagt, was bringt Euch hierher? Und verzeiht meine Neugier“, plauderte der Botschafter weiter, während er mit Shamrock in Richtung eines Cabinet particulière schlenderte, wo man ungestörter war. „Mir kommt da eine spontane Idee. Seid Ihr zurzeit ungebunden oder ist diese Frage zu indiskret? Eure Dienste, als ich noch Botschafter in den Freien Niederlanden war, sind nicht vergessen.“

Seamus wurde nachdenklich. War dieses Treffen wirklich zufällig? Aber wer konnte von seiner Anwesenheit hier wissen? Vorsichtig erwiderte er: „Ich stehe in niemandes Diensten, aber das heißt nicht, dass ich dies im Moment ändern möchte.“

„Es wäre nur für einen Tag, und Ihr müsstet nichts weiter tun als mich zu begleiten und Eure Augen und Ohren offen zu halten – nicht ein Wort sprechen, nur mir nach diesem Nachmittag und Abend sagen, was Eure Meinung dazu ist“, versuchte ihn der Venezianer zu überreden.

Shamrocks Neugier war geweckt, doch blieb er weiter zurückhaltend. „Das hört sich interessant an, so what's the catch?“

„Nun, der Haken bei der Geschichte ist, dass es bereits übermorgen ist und ich Euch noch einkleiden lassen muss. Schließlich sollte man angemessen erscheinen, bei einer Audienz Seiner Majestät Ludwigs XIII., in Anwesenheit Seiner Eminenz, des Kardinals Richelieu, der Prinzen von Geblüt und der Pairs von Frankreich“, meinte Contarini lächelnd.

Als professioneller Kartenspieler und Gelegenheitsagent war Seamus nicht so leicht zu überraschen, geschweige denn aus der Fassung zu bringen, aber diesmal blieb ihm der Mund offen, nicht nur sprichwörtlich. Einige Sekunden starrte er den Diplomaten an wie ein Karpfen, der nach Luft schnappt. Dann riss er sich zusammen: „Das scheint Euer Ernst zu sein, aber warum, und warum ich, Eure Exzellenz?“

„Weil ich Eure ausgezeichnete Menschenkenntnis in Den Haag zu schätzen lernte und ich nur eine sehr kleine Entourage auf dieser Reise habe. Mir fehlt also ein Botschaftssekretär, und die Einladung erging ausdrücklich an das gesamte corps diplomatique. Wie bereits erwähnt möchte ich nur Eure Einschätzung, nichts weiter. Die Audienz ist eigentlich für Henri de La Mothe-Fouquet, Baron Saint-Surin, einen jungen Edelmann, der unter Toiras dient. Lord Buckingham hat dem Baron gestattet, die Festung auf der Insel Ré zu verlassen, die er gerade belagert. Saint-Surin ist zusammen mit dem Abgesandten des englischen Admirals hier nach Paris gereist. Es ist aber fraglich, ob John Ashburnham als Vermittler Buckinghams überhaupt empfangen wird.“

Bei den Ausführungen war Shamrock immer neugieriger geworden. Es schien so, als wolle der Herzog mit Frankreich verhandeln, die Belagerung von Fort St. Martin schien also nicht günstig zu verlaufen. Nun, das verwunderte ihn wenig, er hatte die Unfähigkeit des englischen Oberkommandierenden ja zur Genüge kennengelernt. Wie würden der französische König und sein Erster Minister Richelieu reagieren? Ja, diese Audienz reizte ihn sehr. Diesmal aber wirklich nur Zuseher und nicht Akteur! Der junge Ire blickte dem venezianischen Diplomaten in die Augen, und jetzt war er wieder ganz der gewiefte Spieler: „Nun gut, zugegeben, Ihr habt meine Neugier geweckt, aber auch mein Rat ist nicht ganz umsonst…“

***

Das Palais du Louvre war ein wuchtiger Vierkantbau. Kalt und trutzig wirkte es, trotz der zahlreichen Umbauten in der Renaissance und auch in den letzten Jahren. Und hier im Nordteil des alten Palastes war an allen Ecken und Enden noch die Wehrhaftigkeit der vergangen Jahrhunderte spürbar. Die gediegene Inneneinrichtung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dies war nicht der Teil, wo rauschende Hoffeste gegeben wurden. Aber warum fand die große Audienz hier statt und nicht zum Beispiel im Palais des Tuileries mit seinen hellen, freundlichen Fenstern hin zu der riesigen Parkanlage mit ihren vielen Bildsäulen? Das war auch sicherlich nicht der eigentliche Thronsaal oder ein Ballsaal des Louvre. Zugegeben, dachte sich Shamrock, sehr beeindruckend war der Raum schon, mit seinen wuchtigen Säulen und dem riesigen offenen Doppelflügeltor zu einem weiteren Saal mit einem fast podestartig erhöhten Boden mit mehreren Stufen, auf denen drei schwere, prunkvolle Sessel standen und davor ein so schwerer und wuchtiger Eichentisch, dass er wohl nicht in einem Stück aus dem großen Raum gehievt werden konnte. An der Seite des Tisches waren kleinere weitere Stühle, die aber nicht so wirkten, als ob sie dort hingehörten.

Auch das Hofzeremoniell erschien Seamus etwas seltsam, obwohl er sich nicht so gut darin auskannte. Die Szenerie wirkte martialisch. Zwei Dutzend königliche Musketiere umsäumten die Wände beider Säle, zwar in ihrem königlichen blauen Tabart, aber gut bewaffnet. Ludwig XIII. saß auf dem mittleren Stuhl, ihm zur Seite sein königlicher Bruder und Thronfolger, Jean-Baptiste Gaston, Herzog von Orléans, und die Mutter des Monarchen, Maria de Medici. An der Längsseite des Tisches saßen die Herzöge und Pairs von Frankreich, soweit sie zurzeit in Paris waren. Rechts vorne, gleich bei der royalen Vorderseite, befand sich unverkennbar der Erste Minister Armand-Jean du Plessis, genannt Kardinal Richelieu, im kirchlichen Ornat. Er schien aus Bequemlichkeit seinen Stuhl ein wenig verrückt zu haben, aber so saß er leicht schräg, konnte alles gut überblicken und seine Sitzrichtung war dadurch etwas verschoben in die Richtung, die nur der Königsfamilie zustand. Die Gäste der Audienz mussten selbstverständlich stehen, es waren alle in Paris anwesende Diplomaten und einige adelige Höflinge. Obwohl anschließend auch eine kleine Festlichkeit stattfinden sollte, waren nur wenige Damen anwesend, selbst die Königin fehlte.

Für den jungen Iren wirkte die ganze Szenerie gestellt, nun gut, das war ein öffentlicher Empfang, aber diese Details waren nicht zufällig arrangiert worden. Auch hatte er beim Hineingehen gehört, dass ein Gast sich gewundert hatte, wieso der König im „La Tribunal“, dem Sitz der allerhöchsten Gerichtsbarkeit, einen Empfang gäbe. Jetzt begann die eigentliche Audienz.

Henri de La Mothe-Fouquet, Baron Saint-Surin, trat vor, um vor seinem Souverän aufs Knie zu sinken und ihm untertänigst zu danken, dass man ihn empfangen habe. Dann brachte er umständlich im Namen von John Ashburnham, der wiederum der Abgesandte von George Villiers, 1st Duke of Buckingham, war, sein Anliegen vor: dass er Grüße des Herzogs bestellen solle und man bereit sei, die Belagerung der Festung St. Martin aufzuheben, da England nur die Stadt La Rochelle in ihren berechtigten Ansprüchen unterstützen wolle. Der Herzog von Buckingham würde es sehr bedauern, wenn die Verteidiger weiter Hunger leiden würden.

Im (Gerichts-)saal wurde es totenstill. Alles wartete wie gebannt auf die Antwort des Königs. Dieser wirkte verwundert, aber Shamrock glaubte ihm diese Verwunderung nicht. „Was hat dieser Schritt des Herzogs zu bedeuten?“, fragte Ludwig XIII. und wandte sich Kardinal Richelieu zu. Ein einziges Wort erwiderte der Erste Minister mit scheidender, aber deutlich erhobener Stimme: „Schwäche“.

Zustimmendes Nicken kam aus den Reihen der Herzöge und leises Gemurmel von den Gästen. Shamrock beobachtete die Botschafter. Der englische Gesandte in Paris lief leicht rot an, er schien erregt zu sein und seinen Zorn nur mühsam zu beherrschen, der spanische Botschafter hingegen wirkte amüsiert. Mit einer Geste in Richtung Richelieu brachte der König den Hofstaat wieder zum Schweigen. Der Kardinal senkte sittsam und unterwürfig seinen Blick in Richtung seines Monarchen, bevor er abermals seine Stimme erhob: „Der König wird nicht unterhandeln, solange sich ein englischer Soldat auf seinem Boden befindet, und falls die Engländer sich zurückziehen sollten, so behält er sich seine Entschlüsse vor.“

Bevor die entstehende Stille unangenehm werden konnte, trat ein Zeremonienmeister hervor, bekundete, dass die Audienz zu Ende sei und man nun zum festlichen Teil des Tages übergehen werde. Alvise Contarini trat an Shamrock heran. „Nun, was haltet Ihr von dieser Audienz?“

Seamus schmunzelte: „Audienz? Welche Audienz? Was für ein großartiges Theaterstück, und gerade ist der Vorhang gefallen. Der Regisseur und Autor war brillant und hat auch die Hauptrolle übernommen, wie das bei einer solchen Tragödie heutzutage üblich ist. Das Bühnenbild war exzellent gewählt, mit dem Gerichtssaal. Und das Publikum war natürlich erlesen, die Kunde von diesem Stück wird in ganz Europa verbreitet. Die Dialoge wirkten gut einstudiert, die Schauspieler haben sich gewissenhaft darauf vorbereitet. Wenn dies der dritte Akt einer Tragödie war, dann möchte ich kein Akteur im fünften Akt sein.“

Der Botschafter wirkte nachdenklich: „Ja, ich denke, Ihr habt es auf den Punkt gebracht - werdet Ihr das so nach London berichten?"

„Ich, oh nein, diese Ehre überlasse ich Euch, Eure Exzellenz, aus diesem Theaterstück verabschiede ich mich, denn ich möchte den Epilog noch erleben!“