An deiner Seite von LadyAramis

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Kapitel Kleiner Bruder

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Nichts braucht so viel Schutz wie du
In der Dunkelheit der Welt
Sogar Söldner hol ich hinzu
Denn ein dunkles Reich hat uns umstellt
Und nichts braucht so viel Schutz wie du
In der Dunkelheit der Welt
Sogar Söldner hol ich hinzu
Denn ein dunkles Reich hat uns umstellt

Söhne Mannheims

 

***

Athos hielt sich nicht gerade für einen vernünftigen Menschen. Aber einer seiner grössten Gaben war es, sich selbst und andere richtig einschätzen zu können. Er wusste, dass er zu viel trank, dass er ein seltenes Talent dafür hatte, sich selbst das Leben schwer zu machen, dass er den Menschen oft grundlos misstraute und er wusste auch ganz genau, dass er es zu sehr genoss den Degen zu ziehen. Und er wusste, dass jedes Mal wenn er sich so gedankenlos in den Kampf warf, ein kleiner Teil von ihm hoffte, dass sein Gegner ihn von seinen Kummer erlösen würde.

Aber er hielt sich dennoch für vernünftiger als Porthos und Aramis, die sich, sobald sie zusammensteckten in Kleinkinder verwandelten und allerlei Blödsinn ausheckten. Es war fast so, als zögen sie den Ärger magisch an, sobald er sie auch nur einen Moment lang alleine liess. Und deshalb hielt er immer, wenn er kurz davor stand wieder in den Hof der Garnison kurz die Luft an und stiess sie erst wieder erleichtert aus, wenn die beiden mit ihren üblichen spitzbübischen Grinsen vor ihm standen.

Als er diesmal nur Porthos sah, legte sich sofort eine kalte Hand um sein Herz. Porthos sass am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt, einen Krug Bier von sich. Das Sinnbild von Erschöpfung. Und Aramis war nirgends zu sehen, obwohl sich die beiden nur selten trennten. Lass es ihm gut gehen, betete Athos, während er sich aus dem Sattel schwang, lass es Aramis gut gehen!

Zu seiner Erleichterung hob Porthos den Kopf und lächelte ihn strahlend an. So lächelte niemand, dessen Freund im Sterben lag. Aber Athos glaubte dennoch den Hauch von Besorgnis in den dunklen Augen zu lesen. „Athos! Schön, dass du wieder da bist! Und? Hast du unsere schöne Königin wieder sicher in ihr trautes Heim gebracht?“ Für einen Aussenstehenden klang Porthos wie immer; laut, dröhnend, fröhlich. Aber Athos bemerkte durchaus, den etwas angestrengten Ton, so als wolle er um jeden Preis so normal wie möglich wirken.

„Porthos. Was ist los?“

Porthos‘ Schultern sackten nach vorne. „Athos, es gab da einen kleinen…Unfall.“

Das letzte Mal als Porthos von einem kleinen Unfall gesprochen hatte, hatte Aramis es irgendwie geschafft sich das Bein zu brechen. Und das nicht bei der heldenhaften Rettung einer Jungfrau oder der Verteidigung des Louvre, sondern weil er über ein Huhn gestolpert war. Wie genau diese Geschichte gelaufen war, wusste Athos allerdings immer noch nicht. Porthos und Aramis schwiegen beharrlich, auch wenn Letzteres stets betonte, es habe sich um ein sehr grosses und äusserst aggressives Huhn gehandelt.

Athos griff nach Porthos‘ Arm. „Was ist mit Aramis?“

Porthos trat unruhig von einem Fuss auf den anderen. „Also…die gute Nachricht ist: Aramis ist gesund. Vollkommen gesund.“

Das beruhigte Athos nicht wirklich. „Schön. Aber wenn Aramis so gesund ist, wer ist dann krank?“

„Also krank ist niemand.“

Porthos‘ Versuche drum herumzureden waren wirklich nervenzerfetzend. Athos war kurz davor die Hände um seinen Hals zu legen und ihn zu schütteln, einfach um zu sehen, ob die ganze Geschichte dann vielleicht aus ihm rauspurzelte. Stattdessen bohrte er seinen Daumennagel in das weiche Fleisch seiner Handfläche und sagte nur ein einzelnes, unheilschwangeres Wort: „Porthos!“

Sein Freund verzog unwillig das Gesicht. „Also gut: D’Artagnan wurde von einem Pferd ein bisschen rau behandelt. Hat eine ziemlich übel aussehende Schramme im Gesicht. Aramis meint, es sieht schlimmer aus als es ist“, beeilte Porthos sich nachzuschieben, doch Athos hörte ihm gar nicht mehr richtig zu. Das Blut rauschte in seinen Ohren, sein Herz raste, der Schweiss brach ihm aus allen Poren und sein Atem kam in schnellen, hastigen Stössen.

Der Junge…d’Artagnan!

Er schwankte. Porthos griff ihn gerade noch rechtzeitig am Arm, sonst wäre er gestürzt. Er redete mit ihm, Athos sah deutlich wie sich seine Lippen bewegten, aber er hörte nichts. Das Rauschen in seinen Ohren war zu laut und er konnte seine Gedanken einfach nicht auf Porthos‘ Worte richten. Stattdessen sah er d’Artagnan, immer nur d’Artagnan, der lebhafte, temperamentvolle Junge aus der Gascogne mit dem Herzen eines Löwen. Und dann verschwand d’Artagnans lebhaftes Gesicht. Stattdessen sah er ein anderes, vertrautes Gesicht vor sich, ein blasses, starres Gesicht mit leeren, aufgerissenen Augen, die nie mehr sehen würden.

Thomas. Tom. Bruder.

„Athos. Komm zu dir! Junge, du musst atmen! Atme, verdammt!“

Langsam tauchte Athos aus seinem Nebel auf. Porthos drückte ihn auf die hölzerne Bank. Jeglicher Schalk war aus seinem Gesicht gewichen, er blickte jetzt bitterernst und schüttelte ihn leicht. Erst jetzt wurde Athos bewusst, dass er den Atem angehalten hatte. Zitternd stiess er ihn wieder aus, während Porthos ihm beruhigend über den Rücken strich. „Geht’s wieder?“

Athos antwortete nicht. „Wo ist er?“, wollte er stattdessen wissen und stand hastig auf. Er musste zu ihm. Er musste ihn sehen. Er musste sich vergewissern, dass er lebte, dass er atmete und dass sein Herz schlug.

„In Aramis‘ Zimmer. Athos, es ist wirklich nicht so schlimm, kein Grund…“

Den Rest hörte Athos schon nicht mehr, denn er war schon aufgesprungen und hetzte die Treppen hoch. Unterwegs rannte er Tréville über den Haufen, der ihm fluchend nachbrüllte, er solle gefälligst hinsehen, wohin er laufe und wenn er nicht endlich lernte, sich ordentlich zu entschuldigen, würde er ihn dazu verdonnern sein Leben lang Ställe auszumisten. Athos beachtete ihn nicht. Alles was zählte war d’Artagnan.

Was wenn er zu spät kam? Er war schon einmal zu spät gekommen. Seinen Bruder hatte er nur noch als Leiche in den Armen halten können. Das durfte nicht wieder geschehen. Er konnte nicht zulassen, dass wieder ein junges, hoffnungsvolles Leben so früh und so sinnlos erlosch.

Als er Aramis‘ Tür aufriss, keuchend und schweissgebadet, noch immer dreckig vom langen Ritt, richteten sich zwei erschrockene Augenpaare auf ihn. Aramis sass in einem hohen Lehnstuhl, die Beine lässig übereinander geschlagen, die Stiefel ausgezogen, ein aufgeschlagenes Buch im Schoss. Und d’Artagnan lag im Bett, hatte einen sauberen Verband um den Kopf und wirkte, abgesehen von seiner bleichen Gesichtsfarbe, ziemlich gesund. Zufrieden mit sich und der Welt. 

Aramis klappte das Buch zu. „Athos. Du bist schon zurück?“

Er klang unbekümmert wie immer, aber es musste ja wahrlich viel geschehen um Aramis‘ Laune zu trüben. Athos ging gar nicht erst auf die rhetorische Frage ein, sondern trat an d’Artagnans Bett. „Was ist passiert?“, fragte er und ist für einen Moment selbst entsetzt, wie kalt und forsch seine Stimme klang. Dabei war er doch erleichtert, dass es d’Artagnan offensichtlich gut ging. Aber zugleich war er so…wütend.

„Das Pferd einer vornehmen Dame ist gestiegen, mitten in der Stadt. D’Artagnan hat es versucht zu beruhigen und dabei den Huf an den Kopf bekommen“, erklärte Aramis und fügte lachend hinzu, „die Dame war ganz ausser sich, als ihr Retter blutüberströmt zu Boden sank! Hat sich gleich einen Fetzen vom Kleid gerissen und ihn damit verbunden. Ich sollte mich auch mal vor ein nervöses Pferd werfen.“

D’Artagnan griff sich mit schmerzverzerrter Miene an den Kopf. „Glaub mir, die Kopfschmerzen sind es nicht wert.“

„Sie war sehr hübsch“, entgegnete Aramis.

„Da hatte ich nicht so viel davon. Ich war zu beschäftigt damit blutend und ohnmächtig am Boden zu liegen.“

Aramis verzog das Gesicht. „Ja, das war weniger schön. Weisst du, wenn du dich in Gegenwart von Damen Verletzungen zuziehst, solltest du darauf achten, dass dein Gesicht unbeschädigt bleibt.“

„Ich werde es mir merken.“

Athos sah fassungslos von einem zu anderen. Da sassen die beiden und machten Scherze über einen Vorfall, der gewiss alles andere als komisch sondern bitterernst war. Als hätte d’Artagnan nicht wegen einer lächerlichen heldenhaften Aktion beinahe sein Leben verloren. Als wäre d’Artagnan ein unsterblicher Romanheld und kein Bauernjunge aus Fleisch und Blut, der gewiss noch zu jung war um die Erfüllung seines Schicksals auf den schmutzigen Strassen von Paris zu finden.

„Seid ihr völlig übergeschnappt?“, fragte Athos, leise aber mit unüberhörbarer Schärfe.

Aramis hörte sofort auf zu grinsen. „Athos“, begann er und stand auf, doch dieser war nicht in Stimmung für beschwichtigende Worte. Er wollte sich nicht beruhigen, er wollte seiner Wut freien Lauf lassen, sonst würde er an ihr ersticken. Aber er war nicht einmal zornig auf Aramis. Von diesem war er sich solchen Blödsinn gewöhnt und er war ein erfahrener Soldat, der trotz allen Wagemuts die Risiken meist richtig einzuschätzen wusste.

Im Gegensatz zu d’Artagnan, der zwar ein tapferer Bursche und sehr gewandt mit dem Degen war, der aber nur mit seinem Herzen dachte und nie mit dem Kopf. Der in eine Garnison voller Musketiere stürmte, um den besten Fechter des Regiments herauszufordern, der sich brüllend in jeden Kampf warf und der die Abenteuer nicht nur genoss, sondern sogar suchte.

Wäre d’Artagnan nicht verletzt gewesen, hätte Athos ihn gepackt und geschüttelt. So aber brachte er nur sein Gesicht ganz nahe an das des Jungen und bohrte ihm seinen Zeigefinger in die Brust. „Hast du einen heimlichen Todeswunsch? Oder bist du einfach nur furchtbar dumm?“

D’Artagnan öffnete den Mund um etwas zu erwidern, doch Athos liess ihn nicht ausreden. „Sich vor ein nervöses Pferd zu werfen ist auf jeden Fall so ziemlich das Dümmste, das dir einfallen konnte! Weisst du überhaupt, was für ein Glück du hattest? Du kannst nicht alles und jeden retten, d’Artagnan. Ob du es glaubst oder nicht, es gibt so etwas wie Schicksal in dieser Welt und ein einzelner Bauernjunge wird sich nicht dagegen stemmen können!“

„Athos, jetzt beruhige dich“, fuhr Aramis ihm dazwischen, „ich verstehe, dass du dich aufregst, aber du übertreibst. D’Artagnan hat getan was jeder aufrechte Mann getan hätte. Er hat dafür Lob verdient und keinen Tadel!“

Athos liess von d’Artagnan ab, der kreidebleich geworden war. Aramis hatte die Arme drohend vor der Brust verschränkt und zeigte durch seine Körperhaltung deutlich, dass er sich keinesfalls so einfach anschreien lassen würde wie d’Artagnan. Ein Teil von Athos wollte sich bei den beiden entschuldigen, wollte sich erklären, wollte d’Artagnan zeigen, wie froh er war, dass er wieder gesund werden würde. Aber der andere, der dunkle Teil in ihm war zu stark und so packte er Aramis an den Schultern, so hart, dass dieser scharf die Luft einsog. „Verdammt noch mal, Aramis! Du solltest auf ihn Acht geben und ihm nicht deine schlechte Angewohnheiten lehren. Wenn du dir den Hals brechen willst, dann tu es, aber lass d’Artagnan aus dem Spiel! Wir tragen Verantwortung…“

„Ich bin kein Kind“, sagte d’Artagnan mit leiser, aber dennoch fester Stimme, „ich entscheide selbst, was ich tue und lasse.“

Athos sah ihn an, diesen dunkelhaarigen, hübschen Jungen mit den braunen Augen, in die nach dem Tod seines Vaters ein melancholischer Ausdruck getreten war. Junge? Nein, das war eigentlich ein Mann, ein erwachsener Mann, der sich gut zu verteidigen wusste. Athos jedoch hatte schon einmal jemanden gekannt – jemanden geliebt – der geglaubt hatte, erwachsen zu sein und dann versucht hatte Dinge zu stemmen, die zu gross für ihn waren.

Auf einmal ertrug es Athos nicht mehr. Aramis‘ vorwurfsvoller Blick, d’Artagnans fassungsloses Gesicht, die Erinnerungen die auf ihn niederprasselten wie schwere, kalte Regentropfen…Er liess Aramis los, drehte sich um und rannte aus der Tür, als werde er vom Teufel persönlich gehetzt. Und dabei dachte er immer, immer wieder an Toms Gesicht, an seine grünen Augen, an die Art, wie er den Kopf in den Nacken legte, wenn er aus dem ganzen Herzen lachte.

Tom. Mein kleiner Bruder.

Nein. Mein toter Bruder.

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„Darf ich mich zu dir setzen oder ziehst du es vor, dass ich stehen bleibe, damit du mich besser anschreien kannst?“

Athos löste den Blick aus den Tiefen seines Bierkruges. Ihm gegenüber, schwer auf die Lehne des Stuhls gestützt, stand Aramis. Er wirkte unbefangen, aber Athos entging nicht, dass Aramis‘ Fingerknöchel weiss anliefen, so fest klammerte er sich an die Lehne. Er war wie eine Katze, jederzeit zum Sprung bereit.

„Wenn du dich so nach meiner Gesellschaf sehnst, darfst du dich selbstverständlich setzen“, sagte Athos. Seine Zunge war schon etwas schwer vom Alkohol, aber unglücklicherweise war er noch nicht betrunken genug, um seinen heftigen Ausbruch verdrängen zu können.

Aramis setzte sich rittlings auf den Stuhl und liess das Kinn auf der Lehne ruhen. Jeder andere hätte albern ausgesehen, aber bei ihm sah selbst das so graziös und elegant aus, dass das vorbeieilende Schankmädchen bei seinem Anblick einen lauten Seufzer hören liess. Ganz entgegen seiner Natur ging Aramis nicht auf sie ein. Stattdessen fragte er behutsam: „Willst du mir sagen, was das eben sollte? Oder soll ich einfach raten?“

„Was meinst du?“, fragte Athos bockig.

„Was ich meine… hm, lass mich überlegen, was war denn das…“ Aramis zog die Stirn in gespielt nachdenkliche Falten, „ach ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Du bist in mein Zimmer gestürmt und hast dem übel zugerichteten d’Artagnan – und auch mir, nebenbei bemerkt – ein paar ziemlich hässliche Sachen an den Kopf geworfen. Wenn du mir deine Gründe nicht nennen willst, kann ich damit leben. D’Artagnan hingegen verdient eine Erklärung. Du hast ihn ganz schön erschreckt.“

Das vertraute Gefühl der Schuld und der Scham ballte sich in ihm zusammen. Er erinnerte sich an den verletzten und verwirrten Ausdruck auf d’Artagnans Gesicht. Zugleich fühlte er wieder diesen furchtbaren Zorn, der sich wie Flammen in ihm hochkämpfte. Dieser dumme Junge! „Er ist so…rücksichtslos gegen sich selbst.“

Aramis zog die Augenbrauen hoch. „Du weisst schon, dass das aus deinem Mund eine ziemlich ironische Bemerkung ist?“

Athos funkelte ihn an. „Ich kann die Risiken für mich selber sehr gut einschätzen!“

„Sagt der Mann, der vor ein paar Monaten in ein brennendes Haus gestürmt ist…“

„Nicht zu meinen Vergnügen, sondern um ein Kind zu retten!“

„Ja, und danach bist du wochenlang im Krankenbett gelegen, während Porthos und ich fast den Verstand verloren haben, vor Sorge um dich. Genauso wie du eben fast den Verstand verloren hast, als du von d’Artagnans Verletzung erfahren hast.“

„Worauf willst du eigentlich hinaus?“

Aramis griff über den Tisch nach Athos‘ Händen. Eigentlich mochte Athos es nie besonders, wenn man ihn anfasste, aber Aramis war ein Mensch, der Berührungen suchte, genau wie Porthos. Und irgendeinmal hatte er gelernt sie zu akzeptieren. Jetzt hatten Aramis‘ warme Finger um die seinen etwas merkwürdig Beruhigendes. „Athos, es ist nichts Schlimmes dabei, dass du dich um d’Artagnan sorgst. Es ist auch nichts Schlimmes dabei, wenn du dich benimmst wie eine Bärenmutter, die gerade ihr Junges verloren hat. Schlimm ist es erst, wenn du es ihm nicht sagst oder zumindest zeigst.

„Was soll ich sagen oder zeigen?“

Aramis‘ braune Augen blickten voller Wärme. „Dass du es nicht ertragen könntest, ihn zu verlieren.“

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Aus Aramis‘ Mund hatte das alles so einfach geklungen. „Sag ihm einfach: d’Artagnan, verzeih mir, dass ich mich so daneben benommen habe, aber als ich gehört habe, dass du verletzt bist, habe ich das Schlimmste befürchtet. Und allein der Gedanke, dass du nicht mehr da sein könntest, hat mir Angst gemacht.“ Irgendwie hatte Athos das Gefühl, dass sein Freund diese Sätze ziemlich oft sagte, zu jeweils wechselnden Schönheiten, aber dennoch waren die Worte passend.

Aber als Athos an d’Artagnans Bett stand, waren die mühsam eingetrichterte Sätze alle fort. Wort – und ratlos sah er auf den tief schlafenden Gascogner, der sich so sehr in seine Decke verwickelt hatte, dass es aussah als hätte er einen harten Kampf mit ihr ausgestanden. Der Verband um seinen Kopf erschreckte Athos noch immer und unwillkürlich legte er seine Fingerspitzen behutsam an d’Artagnans Schläfe.

Er erinnerte sich noch daran, dass er kurz nach Thomas‘ Geburt, nachts immer an dessen Wiege geschlichen war. Stundenlang hatte er einfach dieses kleine, hilflose Wesen mit den weichen, rosigen Wangen und dem dunklen Flaum auf den Kopf betrachtet, staunend, dass so etwas Unschuldiges in dieser Welt existieren konnte. Als seine Mutter ihn eines Nachts erwischt und gefragt hatte, was er hier mache, hatte er nur gesagt: „Ihn bewachen.“ Hätte er seine Pflicht doch nur weiterhin so ernst genommen.

D’Artagnan schlug so unvermittelt die Augen auf, dass Athos vor Schreck zurückwich. Das war aber nichts gegen d’Artagnans Reaktion. Er schoss in die Höhe und griff instinktiv an seine Seite um einen Degen zu ziehen, der dort nicht hing. Als er Athos erkannte, stiess er erleichtert die Luft aus. „Athos! Hast du eine Ahnung wie verdammt angsteinflössend es ist aufzuwachen und jemand starrt dich an, als wolle er dir im nächsten Moment einen Dolch ins Herz rammen?“

„Ich habe keinen Dolch, wenn es dich beruhigt.“

D’Artagnan liess den Kopf zurück auf die Kissen sinken. „Wenn du wieder anfangen willst rumzubrüllen, muss ich dich bitten zu gehen. Ich habe furchtbare Kopfschmerzen.“

Wider Willen musste Athos schmunzeln. „Die kommen allerdings nicht von meiner lieblichen Stimme.“

„Ja, aber geholfen hat es auch nicht wirklich.“

Jetzt wäre der Moment gekommen sich zu entschuldigen. Dennoch blieb Athos lange stumm. Er dachte an Thomas, den er geliebt und verloren hatte. Er dachte an Aramis und Porthos, diese beiden Idioten, die seine Brüder waren, die zwar gut auf sich aufpassen konnten, bei denen er aber trotzdem immer das Gefühl hatte, dass er sie beschützen musste. Und jetzt war da d’Artagnan, der einfach so in sein Leben geplatzt war, der in ihm dasselbe Gefühl auslöste wie einst der neugeborene Thomas: Glück, gepaart mit der furchtbaren Angst es wieder zu verlieren.

Er nahm d’Artagnans Hand in die seine. „Du musst besser auf Acht geben, d’Artagnan.“

D’Artagnan lächelte ihn an. „Wieso? Das tust du doch für mich!“

Und all die schönen Worte, die Aramis ihm eingetrichtert hatte, blieben ungesagt. Denn sie waren unnötig geworden.

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