Auf Messers Schneide von Petalwing 

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Kapitel Little Black Kiss

Kapitel 2 – Little Black Kiss

Der Bouquet Deines noblen Blutes ist noch besser als ich es mir vorgestellt habe. Du schmeckst himmlisch, jeder Deiner kräftigen Herzschläge versetzt mich in eine Euphorie. Dein Blut ist das Beste, das ich seit langer Zeit gekostet habe. Hätte ich noch Zweifel an Deiner Eignung für den Kuss besessen, spätestens jetzt währen sie in dem köstlichen Strom Deiner lebendigen Essenz hinweggeflossen. Nicht nur wegen einer klangvollen Ahnenreihe, sondern weil Du die Verkörperung der Ritterlichkeit bist, die Seele eines Parsifal im Leib eines Sir Lanzelot. Ich trinke weiter und beginne, mich in der Wärme Deines Fleisches zu verlieren. Gerade noch hast Du es fertig gebracht, Deine Finger in einer letzten, verzweifelten Abwehr in meine Schultern zu krallen, dann sinkst du dahin, verfällst, wie alle Sterblichen, der süßen Hingabe des Trinkens. Dein Widerstand löst sich unter der Berührung meiner Lippen in lustvolle Ekstase auf. Obwohl mich nichts so leicht aus der Fassung bringt, bin ich mittlerweile beinahe genauso berückt wie du. Ich fürchte, ich entwickle eine Obsession. Aber ich kann nicht behaupten, dass mein Instinkt mich nicht gewarnt hätte, doch warst Du vorbestimmt, mir zu begegnen und so haben wir wohl beide in dieser Frage keine Wahl. Haben sie nie gehabt. Ein Seufzer entringt sich Deiner Brust, Dein Herzschlag wird langsamer, als die Lebenskraft abnimmt. Nur unter Aufbietung all meiner Willenskraft reiße ich mich von Dir los, bevor es zu spät ist und ich Dich töte, ohne die Umwandlung vorbereitet zu haben. Ich muss Dich an die Schwelle führen, darf Dich aber noch nicht hindurchstoßen. Ich vermisse jetzt bereits die Wärme Deines Körpers, die flaumweiche Berührung Deiner Seele, die mich während des Trinkens streifte. Du liegst bewusstlos in meinen Armen, hielte ich Dich nicht umschlungen, Du glittest einfach zu Boden wie eine verstörte Jungfer. Ich muss über den Vergleich lächeln, er ist gar nicht so weit hergeholt, denn ich werde Dir heute einen Teil der Unschuld nehmen, die nur den Sterblichen zu Eigen ist und allein der seligen Unwissenheit entspringt. Vorsichtig trage ich Dich zu Deinem Sessel und lege Dich nieder.
Für das, was ich hier tue, kann ich keine Zeugen brauchen. Also vergewissere ich mich kurz, dass Dein Atem zwar flach, aber stabil ist, dann verlässt meine Aufmerksamkeit für einen Augenblick den Raum und wendet sich den Sterblichen zu, die nur durch wenige Wände von uns getrennt sind. Ich nutze eine Paradedisziplin unseres Clans, die in meinen Kreisen „Präsenz“ genannt wird und erzeuge bei den Sterblichen ein gewisses Unwohlsein, die dunkle Ahnung einer Bedrohung. Dein Diener liegt zitternd unter dem Bett, er presst die Finger in die Ohren und jetzt, da es still ist, kann ich sogar sein Wimmern hören. Er hat ein bisschen zuviel wahrgenommen, ich werde ihn wohl später vergessen lassen müssen. Deine Wirtin und ihrer Familie suggeriere ich, dass es besser wäre, einen kleinen Abendspaziergang zu machen. Auch die Nachbarn packt eine unbestimmte Furcht, vielleicht vor dem plötzlichen Auftauchen von Ordnungshütern, und schnell schließen sich die umliegenden Fensterläden. Solcherart zufriedengestellt wende ich mich wieder Dir zu.
Du bist sehr schwach, es wird Zeit. Ich ziehe deinen edlen Degen, der achtlos auf den abgenutzten Dielen liegt, zu mir heran und ritze mein Handgelenk. Dann presse ich die entstandene Wunde auf Deine bleichen Lippen. Sobald der erste Tropfen in Deinen Mund gleitet, setzt der uralte Instinkt ein, der Dich von nun an immer begleiten soll und Du beginnst zu trinken. Gut. Wieder entsteht in mir die bekannte Euphorie, doch diesmal sind unsere Rollen vertauscht. Du kannst mich spüren, nimmst meine Kraft und meinen Gedanken in Dich auf. Sofort belebt Dich die Macht des Blutes, dem Du bald schon mehr alles allem anderen verpflichtet sein wirst. Du trinkst, bist in Trance, packst meine Hand und ziehst meinen Unterarm noch näher zu Dir heran. Gut so. Leider muss ich Dich schon nach einigen Sekunden unterbrechen. Ich weiß, Du würdest gern in Ewigkeit so weitermachen, aber die Ewigkeit ist noch lang genug. Zuviel von meinem Blut, und Du wirst nicht sterben, wie du es musst, um den letzten Akt dieses berauschenden Rituals zu vollziehen.
Du bist immer noch tief erschöpft. Ich beuge mich zu Dir und helfe noch ein wenig nach, bis Deine Kraft endgültig erstirbt. Meine Gabe hat Dich zwar gestärkt, aber Deine sterbliche Hülle kapituliert. Die ersten Krämpfe schütteln Dich, als der Kampf beginnt. Es sind die widerwärtigsten und zugleich die letzten, die Du je erfahren wirst. Der Schmerz reißt Dich aus der Benommenheit, schleudert Dich jäh zurück in eine sehr unangenehme Gegenwart. Ich kann Deine Panik beinahe riechen und ich verstehe sie nur allzu gut. Ich habe damals nicht anders empfunden, als ich in Deiner Stelle war. Du blickst mich verstört an, und fasst Dir an die Kehle. Deine Hand verkrampft sich, bevor sie ihr Ziel erreicht.
"Was geschieht mit mir?" röchelst Du. Ich streiche Dir vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht, aber ich kann es Dir leider nicht erleichtern. "Du stirbst gerade."
Du blinzelst benommen, aber anscheinend hast Du mich verstanden. Noch einmal stemmst Du Dich mit aller Macht gegen das Unvermeidliche. Du richtest Dich halb auf, obwohl Dir Dein Körper längst nicht mehr gehorchen will. Deine letzten Worte lassen mich hell auflachen.
"Nicht- nicht auf einer Chaiselongue..."
Soviel Sturheit ist unbezahlbar.
Dann sinkst Du zurück und liegst regungslos. Ich konstatiere, Du bist jetzt offiziell tot. Meinen Glückwunsch. Willkommen in der alten Welt.

...

Es vergeht vielleicht eine Stunde bis Du dich langsam regst. Ich habe auf dem Sessel Dir gegenüber Platz genommen und beobachte Dich unablässig. Endlich habe ich einmal Gelegenheit, Dich in Ruhe aus der Nähe zu betrachten. Ich präge mir jede Eigenschaft Deines Gesichtes ein. Die gerade Nase, die Andeutung jenes melancholischen Zuges um Deinen Mund, der bereits in Deiner ansonsten glatten Haut erste Spuren hinterlassen hat. Auf einmal schlägst Du die Augen auf und siehst sich benommen um. Du erkennst eine schwarze Gestalt, blinzelst, bis meine Konturen klarer werden und Deine Erinnerung zurückkehrt. An Deinen Zügen kann ich förmlich ablesen, wie sich das eben Erlebte Stück für Stück in Deinem Kopf zusammenfügt. Deine Verwirrung wandelt sich in Unglauben, dann Bestürzung und schließlich grenzenlose Verwunderung. Du blickst an Dir herab. Siehst die Welt mit andere Augen, beginnst langsam, einige Unterschiede in deinen Empfindungen wahrzunehmen. Du atmest noch. Obwohl Du nicht musst, aber das tun die meisten von uns. Ich auch. Das ist einfach Gewohnheit und außerdem notwendig, wenn wir uns in Gegenwart Sterblicher bewegen, um die Maskerade aufrecht zu erhalten. Die Maskerade, und ihre Mechanismen, das alles wirst Du jetzt lernen müssen und verinnerlichen, wenn Du überleben willst. Aber ich werde da sein, und Dich leiten, so wie eine Mutter ihr Kind führt, das seine ersten unsicheren Schritte macht. Vielmehr bist Du auch nicht in der Welt, die jetzt Dein zu Hause sein wird. „Neugeborener“, so werden sie Dich nennen. Dein Blick schweift hin und her, zwischen mir, deinen Möbeln, Deinem Weinbecher, der immer noch unschuldig auf dem Tisch steht. Ich erkenne einen neuen Ausdruck in Deinen Augen, der mir durchaus vertraut ist, allein, Dir ist er unbekannt. Du kannst Deinen Zustand nicht deuten oder das Verlangen, das durch Deine Adern strömt. Direkt nach der Umwandlung ist es besonders stark. Aber wofür hast Du mich, Deinen Sire. Deine Vermieterin kehrt gerade zurück, die Sterbliche imponiert mir, sie weiß, wann sie gebraucht wird. Wieder sende ich meine Gedanken aus, diesmal rufe ich sie. Ohne zu wissen warum eilt sie zu mir, denn so ist es bestimmt. Wir befehlen, die Sterblichen gehorchen. Ich hören ihren leisen Schritt schon auf der Treppe. Du horchst ebenfalls auf, siehst mich fragend an. Ich werfe Dir ein strahlendes Lächeln zu. Zeit für die erste Lektion. Der Hunger und das Trinken.
Die Umwandlung hat Dich alle Kraft gekostet, die Du besitzt, die Erschöpfung manifestiert sich in einem grenzenlosen Hunger, der Dich von jetzt an wieder und wieder zwingen wird, das Blut Sterblicher aufzunehmen. Du wirst bald feststellen, wie köstliche diese Art der Nahrungsaufnahme ist, wenn Du Deine Beute mit einem gewissen Niveau auswählst. Das Mädchen ist nicht gerade die beste Wahl, sie ist zu... gewöhnlich... aber sie ist jung und gesund und wird es tun.
Der Hunger hat das Tier geweckt, sich sehe es an einem unsteten, fahlen Flackern in Deinen Augen. Höchste Zeit, dass Du Nahrung bekommst, wo bleibt nur die Beute? Da ist sie schon. Sie klopft, ich öffne und sie tritt herein. Für den Augenblick nimmt sie nur mich wahr, noch unter dem Bann meines Rufs. Gerade will ich sie ins Zimmer schieben, als ich aus den Augenwinkeln sehe, wie Du aufspringst. Oha, Du musst schlimmer dran sein, als ich dachte, das Tier hat bereits die Kontrolle übernommen. Ich stoße die Tür zu, das könnte jetzt hässlich werden und ich muss verhindern, dass jemand Dich so sieht, wie Du jetzt bist. Leider gilt das schon nicht für die Dirne, die gerade aus ihrer Trance erwacht. Du fauchst. Sie blickt auf, sieht die Fratze, die gerade Dein hübsches Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Deine Raubtierzähne sind hervorgetreten, als das Tier von Dir Besitz ergriffen hat. Sie weicht zurück, will sich zur Flucht wenden, doch da trifft sie nur auf mich und ich blockiere die Tür. Schon hast Du sie erreicht, und ich muss sagen, das ich zufrieden mit Dir bin. Ohne, dass ich es Dir erklären müsste, weißt Du was zu tun ist und gräbst Deine Zähne in das weiche Fleisch ihres Halses. Sie schreit kurz auf, doch der Schrei erstirbt, als Du zu trinken beginnst und die Sterbliche in die selige Umnachtung Deiner Berührung sinkt. Ich beobachte fasziniert, wie Du Dich an ihr labst, Du hast jetzt schon den unfehlbaren Instinkt des Jägers. Du trinkst wie ein Besessener. Obwohl ich stundenlang zusehen könnte, wie Du in deiner neuen Natur aufgehst, werde ich wohl eingreifen müssen, denn du bist drauf und dran, die Sterbliche gänzlich auszusaugen. Nicht, dass mir das etwas bedeuten würde, aber ich will nicht schon wieder eine Leiche verschwinden lassen müssen. Es ist enervierend genug, beständig hinter dem Sabbat aufräumen zu müssen. Außerdem habe ich keine Lust, Deine Schuldgefühle ertragen zu müssen, wenn Du realisierst, was Du getan hast. Also packe ich Deinen Nacken in eisernem Griff und reiße sie von Dir weg. Sofort bricht sie zusammen. Schade, dass Dein Diener noch nicht unter unserer Kontrolle steht, ich werde mich später selbst um sie kümmern müssen.
Du knurrst wütend, als ich Dir so resolut Deine Leckerei entziehe, aber Du siehst eindeutig satter aus. Trotz Deines Ärgers wagst Du es nicht, Deine Hand wider mich zu erheben, Dein Blut weiß bereits, was Dein Kopf noch nicht realisiert hat und erkennt in mir den Meister. Ein paar Tropfen in Deinem Mundwinkel zeugen noch von Deinem ersten Akt vampirischer Dominanz.
Ich kann nicht widerstehen. Ehe Du Dich versiehst, lehne ich ich vor, meine Zunge streift neckend Deine warmen Lippen als sie eine Kostprobe Deiner Mahlzeit in meinen Mund befördert. DAS holt Dich eiskalt in die Wirklichkeit zurück.
Dein Geist drängt das Tier zurück und verweist es an seinen Platz. Wider starrst Du mich an, dann das Mädchen. Du begreifst und beginnst zu zittern. Scheinbar hast Du nun doch einen Schock davon getragen. Armer kleiner Musketier. Ich zucke die Schultern. Du wirst dich schon daran gewöhnen, auch wenn Du im Augenblick nicht so aussiehst. Im Gegenteil, Dein Zittern wird stärker, sodass ich befürchte, du könntest vor Ekel das soeben getrunkene Blut wider erbrechen.
„Wagt es nicht, es abzustoßen“, zische ich ungehalten. „Oder soll das hier umsonst gewesen sein?“
Mit sichtlicher Mühe reißt Du den Blick von der zusammengekrümmten Gestalt am Boden fort und siehst mich derart gequält an, dass mich ein Hauch von Mitleid erfasst. Da es allerdings weder unserem Rang noch der Situation angemessen ist, jetzt in Sentimentalitäten zu verfallen, lege ich Dir lediglich eine Hand auf die Schulter.
„Es ist nichts geschehen, das nicht wieder gut gemacht werden könnte, also reißt Euch zusammen. Ich werde Euch alles erklären.“ Nachdem ich dieser Art meine Anteilnahme ausgedrückt und, wie ich finde, genug Trost gespendet habe, beuge ich mich zu Deiner Beute herunter und hebe sie hoch. „Wenn Ihr trinkt,“ erkläre ich angelegentlich, während ich die Bewusstlose auf einem Sessel drapiere, „dann gebt Acht, dass Ihr nie einen tötet. Auch, wenn Euch der Hunger noch so sehr treibt. Wir waten nicht in Blut und pflastern den Weg nicht mit Leichen. Bringt Ihr Einen um, dann verursacht das nicht nur Ärger mit den Sterblichen, sondern es bringt Euch dem Tier in Euch näher.“ Du reißt die Augen auf, denn Du weißt genau, wovon ich spreche. Ich nicke. „Richtig, das war das Tier. Ihr müsst lernen, es unter allen Umständen zu zügeln. Auch, wenn es Euch im Augenblick so erscheinen mag, es ist nicht Euer Feind. Wenn Ihr ums Überleben kämpfen müsst, verleiht es Euch Stärke, aber, wenn es Euch beherrscht, macht es Euch zu einer unberechenbaren Kreatur, die nur ein Ziel kennt, Tod und Zerstörung.“
Dann nehme ich mich Deines Dieners an. Du bleibst zurück bei der Sterblichen, während ich die Erinnerung an die letzten Stunden aus seinem schwachen Geist lösche und alle Sethkinder in diesem Haus in einen tiefen, ruhigen Schlaf versetze. Ich entscheide, dass die Frau noch warten kann, zuerst bringe ich Dich in meinen Haven, meine Zuflucht. Dort kannst Du zur Ruhe kommen. Ich kehre zurück ins Wohnzimmer.
„Folge mir.“
Zu meinem Erstaunen gehorchst Du ohne Widerworte. Anscheinend hast Du Dich zumindest für den Augenblick damit abgefunden, dass Du jetzt zu mir gehörst. Du folgst mir auf die Straße und hinaus in die Nacht.

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Sire= Erschaffer