Auf Messers Schneide von Petalwing
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 20 BewertungenKapitel Little Black Kiss
Kapitel 2 – Little Black Kiss
Der Bouquet Deines noblen Blutes ist noch besser als ich es mir
vorgestellt habe. Du schmeckst himmlisch, jeder Deiner kräftigen
Herzschläge versetzt mich in eine Euphorie. Dein Blut ist das
Beste, das ich seit langer Zeit gekostet habe. Hätte ich noch
Zweifel an Deiner Eignung für den Kuss besessen, spätestens jetzt
währen sie in dem köstlichen Strom Deiner lebendigen Essenz
hinweggeflossen. Nicht nur wegen einer klangvollen Ahnenreihe,
sondern weil Du die Verkörperung der Ritterlichkeit bist, die Seele
eines Parsifal im Leib eines Sir Lanzelot. Ich trinke weiter und
beginne, mich in der Wärme Deines Fleisches zu verlieren. Gerade
noch hast Du es fertig gebracht, Deine Finger in einer letzten,
verzweifelten Abwehr in meine Schultern zu krallen, dann sinkst du
dahin, verfällst, wie alle Sterblichen, der süßen Hingabe des
Trinkens. Dein Widerstand löst sich unter der Berührung meiner
Lippen in lustvolle Ekstase auf. Obwohl mich nichts so leicht aus
der Fassung bringt, bin ich mittlerweile beinahe genauso berückt
wie du. Ich fürchte, ich entwickle eine Obsession. Aber ich kann
nicht behaupten, dass mein Instinkt mich nicht gewarnt hätte, doch
warst Du vorbestimmt, mir zu begegnen und so haben wir wohl beide
in dieser Frage keine Wahl. Haben sie nie gehabt. Ein Seufzer
entringt sich Deiner Brust, Dein Herzschlag wird langsamer, als die
Lebenskraft abnimmt. Nur unter Aufbietung all meiner Willenskraft
reiße ich mich von Dir los, bevor es zu spät ist und ich Dich töte,
ohne die Umwandlung vorbereitet zu haben. Ich muss Dich an die
Schwelle führen, darf Dich aber noch nicht hindurchstoßen. Ich
vermisse jetzt bereits die Wärme Deines Körpers, die flaumweiche
Berührung Deiner Seele, die mich während des Trinkens streifte. Du
liegst bewusstlos in meinen Armen, hielte ich Dich nicht
umschlungen, Du glittest einfach zu Boden wie eine verstörte
Jungfer. Ich muss über den Vergleich lächeln, er ist gar nicht so
weit hergeholt, denn ich werde Dir heute einen Teil der Unschuld
nehmen, die nur den Sterblichen zu Eigen ist und allein der seligen
Unwissenheit entspringt. Vorsichtig trage ich Dich zu Deinem Sessel
und lege Dich nieder.
Für das, was ich hier tue, kann ich keine Zeugen brauchen. Also
vergewissere ich mich kurz, dass Dein Atem zwar flach, aber stabil
ist, dann verlässt meine Aufmerksamkeit für einen Augenblick den
Raum und wendet sich den Sterblichen zu, die nur durch wenige Wände
von uns getrennt sind. Ich nutze eine Paradedisziplin unseres
Clans, die in meinen Kreisen „Präsenz“ genannt wird und erzeuge bei
den Sterblichen ein gewisses Unwohlsein, die dunkle Ahnung einer
Bedrohung. Dein Diener liegt zitternd unter dem Bett, er presst die
Finger in die Ohren und jetzt, da es still ist, kann ich sogar sein
Wimmern hören. Er hat ein bisschen zuviel wahrgenommen, ich werde
ihn wohl später vergessen lassen müssen. Deine Wirtin und ihrer
Familie suggeriere ich, dass es besser wäre, einen kleinen
Abendspaziergang zu machen. Auch die Nachbarn packt eine
unbestimmte Furcht, vielleicht vor dem plötzlichen Auftauchen von
Ordnungshütern, und schnell schließen sich die umliegenden
Fensterläden. Solcherart zufriedengestellt wende ich mich wieder
Dir zu.
Du bist sehr schwach, es wird Zeit. Ich ziehe deinen edlen Degen,
der achtlos auf den abgenutzten Dielen liegt, zu mir heran und
ritze mein Handgelenk. Dann presse ich die entstandene Wunde auf
Deine bleichen Lippen. Sobald der erste Tropfen in Deinen Mund
gleitet, setzt der uralte Instinkt ein, der Dich von nun an immer
begleiten soll und Du beginnst zu trinken. Gut. Wieder entsteht in
mir die bekannte Euphorie, doch diesmal sind unsere Rollen
vertauscht. Du kannst mich spüren, nimmst meine Kraft und meinen
Gedanken in Dich auf. Sofort belebt Dich die Macht des Blutes, dem
Du bald schon mehr alles allem anderen verpflichtet sein wirst. Du
trinkst, bist in Trance, packst meine Hand und ziehst meinen
Unterarm noch näher zu Dir heran. Gut so. Leider muss ich Dich
schon nach einigen Sekunden unterbrechen. Ich weiß, Du würdest gern
in Ewigkeit so weitermachen, aber die Ewigkeit ist noch lang genug.
Zuviel von meinem Blut, und Du wirst nicht sterben, wie du es
musst, um den letzten Akt dieses berauschenden Rituals zu
vollziehen.
Du bist immer noch tief erschöpft. Ich beuge mich zu Dir und helfe
noch ein wenig nach, bis Deine Kraft endgültig erstirbt. Meine Gabe
hat Dich zwar gestärkt, aber Deine sterbliche Hülle kapituliert.
Die ersten Krämpfe schütteln Dich, als der Kampf beginnt. Es sind
die widerwärtigsten und zugleich die letzten, die Du je erfahren
wirst. Der Schmerz reißt Dich aus der Benommenheit, schleudert Dich
jäh zurück in eine sehr unangenehme Gegenwart. Ich kann Deine Panik
beinahe riechen und ich verstehe sie nur allzu gut. Ich habe damals
nicht anders empfunden, als ich in Deiner Stelle war. Du blickst
mich verstört an, und fasst Dir an die Kehle. Deine Hand verkrampft
sich, bevor sie ihr Ziel erreicht.
"Was geschieht mit mir?" röchelst Du. Ich streiche Dir vorsichtig
eine Haarsträhne aus dem Gesicht, aber ich kann es Dir leider nicht
erleichtern. "Du stirbst gerade."
Du blinzelst benommen, aber anscheinend hast Du mich verstanden.
Noch einmal stemmst Du Dich mit aller Macht gegen das
Unvermeidliche. Du richtest Dich halb auf, obwohl Dir Dein Körper
längst nicht mehr gehorchen will. Deine letzten Worte lassen mich
hell auflachen.
"Nicht- nicht auf einer Chaiselongue..."
Soviel Sturheit ist unbezahlbar.
Dann sinkst Du zurück und liegst regungslos. Ich konstatiere, Du
bist jetzt offiziell tot. Meinen Glückwunsch. Willkommen in der
alten Welt.
Es vergeht vielleicht eine Stunde bis Du dich langsam regst. Ich
habe auf dem Sessel Dir gegenüber Platz genommen und beobachte Dich
unablässig. Endlich habe ich einmal Gelegenheit, Dich in Ruhe aus
der Nähe zu betrachten. Ich präge mir jede Eigenschaft Deines
Gesichtes ein. Die gerade Nase, die Andeutung jenes melancholischen
Zuges um Deinen Mund, der bereits in Deiner ansonsten glatten Haut
erste Spuren hinterlassen hat. Auf einmal schlägst Du die Augen auf
und siehst sich benommen um. Du erkennst eine schwarze Gestalt,
blinzelst, bis meine Konturen klarer werden und Deine Erinnerung
zurückkehrt. An Deinen Zügen kann ich förmlich ablesen, wie sich
das eben Erlebte Stück für Stück in Deinem Kopf zusammenfügt. Deine
Verwirrung wandelt sich in Unglauben, dann Bestürzung und
schließlich grenzenlose Verwunderung. Du blickst an Dir herab.
Siehst die Welt mit andere Augen, beginnst langsam, einige
Unterschiede in deinen Empfindungen wahrzunehmen. Du atmest noch.
Obwohl Du nicht musst, aber das tun die meisten von uns. Ich auch.
Das ist einfach Gewohnheit und außerdem notwendig, wenn wir uns in
Gegenwart Sterblicher bewegen, um die Maskerade aufrecht zu
erhalten. Die Maskerade, und ihre Mechanismen, das alles wirst Du
jetzt lernen müssen und verinnerlichen, wenn Du überleben willst.
Aber ich werde da sein, und Dich leiten, so wie eine Mutter ihr
Kind führt, das seine ersten unsicheren Schritte macht. Vielmehr
bist Du auch nicht in der Welt, die jetzt Dein zu Hause sein wird.
„Neugeborener“, so werden sie Dich nennen. Dein Blick schweift hin
und her, zwischen mir, deinen Möbeln, Deinem Weinbecher, der immer
noch unschuldig auf dem Tisch steht. Ich erkenne einen neuen
Ausdruck in Deinen Augen, der mir durchaus vertraut ist, allein,
Dir ist er unbekannt. Du kannst Deinen Zustand nicht deuten oder
das Verlangen, das durch Deine Adern strömt. Direkt nach der
Umwandlung ist es besonders stark. Aber wofür hast Du mich, Deinen
Sire. Deine Vermieterin kehrt gerade zurück, die Sterbliche
imponiert mir, sie weiß, wann sie gebraucht wird. Wieder sende ich
meine Gedanken aus, diesmal rufe ich sie. Ohne zu wissen warum eilt
sie zu mir, denn so ist es bestimmt. Wir befehlen, die Sterblichen
gehorchen. Ich hören ihren leisen Schritt schon auf der Treppe. Du
horchst ebenfalls auf, siehst mich fragend an. Ich werfe Dir ein
strahlendes Lächeln zu. Zeit für die erste Lektion. Der Hunger und
das Trinken.
Die Umwandlung hat Dich alle Kraft gekostet, die Du besitzt, die
Erschöpfung manifestiert sich in einem grenzenlosen Hunger, der
Dich von jetzt an wieder und wieder zwingen wird, das Blut
Sterblicher aufzunehmen. Du wirst bald feststellen, wie köstliche
diese Art der Nahrungsaufnahme ist, wenn Du Deine Beute mit einem
gewissen Niveau auswählst. Das Mädchen ist nicht gerade die beste
Wahl, sie ist zu... gewöhnlich... aber sie ist jung und gesund und
wird es tun.
Der Hunger hat das Tier geweckt, sich sehe es an einem unsteten,
fahlen Flackern in Deinen Augen. Höchste Zeit, dass Du Nahrung
bekommst, wo bleibt nur die Beute? Da ist sie schon. Sie klopft,
ich öffne und sie tritt herein. Für den Augenblick nimmt sie nur
mich wahr, noch unter dem Bann meines Rufs. Gerade will ich sie ins
Zimmer schieben, als ich aus den Augenwinkeln sehe, wie Du
aufspringst. Oha, Du musst schlimmer dran sein, als ich dachte, das
Tier hat bereits die Kontrolle übernommen. Ich stoße die Tür zu,
das könnte jetzt hässlich werden und ich muss verhindern, dass
jemand Dich so sieht, wie Du jetzt bist. Leider gilt das schon
nicht für die Dirne, die gerade aus ihrer Trance erwacht. Du
fauchst. Sie blickt auf, sieht die Fratze, die gerade Dein hübsches
Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Deine Raubtierzähne sind
hervorgetreten, als das Tier von Dir Besitz ergriffen hat. Sie
weicht zurück, will sich zur Flucht wenden, doch da trifft sie nur
auf mich und ich blockiere die Tür. Schon hast Du sie erreicht, und
ich muss sagen, das ich zufrieden mit Dir bin. Ohne, dass ich es
Dir erklären müsste, weißt Du was zu tun ist und gräbst Deine Zähne
in das weiche Fleisch ihres Halses. Sie schreit kurz auf, doch der
Schrei erstirbt, als Du zu trinken beginnst und die Sterbliche in
die selige Umnachtung Deiner Berührung sinkt. Ich beobachte
fasziniert, wie Du Dich an ihr labst, Du hast jetzt schon den
unfehlbaren Instinkt des Jägers. Du trinkst wie ein Besessener.
Obwohl ich stundenlang zusehen könnte, wie Du in deiner neuen Natur
aufgehst, werde ich wohl eingreifen müssen, denn du bist drauf und
dran, die Sterbliche gänzlich auszusaugen. Nicht, dass mir das
etwas bedeuten würde, aber ich will nicht schon wieder eine Leiche
verschwinden lassen müssen. Es ist enervierend genug, beständig
hinter dem Sabbat aufräumen zu müssen. Außerdem habe ich keine
Lust, Deine Schuldgefühle ertragen zu müssen, wenn Du realisierst,
was Du getan hast. Also packe ich Deinen Nacken in eisernem Griff
und reiße sie von Dir weg. Sofort bricht sie zusammen. Schade, dass
Dein Diener noch nicht unter unserer Kontrolle steht, ich werde
mich später selbst um sie kümmern müssen.
Du knurrst wütend, als ich Dir so resolut Deine Leckerei entziehe,
aber Du siehst eindeutig satter aus. Trotz Deines Ärgers wagst Du
es nicht, Deine Hand wider mich zu erheben, Dein Blut weiß bereits,
was Dein Kopf noch nicht realisiert hat und erkennt in mir den
Meister. Ein paar Tropfen in Deinem Mundwinkel zeugen noch von
Deinem ersten Akt vampirischer Dominanz.
Ich kann nicht widerstehen. Ehe Du Dich versiehst, lehne ich ich
vor, meine Zunge streift neckend Deine warmen Lippen als sie eine
Kostprobe Deiner Mahlzeit in meinen Mund befördert. DAS holt Dich
eiskalt in die Wirklichkeit zurück.
Dein Geist drängt das Tier zurück und verweist es an seinen Platz.
Wider starrst Du mich an, dann das Mädchen. Du begreifst und
beginnst zu zittern. Scheinbar hast Du nun doch einen Schock davon
getragen. Armer kleiner Musketier. Ich zucke die Schultern. Du
wirst dich schon daran gewöhnen, auch wenn Du im Augenblick nicht
so aussiehst. Im Gegenteil, Dein Zittern wird stärker, sodass ich
befürchte, du könntest vor Ekel das soeben getrunkene Blut wider
erbrechen.
„Wagt es nicht, es abzustoßen“, zische ich ungehalten. „Oder soll
das hier umsonst gewesen sein?“
Mit sichtlicher Mühe reißt Du den Blick von der zusammengekrümmten
Gestalt am Boden fort und siehst mich derart gequält an, dass mich
ein Hauch von Mitleid erfasst. Da es allerdings weder unserem Rang
noch der Situation angemessen ist, jetzt in Sentimentalitäten zu
verfallen, lege ich Dir lediglich eine Hand auf die Schulter.
„Es ist nichts geschehen, das nicht wieder gut gemacht werden
könnte, also reißt Euch zusammen. Ich werde Euch alles erklären.“
Nachdem ich dieser Art meine Anteilnahme ausgedrückt und, wie ich
finde, genug Trost gespendet habe, beuge ich mich zu Deiner Beute
herunter und hebe sie hoch. „Wenn Ihr trinkt,“ erkläre ich
angelegentlich, während ich die Bewusstlose auf einem Sessel
drapiere, „dann gebt Acht, dass Ihr nie einen tötet. Auch, wenn
Euch der Hunger noch so sehr treibt. Wir waten nicht in Blut und
pflastern den Weg nicht mit Leichen. Bringt Ihr Einen um, dann
verursacht das nicht nur Ärger mit den Sterblichen, sondern es
bringt Euch dem Tier in Euch näher.“ Du reißt die Augen auf, denn
Du weißt genau, wovon ich spreche. Ich nicke. „Richtig, das war das
Tier. Ihr müsst lernen, es unter allen Umständen zu zügeln. Auch,
wenn es Euch im Augenblick so erscheinen mag, es ist nicht Euer
Feind. Wenn Ihr ums Überleben kämpfen müsst, verleiht es Euch
Stärke, aber, wenn es Euch beherrscht, macht es Euch zu einer
unberechenbaren Kreatur, die nur ein Ziel kennt, Tod und
Zerstörung.“
Dann nehme ich mich Deines Dieners an. Du bleibst zurück bei der
Sterblichen, während ich die Erinnerung an die letzten Stunden aus
seinem schwachen Geist lösche und alle Sethkinder in diesem Haus in
einen tiefen, ruhigen Schlaf versetze. Ich entscheide, dass die
Frau noch warten kann, zuerst bringe ich Dich in meinen Haven,
meine Zuflucht. Dort kannst Du zur Ruhe kommen. Ich kehre zurück
ins Wohnzimmer.
„Folge mir.“
Zu meinem Erstaunen gehorchst Du ohne Widerworte. Anscheinend hast
Du Dich zumindest für den Augenblick damit abgefunden, dass Du
jetzt zu mir gehörst. Du folgst mir auf die Straße und hinaus in
die Nacht.
--
Sire= Erschaffer