Der Pakt des Lucifer von sarah 

  Durchschnittliche Wertung: 4, basierend auf 5 Bewertungen

Kapitel Die Diplomatie des Kardinals

Über einen Stapel Papiere gebeugt, hatte Seine Eminenz der Kardinal de Richelieu seinen Kopf auf beide Hände aufgestützt. Es war acht Uhr in der Frühe und er hatte die ganze Nacht durchgearbeitet. Ob der fehlende Schlaf oder die Mitteilung, die er gerade durchging, der Grund für die Kopfschmerzen seines Herrn waren, konnte Rochefort nicht sagen. Gekrümmt und übermüdet wie er dort saß, hätte jemand, der den Kardinal nicht so lange kannte wie er selbst, in dieser mitleiderregenden Kreatur wohl kaum den mächtigsten Mann Frankreichs vermutet. Rochefort jedoch hatte die Erfahrung gemacht, dass gerade die scheinbare Verletzbarkeit, mit der Seine Eminenz seine Gegner zu täuschten vermochte, ihn stark gemacht hatte.
Rochefort war kein Mensch, der sich von Gefühlen leiten ließ. Der Kardinal war sein Dienstherr, nichts weiter: ein kluger Stratege und ein weitsichtiger Staatsmann, ebenso wie ein erbarmungsloser Richter und machthungriger Befehlshaber. Und doch empfand der Chevalier dann und wann etwas wie Bewunderung für diesen Menschen, der mit einem einzigen kühlen Blick, der gerade durch seine nichtssagende Art an Aussagekraft gewann, seine Überlegenheit auszudrücken vermochte.
Als Seine Eminenz sich schließlich dazu herabließ zu Rochefort aufzublicken, nachdem dieser eine Viertelstunde lang reglos vor dessen Arbeitstisch verharrt hatte, war es eben jener Blick, der den des Chevaliers traf. Wortlos überreichte der Kardinal seinem Stallmeister ein Schreiben.
„Was ist das?“
„Ein Haftbefehl.“
Rochefort überflog das Papier. „Die Marquise de Rambouillet?“
„Ich weiß, Verhaftungen sind für gewöhnlich Sache des Leutnants meiner Gardisten.“ Ironisch zog der Kardinal die Mundwinkel herab, „Da mir dieser jedoch seit letzter Nacht abhanden gekommen ist, müsst Ihr Euch um diese Angelegenheit kümmern, Rochefort.“ Und indem er sich erhob und ans Fenster trat fuhr er fort: „Es hat einen neuen Mordfall in Saint-Eustache gegeben. Die Duchesse du Val de Cy. Der Küster fand sie heute Morgen. Es besteht kein Zweifel, dass es sich um den gleichen Täter wie bei du Lû handelt. Es muss ein Schuldiger gefunden werden, bevor diese Sache an die große Glocke gehängt wird. Das Volk glaubt an eine Teufelsverschwörung, einen Hexenzirkel. Wir wollen es in diesem Glauben lassen. Sorgt also dafür, dass außer der Marquise noch ein paar Mittäter verhaftet werden. Und kümmert Euch darum, dass sich unter den Ketzern Montmorency, Voiture und alle anderen Anhänger Gastons d‘Orléans befinden. Wie ihr die Beweise für ihre Schuld beschafft, das überlasse ich Eurem Erfindungsreichtum. Bringt hier im Kardinalspalais unter. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass sich die Heilige Inquisition dem Fall annimmt. Morgen werden zwei Mönche mit dem Verhör beginnen. “
Rochefort zeigte keine Gefühlsregung, doch den scharfen Augen des Kardinals entging nicht die leichte Stirnfalte, die sich zwischen seinen Augen bildete. Die Marquise des Mordes zu bezichtigen und unschuldig einsperren zu lassen, weil man sie aus politischen Gründen aus dem Weg schaffen wollte, war eine Ungerechtigkeit, nun gut. C’est la vie. Sie jedoch als Hexe vor ein Inquisitorengericht zu stellen, kam einem Verbrechen gleich: Inquisitoren waren nicht gerade dafür bekannt sonderlich sensibel zu sein, wenn es darum ging ein Geständnis zu erpressen. Und wer erst einmal gestanden hatte mit dem Teufel im Bunde zu sein, der landete in aller Regel auf dem Scheiterhaufen...
„Verzeiht, Monseigneur, aber...“ Rochefort zögerte. „Würde es nicht ebenso die Sicherheit des Königs und Eurer Eminenz gewährleisten, wenn man sich damit begnügte die Genannten vor ein weltliches Gericht zu stellen?“
Richelieu sah seinen Stallmeister an, als überlege er, ob er es seinem Ehrgefühl zumuten könne, auf eine solch einfältige Frage eine Antwort zu geben.
„Rochefort,“ ließ er sich schließlich zu einer Erwiderung herab, „Hier geht es nicht um meine Sicherheit und auch nicht um die des Königs. Es geht um die Erhaltung des Systems. Wenn das Volk miterlebt, wie in aller Öffentlichkeit zwei mysteriöse Mordfälle im Namen des Teufels begangen werden ohne dass es dem König, der seine Herrschaft auf seine Berufung durch Gott stützt, möglich ist einen Schuldigen festzunehmen und angemessen zu bestrafen, so wird es anfangen an beiden, an seinem König und an seinem Gott, zu zweifeln. Zweifel jedoch ist der gefährlichste Gegner der Herrschenden in einer Zeit, in der der Mensch aufhört zu glauben und anfängt zu denken. Ja, in einer Zeit, in der die Erde beginnt sich zu bewegen und mit ihr das Denkvermögen des gemeinen Volkes, sollten wir dem Zweifel nicht noch zusätzlich Raum geben sich auszubreiten!“
„Nun Monseigneur,“ wagte Rochefort mit undurchdringlicher Miene zu bedenken zu geben, „Macht sich der König, wenn die Lucifer-Mordserie fortgeführt wird, nachdem er die angeblich Schuldige vernichtet hat, nicht erst recht unglaubwürdig? Denn warum sollte der wirkliche Mörder von Saint-Eustache aufhören zu morden, wenn die Marquise vernichtet worden ist?“
Ein hauchdünnes Lächeln umspielte die Lippen des Kardinals.
„Weil es genau das ist, worauf er es abgesehen hat.“
„Ihr meint, dass es diesem Menschen darum ging, die Marquise zu kompromittieren?“ Erstaunt hob Rochefort den Blick, „Dass sein gesamtes Schauspiel dem einzigen Zweck diente, sein eigentliches Opfer auf den Scheiterhaufen zu bringen?“
„Wie sonst erklärt Ihr Euch, dass am Tatort ein Taschentuch mit dem Wappen der Dame gefunden wurde? Entweder es versucht jemand die Marquise als Hexe und Mörderin hinzustellen oder sie ist es tatsächlich. In beiden Fällen werden die Morde aufhören, sobald sie verhaftet ist.“
Rochefort musste sich selbst eingestehen, dass er auf diese Argumentation nichts zu erwidern wusste. Was jedoch weniger daran lag, dass sie ihn überzeugt hätte, als daran, dass ihn die Skrupellosigkeit des Kardinals, der sich nicht scheute die Wünsche eines mordenden Wahnsinnigen zu erfüllen, um eine Frau, die eine mögliche Gefahrenquelle darstellte, auszuschalten, für einen Moment sprachlos machte. Richelieu schien seine Gedanken zu erraten.
„Nennt es meinetwegen Zusammenarbeit mit einem Verbrecher, ich nenne es Diplomatie.“ Mit diesen Worten beugte er sich erneut über seinen Schreibtisch, um sich seiner Arbeit zu widmen und Rochefort zu verstehen zu geben, dass er die Diskussion als beendet betrachtete.
Dieser neigte den Kopf etwas weniger tief als er es für gewöhnlich tat und verließ das Arbeitszimmer seines Dienstherrn.
Mit nachdenklicher Miene trat er kurz darauf aus dem Kardinalspalais.