Der Pakt des Lucifer von sarah 

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Kapitel Das dritte Opfer

D’Artagnan hämmerte mit den Fäusten gegen Athos‘ Wohnungstür. Endlich wurde sie einen Spalt breit geöffnet und Grimaud lugte hinter ihr hervor. Als er d’Artagnan und Porthos erkannte, schwand das Misstrauen aus seinem Blick, und er ließ die Freunde ein.
D’Artagnan stürmte in die Wohnung, wobei er den verwunderten Diener beiseite schob und sich mit gehetztem Blick im Zimmer umsah.
„Grimaud, wo ist Athos?“
„Fort.“
Porthos warf d’Artagnan einen besorgten Blick zu und trat fast drohend auf Grimaud zu.
„Was soll das heißen, fort? Wohin ist er gegangen?“
Der Diener zuckte mit den Schultern.
„War jemand hier?“
Auch d’Artagnan war näher an Grimaud herangetreten, der, von zwei Seiten belagert, verwirrt an die Wand zurück wich.
„Ja.“
„Ja, und wer, zum Teufel?“ D’Artagnans Stimme überschlug sich. Grob packte er den wortkargen Diener bei den Schultern und rüttelte ihn, als wolle er die Worte aus ihm heraus schütteln.
„Ein... ein Fremder, ...er trug eine schwarze Kutte...“
D’Artagnan stieß einen Schrei aus und ließ von Grimaud ab. Sein Blick fiel auf die beiden halbvollen Weingläser, die auf dem Tisch standen.
Wenn das reiner Anjou-Wein ist, dann hol mich der Teufel!
„Er war hier! Wir sind zu spät gekommen, Porthos!“
Die hohen düsteren Pfeiler. Ihre schwarzen Schatten auf dem grau-kalten Mamorboden. Schatten, die uns folgen, unheilverkündende Schatten. Das Dröhnen in unseren Köpfen, lauter als das Geräusch unser Schritte in dem widerhallenden Raum. Seltsame Muster, die das Mondlicht auf den Boden wirft. Formen und Farben. Sinnlos. Verwirrend. Unser Atem weiß vor unseren Gesichtern. Kälte.
Noch nie in seinem Leben war d’Artagnan ein Weg länger vorgekommen als der Gang durch den Langbau der Kirche von Saint-Eustache. Seine Beine waren schwer wie Eisen und gleichzeitig so weich, dass sie unter seinem Gewicht nachzugeben drohten.
Dann der Altarraum.
Er schläft!
Athos‘ Gesicht schimmerte weiß-bläulich im Mondschein. Die Augen waren geschlossen. Die Hände ruhten weiß und schön auf dem schwarzen Untergrund. Wären die Umstände nicht so traurig gewesen, man hätte den Anblick als schön beschreiben mögen. Friedlich. Ewig. Unantastbar. Wie ein Gemälde.
Er schläft!
Porthos ließ sich auf die Knie sinken. Er, ein Koloss von einem Mann, ein Titan, ein Riese, begann hemmungslos zu weinen. D’Artagnan stand neben ihm. Unfähig sich zu rühren. Unfähig zu begreifen. Unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Bilder kamen ihm in den Sinn. Szenen aus seiner Zeit mit Athos. Zusammenhanglos... Ihre erste Begegnung... Athos, wie er über ein Glas Wein gebeugt in einem abgedunkelten Raum sitzt... Athos beim Duell... Athos, wie er d’Artagnan seine Geschichte erzählt, damals in Amiens... Athos mit der Fahne in der Hand auf der Bastei Saint-Gervais... Athos wie ein Vater, im Kloster von Béthune, wie er die Schultern des verzweifelten d’Artagnan umfasst...
„Wer immer das getan hat, er wird hängen!“
D’Artagnans Atem ging stoßweise. Sein Gesicht: bleicher als das des Opfers. Seine Hände: zu Fäusten geballt. Seine Augen: rot gerändert und sein Blick glühend. Porthos blickte zu ihm auf und erschauerte.
Abrupt wandte der Musketier den Kopf. Aus den Augenwinkeln hatte er eine Bewegung wahrgenommen. Gerade noch sah er eine Gestalt in einem langen Kleid, eine Frau, die durch den Seiteneingang der Kirche verschwand. D’Artagnan stürzte ihr nach.
Die Kutsche der Marquise stand vor der Kirche. Gerade als die Dame keuchend den Türschlag öffnete, um darin zu verschwinden, holte d’Artagnan sie ein.
„Diesmal entkommt Ihr mir nicht!“
Grob riss er sie zu sich herum.
„Die Marquise!“
Schwer atmend blickte Catherine de Rambouillet in das von Schmerz und Verzweiflung gezeichnete Gesicht des Racheengels, den sie vor sich sah. Sekundenlang gelang es ihr dem rasenden Blick d’Artagnans standzuhalten, bevor sie den Kopf senkte.
„WARUM? Ich hielt euch für unschuldig! Ich hätte es besser wissen müssen!“ Den Arm der Marquise fest umklammernd sprang d’Artagnan in die Kutsche, zog die Decke von den Sitzbänken, holte das kleine Schmuckkästchen hervor und warf es Catherine vor die Füße, sodass der Deckel herabfiel und die kleinen Giftfläschchen herausfielen.
„Habt Ihr damit den Wein des Grafen de la Fère versüßt? Ihr und Euer Liebhaber! Auch ihn werde ich kriegen! Hexe! Warum! Sagt mir warum!“
Einen Moment lang war die Marquise versucht dem verzweifelten Musketier die Wahrheit zu sagen. Man hatte Ihr gesagt, dass er ein Freund des Opfers war. Doch wie hätte sie diesen Schmerz, diesen Wahnsinn vorausahnen können? Sie wollte sprechen, doch kein Wort kam über ihre Lippen. D’Artagnans Griff um ihre Arme verstärkte sich.
„Er hat mein Werk... vervollständigt.“
Hätte der Schmerz d’Artagnans Blick nicht verklärt, so hätte er vielleicht die Tränen in den Augen der Marquise erkannt. Tränen des Mitleids, die ihre Worte Lügen straften. So jedoch hielt der Verzweifelte das Glänzen ihrer Augen für ein Zeichen ihres Fanatismus. Sie war dem Teufel verfallen. Eine Wahnsinnige.
„Mörderin!“
Ein Faustschlag traf Catherines Wange. Es folgte ein dumpfer Schlag, als sie mit dem Kopf gegen die Kutschenwand schlug und lautlos in sich zusammensackte. D’Artagnan riss seinen Degen aus der Scheide und holte aus, um auf sie einzuschlagen. Doch in diesem Moment riss Porthos, der dem Freund hinterher geeilt war, ihn an den Schultern zurück.
„Mach dich nicht unglücklich! Lass sie dich nicht auch zum Mörder machen, d’Artagnan!“
D’Artagnan schluchzte auf und ließ den Degen zu Boden fallen. Endlich gelang es ihm seinen Tränen freien Lauf zu lassen und er verbarg sein Gesicht in Porthos Schulter.
„Oh, Porthos! Ich wusste, dass sie es war! Ich war dabei, als sie mit ihrem Liebhaber den zweiten Mord beging! Ich wusste es! Warum habe ich an ihre Unschuld geglaubt? Ich hätte ihn retten können! Es ist meine Schuld, ich hätte...“
„Dummkopf!“ flüsterte Porthos kläglich und biss sich auf die Lippen, um nicht erneut mit Weinen anzufangen. „Kleiner Dummkopf!“