Die Klinge von Wolf Mathis
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 1 BewertungenKapitel Die Klinge
Missmutig betrachtete Athos die Waffe in seiner Hand. Der Degen
war nicht gut ausgewogen, der Korb ein schlichtes Bügelgefäß, die
Parierstangen zeigten Zeichen von Abnutzung - wie die Klinge
selber. Schartig und stumpf war sie, ohne jeden Glanz, ein
Gebrauchsgegenstand für einen Soldaten, nicht mehr.
Athos war weit mehr als ein einfacher Soldat. Er war Musketier in
den Diensten des Königs, und als solcher gehörte auch das
Repräsentieren seines Standes zu seinen Pflichten. Mit dieser
Waffe, die er langsam durch die Luft schneiden ließ, konnte er das
nicht.
Sein alter Degen war zerbrochen. Es war natürlich im Kampf
geschehen, einer der großen Leidenschaften des verdienten
Musketiers, im Kampf gegen zwei Gardisten von Kardinal Richelieu,
die ihn provoziert hatten. Das war ihr erster Fehler.
Athos hatte sich dem Weine gewidmet, wie er das oft und gerne tat,
und hatte erst einen halben Krug des kräftigen Rotweins genossen,
als ein wirklich Betrunkener über eine Magd des Gastwirts herfiel.
Der Musketier war über ihm, bevor dieser wusste wie ihm geschah,
und versetzte ihm einige kräftige Ohrfeigen. Darauf zog dieser
blank, doch Athos stach ihm schnell und wie beiläufig durch den
Arm, entwaffnete und ernüchterte ihn dadurch.
Die Gardisten wurden Zeuge des Vorfalls, beschuldigten Athos der
Durchführung eines verbotenen Duells und wollten ihn verhaften. Das
war ihr zweiter Fehler.
Athos lachte sie aus, ein Duell, so spottete er, sähe doch anders
aus, wohl aber nicht bei den Schergen des Kardinals, die den
Betrunkenen vielleicht durch ihre Übermacht besiegt hätten - denn
nüchtern wäre er wohl für sie ein zu harter Gegner.
Daraufhin rissen die Gardisten in ihren roten Uniformen ihre Waffen
hervor und drangen gemeinsam auf Athos ein. Das war ihr dritter
Fehler.
Der Musketier parierte ihre Attacken mühelos und drängte sie zurück
in die Mitte des Schankraums. So schnell ließ er den Degen tanzen,
dass die beiden Gegner Mühe hatten, ihre Verteidigung aufrecht zu
erhalten. Mangelndes Fechttalent ersetzten sie durch Heimtücke und
warfen ihre Kurzdolche nach Athos. Eine der Klingen schnitt durch
den Stoff von seinem Ärmel und ritzte ihm die Haut. Das war ihr
letzter Fehler.
Der Musketier wurde jetzt wütend und drang umso heftiger auf die
Gardisten ein. Dem einen schlug er den Degen zur Seite, der andere
taumelte, von einem Fußtritt getroffen, ächzend zurück. Dann ein
schneller Stich, ein gurgelnder Schrei, und der erste Gegner brach
blutüberströmt zusammen. Athos' Degenspitze war ihm durch die Kehle
gedrungen.
Der andere wollte fliehen.
Athos war nicht in der Stimmung, Milde walten zu lassen. Heimtücke
und Feigheit gehörten nicht zu den Tugenden, die er schätzte. Er
versperrte dem Gardisten den Weg und drängte ihn zurück, immer
weiter zurück, bis der Mann, mit seinem Degen wild durch die Gegend
fuchtelnd, mit dem Rücken zur Wand stand. Eine Finte hier, ein
Ausfall da, dann rammte der meisterhafte Fechter dem Rotberockten
seine Waffe so heftig durch die Brust, dass die Degenspitze neben
dem Rückgrat wieder heraus- und in eine Fuge in der Mauer fuhr.
Gleichzeitig mit dem Todesröcheln von Richelieus Mann erklang das
hell klirrende Geräusch der zerbrechenden Klinge.
Athos hatte getobt. Auch der Sieg über die beiden Gardisten konnte
ihn nicht beruhigen. Nicht nur, dass diese Narren ihm den Tag
verdorben hatten, nein, auch seine kostbare Waffe war zerstört. Den
Verlust würde er, dem es immer an Geld mangelte, aus eigener Tasche
ersetzen müssen. Dafür würden die letzten Francs herhalten müssen,
auch war ein Kredit von seinen Waffenbrüdern Portos, Aramis und
D'Artagnan vonnöten. Denn die Ersatzklinge, die Monsieur de
Treville ihm zur Verfügung gestellt hatte, jenes schartige,
unelegante Ding, das er jetzt in Händen hielt, war nicht mehr als
ein Notbehelf.
Einen Tag später und etwas besserer Laune stand Athos in den
Verkaufsräumen von Monsieur de Jalabert, einem Waffenschmied und
königlichem Hoflieferanten - dem ein Ruf genialer Handwerkskunst
weit über die Grenzen Frankreichs hinaus vorauseilte. Monsieur de
Jalabert, ein in Ehren ergrauter, kleiner Mann von über fünfzig
Jahren, war nie ein besonders guter Fechter gewesen - aber seine
Degen und Rapiere galten als die besten in Frankreich.
Athos sinnierte über die Waffe, die er und seine Freunde meistens
im Kampfe führten. Zwar waren sie Musketiere und geübt im Umgang
mit den modern gewordenen Handfeuerwaffen, doch im Nahkampf gab es
nach wie vor keine bessere Waffe als den Degen. Er dachte an die
Herkunft des Degens, der sich aus einem langen Dolch entwickelt
hatte. So lautete auch die Bezeichnung der Waffe - Dague - in
seiner Heimatsprache. Längst nicht mehr nur zum Hauen und Stechen
gebraucht, war der Degen unverzichtbarer Bestandteil für einen Mann
von Ehre.
Hier, in diesem Geschäft, war ein Fechter im Paradies. An den
Wänden und in gläsernen Vitrinen befanden sich prachtvolle
Waffen.
Es war aber auch die Qual der Wahl. Hin- und hergerissen von der
Vielfalt der Perfektion griff Athos erst zu dieser, dann zu jener
Klinge, um sie ausgiebig zu testen, sie durch die Luft sausen zu
lassen, sie durch imaginäre Körper noch lebender Feinde zu
stoßen.
Welche sollte es sein?
Vielleicht das Muschelrapier, eine sehr solide, robuste Waffe mit
einem einfachen Bügelgefäß mit Muschelstichblatt? Die Ausführung
erschien dem Musketier dann aber doch zu schlicht.
Sehr schön war das flämische Rapier mit seiner Klinge aus
Federstahl, dem Gefäßreifen aus Stahl, mit Parierstange,
Stichblättern, Knauf und Fingerbügeln aus Messing, das glitzernd in
Athos' Hand lag und sich anfühlte wie eine Verlängerung des Armes.
Der meisterhafte Fechter dachte genüsslich daran, wie er die
zweischneidige Klinge durch den Körper des verhassten Rochefort
stechen würde.
Monsieur der Jalabert eilte dienstbeflissen herbei und erklärte dem
Musketier mit den schönsten Worten die Vorzüge gerade dieser Waffe.
Dann ging er mit ihr nach hinten in seine Werkstatt und suchte nach
einer passenden Scheide für das Rapier. Auch hier hatte der
Waffenmeister eine große Auswahl auf Lager, aus Stahl und Leder,
besetzt mit Gold und Brokat.
Athos war es zufrieden - da hörte er den Schrei. Es war eine Frau,
die schrie, denn drei Gardisten des Kardinals waren über ihren
halbwüchsigen Sohn hergefallen. Der Musketier war empört: diese
Kerle waren durch und durch ehrlos. Und ausgerechnet jetzt keine
Spur von Monsieur de Jalabert und der neuen Klinge.
Egal: hier gab es genügend Ersatz.
Fast wahllos griff Athos zu und war mit wenigen Schritten hinaus
auf der Straße. In seiner Rechten funkelte ein herrliches
Spangenrapier mit einer Klinge aus Federstahl, einem vergoldeten
Spangengefäß und einer schwarz umdrahteten Hiltze aus Eichenholz.
Besonders markant war der fein ziselierte Knauf aus Messing.
Die Gardisten erschraken bis ins Mark, als der Musketier wie ein
rächender Engel über sie kam - und es sollte sich zeigen, dass es
eine gute Wahl war, ausgerechnet diesen Degen zu greifen.
Er hatte allzu lange in dem halbhellen Laden ein Schattendasein
geführt, jetzt, in der Hand eines Meisters, sollte er endlich mit
dem Blute übereifriger Narren getauft werden, die dachten, zu dritt
seien sie dem treuen Kämpfer für den französischen Thron
ebenbürtig.
Lächerlich!