Die vier Musketiere von CorinnaB

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Kapitel Ein Entschluss reift

Ein Entschluss reift

Wunderschönes ebenmäßiges Gesicht, dunkelbraune Augen, in denen man versinken konnte, blondes leicht gewelltes Haar, bis zur Schulter herabfallend.
Versonnen betrachtete Fabienne das Gemälde.
An wen erinnerte sie dieses Bild nur? „Saga de Valinar“ stand darunter geschrieben. Sie musste Monsieur d’Herblay unbedingt fragen, was es mit diesem geheimnisvollen Kunstwerk auf sich hatte.
Unsanft wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.
„Wie kann man nur solch einen Wirbel veranstalten; und alles wegen einer Hochzeit?“ René ließ sich seufzend in den nächsten Sessel sinken. Seine Wangen besaßen einen rosigen Hauch und er war außer Atem. Den ganzen Tag wuselte die gesamte Familie d’Herblay herum und bereitete das bevorstehende Fest vor. Sie rückten Tische, stellten Stühle, dekorierten die Räume, putzten Pferde und Kutschen, und und und. Jeder auf dem Landsitz freute sich auf die bevorstehende Hochzeit des Ziehsohnes René und der bezaubernden Tochter des nicht weit entfernten Gestüts Fabienne de Jarjaye. Fabienne deutete auf das Gemälde „Wer ist das?“ fragte sie. Auf einmal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. „Es sieht dir unheimlich ähnlich.“ René war skeptisch. „Naja, etwas zu perfekt für einen normalen Menschen. Außerdem habe ich kein blondes Haar, sondern braunes.“ Trotzdem. Die Ähnlichkeit war verblüffend. Er studierte das Bild von Nahem. „Es ist von 1349. Es kann mir gar nicht ähnlich sehen. Da war ich noch nicht mal in der Planung.“ Grinste er, während er wieder zurückging. „Weißt du noch, wie wir uns kennen lernten?“ René zog Fabienne liebevoll zu sich. Sie lächelte:“ Ich kann mich da zaghaft an ein süßes Fohlen erinnern, welches einem jungen Mann hinterher lief. Immer wenn er uns besuchen kam, um die Pferde zuzureiten, klebte jenes schwarze Fohlen an seinen Fersen.“ „Nun ja, man muss noch erwähnen, dass jener junge Mann vor allem der hübschen Gestütstochter wegen kam.“ René küsste seiner Verlobten auf die Stirn. „Tja und dann war das Fohlen auf einmal weg…“ „Dein Onkel hatte genau den Moment abgepasst, an dem du kamst und das Fohlen zu euch nach Hause geführt, während wir dich ablenkten. Du wolltest trotzdem Chambeau zureiten und arbeiten.“ fiel Fabienne ihm lachend ins Wort. „Das war der traurigste sechzehnte Geburtstag, den ich erlebte. Ich kann mich gar nicht mehr an deine und deiner Eltern Ausreden erinnern, so abwesend war ich.“ sinnierte er. „Und dein einziger.“ René guckte irritiert. „wie…?“ „Na, bist du noch mal sechzehn geworden?“ Sie gluckste. Er drückte ihr schnell einen Kuss auf den Mund. „Als ich nach Hause kam, erzählte ich meinem Onkel sofort von dem traurigen Ereignis. Aber er sagte nur, ich solle mal in den Stall gehen. Die Pferde füttern. Ich weiß noch, wie enttäuscht ich war, dass er so reagierte und ging los. Als ich an der letzten Box angekommen war, guckten mich zwei schwarze Augen an und mein Herz blieb vor Schreck stehen. Da war mein geliebtes Fohlen. Bei uns zu Hause. Ich glaube, so schnell bin ich noch nie zu euch gerannt. Ich habe nicht mal dran gedacht einfach ein Pferd zu satteln und rüber zu reiten, ich bin einfach losgerannt.“ Sie mussten lachen. „Als ich dich sah, deine Haare zerzaust, mit hochrotem Kopf, dachte ich erst, es sei etwas Fürchterliches passiert. Aber als du erzähltest, was los war, konnten wir uns gar nicht mehr halten vor lachen, nachdem wir dir den Plan unserer Eltern preisgaben.“ „An dem Abend merkte ich, dass ich über beide Ohren in dich verliebt war.“ René schaute in die Ferne. „Und irgendwie wurden wir unzertrennlich. Du, deine schwarze Stute und ich.“ Fabienne fuhr ihm durch die Haare. „Weißt du noch, wie wir sie getauft haben?“ „Wir haben sie an unseren See geführt und mit unseren Händen das Wasser über ihren Kopf geschüttet, weil wir nicht wussten, ob sie Wasser mag.“ „Hm, und sie stürmt in den See und planscht.“ René machte eine Bewegung, als ob er das Wasser abschütteln wollte, in das er hineingezogen wurde. „So wurde aus unserem kleinen schwarzen Fohlen eine edle Stute namens Fenena.“ Fabienne strich sich ihre langen dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht und betrachtete ihren zukünftigen Ehemann. Immer wieder wurde ihr in solchen Situationen bewusst, welch ein Glück Gott ihr zuteil werden ließ, dass sie solch einen Mann ihren Verlobten nennen durfte. In seinen braunen Augen blitzten zugleich Sanftmut und Schalk und ließen sie jedes Mal in ihnen versinken. Mit seiner unendlichen Geduld und Geschicklichkeit schaffte er es, jedes Pferd zu Händeln. Auch Fenena hatte er selbst zugeritten. Die Stute gehorchte ihm im Schlaf und schien seine Gedanken zu ahnen. Sie liebte seinen Humor, jedoch auch seine Ernsthaftigkeit, Dinge anzugehen und durchzustehen. Sie liebte einfach alles an ihm.
Fabienne hatte gar nicht bemerkt, dass René sie mittlerweile ebenfalls musterte und schrak zurück, als sie seinem Blick begegnete. „Aus dem Land der Träume zurück?“ Ehe sie antworten konnte, war es mit der kurzen Ruhe vorbei. „Los, los, was sitzt ihr Turteltäubchen hier rum? Es gibt bald Essen. Morgen fangen die Feierlichkeiten an und wir wollen noch einmal alles durchgehen…“ Madame d’Herblay wollte die Beiden zu den Anderen in den Hof scheuchen, als Fabienne das Bild wieder einfiel. „Madame, wisst ihr, wer auf dem Gemälde dort portraitiert ist?“ Diese wurde sichtlich nervös. „Das weiß ich leider auch nicht genau. Angeblich eine Frau vom Volk der Valinar. Und jetzt raus mit euch.“ René wunderte sich über das Verhalten seiner Tante, merkte aber, dass Nachhaken keinen Sinn hatte.
„Deiner Tante war die Frage sichtlich unangenehm. Hast du das bemerkt?“ Fabiennes Neugier war geweckt. Ihr Verlobter nickte. „So habe ich sie bei einer eigentlich harmlosen Frage noch nicht erlebt.“
Er hob die Schultern. „Merkwürdig…“

René saß auf seinem Bett und dachte über das Gemälde nach. Warum war seine Tante so unhöflich geworden? Wer war das Volk der Valinar? Warum stand „Saga“ darunter geschrieben? Wenn es eine Sage war, weshalb reagierte sie so übertrieben? Er erinnerte sich, im Haus mal ein Buch gesehen zu haben, das von einem Elbenvolk handelte, welches Valinar genannt wurde. Da aber alle Elben ausgestorben waren, bzw. zu den grauen Anfurten geflüchtet waren, hatte es ihn nicht weiter interessiert. In dieser Welt gab es keine Elben mehr. Ihre Zeit war vorüber. Er schob diese Gedanken von die sich und wollte sich umziehen, als er Hufgeklapper hörte. Aus dem Fenster schauend, erkannte er seinen Bruder Pierre. Wo war er nur so spät noch gewesen? Na ja, er ritt öfter bei Sonnenuntergang über die Wiesen des Anwesens.
Er liebte seine Familie, auch wenn sie nicht seine leibliche Familie war. Seine Eltern kamen ums Leben, als René fünf Jahre alt wurde. So nahmen ihn sein Onkel und seine Tante bei sich auf. Ihr zwei Jahre älterer Sohn Pierre ist ihm sein bester Freund und wie ein Bruder. Und wird er auch immer sein, sagte sich René. Was hatten sie nicht alles zusammen erlebt. Viel Blödsinn hatten sie verzapft. Versucht auf Kühen und Schweinen zu reiten, bis sie es dann doch bei Pferden belassen haben. Im Dunkeln heimlich Verstecken gespielt und erst später gemerkt, dass das vermeintlich tolle Versteck irgendwie von Ameisen bevölkert wurde. Oder einmal hatte sich Pierre auf den Sattel seines Pferdes gestellt und sich auf einen Ast geschwungen. Oben angekommen war der Abstand zum Boden dann doch höher als angenommen. Das war ein Akt, ihn wieder runter zu holen…

Auf einmal hörte René den Tumult. Sofort auf den Beinen rannte er nach unten. Was er sah, beunruhigte ihn. Pierre diskutierte mit einem uniformierten Gardisten des Kardinals. Sein Onkel war nicht zu sehen und seine Tante flüchtete mit den Hausmädchen in die obere Etage. Das sah nach Ärger aus. Er stellte sich zu seinem Bruder. „Was ist denn los?“ „Sie wollen unbedingt wissen, wo Fabienne und ihre Eltern sind. Dringende Nachrichten. Angeblich wären sie auf ihrem Gestüt gewesen, hätten aber niemanden vorgefunden.“ Pierre war genauso nervös wie René. „Jetzt denken die Soldaten, die Familie de Jarjaye wäre bei uns. Schließlich ist die Hochzeit und bevorstehende Zusammenführung der beiden Familien kein Geheimnis mehr.“
René schüttelte den Kopf. „Sie haben ihren Hof allein gelassen? Die Pferde? Das glaube ich nicht. Nicht freiwillig.“ Sie schauten sich an. „Ich reite sofort hin.“ René lief zum Stall. Ohne Sattel, nur mit Halfter ritt er davon.

Auf dem Gestüt seiner Verlobten angekommen, erschrak er. Es war zu ruhig. Kein Diener, keine Personen waren zu sehen. Nun, es war Nacht und die Bewohner könnten schlafen. Es waren jedoch nicht einmal die Hunde zu sehen. Und die begrüßten sonst jeden Besucher mit freudigem Gebelle. René merkte, wie er anfing zu zittern, als er in das Herrenhaus eintrat. Alles war still … „Totenstille“ dachte er unwillkürlich. Seine rechte Hand legte sich um den Griff seines Degens. In der Linken umklammerte er den Dolch. Langsam schlich er weiter, immer in Angst ein Geräusch zu verursachen und sich zu verraten. „Wem soll ich mich denn verraten?“ fragte er sich. „Es ist doch niemand hier.“
Aber er fühlte, dass er Unrecht hatte.
Plötzlich stieß er gegen einen Widerstand. Was er sah, ließ ihn zurück taumeln. Vor ihm lag der geliebte Hund Fabiennes. Sein schwarzes Fell war Blutüberströmt. An seiner Kehle klaffte eine große Wunde, wie von einem Degenstreich. Die Augen des treuen Tieres waren weit aufgerissen. René schluckte. Dieser einst so verspielte Hund hatte wohl versucht seine Herren zu verteidigen… „Mein Gott, was ist hier nur vorgegangen?“
Er tastete sich vorwärts.
Hier unten war niemand…
Da! War das nicht ein wimmern?
Er folgte dem Geräusch und fand eines der Hausmädchen hinter einer Truhe versteckt. Als diese ihn sah, schluchzte sie auf und stolperte in seine Arme. „Oh Chavalier d’Herblay! Ich bin so froh euch zu sehen… Sie sind einfach über uns hergefallen... Madame de Jarjaye hat sich mit uns in den oberen Etagen versteckt, doch sie haben uns gefunden… Madame de Jarjaye rief uns zu, wir sollen wegrennen. Wir haben es versucht, wir hatten solche Angst…aber sie haben auf uns geschossen… Zwei sind entkommen, die Anderen haben sie erschossen. Ich hatte mich hier verschanzt.“ Sie zitterte am ganzen Körper, als sie die grausamen Momente noch einmal durchlebte. „Wir waren mit Essen fertig, als die Garde des Kardinals hereinstürmte. Als sie Graf de de Jarjaye entdeckten nahmen sie ihn mit. Ich weiß nicht, was sie mit ihm vorhaben.“ Nun weinte das Mädchen hemmungslos. René nahm sie behutsam in die Arme. Nach einer Weile fragte er: „Wo sind Fabienne und ihre Mutter?“ angespannt wartete er auf die Antwort. „Sie sind nicht mit runter gekommen.“ Ängstlich starrte sie die Treppe hinauf. Wohl wissend was diese Antwort bedeutete. „Es tut mir so Leid…“
Aber das hörte René schon nicht mehr, als er die Treppe nach oben zu den Schlafgemächern stürmte.
Vor der Tür seiner Verlobten blieb er stehen. Zögernd streckte er die Hand aus. Entschlossen stieß er sie auf und…
Das Zimmer war leer.
In einem ersten Anflug von Erleichterung seufzte René auf.
Langsam ging er weiter und stoppte vor dem Gemach seiner zukünftigen Schwiegermutter.
Er wusste nicht, was er erwartet hatte, jedoch nicht ein solches Blutbad.
Madame de Jarjaye wurde regelrecht hingerichtet. Sie war mit unzähligen Messerstichen übersät.
Seine Augen suchten Fabienne.
Sie lag in ihrem Bett und schien zu schlafen. Ihr Gesicht war unversehrt, die Decke lag bis zur Brust gezogen. Freudig eilte er zu ihr und schloss sie in seine Arme, als ihm auffiel, wie blas seine Liebste war. Besorgt zog er sie näher zu sich, wodurch die Decke verrutschte.
Ihm stockte der Atem.

Die Kugel hatte wohl ihr Herz getroffen. Eine einzige wohlplazierte Kugel.
Er drückte sie schluchzend an sich und merkte, dass sie noch atmete. „René…“ es war nur noch ein Flüstern. „Schweig bitte. Ich bringe dich zu einem Arzt. Du schaffst das…“ Sie schüttelte den Kopf. „Die Männer des Kardinals, sie haben meine Familie getötet…“ Sie hustete. René wollte das nicht hören. „Wir…“ „Ich werde dich immer lieben. Wir werden uns in einer anderen Welt wieder sehen. Ich weiß es. Ich werde auf dich warten. Bitte, ich flehe dich an, kämpfe für das Recht und finde die Übeltäter. Bitte folge mir nicht nach, denn sonst sehen wir uns nie wieder…“René wusste, dass sie Angst hatte, er würde sich selbst umbringen und dafür in die Hölle müssen. „Er küsste sie, Tränen rannen seine Wangen hinab. „Ich verspreche dir, alles was ich tue, geschieht für dich. Ich liebe dich.“ Hier saß er nun, dabei, das Liebste, was er hatte für immer zu verlieren. „Bitte geh nicht von mir. Verlass mich nicht. Ich brauche dich doch…“ Er blieb noch lange. Er hielt ihre Hand, als ihr Atem schwächer wurde. Als ihre Atemzüge noch seltener wurden, flüsterte er: „Ich liebe dich.“ Er küsste ihren Mund.
Er hielt sie immer noch in den Armen, als ihr Atem still wurde und ihr Herz aufhörte zu schlagen.

Er hatte nur noch einen Gedanken.
Rache