Juniherausforderung 2004 von Maike
Durchschnittliche Wertung: 4.5, basierend auf 3 BewertungenKapitel Die Geschäfte im "Tiefen Glase" von
Author’s note: Ich dachte mir, ich kann Silvia mit ihrer Round Robin-Funktion oder wie die heißt, nicht allein lassen. Die Handlung ist ein bisschen bekloppt, und fragt einfach, wenn ihr Fragen habt. Und sagt mir bitte, wie ihr es fandet!
Die Geschäfte im „Tiefen Glase“
Den ehrbaren Bürgern von Paris, die an einem Junimorgen des
Jahres 1630 in der Rue Saint-André-des-Arts ihre Werkstätten und
Läden zu öffnen begannen, bot sich, als sie auf die Straße
hinaussahen, ein recht ungewöhnlicher Anblick. Aus einer Kneipe
nämlich, in die man nur gelangte, wenn man über drei Stufen nach
unten stieg, kamen zwei Männer. Dies war ebenfalls nichts
Ungewöhnliches. Auffällig war nur, dass sie mit dem Rücken voran
herauskamen, leicht gebückt gingen und offensichtlich etwas
Schweres hochschleiften. Der Linke stolperte mit seinen hohen
Stiefeln, der andere konnte jedoch glücklicherweise verhindern,
dass er im Straßendreck landete.
„Habt Dankt, mein lieber Athos“, sagte der Linke und war so frei,
sich am Wams des Angesprochenen festzuhalten, was dem Wams
möglicherweise nicht gut bekam.
„Bedankt Euch nicht wegen solcher Lappalien, Aramis“, sagte Athos
etwas ungeduldig. „Ob Ihr es glaubt oder nicht, Euer Neffe ist sehr
schwer.“
„Oh, vergebt mir“, flötete Aramis in seiner typischen Art. „Ich
eile Euch zur Hilfe.“ Doch bevor er dies tat, wandte er sich noch
einmal um zu den Bürgern dieser Straße, die dem Schauspiel
fasziniert zugesehen hatten. „Liebe Freunde“, sprach Aramis laut,
wobei er theatralisch die Arme hob, „Bitte wendet Euch wieder Eurem
Tagewerk zu!“
Einige der Bürger sahen Aramis an, als sei dieser ein Prophet,
etwas, woran Aramis nicht zweifelte, andere schienen ihn für
geistig verwirrt zu halten. Doch was sie auch dachten, sie wandten
sich wieder ihrer Arbeit oder vorherigen Beschäftigung zu und
Aramis kam seinem Freund Athos zu Hilfe. Gemeinsam zerrten sie
einen vielleicht siebzehnjährigen Jüngling auf die Straße, der zu
kindlich aussah, als dass man ihn mit einem Titel ansprechen
müsste. Er hieß Pierre. Athos, der bei näherem Hinsehen etwas müde
aussah, hielt diesen Pierre so, dass dieser nicht hinfiel, doch es
war offensichtlich, dass er dieses Gewicht nicht mehr lange würde
tragen können. Diese Tatsache entging Aramis, der die Straße auf
und ab sah, sich ein unsichtbares Stäubchen vom Ärmel putzte und
sagte: „Und ich versichere Euch trotzdem, er schläft nur, unsere
ganze Familie hat einen sehr tiefen Schlaf. Ah!, seht dort, ein
Wassertrog. Tun wir ihn hinein, dann wird er garantiert
aufwachen.“
„Wenn Ihr mir zur Hand ginget!“, ächzte Athos und es schien, als
wolle er Pierre zu Boden sinken lassen. Aramis verhinderte dies
natürlich und packte und schüttelte den Jüngling heftig.
„Aufwachen! Wacht auf!!!“
Pierre gab ein unwilliges Schnaufen von sich, welches dem einer
Katze, die im Schlaf gestört wird, sehr ähnlich war.
„Ich tu Euch ins Wasser“, drohte Aramis, was keine Auswirkungen
hatte. „Also schön…“ Aramis nickte Athos zu und gemeinsam zogen sie
den jungen Burschen zu dem Wassertrog. Was er für eine Funktion
hatte, war unklar, wer brauchte schon mitten in Paris einen
Wassertrog, zumal wenn dieser auf offener Straße stand? Bei Pierre
erfüllte er die vorgesehene Funktion aufs Beste, der bedauersnwerte
junge Mann gurgelte entsetzt und wehrte sich heftig gegen das kalte
Wasser. Athos und Aramis zogen ihn wieder heraus. Pierre brachte es
fertig, auf eigenen Beinen zu stehen und starrte leicht schwankend
und prustend die beiden Herren vor ihm an.
„Was ist gestern Abend passiert?“, fragte er schließlich und
begann, sein Wams auszuziehen um es auszuwringen. „Wir waren in
diesem reizenden Gasthaus“, erläuterte Athos und deutete auf das
Schild über dem Eingang: „Zum Tiefen Glase“.
„Oh“, sagte Pierre und dachte eine Weile nach. „Und dann?“
„Dann saßet Ihr nicht mehr, sondern hinget nur noch am Tisch. Es
war interessant, Euch dabei zu beobachten.“
„Oh“, sagte Pierre wieder. „Was habe ich denn getrunken?“
„Ihr habt es selbst bestellt, mein Freund. Es war anscheinend sehr
wohlschmeckend, denn Ihr tranket schneller und schneller.“
Pierre fuhr sich durch die Haare. „Wie unangenehm! Habe ich mich…
daneben benommen?“
Aramis und Athos sahen sich stumm an. Was sollten sie ihm
sagen?
„Wisst Ihr“, sagte Athos beruhigend und legte seinen Arm um Pierres
nasse Schultern, „wir werden es niemandem erzählen.“
„Was habe ich denn getan?“, fragte Pierre unglücklich.
„Ihr wart nur Neuem gegenüber etwas aufgeschlossener als
gewöhnlich. Habt Ihr Kopfschmerzen?“
„Ja, heftige. Es geht mir sehr schlecht.“
„Das ist immer so“, sagte Athos fachmännisch. „Ihr werdet lernen,
die Kopfschmerzen zu ignorieren.“
„Habt Ihr denn welche?“
Athos versuchte einen Moment lang, seinen dröhnenden Schädel zu
vergessen. „Nein.“
Aramis lächelte freundlich. „Vielleicht sollten wir nach Hause
gehen. Ihr könntet Euch erkälten, lieber Neffe und dann würde mir
Eure liebe Mutter zürnen.“
„Sie soll es nicht erfahren“, sagte Pierre leicht beunruhigt, aber
mit abwesendem Blick. „Ich fühle mich ganz seltsam. Als ob-“
„Als ob Ihr neben Euch steht, mein Freund, das wissen wir“,
unterbrach ihn Athos. „Kommt endlich.“
„War gestern nicht noch irgendwas mit Seiner Eminenz? War der nicht
gestern hier?“, fragte Pierre langsam und bewegte sich so schnell
wie ein Faultier.
„Ja, genau. Deshalb sollten wir so schnell als möglich
verschwinden“, sagte Aramis und versuchte, Pierre dazu zu bringen,
sich etwas schneller zu bewegen.
„Zu spät!“ Athos schlug Aramis unbeabsichtigt heftig auf den Arm,
was dieser mit einem anklagenden Blick quittierte. „Seht
doch!“
Aramis und Pierre sahen auf. Zwei Reiter näherten sich ihnen in
einem langsamen, gleichmäßigen Trab. Der eine von ihnen war der
Graf de Rochefort, leicht erkennbar durch seine Haltung, welche das
einfache Pariser Volk kannte und fürchtete. Der andere war neu in
die Dienste des Kardinals getreten. Er sah dem Grafen de Rochefort
sehr ähnlich, mochte jedoch erst an die dreißig Jahre alt sein. Er
hatte die gleichen charakteristischen hohen Wangenknochen und
ebenfalls einen stechenden Blick. Er war jedoch nicht mal
ansatzweise mit dem Grafen de Rochefort verwandt, sie verstanden
sich jedoch beide prächtig miteinander. Tréville, der Kapitän der
Musketiere, vermutete, dass sie seelenverwandt waren.
Dieser zweite nun war der Comte de Peiré, er hatte lange Zeit in
England gelebt und schwärmte, was aber selbstverständlich nur
Rochefort wusste, für die Geschichten und Legenden um Robin Hood
und träumte davon, eine Maid Marian zu heiraten. Rochefort, etwas
realistischer, glaubte nicht, dass der Comte de Peiré jemals eine
finden würde.
In diesem Moment nun dachte aber keiner der beiden Reiter an diese
Geschichten, sondern saßen ab und kamen langsam auf die drei Herren
zu. Pierre versuchte, sich hinter Aramis zu verstecken, doch dies
gelang ihm leider nicht.
„Na sieh mal einer an“, sagte der Comte de Peiré, „Da hätten wir ja
die drei Unruhestifter von gestern Abend.“
Aramis warf den Kopf zurück. „Messieurs, kümmert Euch um Eure
eigenen Angelegenheiten. Ich wüsste nicht, ob es etwas gibt,
worüber wir uns mit Euch unterhalten könnten.“
„Wir wollen uns auch nicht mit Euch unterhalten“, entgegnete
Rochefort recht freundlich. „Aber Seine Eminenz möchte Euch sehen.
Allerdings-“, er sah etwas abschätzig den Jungen an, der nur sein
Hemd trug und sein Wams in der Hand hielt, „nicht in diesem
Aufzug.“
Wie beschützend legte Aramis seine Hand auf die rechte Schulter
Pierres. „Ich glaube nicht, dass Seine Eminenz heute Zeit hat, mit
uns zu sprechen. Müsste er nicht heute seine seltsamen Geschäfte
abwickeln?“
Peiré fuhr wütend auf, doch Rochefort, ausnahmsweise der Besonnere,
hielt ihn davor zurück, sich auf Aramis zu stürzen.
„Seine Emienz hat keine seltsamen Geschäfte, Monsieur le
mousquetaire und es ist nicht Eure Angelegenheit, Euch in Politik
einzumischen. Trotzdem wünscht Euch Seine Eminenz zu sehen.“
„Und was ist…“, erkundigte sich Athos und fühlte wie unabsichtlich
nach dem Griff seines Degens, „wenn wir den Kardinal nicht sehen
wollen?“
„Dann… müssen wir Monsieur de Tréville mitteilen, dass seine
Musketiere Staatsangelegenheiten belauschen wollten und dass sie…
einen Knaben zum Trinken verführt haben“, sagte Peiré zufrieden.
„Das wollt Ihr doch nicht riskieren?“
„So ein Unsinn“, schnaubte Aramis ärgerlich und entgegen seiner
sonstigen ruhigen, höflichen Art. „Wir sind nicht dafür
verantwortlich, dass sich Seine Eminenz hierher begeben hat, um
politische Diskussionen mit den Engländern und Spaniern zu
führen.“
Die Herren de Rochefort und de Peiré sahen leicht beunruhigt aus.
„Was habt Ihr gehört?“
„Wir?“, fragte Athos. „Gar nichts. Wir waren zu betrunken, um auf
unser Umfeld achten zu können.“
„Ihr wart es vielleicht und der Knabe, welcher allzu ungeniert
Schönheiten beiderlei Geschlechts hinterherschmachtete (Pierre
wurde glühendrot), aber Ihr, Monsieur Aramis, wart es nicht. Ihr
wart nüchtern. Und Ihr seid nur in dieses Gasthaus gekommen, weil
Ihr wusstet, dass…“ Peiré verstummte.
„Ja?“, fragte Aramis sanft.
„Ihr wolltet auf jeden Fall lauschen und den Alleswisser spielen
und alles dem König verraten.“
Rochefort verdrehte die Augen. Da sollte dieser Mann sein
Nachfolger werden (er selbst wollte heiraten und sich fortan seinem
Privatleben widmen) und dann stellte der sich so ungeschickt
an.
„Das ist die Unwahrheit“, erklärte Aramis. „Fragt den Wirt, ich
habe nicht gelauscht.“
Peiré sah Rochefort an. Sollten sie darauf eingehen? Rochefort
nickte. „Heda, Wirt des Tiefen Glases!“, rief Peiré mit dröhnender
Stimme. In der ganzen Straße schlugen Türen und Fenster auf um zu
sehen, ob etwas Entsetzliches passiert war. Die fünf Herren
begannen eine normale Unterhaltung über das Wetter und andere
Nebensächlichkeiten zu führen, und nach kurzer Zeit wurde Fenster
und Türen wieder geschlossen.
Der Wirt kam heraus, die Hände an der Schürze trocknend. „Ich wurde
gerufen?“
„Ja, wurdet Ihr“, bestätigte Rochfort kurz. „Seht Ihr diese drei
Herren da?“
„Nun, freilich, ich bin ja nicht blind.“
„Warum waren sie gestern Abend bei Euch?“
„Ist das ein Verhör?“, erkundigte sich der Wirt mit einem unsagbar
blöden Gesichtsausdruck. Pierre kicherte.
„Ja. Antwortet!“
„Sie wollten feiern. Der junge Mann hat von Monsieur de Tréville
die Bestätigung bekommen, dass er in das Korps der Musketiere
aufgenommen werden wird, in einem Jahr. Die Herren wollten das
begießen.“
Verächtlich musterte Rochefort Pierre. „Noch einer von der Sorte“,
murmelte er.
„Soso. Und dieser Herr, hat er gelauscht?“ Der Wirt sah Aramis an,
der die Hand an den Degen gelegt hatte, was aber Rochefort und
Peiré nicht sehen konnten.
„N-nein, Messieurs, auf gar keinen Fall.“
Peiré sah unsagbar enttäuscht aus. „Ihr könnt gehen.“
Der Wirt verschwand erleichtert.
Rochefort und Peiré sahen die Herren an.
Diese lächelten alle.
„Nun denn, meine Herren“, sagte Rochefort, „Sollte herauskommen,
dass Ihr mehr wisst als Ihr sollt… wird es Euch bei den Musketieren
nicht mehr lange gut gehen.“
„Es ist fraglich, ob es dem Kardinal gut gehen wird. Und wenn ja,
wie lange noch“, sagte Aramis sanft.
Peiré wollte schon wieder auf Aramis zustürzen, doch dieser, Athos
und Pierre legten die Hände an die Rapiere.
„Kommt, Monsieur“, sagte Rochefort und legte Peiré eine
behandschuhte Hand auf den Arm.
„Aber sie wissen es!“, sagte Peiré fast verzweifelt.
„Wir haben aber keine Beweise“, sagte Rochefort mit gedämpfter
Stimme. „Er kann leugnen… Kommt schon.“ Er ging zu seinem Pferd.
Peiré folgte ihm.
Im Davongehen wandte er sich noch einmal um: „Aber seid gewarnt -
das werdet Ihr uns büßen!“