L'épée, c'est ta seule amie von La_Peripetie 

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Kapitel Der Anfang eines harten Weges

Disclaimer: Die von mir hier aufgeführten Charaktere stammen zum größten Teil aus der Feder Alexandre Dumas’ – einige wenige sind allerdings auch auf meinem Mist gewachsen.

Author’s Note: So, nun starte ich also endlich die schon so lange geplante d’Artagnan- Story! Mal sehen, zu welchem Ende ich diesmal kommen werde, doch ich bin mir sicher, dass es komplett anders wird, als ich es mir zu Anfang erhofft hatte *g* - wie immer!

« Mon fils, tu es mon seul enfant. J’ai seulement un souhait : je veux que tu me fasses très fier, fier de tes actions, fier de ta vie. Prend cette épée, il va t’aider pendant la guerre et il va te protéger en cas d’urgence ! Alors, écoute – moi, c’est le debut d’une nouvelle vie !»

" Das Gatter, du musst es schließen, schnell ! "
Der junge Mann hechtete mit langen, ausholenden Schritten über die bereits vom starken Regen aufgeweichte Wiese. Seine schulterlangen, fast schwarzen Haare, hatte er zu einem kleinen Zopf zusammengebunden, der mittlerweile jedoch begann, völlig seine Form zu verlieren, und so hingen ihm nicht wenige der nassen Strähnen in das junge, aber markante, Gesicht.
„ Wenn nur der Zaun hält. Vater wird mich umbringen, wenn auch nur eins seiner Pferde davonläuft. Du weißt, was ihm seine Zucht bedeutet. Es wäre fatal, auch nur ein Tier zu verlieren. Wäre doch bloss dieser Sturm nicht, dann wäre der Baum nicht auf diesen elenden Zaun gefallen und wir hätten nicht bei diesem Mistwetter vor die Tür gemusst! D’Artagnan?“
Der junge Mann zog seine rechte Augenbraue verdächtig hoch in die Stirn und sah sich suchend nach allen Seiten um, doch „d’Artagnan“ schien er nicht zu erblicken. Plötzlich hörte er ein lautes Krachen. Er riss den Kopf herum; im Halbdunkel erkannte er eine schemenhafte Gestalt, die sich am Zaun zu schaffen machte.

Der Regen und der Sturm schienen nicht nachlassen zu wollen. Noch immer tobte das Unwetter über dem kleinen Gut im Süden Frankreichs, entwurzelte Bäume, zerstörte die Dächer der Häuser und ließ den kleinen Fluss über die Ufer treten.
Niemand hätte es gewagt, sein Haus zu verlassen, aus Angst, von einem der herabfallenden Äste erschlagen zu werden. Die beiden jungen Männer waren die einzigen, die sich draussen aufhielten, auch wenn ihnen dies sichtlich missfiel.
„Etiènne, verdammt. Schwing keine großen Reden, schließ das Gatter! Sonst sind die Pferde schneller weg, als es dir lieb ist. Das Loch im Zaun ist zu groß, wir können es nicht alleine reparieren, nicht bei diesem Wetter.“
Er wischte sich einige der nassen Strähnen aus dem Gesicht. Zwei kluge Augen blickten bestimmend in die des anderen Jungen.
„Hmja, stimmt wohl!“ Etiènne lehnte sich mit all seiner Kraft gegen das schwere Holzgatter, drückte es ins Schloss und verriegelte es mit einem langen Eisenriegel.
„Wird ein schöner Batzen Arbeit werden! Die Latten sind völlig hinüber, die können wir nicht mehr verwenden. Hoffen wir, dass nicht noch ein zweiter Baum entwurzelt wird. Dieser eine deckt das Loch im Zaun ab, da kommt kein Pferd rüber – aber soviel Glück haben wir sicherlich nicht noch ein zweites Mal! Lass uns gehen, hier können wir nichts mehr machen!“
D’Artagnan fasste seinen Freund bei der Schulter und schob ihn auf den matschigen Weg zum Gutshaus. Der blonde Junge blickte wenig überzeugt auf den zerstörten Zaun und runzelte die Stirn: „ Hoffen wir’s!“, nuschelte er unverständlich, folgte dann aber doch d’Artagnan, der im Laufschritt auf das Haus zueilte.

„Kinder, ihr holt euch noch den Tod!“
Madame Chabert fuhr ihrem Sohn durch das völlig durchnässte Haar, doch dieser versuchte nur, sich dieser Geste möglichst schnell zu entziehen.
D’Artagnan tat derweil gut daran, sich seiner nassen Sachen zu entledigen und so landeten die bereits abgelaufenen Lederstiefel in der einen, sein wollener Umhang in der anderen Ecke der wohlig warmen Wohnküche der Familie Chabert. Wie oft hatte er als kleiner Junge hier gesessen, wenn es draussen regnete und stürmte. Madame Chabert war für ihn wie eine Tante, auch wenn sie nicht mit der Familie d’Artagnans verwandt war. Monsieur Chabert dagegen war selten daheim. Früher diente er mit d’Artagnans Vater dem König im Krieg und verteidigte sein Land mit dem Leben, heute aber war er alt und widmete sich der Pferdezucht.
Viele seiner edelsten Hengste dienten nun als Reittiere in einer der Kompanien der königlichen Musketiere; erfasst von unsagbarem Stolz waren die Pferde sein ein und alles – was jedoch dazu führte, dass Madame Chabert ihm vorwarf, sich mehr um die Pferde als um sie zu kümmern.
„Setzt euch ans Feuer, los los, Jungs! Ich mache euch einen Tee, der wird euch wärmen. Auch du, d’Artagnan!“ Sie zwinkerte dem peinlich berührten Burschen zu und knuffte ihn in die Nase.
Etiènne konnte sich bei dieser Geste ein übertriebenes Grinsen nicht verkneifen, erntete als Dank jedoch nur einen finsteren Blick seines Freundes und stieß ihn daraufhin freundschaftlich mit dem Ellbogen in die Seite.

„Mon Dieu!“ Etiènne schlug die Hände über dem Kopf zusammen und um seine Nasenspitze herum schien seine Haut kalkweiß. „Vater wird mich umbringen!“
Das Loch, das der umgestürzte Baum im Zaun hinterlassen hatte, war in der Tat größer, als es die beiden Freunde am letzten Abend gedacht hatten. Und so war es nicht verwunderlich, dass Etiénne sich Gedanken über die Reaktionen seines Vaters machte.
„Wann wollte dein Vater aus Marseille zurückkommen?“
Beschwichtigend legte d’Artagnan den Arm um die Schultern des Freundes und erhoffte sich so, diesen ein wenig beruhigen zu können. „Im Schuppen habe ich noch einen Stapel Latten gesehen. Wenn wir die alte Betty anspannen, können wir sie mit dem Karren in einer Stunde hierherbringen und dann...“ – „Vater kommt heute gegen die Mittagszeit zurück. Er wird erfreut sein über seine guten Geschäfte ... und dann wird er die Sache mit dem Zaun erfahren.
Das beste wird sein, du gehst vorher nach Hause. Den Zaun schaffen wir bis dahin sicherlich nicht. Lass uns nur schnell die Pferde zum Hof bringen!“
Man sah es dem blonden Etiènne an, dass er sich ausmalte, was sein Vater mit ihm machen würde. Der alte Soldat konnte ungenießbar werden, wenn er erfuhr, dass etwas mit seinen Pferden nicht in Ordnung war – und sei es nur ein Loch im Zaun. D’Artagnan hatte schon einige dieser Wutausbrüche mitbekommen; diese führten meistens dazu, dass Monsieur Chabert ausnahmslos jeden anbrüllte und wetterte, wie ein runzeliges Kräuterweib. Das beste war also, ihm so weit wie nur möglich aus dem Weg zu gehen und abzuwarten, bis er sich wieder abgekühlt hatte – was allerdings nicht selten mehrere Tage andauerte.
„Nun, wenn du meinst. Aber meld dich, wenn er allzu unausstehlich wird. Mutter würde sich sicherlich freuen, dich wieder bei uns begrüßen zu dürfen, so lange ist es her, dass du ihr einen Besuch abgestattet hast!“
Er nestelte an einem dünnen Strick und versuchte, ein Halfter daraus zu knoten, um eines der Pferde in die nahegelegenen Ställe zu führen. Doch dieses schien ihm zu misslingen und so entschied er sich, dem Pferd den Strick nur um den schmalen aber kraftvollen Hals zu legen.
Der zierliche braune Hengst rieb seine Nase an der Schulter des jungen Mannes, als dieser das schwere Gatter öffnete, und trottete wie ein zahmes Lamm hinter ihm her. Hinter ihnen folgte Etiènne mit einem nervös tänzelden Rappen und einem stämmigen Fuchs; er hatte alle Mühe, beide Pferde zu führen, denn diesen schien es nicht recht zu sein, das saftige Grün verlassen zu müssen. Ein Problem, das er zuvor nie gehabt hatte. Es war d’Artagnan, als hätte sein Freund sich verändert, so verträumt und dennoch verwirrt kam er ihm vor.

Auf dem Weg zum heimischen Hof gingen dem jungen d’Artagnan viele Dinge durch den Kopf, von denen er nie geglaubt hatte, dass sie ihn einmal berühren könnten. Was war mit Etiènne passiert, der früher keine Gelegenheit ausgelassen hatte, seinen Willen durchzusetzen und nun begann, ruhig und mit viel Zurückhaltung jede Situation – ob gut oder schlecht – hinzunehmen, ohne dagegen Einspruch zu erheben? Was ging in dem Kopf vor, der sich früher nie den Regeln gebeugt hatte, nun aber stillschweigend alles hinnahm?
In den vergangenen 17 Jahren ihrer Freundschaft war d’Artagnan nie eine solche Veränderung an seinem Freund aufgefallen, der für ihn schon wie ein Bruder war. Er teilte Geheimnisse mit ihm, die er sonst keinem anvertraut hätte, ja, es war ihm sogar, als wären Etiènne und er Seelenverwandte.
Träumten sie nicht beide davon, einmal Musketiere zu werden und für König und Vaterland zu kämpfen, wie es ihre Väter einst getan hatten?
Und hatte Etiènne jetzt etwa seinen Traum aus den Augen verloren?
Völlig in Gedanken kickte der junge Gascogner ein paar Kiesel vor sich her, die Hände vor der Brust verschränkt, der Blick nachdenklich nach unten gerichtet, und wäre beinahe an seinem eigenen Elternhaus vorbeigelaufen, hätte sein Vater ihn nicht aus seinen Gedanken gerissen.
„Träumer! Rennst an deinem eigenen Zuhause vorbei - und überhaupt, warum kommst du schon heute? Ich hätte dich nicht vor morgen nachmittag erwartet. Habt ihr euch etwa gestritten ... oder ist etwa was geschehen? Den Chaberts geht es doch gut?“
„Vater, ich...!“
„Ja, nachher! Geh und hilf deiner Mutter beim Essen. Wir sprechen dann!“ Er lächelte und widmete sich dann wieder seiner Arbeit.
D’Artagnan verzog die Mundwinkel zu einer seltsamen Grimasse, trottete dann aber in Richtung des Hauses. Wäre er doch nur in Paris geboren, dann hätte er jetzt das Fechten erlernen können, anstatt seiner Mutter in der Küche zu helfen.
Nicht, dass er nicht fechten konnte, nein, er verstand es wirklich, den Degen zu führen, wie kein anderer in der Gegend. Doch wäre es ihm lieber gewesen, eine richtige Ausbildung zu erhalten, um dem Musketierdienst schnellstmöglich anzutreten.
Was brachten ihm da Rüben schälen und Gemüse putzen? Er zog die Nase kraus. Vielleicht wenn ich mich am Türrahmen vorbei drücke...
„D’Artagnan. Schon da? Wie gut, du kannst mir helfen.“
Der kurz gefasste Plan hatte sich innerhalb weniger Sekunden in alle Winde zerschlagen, als seine Mutter sich vom Herd wegdrehte und ihren Sohn an der Tür vorbeischleichen sah. Die mittlerweile schon angegrauten Haare hatte sie am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengebunden und nun wischte sie voller Elan ihre mehligen Hände an ihrem Rock ab.
„Schreckliches Unwetter, gestern abend, nicht? Ein paar Ziegel sind vom Dach gefallen. Vater versucht gerade, die Löcher zu stopfen. Habt ihr überhaupt geschlafen?“
Die Fragen rasselten auf d’Artagnan nieder, der sich mit aufgestütztem Kopf an den schweren Küchentisch gesetzt hatte und nun bei dem Gedanken an die letzte Nacht herzhaft gähnte.
Seine Mutter erkannte sofort, dass sich ihre Frage hiermit erübrigt hatte. Gerne hätte sie ihren Sohn zur Raison gerufen, so wie sie es häufig hatte tun müssen, als er noch ein kleiner Junge war, doch erkannte sie, dass aus ihrem kleinen Wildfang von damals mittlerweile ein jugendlicher Hitzkopf geworden war, der sich nichts mehr von seiner Mutter sagen lassen wollte. Und so widmete sie sich wieder dem Brotteig, den sie auch vor d’Artagnans Eintreffen bereits heftig geknetet hatte.
Sollte er ihr erzählen, was er vermutete? Dass Etiènne ihm so fremd vorkam, wie noch nie in seinem Leben? „Ich werde einfach abwarten, vielleicht bestätigt sich mein Verdacht ja gar nicht...!“ Ohne dass er es bemerkt hatte, hatte d’Artagnan die letzten Worte laut ausgesprochen. Seine Mutter, verwundert über die Worte ihres Sohns, drehte sich wortlos von ihrem Brotteig weg und wischte sich mit den mehligen Händen durch ihr Gesicht. „Was ist den los? Welcher Verdacht? D’Artagnan, bitte versprich mir, keinen Unsinn anzustellen! Es reicht mir schon die Vorstellung daran, dass du bald nach Paris gehen wirst, um in den Dienst der Musketiere des Monsieur de Tréville zu treten....“ Sie sprach noch einige Minuten weiter, doch d’Artagnan hörte ihr nicht zu, so war er in Gedanken versunken, Gedanken, die, obwohl er es wollte, ihn nicht losließen. Es musste etwas mit Etiènnes Ersuchen, den Dienst bei den Musketieren zu beginnen, zu tun haben. Aber was?

D’Artagnan erwachte, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand.
Das Geklapper von eisenbeschlagenen Hufen hatte ihn aus dem Schlaf gerissen und ließ ihn nun aufhorchen. War das nicht Etiènnes Stimme, die von draussen in sein Zimmer drang?
Der Schwung, mit dem er aus dem Bett sprang, hätte ihn beinahe zu Fall gebracht, als er auf das Fenster zueilte. Seltsam, sonst hatte er doch auch nicht so reagiert, wenn er seinen Freund unten im Hof gehört hatte – doch heute ... war etwas anders. Er wusste zwar nicht, was, doch ihm war klar, dass es mit Etiènne zu tun hatte.
Die Vorhänge waren mit einem Ruck zur Seite gezogen und auch das Fenster schwang ruckartig auf.
„Etiènne, was... Vater?“ D’Artagnan war sich so sich gewesen, dass es Etiènne gewesen sein musste, den er sprechen gehört hatte, doch erkannte er einzig seinen Vater, der ihm stumm entgegen blickte ... und ein Stück Papier in die Höhe hielt.

„Was mag ihn hierzu veranlasst haben?“ D’Artagnan starrte auf den Fetzten Papier, den er nun schon mindestens zehnmal durchgelesen haben musste.
„Du weiß es nicht!?“
„Nein. Er hätte mir alles erzählt, da bin ich mir sicher. Warum dieses mal nicht? Vater, was hat er gesagt, bevor er den Hof verließ?“ D’Artagnan sah seinem Vater in die Augen – die gleichen Augen, die er auch besaß und die ihm manchmal Angst einjagten, so fest war ihr Blick.
„Nichts, er bat mich, dir diesen Zettel zu geben!“ Erneut blickte der junge d’Artagnan auf den kleinen Brief aus den Händen seines Freundes:

Cher ami!
Ich habe lange überlegt ... und ich bin zu dem Entschluss gekommen, zu gehen; es wird das Beste sein. Ich bitte dich, versuche nicht, mich zu finden, du würdest teuer dafür bezahlen...
Etiènne

D’Artagnan spielte nicht einmal mit dem Gedanken, seinen Freund nicht zu suchen, zuviel lag ihm an diesem Menschen, dem er solch eine lange Freundschaft verdankte. Diese sollte nicht einfach so enden – ohne ein „Lebewohl“ oder ein „Au revoir“!
Auch wenn seine Mutter versuchte, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, sie schaffte es nicht, ihrem Sohn die Geschichte aus dem Kopf zu schlagen. Gewiss, auch sie war geschockt von der Nachricht über Etiènnes Verschwinden und konnte sich kein Bild davon machen, was ihn dazu getrieben hatte, so zu handeln. Er war doch wie ein Sohn für sie gewesen, sie hatte ihn neben ihrem eigenen Kind aufwachsen sehen, ihn getröstet, wenn er sich verletzt hatte und ihn – wenn auch stets mit einem warmen Lächeln – gestraft, wenn er zusammen mit d’Artagnan irgendeinen Streich ausgeheckt hatte. Und sie wusste von Madame Chabert, dass diese d’Artagnan genauso behandelt hatte – und es immer noch gerne tat. Und nun ging Etiènne, ohne sich zu verabschieden? Nein, das war nicht der Junge, den sie kannte.
Sollte nun auch ihr eigener Sohn, der einzige, der von ihren Kindern noch zu Hause war, auch noch gehen, um seinem Freund zu helfen, sie würde kein Auge mehr zutun, aus Angst, er könne....sie vermochte nicht, den Gedanken zu beenden. Er war doch erst 17! In ihren Augen immer noch ihr kleiner Junge – auch wenn ihr Mann ihr jeden Tag das Gegenteil beweisen wollte. Genau wie ihr Sohn.

D’Artagnan hatte nicht gezögert. Seine Sachen waren schnell gepackt: ein Reisemantel, der einst seinem Vater gehört hatte, ein paar Münzen, ein Messer ... und ein Kanten Brot, den seine Mutter ihm noch schnell in die Hand drückte. Zwar hatte er kein Pferd, was er sehr bedauerte, doch da er zunächst der Familie Chabert einen Besuch abstatten wollte, erhoffte er sich, dort an ein Reittier zu gelangen.
Nachdem sein Vater ihm aufmunternd auf die Schulter geklopft und seine Mutter ihn noch einmal fest an ihr Herz gedrückt hatte, verließ er den Hof.

Madame d’Artagnan hatte von vornerein gewusst, dass sie ihren Sohn niemals von dieser Dummheit hätte abbringen können – er war schon immer ein Dickkopf gewesen, wie sein Vater! Ein d’Artagnan eben.

Das kleine Gut kam ihm seltsam still und verlassen vor, als er den sandigen Weg, der auf das Wohnhaus zulief, entlangging. Das einzige, was daran erinnerte, dass auf diesem Hof wohl noch Menschen leben mussten, war die Schar Hühner, die im Sand nach Würmern scharrte und der alte, graue Hütehund. Genau dieser trottete nun gemächlich auf den jungen Mann zu, der sich daraufhin bückte und das Tier hinter den zottigen Ohren kraulte.
“Wo ist dein Herr, mein Alter? Wenn du doch sprechen könntest.“
Es waren schon viele Jahre vergangen, seit er und Etiènne den Hund verletzt auf einer der Weiden nahe des Waldes gefunden hatten. Angeschossen hatte er auf der Seite gelegen und vor Schmerzen leise gewimmert – wahrscheinlich hatte ein Bauer ihn für einen wildernen Wolf gehalten und daraufhin abgedrückt, aus Angst, er könne seine Tiere reißen. Aus Mitleid mit dem armen Tier hatten sich beide dazu entschlossen, den Grauen zu pflegen, und wie d’Artagnan sich erinnerte, hatte Etiènne sogar nachts am Lager des verwundeten Hundes gewacht. Dieses Mitgefühl dankte das Tier seinem Herrn seitdem mit einer Treue, die mit Worten kaum zu beschreiben war.
Gerade wollte d’Artagnan sich erheben, da hörte er eine Stimme, die ihm nur allzu bekannt war:
„D’Artagnan, ich hatte gehofft, du würdest kommen. Was mag ihm nur durch den Kopf gegangen sein, dass er mir das antut! Mein einziges Kind – verschwunden!“ Madame Chabert stand in der Tür des Hauses -es war ihr anzusehen, dass sie geweint hatte. Die geröteten Augen und das geschwollene Gesicht sprachen für sich und aus ihrer Schürzentasche zog sie nun ein knittriges Tuch, mit dem sie sich über die Augen fuhr. Am liebsten hätte d’Artagnan sie umarmt – doch er tat es nicht.
„Er hätte dir doch alles gesagt, er hat dir immer alles anvertraut!“ Ihre Stimme klang nicht so klar wie sonst immer, sondern hatte einen weinerlichen Unterton.
„Madame, auch ich kann mir nicht erklären, aus welchem Grund er sein Zuhause verließ. Ich dachte, ihn zu kennen – doch nun ist mir klar, dass ich mich geirrt habe.“
Er senkte den Blick. Diese Worte – sie hatten in seinen Ohren so erwachsen geklungen, doch kam er sich vor wie ein kleines Kind, dass am liebsten alles hätte fallen lassen, um laut loszuheulen. Nie hatte er Madame Chabert mit „Madame“ angesprochen, für ihn war sie immer nur „Mimi“ gewesen, ein Name, den er ihr als kleines Kind gegeben hatte.
„Du bist ein guter Junge, sicher wirst du deinen Eltern einmal großen Stolz bereiten – so, wie ich es mir von Etiènne auch erhofft hatte. Aber du bist doch nicht hier, um mir mitzuteilen, dass du dich auf die Suche nach Etiènne machen willst? Du begibst dich in Gefahr, der du nicht gewachsen bist – noch nicht!“ Sie strich dem Jungen über die Wange, der vor ihr stand und von dem sie wusste, was er sich tatsächlich in den Kopf gesetzt hatte. Dennoch war ihr nur zu bewusst, dass der kleine Junge von damals nun auf seinen eigenen Füßen stand. Ein Lächeln zeichnete ihre Lippen.
„Ich werde für dich beten, für dich und für meinen Sohn, dass ich euch bald wieder gesund und munter an mein Herz drücken kann. Mein Mann ist im Stall, denn zu ihm wolltest du doch!“ Wieder nahm sie das Tuch und wischte eine einzelne Träne hinfort, die in ihrem Augenwinkel glitzerte. Nun konnte d’Artagnan nicht anders: sanft umarmte er die kleine Frau, die vor ihm stand. Ihm war eine Sache klar geworden: wie alt er auch sein mochte, diese Frau würde in ihm immer den kleinen Jungen sehen, auch wenn er dieser schon längst nicht mehr sein würde, und er würde in ihr immer jemanden haben, der ihm zuhörte, wie es sonst nur seine eigene Mutter konnte.

„Monsieur Chabert?“
Respektvoll klopfte der junge Gascogner an die schwere Stalltür und öffnete diese dann, indem er sich mir all seiner Kraft dagegen lehnte, als er von drinnen ein gedämpftes „Entre!“ empfing. Ein grauhaariger Mann, der trotz seines Alters noch erstaunlich attraktiv wirkte, kam auf ihn zu, in seiner rechten Hand die Trense eines Pferdes. Verwundert über das lederne Geschirr, legte d’Artagnan den Kopf schief und zog die linke Augenbraue beträchtlich in die Stirn.
„Ich habe gewusst, dass du hierher kommen würdest und ich habe gewusst, dass du losziehen würdest, um ihn zu suchen.“ In Monsieur Chaberts Stimme klang ein merkwürdiger Unterton nach, den d’Artagnan nicht zu deuten wusste.
„Darum habe ich mich dazu entschieden, dir „Charbon“ zu überlassen. Du hast ihn eingeritten, weißt du noch?“ Gehetzt klang die Stimme; fast kam es d’Artagnan vor, als wollte der grauhaarige Mann in schnellstmöglich loswerden! Aber Chabert wusste doch, welche Gefahren hinter dieser Suche stecken würden, warum billigte er sie dann noch mit solchem Elan? Und plagte ihn denn nicht auch die Sorge um seinen Sohn? Er blickte auf den stolzen Rappen, der nervös tänzelnd versuchte, dem kalten Metallgebiss zu entgehen, dass Monsieur Chabert versuchte, ihm ins Maul zu schieben. Dieses Pferd war eine Schönheit! Noir comme du charbon – schwarz wie die Nacht! Sicherlich hätte er einen fabelhaften Zuchthengst abgegeben, er war viel zu schade, als dass er einem jungen Mann wie ihm als Reittier dienen sollte.
„Du wirst Etiènne finden – da bin ich sicher. Hier die Zügel, nimm sie.“ D’Artagnan zögerte, bevor er die Zügel des Pferdes umschloss, dachte dann aber, dass es wohl sinnlos wäre, sich wegen Monsieur Chaberts Verhalten unnötig Gedanken zu machen. „ Und willst du etwa ohne Degen losreiten? Man würde dich bereits hinter der nächsten Ecke angreifen – und dann?“ Erst da bemerkte d’Artagnan, dass er bei seiner Abreise von Zuhause nichts mitgenommen hatte, das ihm zur Verteidigung dienen könnte. Nichts, bis auf das Messer, das er in der Eile eines Gefechts sicherlich nicht rechtzeitig aus der Tasche würde ziehen können. Ein Degen würde ihm da nur recht kommen.

Bedrückt ritt der junge Gascogner vom Hof der Famile Chabert. Unter ihm trabte der stolze Rappe und an seiner Seite hing ein neuer Degen, den er ohne viele Worte von Monsieur Chabert erhalten hatte. Er wusste nicht wieso, aber ihn quälte der Gedanke, dass der Mann, dem dieser Hof gehörte, wusste wohin und vor allem warum Etiènne verschwunden war!