Novemberherausforderung 2004 von Silvia 

  Durchschnittliche Wertung: 4.5, basierend auf 15 Bewertungen

Kapitel Aramis, auf ewig adieu! von xalibur 

Liebe Silvia, es tut mir leid, daß ich Deinen letzten Wunsch leider nicht erfüllen konnte. Teilweise ist meine Geschichte sehr ernst und traurig. Aber dafür kommt Aramis am Ende doch noch in den Himmel ;-)

Aramis, auf ewig Adieu!

"Er wird nicht kommen!" Es war eine stürmische Nacht, Wolkenfetzen zogen immer wieder über den Mond hinweg und verschluckten sein Licht. Unter einigen großen Bäumen im Jardin du Luxembourg waren vier Pferde angebunden, ihre Besitzer standen dicht dabei, drei Männer im blauen Rock der königlichen Musketiere. Der Jüngste der drei redete auf den Älteren ein, während der dritte im Bunde, ein Hüne, mit unerschütterlicher Ruhe daneben stand und wartete. "Wir sind umsonst hergekommen, wie jedesmal zuvor. Es hat doch keinen Sinn, Athos, wie lange willst Du denn noch auf ihn warten?" Der Ältere sah seinen jungen Freund ernst an und erwiderte ruhig und entschlossen: "Wenn es sein muß, eine Ewigkeit."

Eliza saß mit ihren Freunden in der Metro und war erregt und voller Vorfreude. Seit Wochen hatte sie diesem Abend entgegengefiebert, wochenlang hatte sie an dem Kleid genäht, ein Reifrock, ein Mieder aus schwarzem Samt, die Ärmel aus Spitze, ein kleiner schwarzer Schleier throhnte wie ein Diadem auf ihrem blondgelockten Haar, die Fledermausbrosche hob und senkte sich mit jedem Atemzug auf ihrem Busen. Der schwarze Kajal ließ ihre Augen groß und dunkel aussehen und gab ihnen Bedrohlichkeit und Trauer. Heute war die Nacht, heute war Samhain und Elise hatte sich in Elizagoth verwandelt. Während sie unterwegs zu einem angesagten Club im Herzen von Paris waren, erzählte Serge eine schräge Geschichte: "... Antoine fürchtet sich vor nichts, der würde auch den Teufel anquatschen."

"Ja, wenn der blond und weiblich ist!"

"Der Typ ist doch völlig abgedreht!"

"Aber er hat es nicht nötig, sowas zu erfinden. Macht sich doch höchstens unmöglich mit sowas."

"Und er sagt wirklich, sie war ein Geist?"

"Er hat sie beim Luxembourgh getroffen, in einem Kleid ... er hat sich gar nicht wieder eingekriegt über das Kleid ... so wie Elizas, nur aus gelbem Damast mit Stickereien. Da ist er zu ihr hin. Na ja, erst hat er gedacht, sie wäre eine von uns, also hat er sie angequatscht, wie man an so ein geiles Kleid kommt. Sie hat einfach nur scharf ausgesehen, sagt er."

"Kerle!"

"Na und, was ist denn dabei?"

"Erzähl weiter!"

"Und dann hat er gesehen, daß sie weint. Sie hatte einen Rosenkranz um die Hände geschlungen, saß auf einer Bank und weinte. Und Antoine ist kein Arsch, der kümmert sich um Dich, wenns Dir dreckig geht. Er hat sich zu ihr gesetzt und hat ihr zugehört. Und als sie erst nicht damit rauswollte, hat er ihr versichert, er hat schon eine Menge irre Sachen erlebt, ihn haut nichts um. Und da hat sie es ihm erzählt: Sie muß sowas wie ein weiblicher James Bond gewesen sein, und wie der gute James im Film hat sie die Herzen reihenweise gebrochen. Tja, und also der eine von ihren Geliebten, der wollte eigentlich Priester werden, und das ist er dann später auch, und sie war eine verheiratete Frau, aber nebenbei hatte sie eben auch was mit ihm laufen und hat ihn in ihre Spionagesachen mit reingezogen. Er hat sie wahnsinnig geliebt, er hätte alles für sie gemacht. Sie hat ihn verdorben, sagt sie. Wenn er ihr nie begegnet wäre, wäre er glücklich geworden. Aber die unglückliche Liebe zu ihr hat ihn verbittern lassen, und das, was er bei ihr gelernt hat, hat ihn auf den Geschmack gebracht. Und so ist er immer ehrgeiziger, rücksichtsloser und selbstsüchtiger geworden, und am Ende waren seine Freunde tot und er konnte es weder sich selbst noch ihr vergeben, und deswegen konnte er nicht weggehen, als er gestorben ist und geht jetzt als Geist um."

"Ach, dann war nicht sie der Geist, und Antoine hat gar keinen Geist mit eigenen Augen gesehen."

"Die hat doch nur rumgesponnen, vielleicht war sie ja aus ner geschlossenen Anstalt abgehauen, oder sie wollte ihn hochnehmen."

"Warts doch ab, der Hammer kommt ja noch: Dann sagte sie, das alles ist vor über 300 Jahren passiert! Und in dem Augenblick schlägt die Turmuhr 4."

"4? Endet die Geisterstunde nicht um eins?"

"Keine Ahnung, auf jeden Fall war dies um 4, und in dem Augenblick, wo der Glockenschlag ertönt, sitzt Antoine allein auf der Bank. Sie ist weg, einfach weg, wie vom Erdboden verschluckt!"

Sie hatten ihre Station erreicht und stiegen aus. Elizas Blick streifte den Spiegel der Bahn, und für einen Augenblick sah sie darin das Abbild Antoinnes schöner Verdammten, eine zierliche Person wie aus einem der Gemälde im Louvre, in einer gelben Festrobe, über deren Schultern anmutig ihre blonden Locken fallen. Das Bild wirkte so plastisch, daß sie sich tatsächlich umdrehte, aber natürlich war dort niemand, der auch nur entfernt dem Bild ähnelte.

Als sie vor dem Club angekommen waren, klingelte Elizas Handy. "SMS. Geht ruhig schon rein!" Und dann las sie die kurze Nachricht. Sie fühlte sich, als hätte man ihr ein Messer in den Bauch gestoßen. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie wandte sich um und rannte davon. Einfach nur weg! Bis ihre Lunge von der kalten Luft schmerzte. Da hielt sie an und sah sich um. Sie war am Ufer der Seine und das schwarze Wasser drehte sich im Mondlicht geheimnisvoll und verlockend. Das Handy klingelte. Eliza warf es im hohen Bogen ins Wasser, wo es mit einem Glucksen verschwand. Sie wollte mit niemandem reden. Sie wollte nie wieder mit jemandem reden. Sie wollte, daß der Schmerz in ihrem Innern aufhörte. Wie in Trance ging sie langsam auf das Wasser zu. Es war schwarz, kalt und versprach ewigen Frieden. Ein Arm packte sie um die Taille und riß sie zurück. Sie wehrte sich, aber obwohl der Mann schmächtig war, hatte er einen eiserne Kraft und hielt sie unerbittlich fest, bis ihre Wut sich in Tränen auflöste. Erst dann nahm sie ihn überhaupt wahr. Sie hatte ihn verflucht und gehaßt, weil er sich einmischte, aber jetzt war sie etwas versöhnlicher. Ein Priester konnte wohl nicht untätig danebenstehen bei sowas. Berufskrankheit. Priester eben. Nur was er sagte, paßte nicht dazu. "Ich weiß, wie verlockend das Wasser sein kann. Ich hätte es selbst gern getan." "Als Priester? Ist das nicht ...?" "Verboten?" Er lachte. Er war ausgesprochen gutaussehend. "Das hätte mich wohl nicht abgehalten. Aber es wäre undankbar gewesen gegenüber einem Freund." Er war reichlich seltsam. Vielleicht war das der Grund, warum Eliza sich auf eine Unterhaltung einließ. Sie ließ zu, daß er sie wegbrachte vom Seineufer. Und dann saßen sie in einer gemütlichen Creperie über einer heißen Schokolade. "Medizin" hatte er es genannt, "ein unfehlbares Mittel zur Linderung von Liebeskummer. Ich habe da ausreichend Erfahrung." Als Priester? Na ja, vielleicht war er ja deswegen Priester geworden. Irgendwie fühlte sie eine Seelenverwandtschaft und deswegen erzählte sie ihm die ganze Geschichte von ihrer großen Liebe, dem Mann, der sie immer wieder verletzte, benutzte und enttäuschte und von dem sie doch nicht losgekommen war und der jetzt Schluß gemacht hatte, feige in einer SMS. Und wegen dem sie beinahe ins Wasser gegangen wäre.

"Ganz schön bescheuert, ich weiß. Und er würde nicht mal untröstlich sein, nicht mal das. Früher hatten die Schurken wenigstens noch ein Gewissen und grämten sich als Geist in Ewigkeit über den Geliebten, den sie zugrundengerichtet hatten." Er fragte, ob sie denn an Geister glaube, und ob ihr der Gedanke daran keine Angst mache. Sie konnte schon fast wieder lachen. "Eigentlich nicht, aber wer weiß. Ein Freund behauptet steif und fest, ihm wäre einer begegnet, und auch noch ein hübscher mit einer sehr romantischen Geschichte." Und weil es sie ablenkte und er nicht uninteressiert schien, fing sie an zu erzählen. Er hörte ihr mit einem melancholischen Lächeln zu, bis sie anfing, den Geist zu beschreiben. Mit einem Mal war es um seine Ruhe geschehen. "Wo?" fragte er mit heiserer Stimme. "Wo hat Dein Freund sie gesehen?" Und kaum hatte sie geantwortet, war er aufgesprungen und schon fast zur Tür hinaus - aber dann kehrte er um. "Verzeih. Erst mische ich mich in Dein Leben und dann laß ich Dich einfach stehen. Das wäre nicht recht." Und er setzte sich wieder, als wäre nichts geschehen.

Die Creperie hatte irgendwann geschlossen. Sie schlenderten durch die nächtlichen Straßen. Sie war froh, daß er sie nicht alleingelassen hatte. Sie wollte jetzt nicht allein sein. Aber sein seltsames Benehmen ging ihr nicht aus dem Kopf. "Was hat Dich eigentlich vorhin an meiner Geschichte so aufgeregt?" Er lächelte nur traurig und meinte, das wäre nicht wichtig. Sie musterte ihn wieder: das schulterlange Haar, die Spitzenmanschetten an seinem Hemd, die Schnallenschuhe - wenn er nicht selbst bestätigt hätte, daß er Priester war, hätte sie ihn mittlerweile doch für einen aus ihrer Szene gehalten. Sie sprach aus, was Ihr gerade in den Sinn gekommen war: "Du bist der Geliebte der schönen Verdammten." Sie hatte es als Scherz gemeint, aber er lachte nicht. Er sah sie nur an und seine Züge waren voll Schmerz und Leid.

"Wie spät ist es? Wir müssen uns beeilen. Antoinne hat gesagt, um 4 Uhr wäre sie verschwunden!" Sie hatte ihn bei der Hand gefaßt und zog ihn hinter sich her. Es war verrückt. Vielleicht war sie selbst verrückt geworden, aber dies war Samhain, die Nacht, wo die Pforten des Totenreiches offenstehen, wo alles möglich ist. Wer weiß. Sie rannten, so schnell sie konnten.

"Er ist nicht gekommen!" d'Artagnan sagte es mit Resignation und Verärgerung. "Ich wußte, er würde nicht kommen." Athos schwieg, aber sein Gesicht konnte die Trauer nicht verbergen. Sie banden die Pferde los und saßen auf. Die Turmuhr schlug 4. "Diesmal kommt er!" meldete sich plötzlich Porthos. "Aber Porthos, das ist doch Unsinn. Die Uhr hat 4 geschlagen." "Und?" "Und jetzt ist es zu spät, das wißt Ihr so gut wie ich." "Und warum sind wir dann noch hier?" erwiderte Porthos triumphierend. d'Artagnan schaute ihn ungläubig an. Es stimmte, die Stunde der Rückkehr hatte geschlagen und sie waren immer noch hier, in der Welt der Lebenden. Er erschrak. Hatte Aramis Fluch sie am Ende mit in die Verdammnis gezogen?

Eliza und ihr Begleiter erreichten völlig außer Atem den Jardin du Luxembourgh, als die Turmuhr 4 schlug. Zu spät! Erschöpft und enttäuscht rang er vornübergebeugt nach Atem. Als er sich wieder aufrichtete, sah sie die Tränen auf seinen Wangen. Wortlos nahm sie seine Hand. Dann wandten sie sich zum Gehen. "René? Mon dieu, René!" Er fuhr herum, als er die Stimme hörte. Ungläubig starrte er auf die zierliche Person im gelben Damastkleid, die dort auf dem Weg stand, unfähig sich zu rühren. Elise seufzte und gab ihm einen kräftigen Schubs. Mit einem wehmütigen Lächeln sah sie zu, wie sich die beiden in die Arme fielen. Mit einem Mal hatte sie ein warmes Gefühl dort, wo noch vor Stunden der Schmerz sie hatte ins Wasser treiben wollen. Sie hatte etwas gelernt: Das Leben ist zu kurz, um es mit Schmerz, Verbitterung und Selbstmitleid zu verschwenden. Sonst sitzt man am Ende 300 Jahre hier fest. Und das muß nun wirklich nicht sein.

Aramis ging mit Marie Arm in Arm durch den Jardin du Luxembourgh und hatte nur Augen für sie, als ihn plötzlich eine Stimme im Leutnantston anherrschte: "Sacrebleux! Pünktlichkeit war nie Eure Stärke, Aramis, aber was Ihr Euch diesmal geleistet habt, setzt allem die Krone auf!" Aramis schrak zusammen und gewahrte vor sich seine drei Freunde, die ihn lachend begrüßten. "d'Artagnan, Porthos, Athos! Was tut Ihr hier?" "Auf Euch warten! Erinnert Ihr Euch nicht mehr an die Verabredung? Wer zuerst stirbt, holt die anderen bei ihrem Tod ab. Wir waren da, aber Ihr seid nicht erschienen." Aramis seufzte. "Ich mußte da wohl noch etwas Strafdienst leisten. Und Verantwortung lernen und Vergebung." "Und bei mir war es wohl die Treue." Marie streifte Athos mit einem freundlichen, halb entschuldigenden Blick. Dann lächelte sie Aramis an: "Aber 300 Jahre waren genug Zeit zum lernen." "Madame et Messiers, wir sollten die Ewigkeit nicht länger warten lassen." mahnte Athos zum Aufbruch. Aramis half Marie galant auf das überzählige Pferd und saß hinter ihr auf. Und dann ritten unsere Freude in die aufsteigenden Nebel und verschwanden. Und d'Artagnan sagte bei sich: "Doch nicht auf ewig adieu, Freund Aramis."