Novemberherausforderung 2004 von Silvia
Durchschnittliche Wertung: 4.5, basierend auf 15 BewertungenKapitel Die Maria von
Vorwort: Also, ich glaube, ganz lustig ist die Geschichte nicht... Aber sie erklärt, warum Aramis Priester wurde. Wovon Rochefort spricht, was er da mit seinem Bruder versucht hat… es sei niemandem empfohlen, dass auch auszuprobieren. Silke und ich haben das mal bei Stromausfall gemacht und fast den Schock unseres Lebens gehabt und das ist wirklich wahr. (Fragen bitte per Mail! ;-))
Viel Spaß!
Die Maria
Es war an einem stürmischen Herbstabend gegen halb elf Uhr in
Paris. Es regnete in Strömen, es blitzte und donnerte- kurz, es war
die Gelegenheit, um an einem Kamin beisammen zu sitzen und zu
plaudern. Genau dies taten die Herren Aramis, d’Artagnan, Athos und
Porthos. Doch wie um nicht immer nur auf die eigene Gesellschaft
angewiesen zu sein, hatten sie sich einen weiteren Herrn
eingeladen. Dieser Herr war seit neuestem d’Artagnans Freund,
jedenfalls auf Befehl des Kardinals. Es erübrigt sich fast zu
sagen, dass die Herren d’Artagnan und de Rochefort nicht sofort dem
Befehl des Ersten Ministers von Frankreich gefolgt waren. Drei
Duelle hatten folgen müssen, ehe sie sich ein zweites Mal einen
Bruderkuß gaben, der in diesem Falle aber dann wirklich von Herzen
kam.
An diesem Abend nun hatten sich also die Herren in der bescheidenen
Wohnung d’Artagnans in der Rue de Fossoyeurs zusammengefunden, und
saßen am prasselnden Kamin. Sie plauderten- über Nichtigkeiten, wie
es Menschen tun, wenn sie sich nicht allzu bekannt sind, aber trotz
alledem Vorurteile haben.
Porthos, der gerade damit beschäftigt war, seinen Glühwein in einem
Schluck zu trinken, wobei er sich permanent die Zunge verbrühte,
stellte plötzlich mit einem lauten „Klonk“, begleitet von einem
dröhnenden Donnerschlag von draußen, seinen Becher auf den Tisch,
um den die Herren saßen. Aramis, in süßeste Träume versunken,
schreckte auf.
„Messieurs“, rief Porthos, „Diese Unterhaltung ist zu und zu
langweilig. Können wir uns auch über interessantere Dinge als über
die Schärpe des Herzogs von Anjou vor siebzig Jahren
unterhalten?“
Mit tadelndem Blick sprach Aramis: „Das Ereignis, mein lieber
Porthos, von dem wir eben sprachen, ist nicht siebzig Jahre
her!“
„Dann eben achtzig“, meinte Porthos schulterzuckend.
„Trotzdem langweilt mich dieses Geplauder über
Nichtigkeiten.“
Befremdet sahen d’Artagnan und Athos ihren Freund an. Gewöhnlich
liebte er es doch am meisten, über Mode und Kleidung zu
reden.
Rochefort lächelte und goß sich einen Schluck Glühwein in seinen
noch halbvollen Becher.
„Lasst uns doch über die Zukunft plaudern“, meinte er
liebenswürdig, während sein Blick über die Innenausstattung von
d’Artagnans Zimmer wanderte. „Haben die Herren große Pläne?“
„Selbstverständlich“, meinte Athos spöttisch und entgegen seiner
üblichen ruhigen Art. „D’Artagnan wird Marschall von Frankreich,
Porthos heiratet eine Prinzessin, Aramis steigt zum General des
Jesuitenordens auf und ich werde mich neu verheiraten und fünf
Kinder haben. Was habt Ihr für Pläne, Graf de Rochefort?“
Aramis, Porthos und d’Artagnan hoben alle die Augenbrauen. Athos
hatte anscheinend wieder zuviel getrunken, doch gewöhnlich pflegte
er nicht so sarkastisch zu werden. Athos’ Freunde hatten geglaubt,
nach dem Abenteuer an der Lys wäre ihr Freund mit seiner
Vergangenheit fertig und mäßigte sich in seinem Verhalten etwas.
Vielleicht war es die unruhige Nacht, die bei Athos Erinnerungen an
längst vergangene Zeiten weckte.
Rochefort konnte nicht sofort antworten, denn ein Donnerschlag
übertönte alle Geräusche. Erst nach einer Weile sagte er: „Oh, mein
lieber Athos, ich wünsche Euch von ganzem Herzen, dass die Wünsche
der Herren in Erfüllung gehen, genau wie Monsieur le cardinale dies
wünscht. Seine Eminenz weiß, was er an den tapferen Musketieren,
die auch die Unzertrennlichen genannt werden, hat.“ Mit diesen
Worten hob er seinen Becher und man konnte nicht umhin,
anzustoßen.
„Was Eure Frage betrifft“, sagte er dann, nachdem er einen kleinen
Schluck getrunken hatte, „Ich habe noch vor, weiterhin in den
Diensten des großen Kardinals zu bleiben, obwohl ich kurz vor einer
Verlobung stehe…“
Porthos prustete überrascht und vertuschte dies, indem er eine
Serviette vor den Mund hielt und einen Hustenanfall mimte. Aramis,
der wieder in Gedanken versunken war, klopfte dem Freund
hilfsbereit und heftig auf den Rücken, was nun zu einem wirklichen
Hustenanfall des wackeren Musketiers führte.
Eine Kerze verlosch mit einem traurigen Flackern. Niemand erhob
sich, um sie anzuzünden.
D’Artagnan überlegte mit einem halben Lächeln, ob die Kerze wegen
Porthos’ Husten erloschen war.
„Wie steht es eigentlich mit Euch?“, wandte sich dann der junge
Leutnant an den hübschen Aramis. „Habt Ihr vor, in ein Kloster zu
gehen? Oder habt Ihr Euch nun endgültig für die militärische
Laufbahn entschieden?“
„Erstmal bleibe ich Musketier“, gab Aramis bekannt. „Es macht uns
allen viel Freude, von Euch Befehle anzunehmen.“
D’Artagnan errötete. Gestern hatte er einen Befehl des Hauptmannes
missverstanden und die ganze Kompanie hatte sich darüber amüsiert.
Und ehrgeizig, wie der junge Gascogner war, hatte ihn das hart
getroffen. Seine Freunde, bei denen er Rat und seelischen Beistand
suchte, hatten ihm nur gesagt, er könne froh sein, dass es sich nur
um Lappalien gehandelt hatte und dass er ein bisschen Spott
vertragen können musste.
Rochefort sah interessiert auf. Streit bei den Musketieren,
Meinungsverschiedenheiten? Das waren wichtige Neuigkeiten. Doch es
schien sich nur um Unwichtiges zu handeln, sonst hätten die anderen
beiden Herren gewiss auch aufmerksamer zugehört.
Am Fenster krachte es, als begehre jemand Einlass. Porthos sah sich
um, stand dann auf, um das Fenster fester zu schließen. Doch
gerade, als er den Riegel lockerte, anstatt ihn zu schließen, fegte
eine besonders heftige Bö gegen das Haus und das Fenster schlug
auf. Porthos konnte gerade noch rechtzeitig zurückweichen, sonst
hätte er sich womöglich verletzt.
Es hatte den Anschein, als stürzten ganze Wassermaßen ins Haus,
doch nachdem Porthos es geschafft hatte, das Fenster wieder zu
schließen, stellte er fest, dass nicht allzu viel Wasser den Boden
bedeckte.
„Seid Ihr verletzt, Porthos?“, kam Aramis besorgte Stimme aus dem
Dunkel. Die Kerzen waren durch den heftigen Windzug verlöscht und
das Feuer ohnehin recht heruntergebrannt.
„Ja, alles in Ordnung bei mir“, sagte Porthos. Er tastete sich
zurück und stieß irgendwo an.
„Verzeihung, Monsieur le comte.“
„Schon gut“, knurrte Rochefort recht bedrohlich.
Dann wurde es etwas heller. Athos hatte zwei Kerzen am ersterbenden
Feuer entzündet und beleuchtete die Szene. Aramis und d’Artagnan
saßen stocksteif in ihren Sesseln beziehungsweise Stühlen,
d’Artagnan starrte auf die Pfütze am Fenster, die wohl nun bald die
Wohnung des Monsieur Bonacieux überschwemmen würde, Aramis starrte
Porthos an. Dessen Vorderansicht war vollkommen durchnäßt.
Rochefort indessen hatte sein Bein angezogen und rieb sich
beständig über das Schienbein, gegen das Porthos versehentlich
getreten hatte.
„Schreckliches Wetter“, sprach Athos nicht allzu intelligent.
„Genau richtig, um Geistergeschichten zu erzählen“, befand
d’Artagnan, der sich von dem Schrecken, das Fenster würde sich auf
Porthos stürzen, schnell erholte.
Athos warf seinem jungen Freund einen drohenden Blick zu.
Geistergeschichten liebte er nicht. Doch d’Artagnan beachtete ihn
gar nicht, sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf Rochefort, der
sich aufrichtete und bedeutungsvoll räuperte.
„Ich kenne nur wenige solcher amüsanten Geschichten“, sagte er
langsam. „Aber einige sind bestens dafür geeignet, einen Mann
entscheiden zu lassen, wie er sein Leben weiterführen wird…“ Im
Zimmer wurde es still. Aramis sah zum Fenster hin, wo ein
verästelter Blitz Paris erleuchtete und das Zimmer kurz in
grellblaues Licht tauchte.
„Aber“, sagte Rochefort „es sind keine wirklichen Geschichten,
sondern vielmehr Vorschläge, über sich selbst klar zu
werden.“
„Nun redet schon“, forderte d’Artagnan seinen neuen Freund auf,
ohne auf das Heulen des Windes zu achten. „Wir sind gespannt,
erzählt, mir ist schon kalt.“
„Wenn die Zimmertemperatur sinkt, ist dies ein sicheres Zeichen
dafür, dass ein Gespenst im Zimmer ist“, verkündete Athos düster
und sie zuckten zusammen. Athos saß im Halbdunkeln, so dass sein
Gesicht nicht erkennbar war und er hatte mit Grabesstimme
gesprochen.
„Oder eine Schlange“, meinte Porthos, der sich von solchen
Ammenmärchen nicht schrecken ließ.
Anklagend sah d’Artagnan zu seinem Freund. „Ihr verderbt die
Stimmung, Porthos. Ich wüsste zu gerne, was für Rezepte Ihr habt,
Rochefort, dass man seine Zukunft daran ablesen kann.“
Rochefort lachte heiser. „Es sind keine Rezepte, mein Freund, es
sind Warnungen. Man sollte sie nicht zu oft anwenden, einmal reicht
es. Denkt an meine Worte.“
Dabei ließ er seinen Blick langsam erneut durch das Zimmer wandern
und sah dann zum Fenster. Unwillkürlich sahen auch die anderen
dorthin und zuckten zusammen, als ein Blatt mit einem nassen
Klatschen gegen das Fenster geschleudert wurde.
„Auch ist heute ein vorzüglicher Tag dazu, Messieurs“, sagte er mit
gedämpfter Stimme und sie rückten etwas enger beisammen, auch
Athos, dessen bleiches Gesicht jedoch noch immer im Dunkeln
lag.
„Ihr seid Euch bewusst, es ist heute der einunddreißigste Oktober.
Nur heute kann man sich entscheiden, seine Zukunft näher zu
ergründen. Oder im nächsten Jahr. Tut man es an einem anderen Tag,
ist man dazu verdammt, ein ganzes Jahr tiefes Leid zu erfahren.“
Die gespannt Lauschenden sahen sich an.
Rochefort hob leicht die Hand. „Es ist kein gewöhnliches Leid“,
sagte er dann, ohne dass sich ein Lächeln auf seinem Gesicht
zeigte.
„Man wird Dinge hören, die man nie hören wollte. Stimmen, Schreie…
und Worte, die man nicht mehr vergessen kann…“
Wieder war es eine Weile still zwischen den Herren. Ein Holzscheit
fiel im Kamin auseinander und Funken sprühten hoch. Wieder ließen
sich die Gesichter besser erkennen, d’Artagnan hing an den Lippen
des Grafen, Aramis kaute an seiner Unterlippe und Porthos an seinem
Schnurrbart. Athos hatte den Kopf in die schönen Hände gestützt und
sah nachdenklich zu Rochefort hin, der seinerseits zu einem Punkt
über den Köpfen der anderen starrte.
„Seid Ihr bereit, darüber mehr zu erfahren?“, fragte er dann. „Es
ist ungenau, was ich Euch erzähle, genau wie die Wahrsagerei ein
ungenauer Zweig aller Wissenschaften ist-“ Mit jeden Wort, dass er
sagte, wurde seine Stimme rauchiger. Aramis schauderte.
„Vor allem ist es wichtig, allein zu sein“, sprach Rochefort
langsam. Draußen über Paris grollte es, als fochten die
Himmelsscharen gegen die Sendboten der Hölle.
„Niemand darf in der Wohnung anwesend sein, denn sonst riskiert man
die Ewige Verdammnis. Es ist lasterhaft, was ich Euch erzählen,
werde, Messieurs. Seid Ihr dennoch willens, mehr darüber zu
erfahren?“
Die Musketiere nickten. Von irgendwoher zog es seit fünf Minuten
beständig und eine der Kerzen flackerte. Aramis knetete noch warmes
Wachs zwischen seinen feingliedrigen Händen.
„Wenn man sich vergewissert hat, dass man allein ist“, fuhr
Rochefort fort, „nehme man zwei Kerzen. Es müssen unbedingt zwei
sein und schwarz müssen sie sein. So schwarz wie die Nacht jetzt.“
Damit deutete er zum Fenster, wo nichts zu sehen war. Ein Blitz
zerriss die Dunkelheit und Athos hatte den Eindruck, ein bleiches
Gesicht schaue zum Fenster herein. Doch die Vision
verschwand.
„Es muss in tiefster Nacht sein“, hörte Athos dann Rocheforts
rauchige Stimme. „Die Geisterstunde ist dafür ausersehen, Dienerin
des Kultes zu sein. Wenn man es zu früh oder zu spät tut, sieht man
anderes, seine eigene Vergangenheit möglicherweise. Doch das Leben
ist damit verwirkt. Glaubt mir, ich kenne jemanden, der daran
zugrunde gegangen ist…“ Aramis bekreuzigte sich.
„Wenn man also die Kerzen entzündet hat, an einer Kerze, die weiß
sein muss, löscht man die weiße und geht zu einem Spiegel. Es muss
ein großer Spiegel sein, man muss mindestens den Oberkörper
vollständig erkennen können.“
Rochefort hielt kurz inne. Alle vier Herren hingen an seinen
Lippen, wagten aber nicht, sich anzusehen.
„Dann gibt es drei Sprüche. Man muss den richtigen wählen, die
Folgen werde ich Euch sagen.
Der erste Spruch lautet: ‚Die Blutige Maria kommt’…“
D’Artagnan zog scharf die Luft ein und Aramis sah mit
schreckgeweiteten Augen zu Rochefort.
„Man sollte diesen Spruch niemals sagen, wenn man mit zwei Kerzen
vor einem Spiegel steht. Man ist sofort tot und Unglück kommt über
jene, die einem lieb und teuer sind…
Der nächste Spruch lautet: ‚Der Teufel ist da.’“
Porthos sah Aramis an, der dies aber nicht bemerkte, sondern mit
einem leichten Kopfschütteln noch immer das Wachs knetete.
„Nach diesem Spruch wird man ohnmächtig“, erläuterte Rochefort. „Es
besteht die Gefahr des Abbrennens der Wohnung der Kerzen
wegen.
Der letzte Spruch ist der wichtigste. Man kann daraus seine Zukunft
sehen oder besser gesagt-“
Hier senkte er wieder die Stimme…
„Man sieht sein sehr wahrscheinliches Ende, wenn man den Weg wählt,
den man nicht wählen sollte.
Ich sage es Euch noch einmal, Messieurs, man ist allein in seiner
Wohnung, höchstens eine schwarze Katze darf anwesend sein… und man
steht vor einem Spiegel, mit zwei schwarzen Kerzen in der Hand. Und
dann spricht man die Worte: ‚Die Blutige Maria kommt dich zu
holen.’“
Ein krachender Donnerschlag, lauter als alle anderen zuvor, ließ
Paris erbeben und schien wie eine Bestätigung der Worte
Rocheforts.
Die Musketiere starrten Rochefort an. Dieser trank den letzten
Schluck Glühwein und stellte den Becher behutam auf den
Tisch.
„Das ist alles, was ich darüber weiß, Messieurs. Es gehört einiges
dazu, dies durchzuführen…“
Athos, Porthos, Aramis und d’Artagnan atmeten auf und setzen sich
etwas bequemer hin.
„Habt Ihr das schon einmal ausprobiert?“, fragte Porthos dann
zögernd.
Rochefort schüttelte leicht den Kopf. „Einmal, da war aber noch
mein Bruder dabei, hatten wir das Licht gelöscht und traten nur mit
zwei Kerzen vor einen Spiegel. Er stand leich hinter mir und hob
die Hand zum Kopf. Es schien, als sei der Gehörnte da. Wir haben
beide wieder mehr Licht gemacht.“
„Es waren doch nur Schatten“, meinte Aramis leichthin, obwohl er
blass geworden war.
„Ihr könnt es ausprobieren“, meinte Rochefort und erhob sich.
„Ich behindere Euch nicht daran.
Messieurs, es war ein Vergnügen, mit Euch zu plaudern. Doch ich
habe leider noch Verpflichtungen. Ihr entschuldigt.“ Mit diesen
Worten verschwand der Graf, ohne dass sie ihn zurückhalten
konnten.
Eine halbe Stunde später war Aramis wieder bei sich zu Hause.
Nach der Geschichte, oder besser, nach dem, was Rochefort bei
d’Artagnan zum Besten gegeben hatte, war ihnen die Lust vergangen,
sich weiter zu unterhalten. Aramis, obwohl gewöhnlich ein tapferer
Soldat, zuckte bei jedem Knacken in d’Artagnans Wohnung zusammen,
und den anderen ging es ähnlich. Schließlich waren sie gegangen,
obwohl d’Artagnan ihnen anbot, doch zu bleiben. Doch es war ihnen
gelegen, schnell nach Hause in vertraute Umgebung zu kommen, viele
Kerzen anzuzünden und sich dann möglichst fest in eine Decke zu
wickeln und zu versuchen, das ohrenbetäubende Gewitter, welches
noch immer über Paris tobte, zu überhören.
Aramis kam vollkomen durchnäßt zu Hause an. Er ging langsam in das
Haus, ohne Licht zu machen und schloss leise seine Wohnung auf.
Dann ging er vorsichtig hinein und zuckte zusammen, als er eine
Bewegung wahrnahm. Doch es war nur der Spiegel im Flur, der fast
bis auf den Fußboden herunterführte. Aramis’ Herz schlug plötzlich
bis zum Halse. Sollte er es wagen, einen Blick in die Zukunft zu
werfen?
Ein grunzendes Geräsuch ließ ihn heftig zusammenfahren. Dann
erkannte er, als sich das Geräusch wiederholte, dass es Bazin war,
sein Diener, der im angrenzenden Zimmer lag und schlief.
Aramis entzündete einige Kerzen und bemerkte, als er eine neue aus
einer Kommode nahm, dass auch zwei schwarze Kerzen dabei waren.
Leise schritt er zu Bazin hinüber und weckte ihn.
Der treue, dicke Diener fuhr hoch. „Mein Gott, Herr Aramis, Ihr
seid es!? Mir träumte…“
„Sei still“, befahl Aramis. „Du siehst, ich bin von oben bis unten
durchnäßt, mir ist entsetzlich kalt. Höre, du wirst jetzt zur
Vermieterin gehen. Sie soll eine heiße Schokolade
herbringen.“
„Aber Monsieur Aramis“, stammelte der bedauernswerte Bazin
verwirrt, „Es ist sehr spät…“
„Genau, eine Viertelstunde nach Mitternacht. Geh jetzt, ich möchte
sie noch vor zwei Uhr haben. Einfach nur eine Tasse heiße
Schokolade.“
„Glaubt Ihr denn“, fragte Bazin verzweifelt, „dass sie hier
Schokolade hat?“
Aramis nahm aus einer bestickten Börse, die auf dem Tisch lag,
etwas Geld und drückte es Bazin in die dicken Hände. „Damit findet
sie bestimmt welche. Nun geh!“
Er folgte seinem Diener, der sich rasch etwas Anständiges überzog,
in den Flur. Als der Diener die Tür öffnete, blitzte es hell auf,
dass sogar der Hausflur erleuchtet wurde und gleichzeitig schien
der Himmel zu explodieren. Bazin zögerte kurz, doch dann ging er
los und zog die Tür hinter sich zu.
Aramis atmete erleichtert auf und ging dann, ein kleines Gebet
murmelnd, in sein Zimmer. Dort löschte er alle Kerzen außer einer
weißen. An der Kommode blieb er einen Moment stehen. Es war
stockfinster im Zimmer und draußen rauschte noch immer der Regen
herab.Draußen grollte es noch immer unvermindert stark.
War es unsinnig, was er hier tat?, fragte sich der Musketier. Wer
konnte wissen, ob Rochefort sie nicht zum Narren gehalten hatte?
Doch wie sollte er das überprüfen, wenn er es nicht probierte? Kurz
entschlossen tastete er nach den zwei schwarzen Kerzen und trug sie
dann sorgsam zu dem Tisch, wo noch immer die weiße Kerze flackerte.
Aramis fragte sich, woher er überhaupt schwarze Kerzen hatte.
Er zuckte mit den Schultern und hielt die eine an die zitternde
Flamme der weißen Kerze. Mit einem Zischen brannte eine Flamme auf.
Das Gleiche tat er mit der anderen Kerze, dann löschte er die
weiße.
Aufatmend sah er dann die beiden Kerzen an, deren Flammen größer
wurden und schließlich sicher brannten, nachdem sie das Wachs
erreicht hatten.
Der Wind rüttelte am Fenster und Aramis zuckte zusammen. Er stellte
die beiden Kerzen auf den Tisch und legte erstmal Mantel und Hut
ab, die er beide an die Wand hängte. Dann nahm er die beiden Kerzen
und stellte sich in den Flur, die Tür zum Zimmer
offenlassend.
Er wagte es noch nicht, vor den Spiegel zu treten, sondern atmete
tief durch und rief sich den Spruch Rocheforts in das Gedächtnis
zurück. ‚Die Blutige Maria kommt dich zu holen.’ Er würde sich
nicht räuspern, ehe er das sagte, beschloss er.
Aramis war unsicher und nervös, aber er wollte nicht jetzt
aufgeben. Bazin konnte jeden Augenblick zurückkommen.
Das Gewitter ließ für einen Moment nach, es war kein Donnern mehr
zu hören, und der Wind flaute etwas ab.
Kurz entschlossen trat Aramis vor den Spiegel, die Kerzen etwa in
Gesichtshöhe haltend.
„Die Blutige Maria kommt dich zu holen.“
In diesem Moment schlug ein Blitz irgendwo ein, es klang wie ein
Schrei.
Im fahlen Licht erblickte Aramis im Spiegel ein Gesicht, ein Mann
von vierzig Jahren, ein Soldat, blutüberstömt, blass und mit Augen,
die den Tod sahen.
Der junge Musketier schrie auf und wirbelte herum. Es war sein
Mantel, der an der Wand hing und den er für einen Mann, und die
weiße Feder, die er für ein Gesicht gehalten hatte.
Aramis wurde ohnmächtig.
Aramis hat kurz nach dem einundreißigsten Oktober seinen
Abschied genommen. Die Vision, die er durch Rochefort gehabt hatte,
war zu deutlich gewesen, als dass er diesen Wink des Schicksals
misschachtet hätte. Er ging in ein Kloster, wurde Priester und
weihte sein Leben Gott.
Er hatte das Glück, nicht schon früh sterben zu
müssen.