Oktoberherausforderung 2004 von Maike 

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Kapitel Die Kinder des Capitaine von Anonymous

Anmerkung: Eigentlich müsste ich mich bei diesem Projekt als Ghostwriter von Maike bezeichnen, denn die wichtigsten Grundlagen der Geschichte sind alle von ihr. Sie hat den Marschall der Toten erfunden, das Lied und die Legende von Montagne des Loups verfasst (und diese Verse gehen einem echt nicht mehr aus dem Kopf!) und sie hat Trévilles Familie so plastisch geschildert, dass ich sie einfach nicht vergessen konnte. Alles was gut an dieser Geschichte ist, stammt von Maike, alle Fehler sind von mir. Danke dass du mir erlaubt hast diese Geschichte zu erzählen!
Warnung: Die Hauptrolle in dieser Geschichte spielen Trévilles Kinder plus ein gewisser nicht bei allen Leuten beliebter Gardist. Wer eines von beiden Elementen nicht mag, sollte vorsichtig sein!

Die Kinder des Capitaine

Mir war als ob etwas rief,
und striche um mein Bett herum,
doch heute Nacht ist Hallow’s Eve
und heute geh’n die Toten um.

(Agnes Miegel)

Prolog: Kameradschaftliche Hilfe

Auch wenn Biscarrat versucht hatte dem Wundarzt den Mund zu verbieten, hatte dieser seinen Bericht an Capitaine de Cavoyes gegeben. Die Schulterwunde Biscarrats – Überbleibsel eines höchst merkwürdigen Mordanschlages auf das Leben seiner Eminenz – war ernst genug und Cavoyes, nachdem er den Wundarzt gehört hatte, verkündete Biscarrat, dass er sich bis zur Ausheilung der Verletzung als außer Dienst zu betrachten habe. Der Gardist nahm dies nur ungern hin, er tolerierte Schwächen an sich nur selten. Den letzten kleinen Auftrag – Cahusac der mit einer Nachricht zum Hôtel de Tréville geschickt worden war – schnellstens zurück zu holen, da selbige Nachricht als erledigt zu betrachten war – nahm er daher nicht ungern an.

So machte sich der Gardist an dem klaren Oktobertag auf den Ritt zum Hôtel de Tréville. Sein Pferd Ares genoss den Auslauf und noch viel mehr genoss Myrmidon, Biscarrats riesiger Wolfshund, dass sein Herr dienstfrei hatte, und ihn somit mit hinaus nahm. Getreulich lief er neben dem Rappen her, und ignorierte geflissentlich die Stallknechte des Hôtel die seine Nase beleidigten. Allerdings begleitete er seinen Herrn die Treppen hinauf in Richtung des Vorzimmers.

Sie brauchten allerdings kaum soweit zu gehen um Cahusac zu finden, und diesen in gar Schwieriger Lage. Biscarrat konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: hier stand eine Festung eindeutig unter Belagerung! Sein Kamerad saß auf der Treppe die zum Vorzimmer hinauf führte, umlagert von drei wichtigen Persönlichkeiten, nämlich Francoise d’Etchandy zusammen mit Armand und Henri-Josephe de Tréville, - den drei Kindern des Capitaines der Musketiere - das Kindermädchen der drei stand im Hintergrund ihn schien sehr über die Szenerie amüsiert zu sein, ohne auch nur den entferntesten Wunsch zu helfen oder einzugreifen. Wie auch immer sich Cahusac ihren Zorn zugezogen hatte, er hatte es gründlich getan. „Wenigstens eine Geschichte!“ stellte der siebenjährige Henri- Josephe eben fest, bevor die drei – vielleicht weniger von Biscarrats Erscheinung, als von der Myrmidons abgelenkt wurden.

Cahusac wollte aufspringen, was jedoch durch die Positionen der drei schlechterdings unmöglich wurde. Sein Fluchtversuch endete mit einem halben Aufrichten und ebenso raschen zurücksinken auf die Teppichbelegte Stufe. „Ihr seid unser Gefangener.“ Erklärte Armand mit dem vollen ernst seiner neun Jahre, Francoise, sich mit ihren elf Jahren, ganz schon der Dame bewusst, hielt sich zurück.

Biscarrat hätte lachen mögen, aber er – auch wenn es schon runde zehn Jahre her war – erinnerte sich gut war es hieß kleine Geschwister zu haben, und ging darauf ein. Er bedeutete Myrmidon sich brav zu setzten und ging in die Hocke, was ihn auf ungefähre Augenhöhe mit den Jungen brachte. Gleichzeitig bedeutete der Cahusac sitzen zu bleiben und sich – bitte! – ruhig zu verhalten. „Wenn er Euer Gefangener ist – dann müssen wir die Bedingungen für seine Freilassung verhandeln.“ Sagte er ernst zu den beiden Jungen. „Was verlangt ihr?“

Das Kindermädchen im Hintergrund grinste beinahe als wüsste sie was jetzt kam im voraus. „Eine Geschichte – eine lange Geschichte.“ Erwiderte Armand. „Und Ihr habt einen Nachmittag Zeit mit uns zu spielen – heute.“ Erwiderte Henri- Josephe der die Augen nur schwer von Myrmidon lösen konnte. Biscarrat nickte und sah zu Francoise. „Und die Dame?“

Mit ihren elf Jahren wusste Francoise schon sehr gut, dass sich das hier eigentlich nicht gehörte und doch... Biscarrat stand im Ruf einen wundervollen schwarzen Hengst zu reiten, von dem man sich viele Geschichten erzählte und den sie selbst vom Fenster aus schon bewundert hatte. „Ein Ritt auf Eurem Pferd – für jeden von uns.“ Fügte sie also hinzu.

Das Kindermädchen hielt sich vor lachen die Hand vor den Mund, gespannt zu sehen wie der verflixte Herr Gardist sich da rauswinden wollte. Biscarrat nickte jedoch den dreien zu. „Ein Nachtmittag Zeit, eine lange Geschichte und für jeden ein Ritt auf Ares.“ Stimmte er zu. Die Augen des Kindermädchens wurden murmelrund, als in Folge ausgemacht wurde, dass erst der Nachtmittag und zwar heute, hier und jetzt – nicht beachtend dass es frühestens elf Uhr Vormittags war - , dann die Geschichte und am nächsten Tag der Ritt auf Ares stattfinden sollten.

Cahusac war noch überraschter, da er den Einzelgängerischen Biscarrat sich schwer im Umgang mit den Kindern vorstellen konnte. „Biscarrat...“

„Geh einfach zurück zum Palais Cahusac, de Cavoyes will Euch sprechen.“ Erwiderte er, sich wieder den drei jungen Trévilles zuwendend. Cahusac – bevor man von ihm verlangen konnte mit Kindern zu spielen oder gar diesen Geschichten zu erzählen – zwei Tätigkeiten die Zofen und leicht derangierten Musketiercapitaines anstanden, aber nicht tapferen Gardisten seiner Eminenz – trat den hastigen Rückzug an und eilte die Treppen des Hôtel de Tréville eiligst in Richtung Hof hinunter. Von oben hörte er noch die Stimmen der Kinder und das über den Garten und mögliche Spiele im Freien solange das Wetter schön sei gesprochen wurde und Biscarrats Zusicherung Myrmidon würde bestimmt nicht beißen, die von dem Jubelruf zweier Jungen begleitet wurde. Cahusac ergriff das Hasenpanier.

1. Ein Spiel wird Ernst

„Erneut hörte Jean das Heulen der Wölfe, das die klare Luft des Januarnachmittags zerriss und als er aufschaute, gewahrte er einen großen weißen Wolf, der regungslos zwischen den schneebeladenen Bäumen des Hanges stand und auf ihn herabsah. Im nächsten Moment war er verschwunden ohne dass eine Bewegung zu sehen war und nun wusste Jean, dass er dem Geist der Montagnes des Loups gegenüber stand. Kein geringerer als dieser Schatten dunkler Zeiten hatte sich seines Freundes bemächtigt. Und als ob sie ihm den Gedanken bestätigen wollten, erklang das Heulen der Wölfe jenseits des waldigen Hanges...“

Die nachmittägliche Oktobersonne schien auf den Garten des Hôtel de Treville herab und auf vier Personen die im Schatten der Espe saßen. Die Kinder – ermüdet vom Spielen – hatten entschieden dass die Geschichte – wenn wie nur lang genug war, auch jetzt schön wäre, und lauschten nun gebannt einer Erzählung die Biscarrat – nach einigen Schwierigkeiten mit dem Namen waren zuerst die Jungen und etwas Zögerlicher Francoise dazu übergegangen ihn César zu nennen – ihnen leise vortrug. Während Francoise entspannt auf einer der Wurzeln saß, schräg gegenüber von Biscarrat der an den Stamm gelehnt saß, hatte sich Armand neben César gesetzt und Henri- Josephe in das weiche Fell des dösenden Myrmidon gekuschelt. „Es gibt ein Lied über diesen Geist, nicht wahr?“ fragte er nun, als Biscarrat innehielt. „Nicht war César – da gibt es ein Lied?“

Armand und Francoise nickten beide. „ich glaube es fängt an: der Feldhauptmann in düstrer Nacht..“ Der ältere der Brüder traf die Melodie aber nicht den Text. „Nicht wahr César?“

Lächelnd gab Biscarrat dem Wunsch nach dem Lied, dass er – aufgewachsen in der Montagne des Loups – nur allzu gut kannte nach, und schon bei der zweiten Zeile, sangen alle drei Kinder, soweit sie den Text kannten mit.

„Am Wolfsberg, wo in finst’rer Nacht
der Feldhauptmann ward umgebracht,
geht heut’gen Tages, bleich und stumm,
sein Geist als ein Gerippe um!“

Im düst’ren Tann von Lioncourt
tat er einst seinen letzten Schwur,
nein, Fluch muß heißen dieses Wort!
Oh, Wand’rer, fliehe diesen Ort!

Die Wölfe nennt er nun sein Heer,
und gegen sie hilft kein Gewehr,
sind kugelfest nach seinem Fluch –
der weiße Schnee – ein Leichentuch!

Den Weg gar Totenpfad man heißt,
wer folglich dorten Wolf und Geist
so zwischen Zähn’ und Klauen fällt
geb’ gute Nacht der schönen Welt!“

Die hellen Stimmen der Kinder und Biscarrats dunkler Bariton bildeten ein eigenwilliges Quartett, nichtsdestotrotz beherrschten die Kinder nach der dritten Wiederholung das Lied geradezu perfekt. Erwartungsvoll sahen sie Biscarrat nun an. „Was hat Jean dann getan?“ fragte Henri – Josephe, der begonnen hatte Myrmidons Fell liebevoll zu zausen.

Eben wollte Biscarrat weitersprechen, als eine Zofe erschien und Francoise winkte zu kommen. In sicherem Abstande sprach sie eine Weile mit dem Mädchen, dass dann nickte, jedoch ein Zittern nur schwer verbergen konnte, und mit bleicher Miene zu ihren Brüdern und dem Gast zurückkam. Als sie sich setzte, sahen ihre Brüder sie erwartungsvoll an. „Was ist?“ fragte Armand nach einigen Momenten.

Unsicher sah Francoise zu Biscarrat. „Soll ich gehen?“ fragte er sie.

Ihr Blick musterte ihn lange. Sie überlegte anscheinend. „Wenn....“ sie schien nicht zu wissen wie sie es anfangen sollte. „Wenn ihr es hört – sagt Ihr es dann nicht Eurem bö... Eurem Herrn?“ fragte sie schließlich.

Von einem Moment auf den anderen war der Graben zwischen ihnen wieder da. Biscarrat konnte die Frage verstehen. Ein Geheimnis, dass ein Kind ihm in gutem Vertrauen erzählt hatte, weitergeben! Soweit kam es noch. Allerdings war ihm auch klar – dass bei dem Ruf den die Garde hatte – sein Wort sie wohl kaum überzeugen würde. „César und Biscarrat sind zwei verschiedene Menschen, und sie reden nie miteinander.“ Antwortete er daher. „Was immer César hört Biscarrat erfährt es nicht.“

Für einige Momente sagte Francoise gar nichts, dann antwortete sie sehr leise auf die Frage ihres Bruders. „Armand, Henri-Josephe, Vater und Mutter sind von ihrem Gang in den Louvre nicht wiedergekommen und alle Musketiere sind von hier weggerufen worden. Und niemand weiß wo sie sind, angeblich. Estella ist selbst hinüber gegangen aber niemand spricht dort mit ihr.“

Biscarrat war mehr als überrascht, gleichzeitig sah er die Angst der Kinder und begriff, dass ihnen das Schicksal des Günstlings und die Wankelmütigkeit des Königs bereits Begriff genug war um sich zu fürchten. Er brauchte die Frage ob seine Eminenz da die Hand im Spiele hatte, nicht lange zu erwägen. Zum einen wäre die Verhaftung nicht im Louvre passiert und die Musketiere nicht abgezogen worden, - das roch eher nach König – zum zweiten Erinnerte er sich, seine Eminenz einmal haben sagen zu hören, dass – wenn er den Elendsgascogner schon verhaften ließe – er keinem Kerkermeister von ganz Paris zumuten würden, Anne du Preyer de Troisvilles zu beherbergen. Und auch – mit den sich abzeichnenden kriegerischen Verwicklungen in Mantua würde Eminenz nicht einen gestandenen – wiewohl verhassten Offizier – verhaften lassen, solange er zuverlässig war.

In diesem Moment – er hatte das leise Gespräch der Geschwister nicht beachtet – rissen Henri – Josephes Worte ihn aus den Gedanken. Der Junge hatte sich noch fest gegen Myrmidons schwarz – grau gemustertes Fell gekuschelt, als könne der riesige Wolfshund ihn schützen, und fragte leise. „César – Vater sagt immer dass Kardinalisten die Gef.... Gefängnisse von Paris besser kennen als den Salon ihrer Mutter, kann du nicht erfahren wohin man Vater gebracht hat?“ Der siebenjährige sah Biscarrat dabei groß an.

„Henri – Josephe, César ist ein Gardist seiner Eminenz, du kannst ihn nicht um so etwas bitten!“ fuhr Francoise dazwischen. Eben wollte sie sich für die Ungehörigkeit bei Biscarrat entschuldigen, aber er winkte ab.

„vielleicht kann ich ja wirklich etwas erfahren.“ Sagte er ernst. Und er meinte es. Er hatte – mehr als ihm oft lieb war – mit den festen Häusern von Paris zu tun gehabt. Was die Bastille anging – einen Ort den er fürs Leben gemieden hätte, wenn es nach ihm gegangen wäre – er kannte den Leutnant des Kommandanten recht gut, noch von einer anderen Sache her die den Vater dieser Kinder ironischerweise involviert hatte. In der Conciergerie – er hatte dort viel zu tun gehabt im Zusammenhang mit einem Anhänger des Herzogs von Orleans – hatte, der zu Biscarrats Leidwesen, der oberste Verhörmeister eine gewisse Art von Freundschaft zu ihm empfunden. Und beim Châtelet kannte er – aus dem Grunde dass Cavoyes ihn doch mindestens einmal im Monat rüberschickte um nach diesem oder jenem Kameraden den die Stadtgarden dorthin geschafft hatten, Erkundigungen einzuziehen – den Kommandanten selbst ganz gut. Er war schon halb am aufstehen.

Armand nickte. „Wir kommen mit.“ Sagte er entschieden. Ein rascher Blick tauschte unter den Geschwistern und es stand so viel Sorge und Angst in ihren Augen. Erst wollte Biscarrat rundheraus ablehnen – doch dann wurde ihm klar, dass der Kinder ebenso wenig hier lassen konnte. Mit dem Abzug der Musketiere war das Haus ungeschützt, nur einige Diener hier, die jemanden der sich der Kinder bemächtigen wollte, kaum aufhalten konnten. Und der Onkel der Kinder, Capitaine des Essarts, befand sich mitsamt Familie auf dem Weg in die Champagne wo sein Vater gestorben war. Verdammt, das hatte jemand geschickt eingefädelt. „Habt ihr noch andere Verwandte in der Stadt?“

Ein einhelliges Kopfschütteln war die Antwort. „Wir werden dich bestimmt nicht behindern.“ Sagte Henri – Josephe leise.

Biscarrat hörte die herzreißende Angst den Kleinen Jungen aus seiner Stimme. Wieder musste er an seine eigenen jüngeren Geschwister denken. Was musste diese Ungewissheit für die Kinder bedeuten? Vielleicht Stunden oder Tage hier zu sitzen und zu warten ob sie etwas erfuhren? Und dann – hier würde jeder an sie herankommen um sich ihrer zu bemächtigen und vielleicht als Druckmittel gegen den Vater einzusetzen. Und wer – selbst der gerissenste Intrigant – würde die drei bei ihm – einem verschrienen Kardinalsgardisten suchen? Er nickte. „Gut. Francoise, du kannst reiten?“

Sie nickte. „Ja. Warum?“

„Wir nehmen ein zweites Pferd, dass du und Armand reiten, ich nehme Henri – Josephe mit auf Ares.“ Erklärte Biscarrat leise. „Und es sollte niemand erfahren, dass ich Euch mit zur Bastille nehme.“

Die Kinder nickten im Chor. Sie verließen den Garten durch einen Dienerzugang. Es dauerte für Biscarrat nicht allzu lange um Ares und ein weiteres Pferd aufzusatteln. Es waren nur wenige Diener zu sehen, die meisten von ihnen hatten sich in der Stube des Vorstehers versammelt. Wie gut konnte Biscarrat sich das Gerede vorstellen. Von „in Ungnade gefallen“ bis „beinahe hingerichtet“ würde das innerhalb von einer Stunde gehen. Er sah zu den Kindern, die getreulich auf ihn warteten. Er hatte Myrmidon bei ihnen gelassen. Henri – Josephe hockte neben dem Wolfshund, den kleinen Arm fest um das Tier geschlungen. Biscarrat hatte keine Sorgen was das anging, Myrmidon war – so wenig Zeit Biscarrats Dienst ihm leider für das Tier lies – von ihm gut abgerichtet worden und würde von den Kindern fast alles tolerieren und sie verteidigen wenn notwendig. Rasch führte Biscarrat die beiden Pferde zu den Kindern hinüber. Francoise nahmen den Braunen aus dem Väterlichen Stall zusammen mit Armand, während Henri – Josephe vor Biscarrat in den Sattel kam. Und durch einen Seitenausgang verschwanden die vier unbemerkt von der aufgescheuchten Dienerschaft, das Hôtel de Tréville.

Die drei sehr zuverlässige Musketiere, die nur eine halbe Stunde später eintrafen, um die Kinder zu holen, fanden das Haus – sehr zu ihrem Entsetzen – verlassen vor.

***

Es dämmerte bereits als unsere drei Freunde in Richtung der Ile de Cité ritten. Weder die Bastille noch das Châtelet waren besonders ergiebig gewesen. Nun blieb nur noch die Conciergerie – des gefürchtetste Gefängnis von Paris übrig. Biscarrat musste dein drei Tréville Kindern lassen, sie hielten sich tapfer – unverkennbar kam da der Vater durch.

Der oberste Verhörmeister mochte das seltsame Gefolge von Biscarrat erstaunt mustern und schüttelte dann jedoch den Kopf. „Tréville? Nein, den haben wir ganz bestimmt nicht hier. Aber vielleicht ist der ebenso verschwunden wie der Kardinal. Was Gardist ihr wisst das noch nicht? Euer Capitaine und die ganze Truppe sind auf den Beinen weil jemand des heutigen Tages den Kardinal verschleppt hat. Man fand nur einen Zettel in seinem Arbeitszimmer. „Non est currere“ oder so was.

„Non est currentis.“ korrigierte Biscarrat der das Bibelzitat erkannte. „Die Gnade Gottes ist nicht dem wollenden, auch nicht dem Laufenden (currentis) sondern dem dessen Gott sich erbarmt.“

Draußen im Hof, bei den Pferden, schüttelte Francoise den Kopf. „Jemand hat den Kardinal verschleppt und vielleicht auch unseren Vater? Aber wer würde so etwas tun?“

„jemand der einen schweren Schlag gegen die Krone plant.“ Meinte Biscarrat leise. „Aber wer? Wer wäre so gerissen und wagemutig?“

„Dann müssen wir eben Vater befreien und zur Not auch den Kardinal.“ Stellte Armand entschlossen fest.

„Auch den Kardinal – immerhin ist er Césars Herr.“ Fügte Henri – Josephe hinzu. Selbst Francoise konnte ein zustimmendes Nicken nicht unterdrücken. „Doch wie finden wir ihn, wo selbst die Garden es nicht können?“ fragte sie zweifelnd.

Die Blicke der drei Kinder stürzten César in einen tiefen Konflikt. Sie wussten nicht dass sie sich mit ihrer Bitte an den Mann richteten, denn man dereinst Lion den Jäger genannt hatte und der dafür berüchtigt gewesen war, fast alles zu finden, wenn er es nur wollte. Und er wusste, wenn er jetzt sagte, dass er einen Weg sah – und die Ansatzpunkte zeigten sich bereits in seinem Geist – dann würden die drei in vollem Vertrauen auf ihn mitkommen, ihm auch in die Gefahr folgen. Konnte –durfte er sie dem aussetzen? Zumal wenn man bedachte welche Quellen er würde anzapfen müssen? Welche Drähte zu seiner begrabenen Vergangenheit er würde wahrscheinlich wieder ausgraben müssen?

Francoise mochte einen Teil seiner Überlegungen in seiner Miene gelesen haben. „Wir werden dir nicht in den Weg kommen, César und....“ sie schluckte. „Es ist unser Vater, wir können nicht...“

César legte ihr die Hand auf die Schulter. „Und Ihr könnt ihn nicht im Stich lassen.“ Sagte er. „Ihr habt seinen Mut – alle drei. Kommt, wir werden ihn schon finden.“

***

Das „Rubinauge“ war eine Lokalität in der unteren Rue de Jerusalem, wo Halbwüchsige normalerweise nicht hingehörten. Und selbst jetzt – im frühen Abend – herrschte hier schon mächtiges Begängnis und trunkene Stimmen klangen über die Straße. Biscarrat, brauchte nur den Stimmen nachzugehen, speziell der Stimme eines bestimmten Sängers, um den Mann zu finden, der suchte.

Bleibt auch dereinst das Herz uns stehn
Niemand wird Tränen uns weinen.
Leis wird der Sturmwind sein Klagelied wehn
Trüber die Sonne wird scheinen.
Aus ist ein Leben voll farbiger Pracht,
Zügellos drüber und drunter.
Speier und Spötter, ihr habt uns verlacht,
Uns geht die Sonne nicht unter.

Jean-Pierre schaute auf, leicht angetrunken, wie er war. „Na wenn das nicht Lion der Jäger ist, was hast du dir für einen Anhang zugelegt?“

„Ja früher man in dem Handwerk anfängt, desto besser.“ Erwiderte César. „Und ich bin auf der Suche nach jemanden, der in letzter Zeit wahrscheinlich Männer geheuert hat, für einige herbe Entführungen.“

Nun grinste Jean-Pierre breit und ausgiebig. „Ah – daher weht der Wind. Nun hättest du mich nicht mal vor der Bastille bewahrt, als du schon ehrbar geworden warst....“ er seufzte. „Gut. Es gibt einen Herrn namens Dufresne, - Captaine Dufresne - er lebt nahe des Petit Pont und ist der Mittelsmann in der Sache. Mehr weiß ich auch nicht außer ... dass die Dinge nicht umsonst heute, am Vorabend von Allerheiligen begonnen haben.“

Der Marschall der Toten

Es war bereits Dunkel als sie Dufresnes Haus erreichten. Es lag leider ungünstig um unbemerkt einzubrechen. Das war nie und nimmer geräuschlos zu bewältigen, wie Biscarrat bedauernd feststellte. Sie hatten ihre Pferde in der Seitengasse stehen lassen und mit ihm spähten die Kinder dort hinüber. „Man müsste ihn rauslocken.“ Sagte Armand leise. „So dass César ihn überwältigen kann.“

Francoise nickte, und dann blitzten ihre Augen auf. „Ich weiß was. Wartet einen Moment.“ Damit war sie auch schon zurück in Richtung der Pferde gehuscht, doch sie kam zu aller Überraschung nicht mit den Pferden wieder, sondern mit einem kleinen, ausgesucht schönen Strauß Rosen, der – wie Biscarrat sich erinnerte – am Sattel eines hübschen Pferdes vor einem nahegelegenen Wirtshaus gehangen hatte. Ein wenig unsicher schaute Francoise zu der anderen Seite der Gasse. „Auf dem Misthaufen da drüben liegen alte Fische.“ Sagte sie leise. „Kann einer von Euch mir einen davon holen?“ Man hörte deutlich dass sie sich nicht vor den Fischen von heute, aber dem was weiter unten so auf dem Abfallhaufen des Fischhändlers so vor hin rottete, ekelte. Biscarrat fackelte nicht lange, sondern ging hinüber und brachte ihr einen Heringsschwanz, den sie – zu seinem Erstaunen liebevoll unter den Rosen verbarg – so dass man ihn nicht gleich sah. „Wartet hier – und wenn er kommt – schlagt ihn nieder.“ Flüsterte sie, und huschte los.

Bevor einer sie hindern konnte, war sie hinüber zu dem Haus gelaufen und klopfte, gleich einem Dienstmädchen mit einem Auftrag. Biscarrat beobachtete die Szenerie, zuerst erschien nicht viel ungewöhnliches. Dann hörte er einen Wutschrei von dort drüben und sah Francoise angerannt kommen, gefolgt von einem hellhaarigen Mann. „Bleib stehen du kleines Miststück!“ fauchte er.

Biscarrat wartete ab, bis der Mann auf seiner Höhe war, dann folgte sein Angriff, mehrere gezielte Faustschläge schickten den Mann zu Boden und es war nicht schwer ihn zu überwältigen. Armand und Henri- Josephe waren erstaunlich flink darin Lederriemen vom Sattel zu holen und ein Taschentuch als Interimsknebel zur Verfügung zu stellen. Francoise kicherte leise. „Und die Haustür ist auch offen César.“

Biscarrat sah auf, er war gerade mit den Fußfesseln des Mannes fertig. „Wie hast du das gemacht Francoise?“

„Ich habe gesagt, ihr währe das Dienstmädchen einer Dame die nicht näher genannt zu sein wünscht, die ihm diese Rosen schickt...“ kicherte Francoise. „Und als er dran riechen wollte ist er an den fauligen Hering geraten und mir wütend nachgerannt. Kavaliere sind doch dumm.... du natürlich nicht, César, aber du bist Kardinalsgardist und somit...“ sie schlug sich mit Hand auf den Mund, und sah ihn erschrocken an.

„....und somit kein Kavalier?“ grinste César. „Nun Ich bin dankbar wenn eine charmante einmal nicht von mir verlangt einer zu sein.“ Damit warf er sich den Gefangenen über die Schulter, Henri- Josephe und Armand holten die Pferde und die drei rückten in das nun offene und leere Haus ein. Francoise die neben ihm gegangen war, sagte leise: „Es tut mir leid, das war rüde...“ deutlich bemerkte man, das hier wieder ihre gute Erziehung griff.

César lachte leise. „Mach dir keine Gedanken. Es ist eine halbe Wahrheit was du gesagt hast.“ Er lud den Gefangenen auf einer Bank im Haus ab und die Jungen verschlossen sorgfältig die Tür von innen.

Francoise lächelte kurz, es war das stille Lächeln dass sie ihrem Vater sehr ähnlich machte. „Aber nur eine halbe Wahrheit.“ Stellte sie fest. Damit musterte sie Dufresne. „Und jetzt muss der uns erzählen wo Vater ist und auch Eminenz.“

Armand wandte sich ihnen zu, die Kumpanei der vier war von dem kurzen Zwischenfall eher gestärkt als geschwächt worden. „Hmm... die Soldaten sagen immer wenn einer nicht reden will, muss er unter die Tortur. Was macht man da mit ihm?“

„Geschirr spülen vielleicht?“ schlug Henri- Josephe hilfreich vor. „Oder Fussboden schrubben? Madeleine sagt immer das sei eine Tortur.“

Francoise war etwas blasser geworden und schlagartig wurde César, den diese Vorschläge beinahe zum Lachen brachten, klar, dass ihr mehr klar war, als ihren beiden Brüdern. Innerlich seufzte er, sie mochte vom Aufenthalt ihres Vaters in der Bastille mehr mitbekommen haben, als es ihre jüngeren Brüder getan hatten. Francoises Blick – ein sehr merkwürdiger Blick – blieb an Biscarrat hängen. „Du weißt sicher wie wir von Dufresne erfahren können, was wir wollen, César.“ Sagte sie sehr leise.

Die Frage überraschte den Gardisten und machte ihn im selben Moment betroffen. „Nimm deine beiden Brüder und durchstöbert sein Arbeitszimmer. Vielleicht hat er ja was brauchbares hiergelassen dass uns weiterhilft.“ Sagte er zu ihr.

Als die drei – denen Myrmidon getreulich folgte – nach oben verschwunden waren, nahm Biscarrat Dufresne den Knebel aus dem Mund. „Schöne Verbündete habt ihr da.“ Grollte dieser.

„Es sind die Kinder eines Vaters, die bereit sind sehr weit zu gehen.“ Erwiderte Biscarrat kalt. „Ich habe nur zwei Fragen: wer ist Euer Auftraggeber und wo hat er die Gefangenen?“

Dufresne sah ihn sehr verdutzt an. „Ihr jagt Concini, mit drei Kindern als Hilfe?“ rutschte es ihm heraus, im ersten Gedanken dass Biscarrat komplett wahnsinnig sein müsste.

Concini? Im ersten Moment meinte Biscarrat sich verhört zu haben. Der Marschall von Ance war auf Geheiß des Königs vor dreizehn Jahren getötet worden. Aber Dufresne hatte zu erstaunt geklungen um zu Lügen und vielleicht war dieser Tod nur ein Gerücht gewesen... „Vorabend von Allerheiligen, aber wirklich.“ Murmelte er. „Meine Verbündeten haben jedenfalls nicht am Hering geschnuppert.“ Setzte er trocken fort. „Und wenn Ihr Euch als kooperativ erweist könnte ich mir überlegen Euch nur den Musketieren zu überantworten und nicht Capitaine de Cavoyes, der Euch bevor ihr bis dreißig gezählt habt in die tiefsten Keller der Conciergerie schaffen lässt, wo Ihr alles gestehen werdet.“

Dufresne selbst schien diese Aussicht nicht sehr beglückend zu finden. „Ich weiß nicht wo die Gefangenen genau sind. Es gibt einen Tunnel von Concinis Haus zum Versteck der Gefangenen.“ Stammelte er.

In dem Moment kamen die drei Kinder wieder herein geeilt. Sie brachten zwei Dinge mit, die sie in einem Geheimfach des Sekretärs gefunden hatten. Biscarrat unterdrückte ein Lächeln, ob sie wohl das Durchstöbern regelmäßig am Arbeitszimmer ihres Vaters übten? Die beiden Dinge waren jedoch nicht von sehr lustiger Natur. Das eine war ein säuberlich gezeichneter Plan eines Tunnelsystems unter der Ile de Cité und das andere war eine Purpurkalotte. Ein wenig fuhr César zusammen als er den Kardinalshut erkannte. Mochte bisher ein Teil von ihm gehofft haben, dass das mit der Entführung des Kardinals eine hoffnungslose Übertreibung gewesen war, dann bekam sie jetzt einen deutlichen Dämpfer.

Nachdenklich studierte er den Plan den die Kinder gefunden hatten. Tatsächlich stimmte er mit der Aussage Dufresnes über das Versteck Concinis überein und da war auch der Beschriebene Tunnel, der anscheinend zu einem Keller der mit einem kleinen System von Tunneln verbunden war, führte. Für einen Moment erwog Biscarrat einen der anderen Zugänge des Tunnelsystems die alle anscheinend irgendwo zur Seine zurück führten, zu benutzen, denn der Keller hatte einen Zugang in diese Richtung. Aber wahrscheinlich würden vor dem Keller Wachen sein und in diese Richtung scharf aufpassen, der einzige Zugang den sie vermutlich für ungefährlich hielten, war der aus besagtem Hause. „Der auf den sie am wenigsten aufpassen werden, ist der, der aus dem Versteck unseres Untoten kommt.“ Murmelte er. „Nur um da herein zu kommen, brauchen wir ein geradezu brillantes Ablenkungsmanöver.“

Er hatte die drei Kinder, die ebenfalls Kriegsrat gehalten hatten, eine Weile nicht beachtet, nun sah Armand ihn an. „Wenn die Musketiere nur genügen Rabatz vor dem Haus machen, würde das sicher von uns ablenken.“ Meinte er.

Biscarrat hockte sich. „Aber wie bekommen wir die Musketiere dorthin?“ fragte er ruhig. „Sie sind wahrscheinlich völlig woanders....“

„Die Wachablösung am Louvre.“ Warf Francoise ein. „Wenn die Wachen abgelöst werden, dann kehren viele von ihnen zu ihren Quartieren zurück und...“

„Überqueren die Ile de Cité.“ Erwiderte Biscarrat nachdenklich. „Wann ist die nächste Wachablösung am Louvre? Mitternacht wahrscheinlich?“

Ein einhelliges Kopfschütteln von allen dreien. „Elf Uhr.“ Erwiderte Francoise. „Vater sagt immer Mitternacht sei so schön vorhersehbar.“ Die Kinder winkten Biscarrat näher heran, er hockte sich und wurde flüsternd in die Idee eingeweiht. César musste schmunzeln. Ja, das sollte für genügen Aufsehen sorgen, ohne Concini allzu unruhig zu machen.

***

Die vier dunklen Gestalten die das Fass gegen elf auf den kleinen Platz auf der Ile de Cité rollten, bemerkte niemand. Und das dumpfe stöhnen und leise fluchen aus dem Fass wurde vom rumpeln übertönt. Das Fass wurde im unteren Becken des Springenbrunnens abgestellt, mit einem höchst merkwürdigen Rosenstrauß – einer Art Brautstrauß – der daran gebunden war, verziert und eine der vier Gestalten warf noch etwas ins obere Becken des Springbrunnens, bevor die vier wieder von der Nacht verschluckt wurden.

Das dumpfe Fluchen und Schimpfen das aus dem Fass, das unten Wasser nahm, hervordrang lockte kurz vor Mitternacht mehrere Personen gleichzeitig an. Zuerst einen einzelnen Mann, der sich das Arrangement nicht ohne Amüsement ansah, und erst darin unterbrochen wurde, als eine ganze Ronde Musketiere auf dem Plan erschien. „Rochefort, was macht ihr hier?“ Leutnant d’Artagnan, der einen mehr als nur harten Tag hinter sich hatte, war überrascht. Dann jedoch sah er die warnende Geste seines Fähnrichs Montarné, der die triefendnasse Purpurgalotte aus dem Brunnen gefischt hatte. Im selben Moment setzte das Schimpfen aus dem Fass wieder ein. D’Artagnan sah Rochefort an. „Ihr bleibt besser.“

Die Musketiere wuchteten das Fass mühelos aus dem Brunnenbecken. Um es zu öffnen musste einer von ihnen den Strauß entfernen. „Oh igitt, was für ein widerlicher Hochzeitsstrauß.“ Kommentierte er, den Fisch entdeckend.

Inzwischen hatten der Fähnrich und zwei weitere das Fass geöffnet und den durchfrorenen , nur spärlich bekleideten Dufresne, der nur so mit blauen Flecken überzogen war, herausgeholt. Eine Weile lang stammelte er nur wirres Zeug bevor er mühsam flüsterte: „Es war dieser verrückte César..“ dann verlor er das Bewusstsein.

Alle Blicke richteten sich auf Charles – César de Rochefort. Dieser sah die Musketiere entgeistert an. „D’Artagnan – ihr nehmt doch nicht an, ich hätte mit dieser hübschen Vorstellung etwas zu tun? Ich kam nur Momente vor Euch hierher.“

„Aber wir fanden Euch amüsiert grinsend vor dem Arrangement.“ Sagte Fähnrich Montarné leise. „Und weit und breit war niemand sonst zu sehen.“

Rochefort schnaubte. „Ich war auf dem Weg von Palais Cardinal in einem Auftrage der Euch nichts angeht, als ich das Fluchen hörte und der Anblick war etwas lustig um ihn zu goutieren. Niemand war hier, das ist richtig.“

"Aber wie zum Teufel kam der Hauptmann in das Weinfaß?" fragte d'Artagnan mit unglücklicher Miene. "Und wie der Fischschwanz in die Rosen und der Kardinalshut in den Springbrunnen? Denn freiwillige werden sie wohl kaum dahineingestiegen sein, oder Rochefort?“

Der Graf sah den Leutnant fast wütend an. „Wollt Ihr mich verdächtigen D’Artagnan?“ sein Ärger lies ihn lauter sprechen als gewöhnlich.

D’Artagnan sah kreuzunglücklich drein. „Ich muss, Rochefort. Seine Eminenz ist verschwunden, und wahrscheinlich auch die Kinder des Hauptmanns und Ihr seid von Hauptmann Dufresne zumindest eines Übergriffs auf seine Person beschuldigt worden, auch wenn das hier –,“ er hob den nassen Kardinalshut – „für wesentlich tiefere Verstrickungen spricht. So leid es mir tut – ich muss Euch festnehmen.“

***

Nur der Anfang dieser Konversation war unseren vier Gefährten gewahr geworden, dann hatten sie das allgemeine Aufsehen – und die Szene auf dem Platz hatte jede Menge geweckte Bürger an die Fenster gelockt – genutzt um in das Gebäude dass Dufresne ihnen bezeichnet hatte, einzudringen. Die drei Wachen, die sie vorfanden, waren so damit befasst dass Spektakel auf der Straße zu verfolgen, dass es ihnen ganz gut gelang diese zu überwältigen. Es war für César eine schwierigere Erfahrung, dass er diesen Gegnern nicht einfach die Kehle durchschneiden konnte, sondern andere Wege finden musste, sie rasch auszuschalten.

Sie ließen die drei gefesselt und geknebelt zurück als sie weiter in das Haus eindrangen, weit kamen sie jedoch nicht, denn im Flur jenseits der Diele erwartete sie ein Mann mit dem Degen in der Hand. „Nicht übel gespielt Gardist.“ Stellte er fest. „Doch hier endet dein Weg.“

César erkannte dass er dem Marschall von Ance gegenüber stand. Er zog seinen Rapier – dankbar dass der Marschall die Kinder nicht weiter beachtete, dass würde ihnen eine Chance zum verschwinden geben. „Und Ihr seid also der Untote der Paris unsicher macht.“

„Der Vorabend nach Allerheiligen, dreizehn Jahre nach meinem Tode – es erschien mir passend.“ Der Angriff kam hart und Biscarrat parierte ihn souverän.

Das Gefecht dass sich entspann war hart. Biscarrat, durch die Schulterwunde gezwungen mit der linken Hand zu fechten, hatte einen deutlichen Nachteil, insbesondere da er seine Schnelligkeit in dem Engen Umfeld schwer ausspielen konnte um das auszugleichen. Concini – wenngleich älter als Biscarrat, war ein gestandener Fechter der durch eine der besten Schulen Italiens gegangen war, zwar verunsicherte ihn der unkonventionelle Stil des Gardisten etwas, aber er war sich sicher siegen zu können.

Césars drei Gefährten jedoch hatten keinen Moment daran gedacht zu flüchten. Zuerst hatten sie gebannt den Kampf verfolgt, doch schon bald erkannten sie dass Ihr Freund wahrscheinlich Hilfe brauchen würde, besonders als Biscarrat einen zweiten Treffer gegen seine rechte Schulter einstecken musste. Francoise, die Älteste, und vielleicht auf die Entschlossenste von ihnen, handelte zuerst. Sie eilte zum Kamin und unter Überwindung all ihrer Angst, packte sie eines der glühenden Stücken aus dem Aschehaufen darin und schleuderte es mit alle Wucht nach Concini, der Wurf saß wunderbar und traf den Hals des Marschalls der vor schmerz aufschrie und zurücktaumelte, gleichzeitig kam von Henri – Josephe der Ruf. „Myrmidon – fass!“ Selbst zu Biscarrats Erstaunen gehorchte der Wolfshund aufs Wort und sprang den abgelenkten Concini an, warf ihn zu Boden und stand – das Gebiss knapp vor der verbrannten Kehle des Marschalls – über seinem Opfer.

Francoise – sich um die kleine Verbrennung in ihrer Hand nicht scherend – eilte zu Biscarrat. „César – du bist verletzt.“

Der Gardist schüttelte den Kopf. „Nur ein Kratzer, nicht mehr. Was ist mit deiner Hand?“

Francoise winkte ab und betrachtete die blutige Schulter mit einem kritischen Blick. Aber auch sie sah, dass sie sich erst des Gefangenen annehmen mussten. Nachdem Biscarrat den Marschall entwaffnet und gründlich gefesselt hatte, wandte sich Francoise an ihre Brüder. „Ihr passt mit Myrmidon auf ihn auf – wenn er versucht zu fliehen – lasst Myrmidon ihn fressen. César, wir müssen wegen deiner Schulter etwas unternehmen!“ die letzten Worte waren sehr streng gesprochen.

Biscarrat, der spürte wie einiges an warmem Blut über seinen Arm lief, nickte. „Abbinden wird reichen, es ist nur ein Kratzer.“

Ehe er sich nach irgendetwas brauchbarem umschauen konnte, war Francoise schon aus dem Raum geeilt um kurz darauf mit einem sauberen Tischtuch wiederzukommen. „In einem anständig geführten Haus gibt es eine Wäschetruhe.“ Sagte sie zufrieden, während sie sich von César den langen Dolch ausborgte um den Stoff in streifen zu zerteilen. Im Hintergrund Philosophierten Armand und Henri-Josephe darüber was sie mit dem Marschall machen würden, wenn er ihnen nicht sagte, wo er ihren Vater hingebracht hatte. Francoise war alles andere als ungeschickt, als sie mit den langen Stoffbahnen Césars Schulter neu verband. „Was machen wir mit dem Marschall?“ fragte sie als sie fertig war.

„Den nehmen wir mit wenn wir euren Vater und seine Eminenz befreien.“ Erwiderte Biscarrat. Concini verdrehte die Augen. „Ich habe dem Capitaine der Musketiere kein Haar gekrümmt.“ Grollte er.

Biscarrat lockerte die Fußfesseln soweit, dass sie dem Marschall kleine Schritte erlaubten. „Das werden wir sehen, wenn wir dort sind.“ Sagte er kalt. „Also vorwärts!“

Mit dem ersten Hahnenschrei

Der Kampflärm war schon von weitem zu hören. Anscheinend wurde in irgendeinem Teil des Tunnelsystems gekämpft. Entsprechend vorsichtig waren unsere Freunde, als sie den Keller erreichten. Und tatsächlich sahen sie zwei Wachen, die sich eben in den Keller zurückzogen. „Verdammter Cavoyes – aber noch haben wir eine Geisel.“ Grollte der eine.

Doch im nächsten Moment sahen die beiden Männer sich von einem – wiewohl angeschlagenen Gardisten und einem äußerst rabiaten Wolfshund angefallen. Concini – der erneut geknebelt – nicht hatte schreien können, bleib seinen anderen drei Bewachern überlassen. Der Kampf mit den Wachen dauerte zum Glück nicht lange, dann waren die beiden Männer keine Bedrohung mehr und lagen bewusstlos am Boden. Ein rasches Umschauen sagte Biscarrat, dass sich hier nur ein Gefangener befand – nämlich seine Eminenz der diese ganze Szene mit wachsender Überraschung beobachtet hatte. Biscarrat hatte eben die Fesseln des Kardinals gelöst, als mit einem krachen die Tür des Kellers aufflog, kampfbereit fuhr der Gardist herum, aber es war kein Feind der hier eindrang. Francesco de Cavoyes – den blutigen Säbel in der rechten, hinter ihm eine ganze Truppe bewaffneter Gardisten, drangen in den Keller vor. Der Capitaine war nicht weniger überrascht über den Kardinal befreit – von einer so ungewöhnlichen Truppe befreit – zu sehen, als auch den Gefangenen zu sehen. Auch wenn seine erste Aufmerksamkeit dem Kardinal galt, der jede Frage nach Verwundungen beiseite winkte. „Ich bin nicht verwundet, Cavoyes. Nehmt Euch besser Concinis an, seine Wachen erscheinen mir etwas unzureichend.“ Die Tonlage seiner Eminenz verriet nicht ob er spottete oder einfach nur erschöpft war.

„Concini? Der sollte doch tot sein, oder ist er von jenseits des Grabes zurückgekehrt um Euch zu verfolgen?“ De Cavoyes glaubte ganz ernsthaft an eine Verwechslung.

"Das hat der Reformationstag nun einmal so an sich, wie?" sagte der Kardinal spöttisch. "Führt ihn ab! Cavoyes und sorgt dafür, dass er in einer festen Zelle der Bastille untergebracht wird!"

Der Capitaine – der begriff dass es sich nicht um eine Verwechslung handelte – wollte bereits seine Truppe teilen, um einen Teil von ihnen mit dem Gefangen zur Bastille und den Rest als Eskorte für den Kardinal zurück zum Palais zu schicken, als Armand ihm entgegentrat. „Erst muss er uns verraten wo er unseren Vater hat – dann könnt Ihr ihn haben.“

Biscarrat befreite Concini von dem Knebel. „Bitte Cavoyes –,“ stieß dieser hervor. „Erlöst mich von diesen Wahnsinnigen. Ich habe ihren Vater nicht – was wollte ich mit diesem Elendsgascogner? Ich bin bereit die Bastille zu ertragen – aber das,“ er deutete mit den Augen auf die drei Kinder. „ist Folter.“

Cavoyes – dem man nicht ansah ob ihn die Situation amüsierte oder wütend machte, wandte sich an Biscarrat. „Der Hauptmann der Musketiere ist in größter Sorge um seine Kinder, die wir als von Concini verschleppt annehmen mussten, Biscarrat. Nehmt die drei und den Hund und setzt den Hauptmann in Kenntnis dass seinen Kindern nichts geschehen ist.“

***

Es dämmerte draußen bereits als unsere Freunde zum Hôtel de Treville zurückritten. Es war eine bleischwere, graue Herbstdämmerung. Dennoch waren die vier guter Dinge. Als sie in den Hof des Hôtel de Treville einritten, stießen sie auf eine ganze Truppe Musketiere. D’Artagnan und Athos diskutierten gerade sehr heftig miteinander.

„Er ist der einzige den wir haben, der etwas damit zu tun hat. Cavoyes soll zwar auch noch auf der Spur eines Italieners sein...“

"Das ist bestenfalls ein Gerücht." entgegnete Athos. "Sicher ist dagegen, daß Monsieur de Rochefort unschuldig verurteilt in der Conciergerie sitzt und das besagtes Urteil noch vor Allerheiligen vollstreckt werden wird. Wenn die Laune seiner Majestät sich nicht bessert."

Überrascht sahen die beiden auf, als die Reiter in den Hof kamen. „Ist es der Garde gelungen die Entführten zu befreien?“ fragte d’Artagnan mit einem erleichterten Blick auf die Kinder.

„Wir haben seine Eminenz befreit.“ Erklärte Henri – Josphe, der abgesprungen war und sich neben Myrmidon gehockt hatte um ihn zu kraulen. „Und wir haben Concini gefangen, zusammen mit César.“

Biscarrat wandte sich an d’Artagnan. „Ich bin hier um die Kinder zurückzubringen und mich bei Capitaine de Tréville zu entschuldigen für all das Durcheinander das ich verursacht habe.“

„Der Capitaine ist noch nicht wieder hier.“ Erwiderte d’Artagnan, „Aber das Kindermädchen wird sicher...“

Inzwischen waren auch Armand und Francoise abgesessen und standen neben César, sie waren erschöpft aber noch völlig aufgekratzt von der aufregenden Nacht. „Kannst du bleiben bis Vater kommt César?“ fragte Armand. „Du musst uns doch bei ihm abgeben hat dein Hauptmann gesagt.“

Biscarrat nickte zustimmend und gemeinsam gingen sie die Treppen zum Palais hinauf. „Hat Jean eigentlich seinen Freund vor dem Geist der Montagne des Loups retten können?“ fragte Henri- Josephe dabei.

César nickte. „Aber natürlich. Ich erzähle es Euch drin. Er hat einen langen Weg gehen und sehr mutig sein müssen – genau wie ihr – aber er hat ihn gerettet.“ Antwortete er. Er wusste dass es anders war. Jean war gestorben und man sagte einem weißen Wolf mit grünen Augen im Gefolge des toten Feldhauptmanns nach, dass dieser einst Jean gewesen sei. Aber das war etwas anderes, für Kinder mussten die Geschichten gut ausgehen, das gehörte sich so und wenn man dem eben ein bisschen nachhelfen musste.

***

Capitaine de Tréville kam im Mittag nach Hause. Es war alles andere als ein einfacher Morgen gewesen, aber die Meldung, dass seinen Kindern nichts passiert war, hatte ihn alles mit gutem Humor nehmen lassen. Noch ahnte er nicht, dass sein eigenes Täuschungsmanöver, zu verschwinden um unauffälliger nach Concini suchen zu können, zu all dem Durcheinander geführt hatte. Die Meldung, dass besagter Marschall von Ance seinen Bewachern entkommen war, noch bevor sie die Rue de St. Antoine erreichten, hatte ihn bereits erreicht. Mit dem ersten Hahnenschrei war Concini verschwunden gewesen, und abergläubische Seelen murmelten bereits davon dass es wirklich nur ein Geist gewesen sei, der die Stadt am Tag vor Allerheiligen heimgesucht hatte. Doch all das war vergessen, als Tréville den Salon betrat und dort seine drei Kinder vorfand. Sie schliefen. Francoise zusammengerollt in einem Sessel, Armand und Henri – Josephe gekuschelt an einen riesigen Wolfshund , der ebenfalls döste. Auf dem Kaminsims lag ein kurzer Brief.

Liebe Francoise, Armand und Henri – Josephe,

ihr schlaft ganz fest und ich glaube nicht, dass ihr aufwachen werdet, bevor euer Vater nach Hause kommt und ich kann leider nicht länger bleiben. Concini ist mit dem ersten Hahnenschrei verschwunden und so muss ich mit meinen Kameraden ihn erneut jagen gehen, auch wenn ich nicht glaube, dass ich ihn ohne eure Hilfe noch einmal erwischen werde. Myrmidon lasse ich bei Euch, mein Dienst lässt mir viel zu wenig Zeit für ihn und ich glaube er hat euch drei sehr lieb gewonnen.

César

Huf schlag lies Treville ans Fenster treten, unten verließ eben ein einzelner Reiter den Hof. Er sang leise, die Melodie trug zu Treville hinauf.

Faut-il nous quitter sans espoir
Sans espoir de retour ?
Faut-il nous quitter sans espoir
De nous revoir un jour ?

Ce n'est qu'un au-revoir, mes Frères,
Ce n'est qu'un au-revoir.
Oui, nous nous reverrons, mes Frères,
Ce n'est qu'un au-revoir.

Formons de nos mains qui s'enlacent
Au déclin de ce jour
Formons de nos mains qui s'enlacent
Une chaîne d'amour.

Ce n'est qu'un au-revoir, mes Frères,
Ce n'est qu'un au-revoir.
Oui, nous nous reverrons, mes Frères,
Ce n'est qu'un au-revoir.

Car Dieu qui nous voit tous ensemble
Et qui veut nous bénir,
Car Dieu qui nous voit tous ensemble,
Saura nous réunir.

Armand rührte sich kurz unruhig im Schlaf, nur um sich fester an das weiche Fell von Myrmidon zu kuscheln. Mit einem Lächeln betrachtete der Hauptmann den neuen Hausgenossen, ein ziemlicher Gigant, aber die Kinder schienen ihn wirklich zu mögen. Und wenn sie aufwachten hatten sie wahrscheinlich eine Abenteuerliche Geschichte zu erzählen. Sacht strich er der schlafenden Francoise über das Haar. Er ahnte nicht dass sein kleines Mädchen in ihrem Traum durch einen tief verschneiten winterlichen Bergwald stapfte, während über dem Wind tausend Stimmen zu flüstern schienen:
Am Wolfsberg, wo in finst’rer Nacht
der Feldhauptmann ward umgebracht,
geht heut’gen Tages, bleich und stumm,
sein Geist als ein Gerippe um!