Porthos von AstridB 

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Kapitel Eine Reihe von Mißverständnissen

Zurück zum Dorfgasthof, den Porthos in heilloser Verwirrung zurückgelassen hatte. Es war noch früh am Morgen und Leutnant Leblanc gerade erst bei der Morgentoilette angelangt. Die lärmende Aufgeregtheit im Hof veranlasste ihn, sich in den Hof zu begeben und nach der Ursache der Aufregung zu forschen. Leider konnten die Wachen nicht viel zur Erhellung der Geschehnisse beitragen. Von den wenigen Worten, die Porthos geäußert hatte, blieben nur „Entführung“, „Musketier“ und „Rettung“ in Erinnerung. Erst die von Leblanc veranlasste gründliche Durchsuchung des Hofes erbrachte die Gewissheit, dass neben Porthos auch Athos vermisst wurde. Eine Befragung des Gastwirts ergab, dass dieses Dorf bereits in der Vergangenheit regelmäßig von Banditen heimgesucht wurde. Versuche, die Banditen zu verfolgen endeten zumeist erfolglos in der gleichen zerklüfteten und schwer zugänglichen Region. Bisher waren alle Versuche, das Versteck ausfindig zu machen gescheitert.

Einige Musketiere waren den Spuren der Entführer gefolgt, bis zu einer zertrampelten Lichtung, ein Zeichen dafür, dass die Banditen hier Halt gemacht hatten. Nachdem sie sich über die Himmelsrichtung versichert hatten, die die Banditen einschlugen, kehrten sie zurück. Die Erkenntnisse der Musketiere bestätigten die Aussagen des Gastwirts, so dass sie getrost davon ausgehen konnten, Athos in der vom Gastwirt genannten Region ausfindig machen zu können. Jedoch war die Schar zu klein, um einen Verfolgungstrupp loszuschicken. Und bis die Gesellschaft tatsächlich abreiten könnte, obwohl die Vorbereitungen für den Aufbruch längst eingeleitet waren, würden sie so spät am Tage die gesuchte Region erreichen können, dass das Tageslicht für eine Suchaktion nicht mehr ausreichte. Sie konnten jedoch das Lager von Capitaine d’Enghien bis zur Nacht erreichen. Und dieses lag nicht weit entfernt vom Versteck der Banditen. Zudem würden sie am Morgen bei Tageslicht auch die Unterstützung der Dragoner für eine viel effektivere Suche nach dem Unterschlupf der Banditen haben. Ein Bote wurde unverzüglich nach Fontainebleau entsandt, um M. de Tréville und Kardinal Richelieu über die Geschehnisse zu informieren und beide ebenfalls in das Lager d’Enghiens zu bestellen.

 

Es wurde, trotz aller Eile, später Vormittag, bis die Jagdgesellschaft den Gasthof verlassen konnte. Ein nicht zu unterschätzendes Hindernis war der Verlust der Pferde des Falkenmeisters und seines Gehilfen und auch der zugehörigen Sättel mit den Sitzblöcken für die Falken. Der Geselle improvisierte, als Ersatz, Sitzblöcke am Sattel von Herzog de Bonne und an Athos Sattel. Der Falkenmeister bekam Athos Pferd als Reitpferd zugeteilt. So fehlte nur noch ein Pferd, doch da der Geselle noch ein schmächtiger Jüngling war, wurde er abwechselnd von den Musketieren und Dragonern mit aufs Pferd genommen.

 

Athos Pferd war an eine starke, aber nichtsdestotrotz feinfühlige Hand gewöhnt. Es reagierte nervös auf die zaghaften Hilfen des Falkenmeisters.  Das unruhig tänzelnde Pferd übertrug seine Unsicherheit auf den Falken, dessen Flügelschlagen nicht zur Beruhigung des Pferdes beitrug. Zunächst versuchte Marillac das Pferd am Zügel zu führen, was das Pferd aber noch nervöser machte. Leblanc befahl daraufhin einen Halt und hieß Marillac mit dem Falkenmeister das Pferd tauschen. Athos Pferd, nun des Falken ledig und von kundiger Hand geritten, zeigte sich nun von seiner besten Seite. Ohne weitere Störung machte sich der Tross auf den Weg.

 

Die Boten des Königs erreichten Tréville und Richelieu weit früher, als erwartet. Nachdem der König nicht, wie ursprünglich geplant, am Vorabend in Fontainebleau eingetroffen war, hatten Tréville und Richelieu bereits am frühen Morgen den Aufbruch befohlen. Die Nachricht des Königs veranlasste Kardinal Richelieu seinerseits, die Garde-Engel auf die Verfolgung von Porthos anzusetzen. Er war überzeugt davon, dass Porthos an der Entführung beteiligt war und Befahl, dass Porthos um jeden Preis in Gewahrsam zu nehmen sei.

 

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Capitaine d’Enghien hatte den Zapfenstreich blasen lassen. Im Lager war Ruhe eingekehrt. Wer keine Wache hatte, hatte sich zur Ruhe gelegt, oder hielt sich in seinem Quartier auf. Die Posten am Tor waren in ein sicherlich sehr interessantes Gespräch vertieft, sie achteten eher nachlässig auf die Straße. So bemerkten sie das Pferd erst, als es freudig wiehernd den Schritt beschleunigte. Eine Bewegung machte sie auf den, in eine abgewetzte Decke gewickelten, Reiter aufmerksam. Ronjeau trat auf das Pferd zu. Er erkannte Porthos Pferd und konnte gerade rechtzeitig eingreifen, um den Reiter vor einem Sturz zu bewahren. Durch die verrutschte Decke konnte er erkennen, dass es sich um einen ziemlich derangierten Musketier handelte.

 

Während Ronjeau das Pferd am Zügel zum Lager führte, bat er Vazins den Adjutanten von M. d’Enghien zu holen.

 

Unter Mithilfe des Adjutanten gelang es Ronjeau Pferd und Reiter zum Zelt des Capitaine zu führen. M. d’Enghien und sein Adjutant fingen den erschöpften und durchnässten Musketier auf, als er sich vom Pferd rutschen ließ und manövrierten ihn erst mal in einen Feldstuhl. Der Adjutant reichte dem Musketier einen Becher aufgewärmten Weins. Erst als der Musketier dankbar den Kopf hob und sie, ohne jegliches Anzeichen des Erkennens, anblickte, erkannte M. d’Enghien, dass es sich um Athos handelte. Dass Athos auf Porthos‘ Pferd das Lager erreichte, bedeutete, dass einerseits Lapierre und seine Begleiter den König erreicht hatten und andererseits, dass die Schar des Königs nicht mehr allzu weit entfernt sein konnte. Zudem musste etwas Ungewöhnliches geschehen sein. Es war klar ersichtlich, dass Athos nicht mehr in der Lage war, Aufklärung über die Geschehnisse zu erteilen. M. d’Enghien befahl seinem Adjutanten ein Feldbett für Athos, gleich hier im Zelt aufzustellen. Sie entkleideten Athos und streiften ihm eine wollene Tunika über. Athos schlummerte schon, kaum dass sie ihn auf das Feldbett gelegt hatten. Er erwachte auch nicht, als der Adjutant die Wunden an seinen Beinen sorgfältig auswusch und Arme und Beine abrubbelte, um den Blutkreislauf wieder in Gang zu bringen. Zum Abschluss packte er Athos in mehrere Lagen wollener Decken.

 

M. d’Enghien wanderte unruhig in seinem Zelt umher. Untätig herumzusitzen, wiewohl unumgänglich, gefiel ihm nicht. Am liebsten würde er selbst losreiten, um zu erkunden, was vorgefallen war. Es stand jedoch außer Frage, dass er als Hauptmann bei seiner Truppe bliebe. Zumal in der einbrechenden Dunkelheit ein Suchtrupp nichts würde ausrichten können. Es blieb ihm keine andere Wahl, als bis zum Morgen zu warten, wenn dann auch Athos, nach erholsamem Schlummer, selbst berichten könnte, was vorgefallen war.

 

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Porthos hatte Athos besorgt nachgesehen. Er hoffte, dass sein Pferd Athos sicher in das Lager M. d’Enghiens führen würde. Dann wendete er seine kleine Karawane und ritt in die entgegengesetzte Richtung.

 

Urplötzlich sah sich Porthos von vier Männern umringt. Er erkannte die Wappenröcke der Kardinalsgarde und enthielt sich jeglicher Gegenwehr. Es waren die Garde-Engel, ein bei allen Regimentern berühmt-berüchtigtes Quartett. Mit diesen vieren hatte er sich auf dem Ritt von Montauban nach Paris angelegt, wegen ihrer Behandlung von Athos.

 

Dass er den Garde-Engeln in die Hände geritten war, gefiel ihm, ob deren Hang zur Grausamkeit, gar nicht. Die Bezeichnung Garde-Engel war nicht schmeichelhaft gemeint. Wie der Zufall es wollte, hatten sie eines gemeinsam: Sie waren nach den Erzengeln benannt worden. Da sie unzertrennlich waren und zudem in der Garde des Kardinals dienten, war ein Soldat der Kompanie des Essarts auf den Spott-Namen Garde-Engel gekommen. Ein Name, der sich in Windeseile durch alle Kompanien verbreitet hatte.

Dass die vier ihm die Hände binden wollten, gefiel Porthos jedoch viel weniger. Er versuchte, die vier mit Worten davon zu überzeugen, dass Fesseln unnötig seien. Zudem versuchte er, ihnen klar zu machen, dass sie den geretteten Athos im Dragoner-Lager finden würden. Die vier Gardisten hörten ihm erst nicht zu, dann drohten sie mit einem Knebel, falls er nicht mit Reden aufhört. Porthos resignierte und ließ sich binden, er hoffte darauf, dass sich beim Zusammentreffen mit der Gruppe des Königs alles aufklären würde.

 

Unbeobachtet von anderen Gardisten, konnten die Garde-Engel Porthos nach Gutdünken quälen und drangsalieren. Porthos wurde an einem Seil hinter Gabriel’s Pferd angebunden. Er musste fast rennen, um nicht zu fallen und geschleift zu werden. Die Hufe wirbelten den Dreck und Staub des Weges Porthos ins Gesicht, so dass ihm das Atmen zur Qual wurde. Hinzukam, dass dem Pferd der unfreiwillige Verfolger nicht behagte und es daher immer wieder bockte. Gelegenheiten, bei denen Porthos des Öfteren ins straucheln geriet.

 

Rechtzeitig, vor dem Zusammentreffen mit den anderen Gardisten, beendeten die Garde-Engel ihre Spielchen und setzten Porthos auf ein Pferd.

 

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Mit Einbruch der Nacht trafen M. de Tréville und Kardinal Richelieu auf König Ludwig XIII und sein Gefolge. Von der Aussendung weiterer Suchtrupps wurde abgesehen, da es bereits dämmerte und eine Suche nach Spuren bald unmöglich würde. Da zudem das Lager Capitaine d’Enghien’s in wenigen Stunden erreicht werden konnte, wollte man das Lager erreichen, um am Morgen von dort aus die Suche nach Athos und Porthos zu organisieren. Mit der Unterstützung durch die Dragoner würde die Suche wesentlich effektiver.

 

Die meisten Suchtrupps hatten ihre Suche bereits erfolglos abgebrochen, wegen der zunehmenden Dunkelheit. Der letzte Trupp bestand aus den Garde-Engeln mit Porthos und den Pferden der Banditen, die hochwillkommen waren. Der Mond erhellte den breiten Weg, dem sie unter Führung Lapierres und seiner Dragoner folgten. Die Garde-Engel reihten sich, auf einen Wink Richelieu’s hin, mit Porthos in der Kolonne ein.

 

Innerhalb der Kolonne entstanden die wildesten Spekulationen, angetrieben von der Anwesenheit des gefesselten Porthos. Darunter verbreiteten sich auch Porthos Entgegnungen zu den Schmäh-Reden der Garde-Engel. Die Gerüchte gelangten auch an Tréville’s Ohr, der inständig hoffte, dass einige davon wahr sein mögen und Athos sicher im Lager d’Enghien’s eingetroffen war.

 

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Zu später Stunde entstand erneut ein Tumult am Lager-Tor. Capitaine d’Enghien sah sich mit der unerwarteten Ankunft des Königs sowie des Kardinals und M. de Trévilles mit ihren Männern, die erst in einigen Tagen angekündigt waren,  konfrontiert. Während Capitaine d’Enghien König, Herzog und Kardinal in seinem Zelt mit rasch organisierten Speisen und Getränken verköstigte und bei dieser Gelegenheit einen ersten Einblick in die Geschehnisse der letzten Tage erhielt, organisierte M. de Tréville mit d’Enghiens Adjutant in aller Eile die Errichtung geeigneter Unterkünfte für die Neuankömmlinge.

 

Der Lärm hatte die Dragoner aus ihrer Nachtruhe gerissen. Neugierig versammelten sich immer mehr Männer um das neu entstehende Lager. Porthos, gefesselt inmitten seiner Bewacher, wäre am liebsten im Boden versunken, während seine Kameraden tuschelnd mit den Fingern auf ihn zeigten. Erst mit der Fertigstellung der Unterkünfte bemerkte d’Enghiens Adjutant den gefesselten Porthos. Mit dem Befehl an die Unteroffiziere der verschiedenen Kompanien, die Lagerdisziplin wieder herzustellen, ließen sie Porthos zu Capitaine d’Enghien’s Zelt eskortieren. Mit Erleichterung vernahm Tréville die Kunde von Athos Ankunft, wenige Stunden vorher. Wenn auch eine Befragung Athos, aufgrund dessen Erschöpfung, bis zum Morgen aufgeschoben werden mußte. M. de Tréville, dessen Hoffnungen sich erfüllt hatten setzte sich dafür ein, Porthos auf Ehrenwort in seine Unterkunft zu entlassen. Das Lager könne er sowieso nicht unbemerkt verlassen, war die Argumentation. Dem Widersprach Kardinal Richelieu vehement. Er bestand darauf, dass Porthos bis zur endgültigen Klärung in Gewahrsam zu verbleiben habe. Kellerräume, die einzigen Überreste eines verlassenen Gutes, dienten als Vorratsspeicher. Einer dieser Räume wurde zum provisorischen Gefängnis. M. de Tréville war misstrauisch gegenüber den Gardisten des Kardinals. Vor allem, was die Häscher von Porthos betraf, war ihm einiges zu Ohren gekommen. Er bestand darauf, dass die Wachen für diese Nacht aus Dragonern und Musketieren zusammengestellt wurden.

 

Porthos selbst war erschöpft. Er war erleichtert, von der gaffenden Menge wegzukommen. Er hätte des Strohs nicht bedurft, das ihm ein mitfühlender Kamerad in seine Zelle reichte, um in tiefen Schlaf zu fallen.