„Ein Wolf im Palais Cardinal?“ von Armand-Jean-du-Plessis

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Kapitel Einbrecher und Ausbrecher

„Nun, hattet Ihr nicht die Wache an den Zäunen der Gärten seiner Eminenz? Euch sollte bewusst sein, dass, bis die Mauern zur Gänze fertiggestellt worden sind, der Schutz an dieser Stelle oberste Priorität hat.“ Die Stimme von Rochefort klang nun durchaus bedrohlich. Die Wintersonne war im abendlichen Paris bereits untergegangen und in der Dämmerung wirkte der ganz in Schwarz gekleidete Stallmeister von Kardinal Richelieu wie ein schwarzer Wolf kurz vor dem Sprung. Im Allgemeinen waren die Gardisten Richelieus dafür bekannt, dass sie vor nichts und niemanden zurückschreckten, doch d´Bartand wich unwillkürlich einen Schritt zurück und nahm Haltung an.

„Es war keine wirkliche Sicherheitslücke, Monsieur le Comte. Niemand Unbefugter hätte die Gärten Seiner Eminenz betreten können“, erwiderte er, aber in seiner Stimme klang etwas Unsicherheit mit. „Hmm, keine Sicherheitslücke also“, grollte der Graf de Rochefort, „meine Luna kann also völlig ungestört den Zaun untergraben, ein Loch, das so groß ist, dass durchaus auch ein Mann durchschlüpfen kann, ungesehen aus den Gärten entwischen und unbemerkt in Richtung Louvre traben und Ihr meint, das wäre also keine Nachlässigkeit während Eurer Wache.“ „So habe ich das natürlich nicht gemeint, es ist nur so, dass Luna sehr leise sein kann und mit ihrem Wolfsfell sehr gut getarnt ist und…“ Zu mehr kam d´Bartand nicht, denn Rochefort fiel ihm ins Wort und das war doch ungewöhnlich, denn der Geheimdienstchef von Frankreich war für seine Ruhe und Souveränität bekannt. „…und Ihr denkt, ein möglicher Einbrecher oder gar Attentäter wäre besonders laut und in bunte Farben gekleidet, wenn er sich Zutritt zu den Gärten Seiner Eminenz verschaffen möchte?“

„Wenn Euer Gnaden das so sehen wollen, dann möchte ich um Entschuldigung bitten und ich werde meine Aufmerksamkeit in Zukunft verdoppeln.“, versprach der Gardist umgehend. „Seine Gnaden möchten dies genau so sehen und ich hoffe es wird nicht notwendig sein, dass ich Leutnant de Valmorin bitte, eine Untersuchung einzuleiten.“ Rocheforts Tonfall war nun weniger scharf. Vielleicht lag es daran, dass Luna, die kleine Halbwölfin, inzwischen neugierig herbeigeeilt war, da ihr Name öfters gefallen war. Liebevoll hatte sie begonnen, die Hand des Stallmeisters von Kardinal Richelieu abzulecken und Rochefort hatte dabei wie automatisch angefangen ihr den Kopf zu streicheln. Aber vielleicht hatte der Comte auch nur sein Ziel bereits erreicht und der Gardist würde in Zukunft wachsamer sein. D´Bartand jedenfalls war heilfroh, nochmals glimpflich davon gekommen zu sein. Der neue Leutnant de Valmorin war berüchtigt jede noch so geringe Nachlässigkeit streng zu ahnden. Obwohl er von kleiner Gestalt war, flößte er seinen Untergebenen einen gehörigen Respekt ein. Und was passieren könnte, wenn Luna wirklich bis zum Louvre gelaufen wäre und einer von diesen Tölpeln von Musketieren auf sie geschossen hätte, wagte sich der junge Gardist erst gar nicht auszudenken. Selbst Kardinal Richelieu hatte inzwischen eine große Zuneigung zu Luna entwickelt. Nein, besser nicht darüber nachdenken...

Zwei Tage später stapfte Gardist d´Bartand etwas missmutig über die nächtlichen Kieswege des Palais Cardinal. „Schon wieder Parkdienst“, dachte er bei sich, „ob das eine Art Bestrafung war, oder wollte man prüfen, ob er jetzt aufmerksamer war als vor ein paar Tagen?“ Der Dienst im nächtlichen Garten war um diese Jahreszeit recht unbeliebt. Der Jänner zeigte sich in Paris von seiner unfreundlichsten Seite. Ständiger Nieselregen, Temperaturen um den Gefrierpunkt und ein eisiger Nordostwind konnten einem schon die gute Laune verderben. Die Nässe und Kälte krochen auch in die wärmste Kleidung und im Nu war man klamm gefroren. Ja, im Mai war so eine Nachtwache in den Gärten ein Vergnügen. Überall die duftenden Rosen, die der Kardinal so mochte und teilweise sogar selbst züchtete, die laue Frühlingsluft und vielleicht verirrte sich ja dann und wann sogar eine junge Hausangestellte des Palais in den Garten im Wonnemonat Mai. Jetzt im Jänner wäre man über Dienst am Tor schon zufrieden, denn dort gab es ein überdachtes Torhaus und man war vor Wind und Wetter weitgehend geschützt. D´Bartand setzte seine Runde weiter fort. Die rotgefärbte überlange Straußenfeder, auf die er so stolz war, hing wie ein nasser, dünner Fetzen von seinem breitkrempigen Hut. Da erblickte der Gardist eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Ein dunkler Schatten lief die Mauer entlang und in Richtung der schmiedeeisernen Umzäunung. „Wie ist diese kleine Canaille denn schon wieder aus dem Haus entkommen? Na warte, diesmal entwischt du mir nicht. Ich will nicht schon wieder Ärger bekommen“, und flotten Schrittes folgte d´Bartand der unternehmungslustigen Luna.

Auch Luna war etwas missmutig. Das Rudel war schon wieder ohne sie unterwegs. Dabei waren sie ja eigentlich nur in dem riesigen Haus schräg gegenüber. Herrchen und der rote Anführer, vor dem sogar Herrchen Respekt hatte, hatten keine Pferde genommen, das hatte sie genau gesehen. Sie waren nur mit einigen roten Männern nach drüben gegangen. Sie hatte ihren Geruch noch in der Nase. Nein, sie waren nicht so weit weg. Aber sie hatte man da gelassen. Vielleicht gingen sie ja wieder zu dem komischen Mann, vor dem alle so taten, als ob er der oberste Anführer war, obwohl er gar nicht danach roch. Egal, sie wollte auch dort hin. Vielleicht waren ja diese Jagdhunde nicht in ihren Zwingern. Mit ein paar von den  jüngeren konnte man gut Raufen, Zwicken und Nachrennen spielen. Oder man konnte die kleinen Schoßhündchen ärgern und sie so lange zum Kläffen bringen bis sie fast heiser waren. Auch gab es dort einen schönen Teich. Luna liebte jede Art von Wasser. Am liebsten natürlich schlammige Brühen. Bei diesem Wetter würde es rund um den Teich ganz tollen Schlamm geben, in dem man sich wälzen konnte. Sie musste nur dorthin kommen. Wenn sie erst einmal dort war, dann würde sie schon dafür sorgen, dass man sie nicht wieder weg schicken würde. Sie konnte ja ganz lieb dreinschauen und auf armen Welpen machen. Auch wenn sie jetzt schon recht groß war, wirkte das beim Rudel immer noch sehr gut. So leicht war es aber nicht von hier weg zu kommen. Fast überall ging dieser dumme Zaun bis tief in die Erde und das Tor war fest verschlossen. Nun, vielleicht hinter dem Gärtnerhäuschen. Dort hatte sie schon öfters Geräusche unter der Erde gehört. Dort würde der Boden weicher sein und es war recht nah am Zaun. Und los ging es. Flott hinter das Gärtnerhaus getrabt und eine passende Stelle am Zaun ausgekundschaftet. Und da waren ja auch wieder diese Geräusche unter der Erde. Also Mäuse, Kaninchen oder Maulwürfe waren das nicht. Diese Laute kannte die kleine Halbwölfin gut. Man kennt schließlich die Geräusche, die Beute macht. Luna war jetzt neugierig geworden. Das konnte interessant werden. Zum Glück war sie eine geschickte und schnelle Gräberin.

Als d´Bartand um die Ecke des Gärtnerhauses bog, traute er seinen Augen kaum. Luna buddelte nicht nur in der Erde, wie er erwartet hatte, nein, sie steckte bereits mit dem halben Oberkörper unter der Erde. Jetzt zog sie an etwas Holzartigem, dann ein Rumpeln und sie war ganz unter der Erde verschwunden. Der Gardist lief sofort zu der Stelle, wo Sekunden vorher noch die kleine Halbwölfin gewesen war. Dort klaffte eine tiefe Öffnung im Boden und ein lautes, überraschtes Quietschen war zu vernehmen. Aber das war nicht nur ein Loch, es war eine Art niedriger Tunnel, der sogar mit Balken abgestützt worden war. Einer dieser Balken fehlte jetzt beziehungsweise befand sich im Maul einer überaus überraschten Luna. Dann ließ sie das Holzstück fallen und begann zu knurren. Von irgendwo her im Gang kam ein erstickter Schrei, dann ein unflätiger Fluch als Erwiderung. D´Bartand überlegte kurz. Verstärkung holen? Alarm schreien? Abwarten und beobachten? Die Zeit für unauffälliges Verhalten schien vorbei, also kletterte der Gardist einfach in das Loch. Lichtschein kann von der einen Seite und eine Gestalt kauerte dort und hielt drohend einen Spaten in Richtung Luna. Diese hatte begonnen ein tiefes, bedrohliches Knurren von sich zu geben, ihre Augen funkelten im Licht der Laterne gespenstisch grün. Da hörte d´Bartand ein Geräusch von der anderen Tunnelseite. Blitzschnell drehte er sich um, sah eine weitere Gestalt und reagierte sofort. Die Pistole aus dem Gürtel gezogen und ein Schuss gellte durch die Nacht. Das Rapier wäre auch sinnlos unter diesen beengten Verhältnissen gewesen und gleichzeitig war das ein ausgezeichnetes Alarmsignal. Bei einem Schuss am Gelände des Palais Cardinal konnte man sicher sein, dass in allerkürzester Zeit ein Dutzend Kardinalsgardisten hier waren. Auch Luna ging jetzt zum Angriff über. Dieser Spaten schien keine Spielaufforderung zu einem „Zieh-am-Holzstück-Spiel“ zu sein und der Mann roch nach Aggression, Wut und Angriffslust. Fast ansatzlos sprang sie den Mann an und verbiss sich in seinen Arm und der Schurke war fast schon ausgeschaltet. Auf der anderen Seite war der Kampf ebenfalls bereits entschieden. Im engen Gang konnte der Schuss praktisch nicht fehlgehen.

Kardinal Richelieu schenkte seinem Stallmeister persönlich noch etwas von dem süßen, spanischen Wein ein, den sie beide so mochten. Sie saßen gemeinsam in einer gemütlichen Ecke von Richelieus Arbeitszimmer in bequemen Ohrensesseln. Gerade hatte d´Bartand das Zimmer verlassen, nachdem er persönlich Seiner Eminenz Bericht erstattet hatte. Auch Luna war natürlich im Zimmer und wirkte äußerst zufrieden. Das lag daran, dass nicht nur das Rudel wieder beisammen war, auch der riesige Fleischknochen an dem sie genüsslich kaute, hatte seinen nicht unerheblichen Anteil daran. „So viel Aufwand hat bisher noch niemand getrieben um in mein Palais einzudringen, das ist bedenklich“, meinte der Kardinal nachdenklich." „Der Fall wird lückenlos aufgedeckt werden, das verspreche ich Eurer Eminenz“, erwiderte Rochefort grimmig. „Leutnant de Valmorin verhört bereits persönlich die Schurken und ich denke, wir werden sehr bald erste Ergebnisse über die Hintergründe haben. Auch die Gärtner werden befragt. Schließlich hätte der Tunnel wahrscheinlich im Gärtnerhäuschen enden sollen. Ein Mitwisser oder Helfershelfer ist daher leider sehr wahrscheinlich. Auch dies wird bald geklärt werden, Eure Eminenz.“ Kardinal Richelieu nahm nun auch einen kleinen Schluck vom schweren Wein. „Ausgezeichnet, und ich bin auch mit diesem jungen Gardisten durchaus zufrieden. Es hat sich ausgezahlt, dass Ihr ihm ins Gewissen geredet habt.“ Nun war selbst der abgebrühte Geheimdienstchef ein wenig erstaunt. Selbstverständlich hatte Rochefort niemand davon erzählt, dass er mit d´Bartand über Lunas Ausbruch aus dem Garten geredet hatte. Das wäre nicht seine Art gewesen. Aber es war ein geflügeltes Wort, dass es nichts in Frankreich gab, das Richelieu nicht erfahren würde. Der Comte de Rochefort lächelte sanft und begann sich leicht zu entspannen.