Auf Messers Schneide von Petalwing
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 20 BewertungenKapitel Herr und Meister
Kapitel 7 – Herr und Meister
Ich folge ihm schweigend zu seiner Kutsche, die nicht weit
entfernt in einer Gasse auf uns wartet. Von dort, die Rückkehr zu
seinem Domizil. Er schweigt. Brütet vor sich hin. Ich starre aus
dem Fenster hinaus in die Nacht, ohne etwas wahrzunehmen. Zuviel
habe ich heute gesehen und erlebt. Ich dachte, das Schlimmste wäre
mir bereits widerfahren, mittlerweile habe ich Zweifel, ob meine
Überzeugung wirklich noch zutrifft. Welcher Schrecken lauert noch
in der Dunkelheit?
Plötzlich ergreift mich die Vorahnung, dass die Ereignisse der
heutigen Nacht erst der Anfang sind, dass die Talsohle noch nicht
erreicht ist, und ich schaudere.
Mein Meister schweigt noch immer, er sieht mich nicht einmal an,
als wäre ich Luft. Ich spüre, wie seine Ignoranz langsam Wirkung
zeigt, denn diese Indifferenz beunruhigt mich ein wenig. Mit Zorn,
Tadel und Vorwürfen kann ich umgehen, ebenso mit Wut oder
Enttäuschung. Aber das völlige Fehlen jeder Reaktion lässt mir
keine Möglichkeit, zu ergründen, was er denkt, und damit bin ich
unvorbereitet. Doch ich bin sicher, dass das noch nicht alles war.
Mein Meister ist nicht sehr erfreut. Der Blick, den er mir zuwarf,
bevor wir des Hauptmanns Räumlichkeiten verließen, sprach Bände.
Also wappne ich mich gegen alles, was da kommen mag und folge ihm,
als die Kutsche vor seinem Palais hält und ein bleicher Dienstbote
eilig die Tür für uns öffnet. Im Vorzimmer legt er den Mantel ab,
wirft ihn dann achtlos auf einen Beistelltisch. Sofort springt der
Diener herbei und glättet das Kleidungsstück. Auf dem Weg zum Salon
entledigt er sich einzeln seiner Handschuhe. Ich sehe gebannt zu,
wie unter dem schwarzen Leder weiße, jugendliche Hände zum
Vorschein kommen. Ich kann nur erahnen, welche Kraft wirklich in
diesen langen, schlanken Fingern ruht. Noch immer hat er mich
keines Blickes gewürdigt. Er scheint völlig konzentriert auf den
Vorgang. Seinen Bewegungen haftet etwas Rituelles an.
Offensichtlich besteht meine Strafe zum Teil in Nichtbeachtung.
Vielleicht Verachtung? Ich nehme es hin, denn ich bereue trotz
allem nicht, was ich getan habe. Ich bedauere lediglich, dass ich
mich habe erwischen lassen.
Er tritt in den Salon. Ich frage mich, ob ich ihm überhaupt folgen
sollte. Schließlich hat er meine Anwesenheit nicht ausdrücklich
verlangt. Andererseits wäre ein kommentarloser Rückzug in der
gegenwärtigen Situation wohl eine deutliche Provokation, also
bleibe ich in der Tür stehen, ich werde ihm noch einige Sekunden
geben, seine Absicht klarzustellen, bevor ich mich in meinen Raum
zurückziehe.
Obwohl ich mir vorgenommen habe, mich nicht überraschen zu
lassen, trifft mich sein Handeln unvorbereitet. Ehe ich es mich
versehe, steht er vor mir. Dann klatscht es vernehmlich und meine
Wange brennt ein wenig. Verflucht, er hat mich geschlagen! Er hat
mir einfach die Handschuhe über das Gesicht gezogen. Nicht, dass
der Schmerz mich in irgendeiner Weise berührt, aber gerade hat er
mich behandelt wie einen Dienstboten oder einen gewöhnlichen
Straßendieb.
Ich habe mit Vielem gerechnet, aber nicht mit dieser unwürdigen Art
der Züchtigung. Die Aufforderung zu einem Duell liegt mir bereits
auf der Zunge, aber bevor sie meine Lippen verlässt, fährt er mich
an.
„Schweig!“
Die Worte bleiben mir in der Kehle stecken. Verwirrt hole ich
ein weiteres Mal Luft, aber kein Laut entringt sich meiner Kehle,
ich bin völlig unfähig, mich zu artikulieren. Während ich mich
gebärde wie ein Fisch auf dem Trockenen, weil ich die Ursache für
meine plötzliche Stummheit nicht erkennen kann, wandert er vor dem
Kamin auf und ab. Sein Monolog durchdringt meine Stille.
„Wie kannst du es wagen?“
Jetzt lodert wieder der feurige Zorn in seinen Augen, der ihn in
Trévilles Räumlichkeiten bereits wie eine Unheil verkündende,
schwarze Fackel umgab. „Wie kannst du es wagen?“ wiederholt er
seine Frage. „Mich so vorzuführen und vor dem Clan der Brujah
lächerlich zu machen. Ausgerechnet vor den Brujah!“
Ich verstehe nicht genau, wovon er spricht. Selbst wenn ich auf
seinen Vorwurf eine adäquate Antwort wüsste, könnte ich mich nicht
rechtfertigen, denn noch immer kann ich nicht sprechen.
„Habe ich Dir etwa die Erlaubnis gegeben, mein Haus zu verlassen?“
Er brodelt förmlich. Jetzt liegt eine unverhohlene Drohung in
seinem Blick. Und zugleich die Nuance einer Emotion, die ich nicht
recht zu deuten weiß. Wut? Kränkung? Vielleicht Eifersucht? Mit
wenigen Schritten ist er bei mir, und ich fühle mich gegen den
Türrahmen gedrängt. Langsam wird es zur Gewohnheit, immer und
Überall den Unterlegenen spielen zu müssen und das ist mehr als
frustrierend. Wenn er mich noch ein weiteres Mal schlägt, dann
werde ich zum Degen greifen. Aber das tut er nicht. Vielmehr sieht
er mich an.
„Auf die Knie!“
Erschüttert muss ich erleben, wie ich die Kontrolle über mich
verliere. In seinen Worten liegt eine Macht, die ich nicht ermessen
kann. Ich erlebe nur, wie mein Körper sich seinem Willen
unterwirft, obwohl ich dagegen aufbegehre. Und so finde ich mich am
Boden wieder, während er breitbeinig über mir steht. Er berührt
mich nicht, aber die Haltung zu der er mich zwingt, ist Demütigung
genug.
„Nur damit wir uns verstehen, Athos. Du bist mein Geschöpf. Ich
habe dich geschaffen und ich kann dich auch wieder vernichten, wenn
du mir nicht den Gehorsam zollst, den ich erwarte.“
Beinahe möchte ich ihm entgegen schreien, dass es mir egal ist, was
er tut, ich habe ihn nicht um dieses „Geschenk“ gebeten, er hat es
mir aufgezwungen. Seine Augen fesseln die meinen, zwingen mich
geradezu ihn unverwandt anzusehen. So muss sich das Kaninchen vor
der Schlange fühlen.
Er spricht weiter.
„Ich bestimme was in diesem Haus geschieht! Ich bestimme, was du
denkst, was du fühlst und was du unternimmst!“
Er liest den Widerspruch in meinem Blick. Plötzlich ziert ein
finsteres Lächeln seine Züge.
„Mir scheint, du hast noch nicht ganz verstanden, Childe. Mir
scheint, du brauchst eine Lektion in Loyalität.“
Brennende Pein durchzuckt mich, als seine Degenspitze sich in meinen Magen bohrt. Dieser Sadismus ist eines Edelmannes wirklich unwürdig. Zwar weniger quälend als die Behandlung durch die Sabbatkreaturen, ist der Schmerz doch in hohem Maße unangenehm und erinnert mich daran, dass ich meine Schwäche noch nicht überwunden habe. Ich beiße mir auf die Zunge, bis ich einen metallischen Geschmack im Mund spüre, aber schließlich kann ich ein leises Stöhnen nicht mehr zurückhalten. Das wenige an Kraft, dass mich bisher bei halbwegs klarem Verstand hielt, verlässt mich wieder einmal, doch wenigstens kann ich noch Dankbarkeit empfinden, dass diesmal selbst die Bestie zu schwach ist, um wieder hervorzubrechen. Ich empfange die gnädige Dunkelheit mit offenen Armen. Anscheinend können auch Vampire bewusstlos werden.
Dann weichen die Schleier wieder und ich tauche ein in eine
lockende Wärme, die mich zärtlich umfängt, wie die Arme einer
Geliebten. Eine süße Ekstase setzt ein, die mir irgendwie vertraut
vorkommt. Aber ich kann keinen klaren Gedanken fassen, das Gefühl
ist zu überwältigend. Fasziniert nehme ich ein Rauschen war, so als
triebe ich in einem unendlichen Strom, ganz im Fluss. Eins mit dem
Leben, dem Himmel und vielleicht auch der Hölle, bis die Freude so
stark wird, dass ich sie fast nicht mehr ertragen kann. Ich
verliere mich. Alles ist perfekt, vollkommen. Meine Sinne
vermitteln mir einen Reiz, der selbst die Lust, bei einem schönen
Weib zu liegen bei Weitem übertrifft. Ich schwebe. Ich könnte
sterben, mich einfach auflösen und für immer nur empfinden,
empfinden…
Auf einmal lässt das Schweben nach, und die Berückung weicht von
meinen Sinnen. Langsam, stückweise. Ich kann unter mir den weichen
Flaum eines orientalischen Teppichs spüren und ein kräftiger Arm,
der mich stützt und mir Halt gibt. Ein eigenartiges Gefühl der
Geborgenheit stellt sich ein, selbst als sich die Erkenntnis
verdichtet, dass ich an der Schulter eines Mannes lehne. Ich muss
nicht einmal die Augen öffnen, um zu wissen, wer mich beschützend
an sich presst.
Rochefort.
Ich atme, rieche, denke, Rochefort.
Ein sanftes Murmeln dringt an meine Stimme. Spricht er zu mir?
Obwohl ich noch eine Weile so sitzen könnte, willenlos, sorglos,
glücklich, konzentriere ich mich auf die einzelnen Worte und öffne
widerstrebend die Augen. Vor meinem Gesicht schwebt sein
Handgelenk, soeben schlissen sich zwei kleine Wunden und lassen nur
makellose Haut zurück. Ich ahne was geschehen ist. Und dann
begreife ich auch, warum alles so vertraut war. Es war eine
Wiederholung des Kusses.
Und warum auch immer, ich kann ihm nicht einmal zürnen für die Art,
wie er mich heute gedemütigt hat. Alles, was ich will, ist in
seinen Augen zu versinken und an seiner Seite die Wunder der Welt
zu erfahren. Ein wenig befremdet mich der Gedanke, doch
gleichzeitig verspricht mir mein Sehnen Zuflucht und inneren
Frieden.
Er muss meine Hingabe in meinen Augen lesen, denn unvermittelt
lächelt er mich an. Es ist nicht das bösartige Lächeln von eben,
auch nicht das geringschätzige Grinsen, das er so oft zur Schau
trägt. Zum ersten Mal sehe ich echte Wärme darin, und die Tatsache,
dass sie mir zu gelten scheint, lässt mein Herz höher schlagen.
Irgendetwas zwischen uns hat sich fundamental geändert. Ich
verstehe zwar nicht warum, aber alles kommt mir jetzt so richtig
vor.
„Was Du fühlst, Athos, ist ein Blutsband.“
Seltsam, es stört mich gar nicht mehr, dass er so vertraulich mit
mir spricht, ist mir doch, als würde ich ihn seit Jahren schon
kennen.
„Die Macht es Blutes ist die stärkste Macht in unserer Welt“,
flüstert er mir ins Ohr. „Zweimal hast du nun von meinem Blut
getrunken, das bindet dich.“
Er hat mich noch immer nicht losgelassen, im Gegenteil, sein
Zeigefinger streicht langsam von meiner Schläfe zum Kinn hinab,
wandert über meine Haut und hinterlässt ein angenehmes
Prickeln.
„Du wirst dich nun nicht mehr gegen mich auflehnen, nicht
wahr?“
Ich höre mich verneinen. Zufrieden nickt er und zieht mich auf die
Füße. Erleichtert stelle ich fest, dass ich wieder selbst stehen
kann.
„Gut. Leg dich jetzt nieder und ruh dich aus“, rät er mir
freundlich. „Denn morgen beginnen wir mit Deiner Ausbildung. Es
kann doch nicht sein, dass Du als Ventrue hinter ein paar
Gossenbrujahs zurückstehst.“
Ich kann ihm nicht ganz folgen, meint er die Musketiere? Doch ehe
ich den Gedanken vollenden kann, packt mich eine bleierne
Müdigkeit. Draußen geht die Sonne auf und es wird tatsächlich Zeit,
mich zur Ruhe zu legen. Zuviel ist geschehen, und ich muss über so
vieles nachdenken, wenn ich verstehen will, was in dieser Nacht
alles geschehen ist. Doch das verschiebe ich kurzerhand auf morgen,
denn selbst das Denken wird mir zu schwer. Zuletzt nehme ich noch
die weichen Kissen meines Bettes wahr, dann sinke ich hinüber in
eine friedliche, traumlose Dunkelheit.
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Fortsetzung folgt…