Auf Messers Schneide von Petalwing 

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Kapitel Geständnisse

Kapitel 8 – Geständnisse

Da liegst Du nun, hingestreckt auf deinem Lager. Du hast es gerade noch die Treppe hinauf zu deinem Schlafgemach geschafft, die letzten Meter habe ich dich halb getragen, halb bist du getaumelt. Nicht einmal Deiner Schuhe konntest du dich entledigen, schon bist Du dem Schlaf verfallen. Zwar wird die Tagesruhe Deine Erschöpfung nicht lindern, doch das kann warten, bis die Sonne uns wieder verlässt. Obwohl auch mir selbst die bleierne Müdigkeit des Morgens in die Knochen kriecht, bleibe ich vor Deiner Bettstatt stehen. Ich prüfe kurz, ob die Fenster auch dicht geschlossen sind, die Helligkeit soll Dich nicht verletzen. Im Schein eines Kerzenhalters beobachte ich Dich. Du bist so friedlich, vollkommen entspannt. Ein seltener Anblick. Wenn Du wach bist, bist du die personifizierte Selbstkontrolle. Doch erst jetzt, da Du nicht weißt, dass Du beobachtet wirst, kommen die feinen Linien Deines Gesichtes wirklich zur Geltung. Du siehst so viel jünger aus, fast als hättest du kaum etwas von dem Leid gesehen, dass Dir in deinem kurzen, sterblichen Leben bereits begegnet ist. Noch immer verharre ich an meinem Platz. Obwohl ich Dich heute an mich gebunden habe, indem ich dich zwang, mein Blut erneut zu kosten, schlägst du mich ebenfalls in deinen Bann.

Und deine Magie ist stärker als meine, denn sie benötigt kein Ritual. Von der ersten Stunde unserer Begegnung an hast du eine unsichtbare Fessel um mich gelegt und ich finde mich darin gefangen, wie die Fliege in einem tödlich feinen Gespinst.

Du bist doch erst seit wenigen Tagen hier, und schon ist mir deine Anwesenheit so vertraut. Wie sehr das bereits der Fall ist, habe ich erst heute wirklich begriffen. Du ahnst es nicht, aber ich verbringe jede freie Minute meiner Zeit mit Dir. Alle Pflichten und Beschäftigungen, dir mir früher Zerstreuung bereiteten, empfinde ich gegenwärtig nur als lästig, sofern sie nicht mit Dir zu tun haben. Im Elysium beschweren sich die Primogene bereits über mein spätes Kommen und mein frühes Gehen. Du bist der gefährlichere Blutsauger von uns beiden, denn du raubst mir nicht nur meine kostbare Zeit, sondern auch meine Konzentration.

Und heute warst Du nicht da, als ich zurückkehrte. Kurzzeitig habe ich überlegt, den Diener zu bestrafen, der Dich gehen lies, aber gute Ghule sind heutzutage nicht mehr so einfach zu ersetzen. Also stürzte ich mich in die Nacht und nutzte alle meine zahlreichen Kontakte, um Deinen Verbleib ausfindig zu machen. Selbst zu den widerlichen Nosferatu bin ich gegangen, so weit habe ich mich erniedrigt. Auf die stinkenden Kanalratten ist Verlass, sie wissen über alles Bescheid, was in dieser Stadt geschieht. Nach einem Zusammenstoß mit den Bestien des Sabbat, der beinahe zu Deiner Vernichtung geführt hätte, wenn nicht diese beiden Brujah-Musketiere eingegriffen hätten, bist du in die Seine gefallen, dann verlor sich deine Spur.

Da die zwei Klosterschwestern des Königs involviert waren, folgte ich dem naheliegendsten Gedanken und suchte Dich bei Tréville. Er muss ja noch große Sympathie für Dich hegen, immerhin hat er Dir eine Uniform zu Wechseln gegeben, wahrscheinlich auch Blut. Natürlich konnte ich nicht sicher sein, ob es reines, sterbliches Blut war. Eigentlich passt es nicht zu Tréville, Dir sein Blut zu geben, um Dich ohne mein Wissen gefügig zu machen, aber sicher sein konnte ich nicht.

Wenn ich zu mir ehrlich bin, muss ich zugeben, dass es mich geärgert hat, Euch in so trauter Zweisamkeit zu finden. Zwar hätte ich derlei durchaus erwarten können, gemessen daran, dass er bis vor kurzem Dein hochverehrter Vorgesetzter war, aber das ist der springende Punkt.
Er war.

Trotzdem läufst Du bei der ersten Gelegenheit fort zu den Musketieren. Einmal Musketier, immer Musketier, sagen sie. Aber gilt das auch für Unsterbliche?

Tréville habe ich nie getraut. Er ist für einen Brujah viel zu beherrscht und zu erfolgreich. Und er versteht viel zu viel von Politik. Wie oft wir in der Vergangenheit aneinander geraten sind, kann ich bereits nicht mehr zählen. Und ausgerechnet ihn suchst Du auf. Und wie ihr Euch dann noch bei Euren Lügen gedeckt habt, mit welcher Vertraulichkeit ihr spracht. Als gehörtest Du zu ihm, nicht zu mir. Ja, mein Kind. Du hast deinen Erzeuger heute Abend sehr wütend gemacht.

Die zweite Blutdosis war nötig, um sicherzustellen, dass Du zu mir hältst. Ich will keinen Spion Trévilles in meinem Haus. Was immer er mit Dir gemacht hat, dieses Blutsband wird stärker sein. Und was um alles in der Welt hat Dich nur dazu gebracht, dich mit dem Sabbat anzulegen? Steht Dein Sinn so sehr nach Abenteuern? Sie müssen Dich tüchtig niedergemacht haben, wenn ich bedenke, dass du bereits nach einem simplen Degenstich fast in Starre gefallen wärst. Und das, nachdem Tréville Dich bereits versorgt hatte.
Selbst wenn Du so still und reglos liegst, bringt Deine Gegenwart ein wenig Wärme in mein kaltes Herz. Dein Zustand heute Nacht hat mir Angst gemacht. Du bist noch so jung und verletzlich, trotzdem hältst Du es in der Sicherheit nicht aus. Leider scheinst Du zu den Menschen zu gehören, die Ärger jedweder Art magisch anziehen. Dahingehend ergänzt Du Dich ausgezeichnet mit Deinen sterblichen Freunden. Kein Wunder, dass Ihr so oft Gegenstand des Stadtgespräches wart. Eine widerspenstige Locke ist Dir in die Stirn gefallen. Ich kann nicht widerstehen und beuge mich über Dich. Vorsichtig streiche ich sie zurück. Also gut, Du hast gewonnen, wir werden deine Ausbildung ein wenig vorziehen. Und dann der unsägliche Hofabend, auf den Tréville so süffisant angespielt hat. Sicher wird er die „Einladung“ weitertragen und nach heute Nacht kann ich schlecht ohne Dich auftauchen. Und nun, Ruhe in Frieden, mein Kind. Der Tag wartet nicht.

Und so gleitet er denn auch dahin, für uns, die wir ihn schlafend überdauern, ist er nicht viel mehr als ein Augenblick. Eine lästige Angewohnheit der Schöpfung. Doch dann senkt sich das Abendrot hernieder und ein Diener klopft bereits an Deine Zimmertür, während ich im Salon auf Dich warte und dem ermüdenden Geschwätz einer Gräfin lausche, die mich just aufsuchte. Ich bin ihr auf wenigen Wochen auf irgendeiner belanglosen Festivität begegnet. Seitdem verfolgt sie mich geradezu. Nicht eben um gesteigerte Subtilität bemüht, sucht sie, mich für ihre Tochter zu interessieren. Gott schütze Frankreich vor den höheren Töchtern im heiratsfähigen Alter. Und vor ihren Müttern!

Nun ja, seit unser guter Bourbone und sein Minister Kreti und Pleti in den Adelsstand erheben, bis das Land vor erlogener Noblesse aus allen Nähten platzt, wird der alte Adel langsam panisch, fürchtet nicht zu Unrecht die Verwässerung des alten Geblüts, und so muss selbst ein eingefleischter Junggeselle wie ich dran glauben.

Sie plaudert und plaudert und keine Rettung ist in Sicht. Dein Erscheinen verzögert sich, denn mein Leibdiener steckt Dich gerade in ein höchst vornehmes Gewand, das ich in den letzten Tagen eigens für Dich fertigen ließ.

Ich sehe mir die Gräfin näher an. Nun, der Jugendzauber ist schon vor ein paar Jährchen dahin geschmolzen, aber es ist reines, blaues Blut, das durch ihre Adern rinnt. In Anbetracht der diplomatischen Angründe, die ich für die heutige Nacht erwarte, gönne ich mir doch wenigstens einen guten Tropfen. Schließlich wird auch der Wein mit den Jahren besser.

Danach geleite ich sie galant zu ihrer Kutsche, verspreche, Sie und die verehrte Tochter an einem der nächsten Abende unbedingt aufzusuchen, da ich mir keine erbaulichere Vergnügung vorstellen könne, als mit dem vornehmen Fräulein und ihrer Frau Mama im Garten zu spazieren, und sie fährt von dannen. Ein wenig benommen, benebelt, und vor allem ohne Erinnerung an die letzten Minuten.

Ja, doch, ich beschließe, ihr tatsächlich die Aufwartung zu machen. Und Dich werde ich mitnehmen, wenn der Apfel hält, was der Stamm verspricht, wird es ein lohnendes Unterfangen.

Dann schreitest Du endlich die Treppe hinab. Ich bin zufrieden. Vom Federhut bis zur Coulotte sitzt alles perfekt, der Justaucorps aus edlem, blauen Samt, bringt die Farbe Deiner Augen zur Geltung. Und ich freue mich, wenn ich dran denke, wer heute Abend vor Neid brodeln wird. Dann steigen wir in die Kutsche und schon geht es los.

Während die Räder über das geduldige Pflaster rumpeln, gebe ich Dir eine Kurzfassung vom Sinn und Zweck unseres Ausflugs. Du lauschst und nickst. Hier und da streue ich eine Warnung ein, aber Du kennst ja bereits die höfischen Spiele, Du weißt um die Gefahr einer unbedachten Bemerkung. Und, ohne die Zusammenkünfte unserer Art herabwürdigen zu wollen, so ein großer Unterschied zu den Vergnüglichkeiten in Versailles besteht auch bei diesem Treffen nicht, abgesehen vielleicht vom subtilen Einsatz unserer mentalen Kräfte.

Auch in diesem Punkt erläutere ich Dir im Groben, was von nun an auf Dich zukommt. Gestern hast Du bereits die Macht der Dominanz über andere erlebt, die Paradedisziplin unseres Clans. Du wirst lernen, wie es geht, wir werden ein geeignetes Objekt für Deine Übungen finden. Auch Präsenz, die Fähigkeit andere durch pure Anwesenheit zu beeindrucken, liegt Dir im Blut und wir werden dieses Talent entwickeln müssen, ebenso wie die Kraft, Feuer, Licht und anderen Gefahren zu widerstehen.

Während ich doziere, siehst Du mich unverwandt an, als müsstest Du die Worte von meinen Lippen trinken.

Die Kutsche hält. Bevor Du aussteigst, halte ich dich zurück. Es gibt noch eine Kleinigkeit, die Du wissen solltest. Tréville ist nicht Dein einziger Bekannter bei diesem Fest, fürchte ich. Zwar würde es mich durchaus reizen, Euer beider Gesichter zu sehen, wenn ihr Euch begegnet, aber der Clan Ventrue kann sich keine weitere Blöße erlauben, ich kann mir keine weitere Blöße erlauben. Also kläre ich Dich besser vorher auf. Das ist jetzt die letzte Gelegenheit. Also mache ich es kurz und sage es Dir geradeheraus, ohne weitschweifige Erklärungen.

Ach wenn du noch erbleichen könntest, mein Kind. Ich bin sicher, Du hättest es gerade getan.

Dann öffnet mein Ghul den Verschlag und die große Charade beginnt.

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