Novemberherausforderung 2004 von Silvia
Durchschnittliche Wertung: 4.5, basierend auf 15 BewertungenKapitel Aramis' Alptraum von sarah
Nach monatelanger Abwesenheit mal wieder hier im Forum? Ja, ich lese schon seit einer Weile wieder mit, habe schließlich viel nachzuholen;-). Leider wusste ich nicht recht, wie ich mich wieder "einklinken" sollte, da kam mir die Montasherausvorderung ganz gelegen, zumal mich das Thema gereizt hat.
kursiver Text
Aramis‘ Alptraum
Es war einer jener düster-ungemütlichen Herbstabende um den 31.
Oktober, wenn am Himmel Wolkengiganten laut dröhnend ihre Heere
versammelten. Von Zeit zu Zeit konnte man unten auf der Erde
beobachten, wie die Speere der Himmelsriesen in metallenem Licht
aufzuckten und die Luft war so voller Wut, als könne sie es
garnicht erwarten, die ersten himmlischen Blutstropfen zu
schmecken.
Um es weniger metaphorisch auszudrücken, ohne jedoch der Tristesse
des Augenblicks einen Abbruch zu tun: Es war der ideale Abend, um
die endgültige und unumstößliche Entscheidung zu treffen Priester
zu werden!
Herzschmerz ist bekanntlich ein weit verbreitetes und
unberechenbares Übel, welches sich bei unterschiedlichen
Temperamenten in völlig verschiedenen Symptomen zu äußern pflegt:
Der Choleriker wird von einer gefährlichen Trinkwut gepackt, der
Melancholiker verfällt in dumpfe Apathie. Bei einem gewissen
Pariser Edelmann und Musketier seiner Majestät König Louis XIII.
jedoch war das untrüglichste Zeichen für eine Erkrankung der Seele
manische Religiosität.
Diesmal war Aramis fest entschlossen: Er WÜRDE ins Kloster
eintreten. Und weder der Brief einer gewissen Dame, welche die
Intrigen des Kardinals nach Tours verschlagen hatten, noch die
Umstimmungsversuche seiner Musketierfreunde würden ihn von dieser
Entscheidung abbringen. Bereits am Morgen hatte er es bekannt
gemacht: In drei Tagen würde es keinen Aramis mehr geben. Der Abbé
d’Herblay aber würde in einem Lothringer Jesuitenkloster betend und
arbeitend auf die Vergebung seiner Jugendsünden und die Läuterung
seiner Seele hoffen.
Amen.
Von dergestalt frommen Zukunftshoffnungen erfüllt, rief Aramis
nach seinem Diener Bazin, um nach einem äußerst weltlichen Tasse
heißer Schokolade zu verlangen, hatte er doch, aus Gründen der
Selbstgeißelung und nicht etwa aus Holzmangel, versteht sich, an
diesem Abend auf ein prasselndes Kaminfeuer verzichtet.
Er hatte kaum den ersten Schluck getan, als Bazin noch einmal ins
Esszimmer trat und ein wenig verwirrt einen gewissen Abbé de
Diabledieu anmeldete.
„Ein Jesuit?“ rief Aramis vom Stuhl aufspringend, „Das nenne ich
eine Schicksalsfügung... Na, was stehst du da und starrst, Bazin,
lass ihn ein!“
Das war nicht mehr nötig. In eine dunkle Mönchskutte gehüllt, die
das Gesicht des Eintretenden gänzlich verschluckte, war besagter
Jesuit bereits ins Zimmer getreten. Ein unheilkündender Hauch von
drohendem Gewitter begleitete die Ankunft des Priesters und
erstickte das Licht drei der Kerzen auf dem Tisch. Aramis konnte
ein leichtes Schaudern nicht unterdrücken.
„Wenn man vom Teufel spricht...“ entfuhr es ihm.
„So, Ihr pflegt also Umgang mit dem Herrn der Fliegen?“ erwiderte
Diabledieu gestreng, und die barsche Art und Weise, wie er sie
vortrug, übertünchte den eigenartig vertrauten Klang seiner
Worte.
Ehe Aramis sich noch entscheiden konnte, ob er vor Schreck
erbleichen oder vor Scham erröten sollte, fuhr der Gesichtslose
auch schon fort, „Kein Wort, Monsieur, ich weiß sehr wohl, dass Ihr
im Begriff seid Euer Leben in Schmach und Schande zu beenden und
Euch in Gottes Hand zu begeben! Der Herr ist allwissend und so sind
seine Diener. Fragt Euren guten Bazin und er wird Euch bestätigen,
dass kein Spitzel so erfolgreich ist wie ein Diener, wenn es darum
geht die Machenschaften des Herrn auszuspionieren.“
„Äh... gewiss.“ murmelte Aramis.
Der Abbé ignorierte die Verwirrung des jungen Mannes, der
offensichtlich ein wenig Mühe hatte, diesem überaus eigenwilligen
theologischen Syllogismus zu folgen, und trat mit vor der Brust
verschränkten Armen ins Esszimmer. Unsichtbare Blicke tasteten
misstrauisch jede Ecke des Raumes ab, als vermuteten sie in jeder
Ecke einen Dämon oder doch zumindest einen Hugenott.
„Heiße Schokolade!“ Beim Anblick der gottlosen Tasse, die
offensichtlich einen ausreichenden Ersatz für den fehlenden Ketzer
darstellte, bekreuzigte sich Diabledieu entsetzt.
„Vergebung, oh, seid versichert, Monsieur, ich werde meine
Gewohnheiten...“ begann Aramis, der hastig herbeieilte, um das
Objekt des Schreckens aus den Augen des Priesters zu entfernen,
wurde jedoch erneut von dem Jesuiten unterbrochen, dessen
Aufmerksamkeit sich inzwischen einigen Zeilen zugewandt hatte, die
Aramis, in der Düsternis seiner Seele versunken, zu Papier gebracht
hatte.
„Was ist das? Der Mond, vergeht, erstickt an deinem
Licht.... Die schändlichsten und unreinsten Gedanken in
Versen! Welch ein ... ein Sakrileg, ja wohl!“
„Monsieur...“
„Und diese Briefe?“
„Von einem Theologieprofessor aus Tours!“
„Ein bemerkenswerter Theologieprofessor, der seine Briefe mit
Ewig die Eure
zu unterzeichnen pflegt.“
Aramis, der bereits auf die seelische Größe einer Küchenschabe
zusammengeschrumpft war, ließ sich, vor Scham abwechselnd errötend
und erbleichend, auf einen Stuhl sinken. Mit einem schweren Seufzer
setzte Diabledieu sich ihm gegenüber, um in väterlicher Manier die
Hand des abtrünnigen Glaubensbruder zu ergreifen. Das spärliche
Kerzenlicht griff neugierig nach seinem Gesicht, erhaschte jedoch
kaum mehr als seine Nasenspitze.
„Versteht, mein Sohn, es ist Euer Seelenheil, um das mir bangt.“
sagte er andächtig, „Nichts Böses will ich Euch, denn ‚ambulare
debimus‘, wie Thomas Aquin sagt.“
„Amare.“ verbesserte Aramis geistesabwesend.
„Das sagte ich ja: Amare debimus.“
„Verzeiht, ich wollte mir nicht anmaßen Eure
Lateinkenntnisse...“
Der Priester gebot Aramis Schweigen und dieser verstummte.
„René d’Herblay, Musketier, Dichter, Geliebter, Abbé...“ setzte
Diabledieu an.
„Reißt den Musketier, den Dichter und den Geliebten aus meiner
Seele und Ihr seht einen Mann unerschütterlichen Glaubens vor
Euch!“
„Sofort, sofort.“ versprach der Abbé, „Doch zuerst...“ Er
verhaspelte sich, räusperte sich und begann noch einmal von neuem,
„René d’Herblay, Ihr erinnert Euch jenes unglückseligen Tages, da
ihr den Pfad aus den Augen verlort, der Euch bereits in der Wiege
am Horizont geleuchtet hatte?“
Aramis senkte den Kopf.
„Jenes Tages, da Ihr das Priesterseminar verließt, um nichts
anderem, als Eurem privaten Rachedurst zu frönen?“
Der junge Mann rang die Hände, wie um den Abbé zu bitten, ihn nicht
länger zu quälen.
„Ihr erinnert Euch jenes armen Offiziers, “ Diabledieu bekreuzigte
sich, „den Ihr, im Glauben beleidigt worden zu sein, zum Duell
herausgefordert? Erinnert Euch seines Gesichtes, da er Euch im
Augenblick seines Todes in die Augen sah?“
In diesem Moment brachen die Wolken auf und mit dem Hagelschauer
entlud sich das Gewitter, das der Himmel seit dem Nachmittag
angedroht hatte, gleich einem göttlichen Zornesausbruch über der
Stadt Paris.
Aramis sprang auf und ein schriller Schrei entrang sich seiner
Kehle.
Für die Dauer eines Blitzschlags hatte ihm eine grausame Vision vor
Augen geschwebt.
Eine blutgetränkte Hand am Fenster... ein totenbleiches Gesicht,
die Augen in dunklen Höhlen in Wahnsinn verdreht... Schaum vor dem
Mund und ein flehentliches „Erbarmt Euch!“ auf den Lippen...
„Ah, ich sehe, Ihr erinnert Euch.“ nickte der Jesuit
zufrieden.
„M-monsieur... D-d-da...“
Mit ausgestrecktem Finger, wies Aramis in Richtung des
Fensters.
„Diabledieu ist mein Name. Wollt Ihr mir ein Geständnis machen?“
Der Priester wandte sich in die angegebene Richtung, schien jedoch
nichts Ungewöhnliches zu entdecken. „Nein? Nun, dann will ich
fortfahren. Erinnert Ihr Euch der zahlreichen Männer, die Ihr
während Eures Dienstes in der Leibgarde des...“
„Die Hälfte von ihnen waren Hugenotten!“ schrie Aramis, doch es
half nichts: Beim nächsten Blitz waren es bereits zwei Geister, die
ihn vorwurfsvoll durch die Fensterscheiben anstarrten.
„Ja, seht Ihr denn nichts?“ rief Aramis beinahe flehentlich.
„Nun, ich sehe, dass Gott Euch für das bestraft, was Ihr Euch habt
zu Schulden kommen lassen.
War das möglich? Aramis musste sich eingestehen, dass er niemals
ein so frommer Abbé gewesen war, um jener Weisheit, „Gott sieht
alles“, mit dem man Kindern drohte, auch nur halb so viel Glauben
zu schenken, wie es vielleicht um seiner Seele willen erforderlich
gewesen wäre.
Aramis brach der kalte Schweiß aus und er sank Diabeldieu halb
ohnmächtig vor die Füße. Kopfschüttelnd hob der Priester den jungen
Mann auf.
„Na, na, es besteht ja noch Hoffnung für Eure Seele.“
beschwichtigte er ihn, „ Thomas Aquin nennt fünf Heilmittel gegen
einen Schmerz wie den Euren: Weine. Überlasse dich dem Mitleid
deiner Freunde. Schlafe. Und schließlich: Bade.“ Er überlegte eine
Weile, schüttelte jedoch schließlich den Kopf. „Nun, ich fürchte
jedoch, dass die Sache in Eurem Fall etwas komplizierter
aussieht.“
„Dann wisst Ihr also, wie ich mich von jenem Dämon befreien kann,
der mich immer wieder vom rechten Weg abbringt?“ fragte Aramis
schwach.
„Ihr seid zu schön.“
„Was...?“
„Nun, ist es nicht die Chimäre der geschlechtliche Liebe, die Euch
wieder und wieder, da Ihr schon Eure Thesen formuliert und Eure
Seele geprüft, hinterrücks überfiel und aus Gottes Umarmung riss,
dessen Liebe Euch bereits gewiss war? Und wollt Ihr etwa leugnen,
dass es Eure schwarzen Augen und die zarten weißen Finger waren,
die jene Chimäre noch anzulocken suchten, wo sie sie hätten von
sich stoßen müssen?“
„Wie wahr, wie wahr.“ seufzte Aramis und mit leidenschaftlicher
Überzeugung rief er auf, „Oh, verteufelte Jugend! Ach, dass doch
mein Leib frühzeitig verfaule und mir die Gestalt eines Greises
schenke als Schutzschild gegen die Verlockungen des
Fleisches!“
„Ist das Euer Ernst?“
„Bei meiner Seele, ja!“
„Dann seid Ihr gerettet!“ rief der Priester und bevor Aramis noch
wusste, wie ihm geschah, legte er seine Hände auf die Stirn des
jungen Mannes, und murmelte beschwörend ein paar Worte, in einer
Sprache, die Aramis nicht verstand. Als er schließlich von ihm
abließ und ihm prüfend in die Augen sah, nickte er zufrieden.
Verwirrt betastete Aramis sein Gesicht.
„Ein alter Ritus der Kelten.“ erklärte Diabledieu, „Ein Fluch, der
dem Gegner das Gesicht sosehr zu verunstalten vermag, dass er vor
sich selbst flieht. Ein wundervolles Beispiel dafür, wie man
heidnische Bräuche von dem Bösen säubern und im Sinne des Wahren
Glaubens für das Gute nutzen kann!“
Aramis Augen waren, während der Priester sprach, größer und größer
geworden, während sein Unterkiefer den halt zu verlieren schien.
Nun sprang er mit einem Schrei vom Boden auf und stürzte in bangem
Erwarten zu jenem Messingspiegel an der Wand in seinem
Schlafzimmer.
Das Monster, das ihm mit aufgedunsenen Wangen und unmenschlich
verzerrtem Gesicht aus dem bronzenen Rahmen entgegen glotzte, war
nicht mehr er selbst und als Aramis mit sichtlicher Mühe seinen
Unterkiefer dazu bewegt hatte, wieder in seine ursprünglich Lage
zurück zu kehren, tat er das einzige, was diesen Anblick auch nur
annähernd beschreiben konnte: Er schrie aus Leibeskräften, sodass
Bazin erschrocken ins Zimmer gestürzt kam.
„Herr Aramis, was...“
Diabledieu schob den Diener beiseite, als er ins Zimmer trat, und
legte dem Verunstalteten beschwichtigend seine Hand auf die
Schulter.
„Aber, aber, mein Sohn, Ihr müsst lernen Eure Freude ein wenig zu
zügeln! Thomas Aquin sagt...“
„Zum Teufel mit Thomas Aquin!“ schrie Aramis und wirbelte mit solch
zornglühenden Augen zu Diabledieu herum, dass dieser instinktiv
einige Schritte zurückwisch: „Zum Teufel mit Euren heidnischen
Zaubersprüchen und Eurem Gerede von Chimären und Vergebung! Gebt
mir mein altes Gesicht zurück! Mordioux, wie d’Artagnan sagen
würde, ja, ich bin Soldat! Ja, ich bin schwach und für die Liebe
empfänglich! Und, wahrlich, ich sage Euch, es ist noch viel
schlimmer, denn ich bin es gerne!“ Aufheulend wie ein Schlosshund
warf sich Aramis auf sein Bett und verbarg das entstellte Gesicht
unter seinem Kopfkissen.
„Aber, Monsieur, Ihr sagtet doch...!“
Ein gut gezieltes Kissengeschütz ließ den Abbé verstummen. Eine
Weile wurde die Stille nur von Aramis‘ Schluchzen unterbrochen, das
gedämpft unter der Bettdecke hervortönte, bis der Abbé die
vorsichtige Frage wagte, „Monsieur d’Herblay... seid Ihr ein Freund
von Geistergeschichten?“
Die nächste Salve bestand aus einigen Gedichtbändchen von Aramis‘
Nachttisch.
„Ich kenne da nämlich eine ganz hübsche Geschichte, die von Dämonen
und Geistern handelt, und wie man sie bekämpft.“
Während der junge Musketier seine gesamte Wohnungseinrichtung gegen
den gesichtverunstaltenden Nekromanten ins Feld führte, suchte
dieser hinter einer hölzernen Truhe Zuflucht, um in aller
Seelenruhe seine Geschichte zum Besten zu geben. Das ganze garniert
mit einigen effektvollen Blitzen, die anfeuernd das Schlachtfeld
erhellten, gab Bazin, der offenen Mundes auf der Türschwelle
harrte, einige Rätsel auf.
„Es war einer jener düster-ungemütlichen Herbstabende um den 31.
Oktober, wenn am Himmel Wolkengiganten laut dröhnend ihre Heere
versammelten. Von Zeit zu Zeit konnte man unten auf der Erde
beobachten, wie die Speere der Himmelsriesen in metallenem Licht
aufzuckten und die Luft war so voller Wut, als könne sie es
garnicht erwarten, die ersten himmlischen Blutstropfen zu
schmecken.
Drei unerschrockene Edelleute jedoch trotzten an jenem Abend der
Himmelsgewalt, um einen jungen Freund aus den Klauen eines Dämons
zu befreien, welcher seine Seele in Besitz genommen hatte, um sie
mit hämischen Parasiten zu füllen, die sich in die Gestalt falscher
Frömmigkeit hüllten. Einer der Edelmänner begab sich in mönchischer
Verkleidung in die Wohnung jenes Freundes und der Dämon, der ihn
für einen Mitverschwörer hielt, ließ ihn ein. Gemeinsam setzten sie
der Seele des jungen Mannes zu , der eine, um ihn ins Verderben zu
stürzen, der andere, um ihr zu der Stärke zu verhelfen, die
Parasiten zu vernichten. Die anderen beiden Edelleute jedoch
beobachteten das Geschehen vom Fenster her und auch sie glaubte der
Dämon in seine dunklen Pläne einbinden zu können, denn er verlieh
ihnen die Gestalt von Gespenstern, vom Tode erstanden, um das, was
in dem jungen Mann noch am Leben festhielt, zu bezwingen.
Doch nun war es an der Zeit für den ersten Edelmann sich zu
offenbaren: Und so holte er einen Spiegel hervor, einen magischen
Spiegel, wohlbemerkt, und ließ seinen jungen Freund hineinsehen:
Und endlich erkannte dieser im Spiegel das Gesicht jenes Monsters,
jenes Dämons, der von ihm Besitz ergriffen hatte und mit einem
einzigen markerschütternden Schrei vernichtete er die Parasiten,
die sich in seiner Seele eingenistet hatten...“
Während der Erzählung hatte sich das wütende Heer der Bücher,
Kissen, Bilderrahmen und Rosenkreuze beruhigt und letztendlich die
Offensive völlig aufgegeben.
Das Gesicht des jungen Musketiers lugte unter der Bettdecke
hervor.
„D’Artagnan?“
Der verkleidete Musketierleutnant verließ seine Deckung und schlug
lachend die Kapuze zurück: Mit einem Stöhnen kroch Aramis zurück
unter die Decke, um die Verwandlung seines Gesichts von einer
Alabastabüste zum Granatapfel zu kaschieren.
„Dann waren die beiden Gesichter am Fenster...“
„Athos und Porthos!“
„Und mein eigenes Gesicht...“
„So ansehnlich wie eh und je!“
„Und der Spiegel...“
„Ein Zerrspiegel.“
Nun erinnerte sich Aramis, dass ihm der Zimmermann, der ihm am
Vormittag den neuen Spiegel gebracht hatte, durch einen starken
gascognischen Akzent aufgefallen war. Ja, in der Tat war ihm auch
die Redeweise des Mönches alarmierend bekannt vorgekommen, wenn er
auch viel zu erregt gewesen war, um Verdacht zu schöpfen.
„Was bin ich doch für ein Tropf!“ stöhnte er.
„Ja, der seid Ihr wohl.“ kam es aus der Richtung der Tür, wo Athos
und Porthos, die bleichgeschminkten Gesichter zu einem Grinsen
verzogen, erschienen waren.
„Mordioux, nun kommt endlich aus Eurem Bett hervor!“ Lachend
reichte d’Artagnan seinem Freund die Hand und zog ihn in seine
Arme.
„Ich sollte Euch steinigen, statt Euch die Hand zu reichen.“ befand
Aramis.
„Tut, was Ihr wollt, solange Ihr mir nicht in einem neuen Anfall
von Frömmigkeit Absolution für meine fehlenden Lateinkenntnisse
erteilt!“ erwiderte d’Artagnan. „Aber ich würde Euch gerne den
Vorschlag machen, die Steinigung zugunsten eines guten Burgunders
zu verschieben. Schon Thomas Aquin sagt, der Wein ist das
größte Geschenk Gottes an den Menschen.“
Obgleich Aramis bezweifelte, dass der große Theologe sich in seinen
frommen Exkursen jemals in die Tiefen des Weinglas hinab begeben
hatte, gab er dem Freund recht und nur wenig später saßen die vier
Musketiere lachend und lallend beisammen und einzig Bazin, der die
Hoffnung Laienbruder zu werden, ein weiteres Mal auf unbestimmte
Zeit begraben musste, beobachtete die Szene mit einem
gramentstellten Gesicht, das dem, welches Aramis im Spiegel gesehen
hatte, nicht unähnlich war.