Aprilherausforderung 2005 von Maike 

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Kapitel Ein neuer Untergebener von Anonymous

Vorwort: Hallo ihr, ich dachte mir, dies ist ein sehr schöner Vorschlag von Maike für eine Herausforderung und deswegen schreibe ich endlich mal wieder eine Kleinigkeit. Ich hoffe, ihr wendet Euch nicht genervt alle von mir, weil ich schon wieder über Mordaunt schreibe, was hier ja eher niemanden interessiert, ich hoffe, es liest trotzdem jemand ;-).
Wenn etwas unklar ist, wendet Euch an mich, es kann ja sein, dass ich etwas übersehen habe.
Da ja gar nichts vorgegeben war, habe ich mir einfach eine kleine, unspektakuläre Szene aus Mordaunts Kindheit überlegt. Ich hoffe, es gefällt Euch.
Silke

„Und ich sage es Euch, meine Liebe, ich bereue seit diesen zwei Jahren jede Stunde, dass ich dieses Kind anstelle des Kindes, dass Ihr mir nicht schenken wolltet, angenommen habe.“
„Oh mein Herr“, versetzte in gekränktem Tonfalle eine noch schöne Frau von etwas über fünfunddreißig Jahren, die ein Lorgnon in den Händen hielt und mit kurzsichtig blinzelnden Augen ihren Gatten musterte. „Dass unsere Ehe bis heute kinderlos geblieben ist, könnt Ihr mir nicht zum Vorwurf machen, wir haben, bei Gott“, hier errötete sie auf das Heftigste, „nichts unversucht gelassen, das wisst ihr ebenso gut wie ich.“
Ihr Gemahl, ein beleibter Herr von fast fünfzig Jahren mit schütteren grauen Haar, dass bei jeder Kopfbewegung hin- und herflatterte, als wäre es aus leichtester Seide, lief vor ihr im Zimmer auf und ab.
„Nun, das ist recht und wir wollen uns darüber nicht streiten, und doch sage ich Euch und möchte es vor Gott beschwören, jeder Tag, der mich der Befreiung von diesem Balg näher bringt, ist ein freudiger Tag für mich.“
„Ihr seid zu hart zu dem Kinde“, hielt sie dem etwas schwach entgegen.
„Zu hart?“, polterte er, worauf sie zusammenzuckte und beinahe ihr Lorgnon verlor, „zu hart, meine Liebe, ich? Wer plagt sich denn mit diesem ungehobelten Bengel ab, wer gibt ihm Unterricht im Reiten, Fechten und allerlei anderen Wissenschaften? Ich, meine Dame, nur ich allein. Nähen lernen muss er ja nicht.“
Seine Gemahlin erhob sich etwas von ihrer halb hingegossenen Haltung auf dem Diwan und rutschte unbehaglich hin und her.
„Nun, wenn John-Francis Euch tatsächlich soviel Mühe macht… Der Priester von Kingston hat uns doch ausdrücklich versichert, dass das Kind augenblicklich zu ihm zurückkehren kann, sollte uns das angenehmer sein.“
„Meine Liebe“, sprach er im herablassenden und etwas ungeduldigen Tonfalle, „wir haben uns dazu bereit erklärt, uns des Kindes anzunehmen- hat man eine Aufgabe übernommen, so muss man sie auch bis zu Ende tragen. Vielleicht fügt es Gott ja so, dass er uns schon etwas früher aus dem Hause kommt, als wir jetzt noch vermuten.“
„Gott füge es so“, sprach sie mit einem Aufseufzer und die Gatten versanken in Stillschweigen.

Der, über den eben so unbarmherzig gesprochen worden war, saß ein Zimmer weiter, in der kleinen Bibliothek des Hauses. Vor ihm lag aufgeschlagen ein Buch, doch er las nicht darin, sondern lauschte sehr gespannt auf die Stimmen, die über den Korridor bis zu ihm herüber klangen.
Nun, als alles wieder still war, zog er das Buch etwas näher zu sich heran und gab vor, zu lesen.
Kurze Zeit später näherten sich Schritte dem Zimmer und der ältere Mann mit dem schütteren Haar, der eben die Auseinandersetzung mit seiner Gattin gehabt hatte, trat ein.
Er blickte auf seinen Ziehsohn, der seit zwei Jahren bei ihm lebte. Was er sah, war nicht dazu angetan, sein Herz, das so sehr auf Vaterfreuden gehofft hatte, zu erfreuen.
„Ihr müsst mehr essen“, sprach er nun im bemüht freundlichen Tonfalle zu dem Knaben, der vielleicht zwölf Jahre zählte, und sein strenger Blick glitt über die für das Alter zu klein und schmächtig geratene Erscheinung seines Ziehsohnes.
John-Francis klappte das Buch zu und wandte seinen Blick seinem Adoptivvater zu, während er sich langsam erhob.
Mit einem seltsamen Ausdruck der Verachtung und Abneigung musterte er den Mann, den er eigentlich zu lieben hatte.
„Da habt Ihr sicherlich Recht, mein Herr Vater“, sprach er dennoch sehr höflich.
„Henry Velven wird nachher kommen, um mit Euch eine Fechtstunde abzuhalten, Ihr wisst, Ihr werdet viel von ihm lernen können. Ich erwarte von Euch, dass Ihr heute Nachmittag pünktlich zur Lektion erscheint.“
„Ich werde dort sein.“
„Das ist gut. Nun kommt, das Essen wird bald fertig sein. Habt Ihr Eurer Mutter schon eine Aufwartung heute gemacht?“
„Nein, mein Herr Vater.“
„So tut das nun und danach werden wir zu Mittag essen.“
Statt einer Antwort verbeugte sich John-Francis nur und sein Ziehvater verließ das Zimmer. Mit einem Ausdruck tiefen Widerwillens, der beinahe an Hass grenzte, blickte John-Francis ihm nach, dann ging er langsam hinüber zu den Zimmern seiner Mutter. Er teilte ihrer Kammerzofe mit, dass er seiner Mutter einen Besuch abstatten wollte und wurde hereingelassen.
Sie lag, wie sie es immer tat, auf ihrem Diwan und blickte dem Jungen lächelnd entgegen, wobei sie die Hände nach ihm ausstreckte.
„Ich freue mich, Euch zu sehen, mein lieber Francis, ich hoffe, es geht Euch heute gut? Ihr seht wahrhaftig ganz frisch und ausgeruht aus.“ Während sie das sagte, dachte sie: ‚Furchtbar sieht der Bengel wieder aus, wie eine Leiche auf Beinen. Er sollte zurückkehren in sein Kloster, wo sie einen fanatischen Hasser aus ihm gemacht haben. Und wie hochmütig er wieder schaut. Man sollte ihm den Hintern versohlen, dass er drei Wochen nicht sitzen kann.’
Er küsste ihr achtungsvoll die Hand und erwiderte höflich: „Danke, ich habe ausgezeichnet geruht, ich hoffe, auch Euch geht es gut. Ich darf doch annehmen, Ihr konntet trotz des starken Regens heute Nacht ruhig schlafen?“ Sie machte eine ungeduldige Handbewegung, als verscheuche sie ein lästiges Insekt.
„Was wollt Ihr, mein Lieber, der Schlaf wird mit dem Alter immer unruhiger und spärlicher und kommt irgendwann nimmermehr, bis man schließlich für immer die Augen schließt.
Aber was reden wir von solch traurigen Sachen, soweit bin ich noch lange nicht und Ihr schon gar nicht, das Leben in all seiner Freude steht Euch noch bevor. Und wie es scheint, ist auch das Mittag angerichtet, es duftet bereits sehr gut. Ihr habt wohl die Güte, mich in das Speisezimmer zu geleiten.“
Sie erhob sich von ihrer Ruhestätte, die sie selten verließ, eigentlich nur für das Mittag oder anderen Mahlzeiten, die sie nicht im Liegen einnehmen konnte und es zeigte sich, dass ihr Leib einen recht starken Umfang hatte, was vom Mangel an Bewegung herrührte.
Ihr den Arm reichend, führte John-Francis seine übergewichtige Ziehmutter ins Speisezimmer, wo kurze Zeit darauf die kleine Familie dem Mahle zusprach.

Einige Zeit nach dem Mittagessen fand sich der Knabe hinter dem Haus auf einem kleinen Platz wieder. Dieser Platz war von hohen Mauern abgegrenzt von der Straße und der Stadt, man konnte unbeobachtet von Nachbarn und Anderen sein.
Mit ihm waren sein Ziehvater und ein junger Mann von knapp zwanzig Jahren. Dieser und John-Francis trugen beide dicke Westen am Oberkörper sowie Schutzmasken in der Hand, außerdem jeder einen Degen. In einer Ecke dieses Hofes lagen noch viele andere Degen, teilweise zerbrochen und Westen, Jacken und Schutzmasken.
Der Knabe sah mit dieser Weste etwas seltsam aus, sie war ihm zu groß und außerdem zu dick, und schränkte seine Bewegungsfreiheit ein. Er schien zu wissen, dass er eine lächerliche Figur machte und warf dem jungen Mann, der ihn eine Weile mit mühsam beherrschtem Spott betrachtet hatte, böse Blicke zu.
Dieser grüßte ihn nun höflich mit dem Degen und setzte seine Schutzmaske auf. Danach ging er in Fechtstellung und rief, während John-Francis es ihm gleichtat:
„Ihr kommt jetzt auf mich zu und greift mich an. Ihr“, er deutete mit dem Degen auf den Adoptivvater des Knaben, „seht zu und versucht zu beurteilen, ob er mich trifft. Wir werden dann sehen, was Eure Fehler sind und sie zu berichtigen wissen.“ Diese letzten Worte hatte er zu dem Jungen gesprochen, der ungeduldig nickte.
Die beiden Gegner kamen nun in vorsichtigen Schritten aufeinander zu und es entwickelte sich ein kleines Gefecht.
Es war nicht besonders gut und nicht mal für den Laien lehrreich, hierbei zuzusehen, zumal der junge Mann, ebenjener Henry Velven, von dem vorhin zwischen John-Francis und seinem Ziehvater die Rede gewesen war, alle paar Sekunden innehielt um dem Jungen eine Anweisung, wie er etwas besser zu machen hätte, zurief.
Dieser atmete inzwischen heftig, nicht nur von der Anstrengung, obwohl ihm das Stehen und gehen in der Fechtstellung durchaus nicht so leicht fiel wie dem jungen Mann, als auch vor Wut. Sein Ziehvater kannte diese Anzeichen eines Wutanfalls und bereite sich bereits darauf vor, während er sich gleichzeitig jetzt schon über den Zorn des Knaben amüsierte.
Aber dieser hielt an sich, bis der junge Mann „Halt!“, rief, bevor John-Francis sich überhaupt bewegt hatte. Da riss sich der Knabe die Fechtmaske vom Kopf und die Weste vom Leib.
„Ich danke, mein Herr“, sagte er mit eisiger Verachtung, die einem zwanzig Jahre älterem Manne eher angestanden hätte als diesem Kind, „doch ich bezweifle, dass weitere Übungsstunden zwischen uns besonders fruchtbringend sein werden. Es tut mir Leid für die Mühe die Ihr Euch gemacht habt, meinetwegen aus London zu kommen, doch wie Ihr wisst, habe ich Euch nicht gebeten, mir Unterricht zu erteilen. Mein Herr Vater“, wandte er sich kühl an seinen Vater, „es tut mir leid wegen der Umstände, die ich Euch bereite.“ Er wandte sich ab, um zu gehen, blieb aber stehen, als er an der Hausecke einen Mann entdeckte, der offenbar schon seit längerem dort stand und sie alle zu beobachten schien.
Der Fremde war im mittleren Alter, groß und kräftig gebaut, mit strengem Antlitz und dunklem Haar. An seiner Kleidung erkannte man sofort den Puritaner, doch schien er auch Kriegsmann zu sein, wenn man den langen Degen an seiner Seite bedachte, sowie allerlei andere Merkmale, die ihn nicht als einen Mann der Kirche auswiesen.
Durch das Stocken des Knaben waren nun auch der junge Mann sowie der Ziehvater auf den Besucher aufmerksam geworden.
Hätte der Knabe in diesem Moment das Gesicht seines Vaters gesehen, so hätte er eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, wie dieser blicken würde, schlüge direkt vor ihm ein Blitz ein.
Doch dieser Augenblick des Erschreckens oder Entsetzens währte nur wenige Sekunden, dann fasste sich der Vater und eilte, den Lauf unterbrechend mit vielen Bücklingen, auf den Fremden zu.
„Oh mein Herr General! Mein Herr Cromwell! Was für eine Überraschung, Euch hier zu sehen, ich wusste ja nicht, wie hätte ich es ahnen sollen, dass Ihr ausgerechnet in meinem bescheidenen Heim mich würdet besuchen, ich bin außerordentlich erfreut, Euch hier zu sehen.“
Die beiden Herren begrüßten sich und der fremde Besucher namens Cromwell sprach leise einige Worte zu seinem Untergebenen, welcher der Ziehvater John-Francis’ offenbar war.
Nach diesen Worten, die nur der, für den sie bestimmt waren, verstehen konnte, zogen sich die Herren ins Haus zurück.
Langsam folgte John-Francis ihnen, während sein Fechtgegner aufgebracht Haus und Hof verließ, um nicht wieder zu kommen.
Drinnen herrschte ein aufgeregtes Hasten, da die Dienerschaft begriffen hatte, dass wichtiger Besuch da sei und der Hausherr entgegen seiner sonstigen Manier die Befehle herumbrüllte, die sich noch dazu völlig widersprachen.
„Macht doch nicht soviel Aufhebens wegen mir, ich bitt’ Euch“, sprach Cromwell und ließ sich von dem Hausherrn in dessen Arbeitszimmer geleiten. „Ich möchte wirklich gar nichts, außer vielleicht einer Tasse Tee, wenn ihr erlaubt.“
„Tee!“, schrie der Hausherr und die Dienerschaft wuselte umher, als gäbe es nichts Aufwendigeres, als eine Tasse Tee zu brühen. Dann wandte er sich an seinen Besucher. „Sir, ich bin wirklich außerordentlich überrascht über Euren Besuch, den ich gar nicht erwartet habe. Ich hoffe, keine unangenehme Angelegenheit führt Euch in diese abgelegene Gegend.“
General Cromwell schüttelte den Kopf.
„Es ist nichts Wichtiges, ich kam nur vorbei und ehe es Nacht wird und ich möglicherweise in einer düsteren Spelunke nächtigen muss, dachte ich, ich besuche lieber Euch.“
„Ihr tut mir zuviel Ehre an“, versicherte geschmeichelt der Hausherr.
„Sagt, mein lieber Herr von Sherincourt, wo habt Ihr Eure bezaubernde Frau Gemahlin gelassen? Ich muss doch nicht erwarten, dass sie verreist ist?“
„Aber nein, mein Herr, sie ist hier im Hause. Wenn es Euch recht ist, kann sie kommen.“
„Dabei könnt Ihr mir auch gleich den jungen Mann vorstellen, den ich vorhin so schön habe fechten sehen.“
„Oh ja, das ist gut möglich. Ich lasse alle beide gleich rufen, wenn Ihr das wünscht, Sir.“
„Ich bitte darum.“
Herr von Sherincourt trug dem Diener, der die Teetasse für Cromwell hineinbrachte, auf, seine Gemahlin und John-Francis zu holen.
Beide kamen kurz darauf. John-Francis führte seine Schwiegermutter, die schwer atmete, da sie in aller Eile noch Toilette gemacht hatte, als sie von dem hohen Besuch gehört hatte.
Nun saß ihre Frisur und ihre Leibesmassen waren in wehende Gelbtöne gehüllt, zudem begleitete sie ein Parfüm von aufdringlicher Süße.
Tief knickste sie vor dem Herrn ihres Gemahl und gab dann John-Francis einen leichten Stoß, da dieser sich nicht sofort verneigte, als Cromwell, der in einigen Jahren der mächtigste Mann in England werden wollte, sich ihm zuwandte.
„Dies ist John-Francis, mein Ziehsohn, den wir vor zwei Jahren an Kindes Statt angenommen haben. Und dies, John-Francis, ist Sir Cromwell, ein…“, hier traf Herrn von Sherincourt ein langer Blick seines Herrn, „ein Freund der Familie.“
Der Knabe verneigte sich höflich und sah dann Cromwell an, der ihn lange musterte. Röte stieg in das Gesicht des Jungen und er wandte den Blick ab.
Herr und Frau von Sherincourt begannen nun ein kurzes Gespräch mit dem hohen Gast, bei dem John-Francis schwieg und verstohlen den Mann musterte, vor dem seine Zieheltern, die er sonst fürchtete und verabscheute, zu Dienern wurden.

Beim Abendessen zeigte sich, dass John-Francis dem Gast einige Aufmerksamkeit abnötigte und immer wieder versuchte der General den Knaben in ein Gespräch zu verwickeln, indem er ihm eine Frage stellte, aber John-Francis antwortete stets scheu und einsilbig, wobei er immer wieder ängstliche Blicke zu seinem Ziehvater warf.
Seine Mutter schickte ihn schließlich zu Bett und er erhob sich erleichtert und verließ nach einem kurzen Gruß das Speisezimmer.
Die drei Erwachsenen schwiegen einen Moment und als eine Etage höher eine Tür klappte, sprach die Mutter:
„Ihr müsst verzeihen, Sir, aber gebt Euch mit dem Kind nicht allzu viel Mühe. John-Francis hat in frühen Jahren die Mutterliebe und elterliche Fürsorge vermisst, und Ihr wisst ja, solche Mängel gleicht später nichts mehr aus. Er ist etwas beschränkt.“
„Er erschien mir nicht unintelligent“, widersprach Cromwell.
„Täuscht Euch nicht in ihm. Er ist eine kleine Natter und stets zur Böswilligkeit aufgelegt“, versicherte Sherincourt. „Wir haben unsere liebe Not mit ihnen.“
Als Cromwell diesen Worten nicht Glauben schenken wollte, begannen die Sherincourts sich zu ereifern. Sie berichteten ihrem Dienstherrn, wie sie John-Francis ins Haus bekommen hätten und was dieser bisher angestellt hatte. Als sie darin nicht nachließen und immer schlimmere Dinge aus dem Gedächtnis hervorkramten, gab Cromwell schließlich nach und stimmte ihnen zu, dass John-Francis anscheinend völlig verdorben sei. Eine Erkenntnis, zu der er sich viele Jahre später selbst würde durchringen müssen.

In den nächsten Tagen hatten die Sherincourts keine Gelegenheit, um Cromwell von des Knaben Schlechtigkeit zu überzeugen, doch es verging keine Stunde, in der sie sich nicht ihren Ärger über den Jungen Luft machten.
Jedoch hinderte dies den General nicht daran, sich aufs Lebhafteste für John-Francis zu interessieren und er wollte sich unbedingt einmal allein mit ihm unterhalten.
Am letzten Tag vor seiner Abreise erst bot sich ihm hierzu eine Gelegenheit.

Er begegnete John-Francis hinter dem Haus, wo er, angetan mit einer Fechtmaske, mit dem Degen auf einen mit Holzspänen gefüllten Sack einstach. Immer und immer wieder.
„Ihr macht das sehr gut“, begrüßte Cromwell John-Francis freundlich. Bei diesen Worten hielt der Knabe, der den Zuschauer bis dahin nicht bemerkt hatte, inne und nahm die Maske ab. Sein Gesicht war verschwitzt und die blonden Haare hingen ihm strähnig ins Gesicht. Er sah mürrisch und lustlos aus.
„Ich bin nicht sehr gut im Fechten.“ Er ließ seinen Degen fallen und trat seine Fechtmaske weg.
„Wenn Ihr regelmäßig übt, werdet Ihr Euch gewiss verbessern“, widersprach Cromwell.
„Vielleicht. Aber ich habe irgendwann sicherlich keine Möglichkeit mehr, zu üben.“
„Wieso? Wer sollte Euch die Möglichkeit denn nehmen?“
„Sherincourt“, der Knabe spuckte diesen Namen beinahe aus, „er wird mich zurück in das Kloster schicken. Aber verzeiht“, er sah erschrocken aus, „es ist mir wohl nicht gestattet, so zu Euch über ihn zu sprechen.“
„Steht zu Euren Worten. Nur so könnt Ihr ein Mann werden. Wer sagt Euch, dass Ihr ins Kloster zurückgeschickt werdet?“
„Ich weiß es, so etwas merkt man. Außerdem wollen sie mich nicht mehr. Ich bin ihnen zu anstrengend.“ John-Francis sprach sehr leise und erbittert und er sah zu Boden, um nicht in das Gesicht Cromwells blicken zu müssen. Andererseits wirkte er trotzig und bestrebt, Cromwell von der Schlechtigkeit seiner Zieheltern überzeugen zu können.
Mit Unbehagen lauschte der General, er wusste nicht recht, was er von dem Knaben halten sollte und er hätte das Gespräch gerne beendet. Trotzdem fragte er:
„Und wieso meint Ihr, seid Ihr zu anstrengend?“
„Weil ich schlecht bin und unnütz und nicht wie sie.“
„Weshalb seid Ihr nicht wie sie?“
„Weil sie nicht meine Eltern sind“, entgegnete John-Francis überzeugt und einfach, was Cromwell so belustigte, dass er beinahe gelacht hätte.
„Und was ist mit Euren echten Eltern, wenn ich fragen darf?“ John-Francis verzog den Mund, als würde er weinen und erwiderte nach einem kurzen Zögern:
„Meine Mutter ist tot. Sie lebt schon lange nicht mehr.“
„Das tut mir Leid für Euch, das ist ein harter Verlust.“ Cromwell meinte es ehrlich, aber John-Francis zuckte verächtlich mit den Schultern.
„Warum tut Ihr so überrascht? Ihr wisst es doch schon längst und braucht mich nicht zu bedauern.“
„Was weiß ich schon längst?“, erkundigte sich der General verblüfft.
„Das meinte Mutter tot ist. Meine Eltern erzählen es doch jedem. Und auch, dass man nicht weiß, wo sie begraben liegt und solche Sachen.“
„Ihr wisst nicht, wo das Grab Eurer Mutter ist?“
„Nein, woher? Ich habe keine Möglichkeiten, es heraus zu finden.“
„Aber Euer Vater…“
„Mein Vater?“, unterbrach John-Francis ihn brüsk. „Ich habe keinen Vater, Sir!“ Der General schwieg und eine Weile herrschte Stille zwischen ihnen. Schließlich fragte Cromwell:
„Und wer ist Euer echter Vater?“ John-Francis machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Mein echter Vater ist schon lange tot. Das tut mir nicht weiter leid, ich kannte ihn nicht. Das Einzige, was mir an ihm liegt, ist sein Vermögen. Ich werde später sehr reich sein. Vorausgesetzt, es wird mir von meinem Oheim ausgezahlt, womit ich natürlich fest rechne.“
„Und dann? Ich glaube nicht, dass Ihr vorhabt, Euer ganzes Leben von Eurem Erbe zu zehren.“
„Nun, zuerst werde ich versuchen, herauszufinden, wo das Grab meiner Mutter ist und dann, ich weiß nicht…“
„Um so etwas heraus zu finden, braucht Ihr viele Menschen, die Euch viel berichten können und Euch dann möglicherweise auf die richtige Spur bringen. Kennt Ihr viele Menschen?“
Entmutigt schüttelte John-Francis den Kopf.
„Nein, ich komme ja kaum hier heraus. Aber das wird schon noch.“ Der General überlegte einen Moment und bot dann entschlossen an:
„Ich werde mit Euren Eltern reden, wenn es Euch Recht ist. Was haltet ihr davon, wenn Ihr in einigen Jahren, wenn Ihr alt genug seid, in meine Dienste tretet? Ich habe sehr viele Verbindungen und außerdem könnte ich jemanden wie Euch gut gebrauchen. Ihr dient mir, natürlich in einer sehr guten Position und gemeinsam werden wir es schon schaffen, Eure Mutter zu finden. Was meint Ihr?“ Zuerst mit Unglauben, dann mit freudigem Erstaunen hatte John-Francis diese Worte vernommen. Nun sah er auf und strahlte über das ganze Gesicht.
„Das würdet Ihr für mich tun? Und ich dürfte tatsächlich in Eure Dienste treten und dann das Grab meiner Mutter suchen? Oh, mein Herr, wie danke ich Euch!“ Er fiel überschwänglich vor Cromwell auf die Knie und küsste diesem die Hand.
Mit einem Lächeln ließ der General das geschehen. Er beglückwünschte sich zu seiner Idee.
So hatte er einen hoffentlich treuen Untergebenen ganz einfach gewonnen, nur indem er ein Versprechen gab und vielleicht konnte dieser Knabe ihn irgendwann tatsächlich sehr viel Nutzen bringen. Jetzt noch nicht. Aber in zehn Jahren konnte viel geschehen und wenn er sich dann wirklich dort befand, wo sie seine ehrgeizigen Wünsche hinsehnten, dann war es immer gut, heute schon Vertraute um sich zu scharen.
Und dieser John-Francis schien erst einmal ganz brauchbar zu sein.