Belle Aventure von Silvia
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 50 BewertungenKapitel Ein Brief aus Paris
Wie sie es versprochen hatte, erzählte Claire Athos am nächsten Tag von dem Festmahl und beschrieb ihm ausführlich, wie viele Gänge es gegeben hatte und was aufgetischt worden war. Sie hoffte, daß sie Athos mit ihrem Bericht wirklich nicht noch hungriger machte, als er es ohnehin schon war, doch der Musketier machte auf sie nicht den Eindruck, als stimme ihre Erzählung ihn traurig oder wehmütig; er hörte im Gegenteil aufmerksam zu und schien ihre Gesellschaft zu schätzen. Dies war jedoch eigentlich auch nicht weiter verwunderlich – für jemanden wie ihn, der gewöhnlich ein sehr aktives Leben führte, mußte es doch doppelt schwer sein, verwundet und schwach im Bett zu liegen und den ganzen Tag nichts anderes zu tun zu haben, als die Deckenbalken zu zählen. Auch während der nächsten Tage sah sie so oft es ging nach dem verwundeten Musketier, nicht nur, um seine Verbände zu wechseln, ihm zu essen oder zu trinken zu bringen oder ihre sonstigen Aufgaben wahrzunehmen, sondern vor allem auch, um ihm ein wenig Gesellschaft zu leisten und seinen gewöhnlich recht eintönigen Tagesablauf etwas aufzulockern, indem sie sich ein wenig mit ihm unterhielt, bevor sie wieder ging.
Allmählich wurde aus dieser Verpflichtung – die sie zwar gern und bereitwillig ausgeübt hatte, die aber dennoch eine Verpflichtung gewesen war, mehr und mehr Vergnügen. Claire gewöhnte sich bald so daran, mehrmals täglich zu Athos zu gehen, mit ihm zu reden und in seiner Nähe zu sein, daß es sich in ihr übrigens Leben einfügte, als habe es schon immer dazu gehört. Zwischen ihnen stellte sich eine Vertrautheit ein, als ob sie sich schon länger kennen würden als es eigentlich der Fall war, und Claire ertappte sich gelegentlich dabei, wie sich in ihren Vorstellungen das Gesicht ihres schönen englischen Kavaliers mit dem ihres Patienten vermischte - und wie sich lang uneingestandene, schöne Träume, die sie in Bezug auf diesen Kavalier gehegt hatte, Stück für Stück eher an den ganz lebendigen, wirklichen Mann, den sie vor sich hatte, als an die halbverwischte Kindheitserinnerung zu knüpfen begannen. Doch jedesmal, wenn sie erkannte, daß sie sich wieder in solchen Träumen zu verlieren drohte, rief sie sich halb betrübt, halb ärgerlich zur Ordnung. So unerfreulich es auch war, sie war und blieb die Verlobte des Herzogs von Armainvilliers. Sie durfte sich nicht solchen Hirngespinsten – die doch ohnehin nur die Phantasien eines kleinen Mädchens waren – hingeben und noch weniger derartige Gefühle für ihren Patienten empfinden. Aber dennoch gelang es ihr nicht, sie zu unterdrücken. Sie freute sich, wenn Athos bei ihrem Eintreten lächelte oder wenn er – seine gewöhnliche Zurückhaltung vergessend – zu erzählen anfing, und sie freute sich über seine sehr seltenen Komplimente, die allein schon aufgrund ihrer Seltenheit viel aufrichtiger wirkten als diejenigen des Herzogs. Sie genoß seine Gesellschaft, die Unterhaltungen mit ihm, die gelegentlichen Gespräche über die Beizjagd, die wahrhaftig Gespräche unter zwei Kennern waren, und sie erwischte sich sogar dabei, ihn verträumt anzuschauen, wenn er schlief. Sie hatte sich inzwischen eingestanden, daß sie sich in den Musketier verliebt hatte, aber merken lassen wollte und durfte sie es nach wie vor niemanden, am allerwenigsten Athos selbst. Immerhin war sie eine verlobte und bald auch verheiratete Frau und der Herzog zudem eine hervorragende Partie. Sie sollte langsam von ihren Jungmädchenvorstellungen von einem leidenschaftlich liebenden Kavalier als Bräutigam, die ohnehin nur in Feenmärchen wahr wurden, Abschied nehmen.
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