Belle Aventure von Silvia
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 50 BewertungenKapitel Ein Besuch des Herzogs
Zwei Tage später wartete Athos, der seit d’Artagnans Brief sehr nachdenklich geworden war, sich aber bemühte, seinen Kummer nicht zu zeigen, wie jeden Vormittag auf Claires Schritte auf der Treppe. Immer noch durfte er das Bett nicht verlassen, obwohl seine Wunde sich inzwischen fast geschlossen hatte. Noch wollte der Wundarzt es jedoch nicht riskieren, Athos aufstehen zu lassen, denn die Anstrengung konnte sämtliche Fortschritte der letzten Tage wieder zunichte machen. So blieb Athos nichts anderes übrig, als still im Bett liegen zu bleiben, obwohl er die Tatenlosigkeit inzwischen kaum noch ertrug. Um so ungeduldiger erwartete er jedoch Claires tägliche Besuche. Endlich hörte er die ersehnten Schritte auf der Treppe und mit ihnen ein leises Summen. Athos lächelte ein wenig. Mademoiselle de Montfaucon schien gute Laune zu haben… Die Schritte und das Summen kamen näher, und Athos stutzte, als er das Lied erkannte, das Claire summte. Es war ein altes englisches Kinderlied, eines, das er sehr gut kannte und in England oft gehört hatte… Versonnen lächelnd erinnerte er sich plötzlich an einen schönen sonnigen Tag, an dem sein damaliger Herr, der Earl of Chelsworth, Besuch aus Frankreich empfangen hatte. Zu Ehren der Gäste hatte er zusammen mit den anderen Pagen und Junkern Schaukämpfe abgehalten und den Sieg davongetragen. Schon während der Kämpfe war ihm ein kleines, hübsches Mädchen von vielleicht fünf oder sechs Jahren unter den Zuschauern aufgefallen, das gebannt und strahlend das Turnier verfolgt hatte, und als die Gräfin ihm den Blumenkranz des Siegers überreicht hatte, hatte er ihn nur kurz behalten und ihn dann in einem Anflug von Übermut mit einer Verneigung dem kleinen Mädchen auf den Kopf gesetzt. Sie war so entzückend gewesen in ihrer Freude… Athos lächelte bei der Erinnerung. Später hatte er mit ihr Fangen gespielt und ihr ein englisches Lied beigebracht… eben jenes Lied, das Claire gerade summte, während sie den Gang entlangkam… Für einen Augenblick war Athos fast versucht, Überlegungen anzustellen, ob wohl gewisse Ähnlichkeiten zwischen einem entzückenden kleinen Mädchen und einer nicht minder entzückenden jungen Dame bestehen mochten, doch dann rief er sich selbst mit einem leichten Kopfschütteln zur Ordnung. Wie weit war es mit ihm gekommen, daß er sich schon so sehr von einem amüsanten Zufall beeindrucken ließ? Das Lied war schließlich nicht gänzlich unbekannt…
Das fröhliche Summen hörte auf, bevor Claire ins Zimmer trat. „Guten Morgen, Monsieur“, begrüßte sie ihn wie jeden Tag freundlich, beobachtete ihn aber unauffällig, um herauszufinden, ob er ihr gesummtes Lied erkannt hatte. Sie wollte zu gern wissen, ob er tatsächlich ihr hübscher Kavalier aus England war. In der Tat musterte Athos sie nachdenklich, erwähnte das Lied jedoch mit keinem Wort. Claire tat ebenso, als wäre nichts gewesen und plauderte wie gewöhnlich mit ihm. „Ich hoffe, Ihr habt gut geschlafen?“ Sie setzte das mitgebrachte Tablett vorsichtig auf dem Tisch neben Athos’ Bett ab. „Ich bringe Euch Euer Frühstück.“ Sie nahm den Teller mit dem noch warmen Haferbrei zur Hand und lächelte ein wenig, als sie Athos’ mißvergnügtes Gesicht sah. „Ich weiß, Ihr könnt ihn nicht mehr sehen… Aber ich habe eine gute Nachricht für Euch: Der Wundarzt sagt, daß man Euch jetzt langsam wieder an normale, feste Speisen gewöhnen kann. Dann könnt Ihr bald wieder richtig essen.“ Sie reichte Athos den Teller zusammen mit einem Löffel und lächelte angesichts seiner Freude über diese Neuigkeit zufrieden. „Ich habe die Küche angewiesen, einige Apfelstücke in den Haferbrei zu rühren. Das ist doch schon einmal ein Anfang, nicht wahr?“ Sie zwinkerte ihm zu, und Athos lächelte. „Ein ganz wunderbarer Anfang, Mademoiselle, vielen Dank“, erwiderte er und begann, sein Frühstück hungrig zu verspeisen. Claire sah ihm zufrieden zu. „Der Wundarzt sagte außerdem, daß Ihr im Laufe der nächsten Woche aufstehen dürft, sofern Ihr vorsichtig seid und es nicht übertreibt…“, sagte sie irgendwann ganz beiläufig und beobachtete Athos, gespannt, wie er auf diese Ankündigung reagieren würde.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!