Caroline von Eugénie

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Kapitel Caroline

Die letzten Sonnenstrahlen brechen dort durchs Fenster. Es war ein langer Tag. Ich kann hören, wie unten im Hof die Wache abgelöst wird. Die Rufe, die Stimmen, das Klirren der Schwerter, das sanfte Rascheln der Uniformen. Alles ist mir so vertraut. Es erinnert mich an meine Kindheit. Jeden Morgen kam er in mein Zimmer, um mich zu wecken. Meistens war ich schon wach. Vor meinem Fenster stand ein Baum. Die Vögel begannen in den Sommermonaten oft schon, vor Sonnenaufgang zu singen. Jeden Tag weckten sie mich. Es war so wunderschön. Sie sangen, während die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster brachen. Und kurze Zeit später die Schritte meines Vaters. Er glaubte immer, ich würde noch schlafen. Leise schlich er ins Zimmer, seine Uniform raschelte leise, er legte seine starke, sanfte Hand auf meine Wange und weckte mich, oder besser glaubte, mich erst durch seinen Kuß zu wecken.
Später hatte mein Mann dieselbe Angewohnheit wie mein Vater. Ich glaube, daß irgendwann in einer ruhigen Stunde mein Vater es ihm erzählt hat. Nun ja, möglich wäre es, schließlich waren sie die besten Freunde. Er hat es nie zugegeben, aber ich bin überzeugt davon, er hat es ihm gesagt. Und ich glaube, er hat ihm irgendwann vor langer Zeit auch gesagt, wer ich wirklich bin.
Nun, wer bin ich eigentlich? Jetzt bin ich eine alte Frau, die in einem großen Bett in einem luxuriös ausgestatteten Zimmer im Palast des Königs liegt. Die viel gesehen und erlebt hat. Eine alte Frau mit langen weißen Haaren, geschickt versteckt unter einer Perücke, die über das Leben nachdenkt. Ich habe es weit gebracht, wenn man die Umstände meiner Geburt bedenkt. Ich glaube, wenn Gott hier auf Erden wirklich etwas mitzureden hätte, so wie die Priester und unser lieber Kardinal immer predigen, hätte ich kaum eine Chance gehabt zu erreichen, was ich erreicht habe. Denn wenn man dem Gesetz der Erbsünde Glauben schenkt, so hätte ich mein Leben lang verflucht sein müssen. Doch vielleicht stimmt es doch, was die Priester so predigen. Denn ich habe meine Strafe erfahren. Nicht für Verbrechen, die ich begangen habe, sondern für Verbrechen, die meine Mutter und mein Vater begangen haben. Wie sonst kommt es, daß mein Mann tot ist, daß ich nie die große Liebe meines Lebens heiraten durfte? Daß ich noch immer im Dienste eines unehrenhaften Königs stehe, dem sein Vergnügen wichtiger ist als den Hunger seines Volkes zu stillen? Mit dem Geld eines einzigen Staatsbanketts könnte man ganz Paris ein Jahr ernähren.
Aber ich bin zu alt und zu schwach, um noch etwas verändern zu können. Außerdem bin ich eine Frau, eine Witwe und ich muß froh sein, daß ich in den Diensten dieses Tyrannen stehen darf. Einst liebte ich meinen König, liebte ihn sogar sehr, doch viele Dinge im Leben ändern sich, so wie sich auch meine Liebe geändert hat. Oder vielleicht tat sie es doch nicht. Vielleicht will ich ihn nur hassen, und kann es doch nicht.
Meine einzige Hoffnung ist jetzt nur mehr, daß ich sterben darf. Daß ich von meinen Leiden erlöst werde. Hoffentlich bald, sonst kann ich meinen Erben nur Schulden hinterlassen.
Doch bevor ich sterbe, möchte ich den Menschen noch sagen, wer ich wirklich war.
Mein Name ist Caroline de la Fère, und Athos war mein Vater.
Wer meine Mutter ist war lange Zeit ein Geheimnis für mich. Mein Vater weigerte sich vehement, von ihr zu sprechen. Jedesmal, wenn ich ihn fragte, wer meine Mutter sei, antwortete er: mein Kind, sie ist tot. Manchmal hörte ich ihn noch etwas murmeln. Einmal klang es so, als würde er sagen: das hoffe ich jedenfalls. Damit war es erledigt, und irgendwann hörte ich auf zu fragen. Doch wissen wollte ich es. Ich fragte seine Freunde, doch die wußten nicht einmal, ob er jemals verheiratet war. Sie meinten nur, meine Mutter müsse sehr schön gewesen sein. Blondes Haar muß sie gehabt haben, dachte ich immer. Blond, so wie meines, und weiße Haut, wie Alabaster die Hände, Perlen die Zähne, Korallen die Lippen. Viele Jahre später erfuhr ich durch Zufall, wer sie war. Denn ich begegnete ihr. Es muß meine Mutter gewesen sein, denn mein Vater erschrak und sie auch. Außerdem hatte sie genau dasselbe blonde Haar wie ich.
An diesen Abend kam mein Vater zu mir und begann zu erzählen. Er weinte und erzählte. Und ich will euch nun diese Geschichte erzählen. Die Geschichte von Caroline de La Fère.

Mein Vater war Besitzer einer Grafschaft im Norden von Frankreich. Er war reich und angesehen. In seiner Jugend soll er sehr gut ausgesehen haben. Groß und kräftig, starke, aber sanfte Hände, dunkles Haar, das gelockt auf seine Schultern fiel und Augen, so geheimnisvoll wie er selbst. Viele junge Mädchen hätten es gerne gesehen, wenn er sie zum Altar geführt hätte, doch mein Vater entschied sich anders. Er heiratete nicht, wie es eigentlich üblich war, die Tochter irgendeines Herzogs, Barons oder Grafen, Hauptsache, sie sollte reich sein, das Aussehen war egal. Doch mein Vater war ein Romantiker, auch wenn man es ihm nie zugetraut hätte. Er wollte seine große Liebe heiraten. Also wartete er. Und eines Tages kam sie wirklich nach La Fère. Niemand wußte genau, woher sie kam, oder wer sie war, ob sie Geld hatte oder von adeliger Geburt war. Meinem Vater war all dies gleichgültig. Er sah sie und wußte, daß er nur mit dieser Frau glücklich werden würde. Also nahm er sie zur Frau, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, was die Gesellschaft sagen wird. Mein Vater war von ihrer Schönheit fasziniert. Sie hatte wundervolles blondes Haar und schneeweiße Haut, blaue Augen, unergründlich wie der Ozean selbst. Sie heirateten und waren die glücklichsten Menschen auf der Welt. Wenn man sie sah, glaubte man zwei Engel zu sehen, die zufällig auf der Erde verweilten. Sie strahlten soviel Glück aus, daß es fast schon unglaublich war. Jeder war davon überzeugt, dieses Glück würde ewig halten. Nach nur einem halben Jahr Ehe kam ich auf die Welt. Man schwieg darüber, daß ihre Schwangerschaft so kurz war. Die alten Frauen meinten nur, daß manchmal, wenn die Liebe zwischen zwei Menschen besonders stark ist, sich die Schwangerschaft verkürzen kann. Das Glück schien vollkommen zu sein, und war es doch nicht. Meine Mutter trug ein Geheimnis mit sich herum, das mein Vater nicht wußte, nie erfahren sollte. Nichts läßt sich ewig verstecken. Eines Tages, es war kurz nach meiner Geburt, ritten meine Eltern aus. Das Pferd scheute und stürzte. Meine Mutter fiel so unglücklich, daß sie für kurze Zeit keine Luft bekam und ohnmächtig wurde. Mein Vater eilte zu ihr, um ihr Mieder zu öffnen. Und da sah er es. Ein Zeichen, das ihr ganzes Glück für immer zerstören sollte. Das Brandmal der Lilie. Auf immer verewigt in der weißen Haut ihrer linken Schulter. Er traute seinen Augen nicht. Was für ein Verbrechen konnte dieser Engel nur verbrochen haben? Haß stieg in ihm empor. Unbeschreiblicher, für immer währender Haß.
In diesem Moment schlug sie die Augen auf. Sofort begriff sie, was er gesehen hatte. Meine Mutter versuchte, ihm zu erklären, daß sie unschuldig sei. Man habe sie zu Unrecht gebrandmarkt. Doch er glaubte ihr nicht. Er war enttäuscht und verzweifelt. Ohne zu zögern packte er sie und erhängte sie am nächsten Baum. Gott vergebe mir, schrie er aus, als er heimritt.
Dort wartete meine Amme mit mir in den Armen auf ihn. Wie von Sinnen stürzte er in das Haus. Die Amme erschrak und rannte weg. Ich glaube, damit hat sie mir das Leben gerettet. Ich bin überzeugt, mein Vater hätte auch mich getötet. Ich weiß, er hätte es nur getan, um mir die Schande zu ersparen, mit dieser Schande leben zu müssen. Doch ich lebte.
Am nächsten Tag verschwand mein Vater. Keiner wußte, wohin. Er gab alles auf. Wieder verdanke ich meiner Amme, daß ich noch lebe. Sie nahm mich und brachte mich in das nächste Kloster. Dort blieb ich dann, bewacht von den Nonnen. Wenn es nach den Nonnen ging, so wäre ich wohl auf immer dort geblieben. Doch schon nach wenigen Jahren stellte sich heraus, daß ich für das Leben als Nonne nicht geeignet war. Alle im Kloster liebten mich. Ich war ein aufgewecktes Kind, und alle bewunderten meine wunderschönen blonden Haare. Wenn ich sie gegen die Sonne hielt, so glitzerten sie wie Gold. Viel Zeit verbrachte ich im Klostergarten. Angeblich konnte ich Stunden damit verbringen, einen Schmetterling zu jagen oder den Vögeln zuzusehen. Es muß eine sehr glückliche Zeit gewesen sein, denn sie verging so schnell, daß ich mich an kaum etwas mehr erinnern kann.
Ich war noch sehr klein, vielleicht 4 Jahre alt, als auch diese Zeit endete. Eines Nachts - es regnete in Strömen - kam ein Mann vorbei. Er sah aus wie ein Landstreicher, doch hatte er viel zu feine Hände, als daß er wirklich einer sein könnte. Die Schwestern gaben ihn zu essen und zu trinken. Bald stellte sich heraus, daß er nur aus einem einzigen Grund den weiten Weg von Paris bis hierher auf sich genommen hatte. Und dieser Grund war ich. Es war mein Vater, den ich nun endlich kennenlernen durfte. Er nahm mich in den Arm, drückte mich fest an seine mächtige Brust und sagte immer wieder zu mir: verzeih mir, verzeih mir. Als er mich wieder losließ, betrachtete er mein Haar, und eine Träne rann über seine Wange. Dies ist die erste Erinnerung, die ich an meinen Vater, eigentlich an meine gesamte Kindheit habe.
Am nächsten Tag machten wir uns auf nach Paris. Von nun an begann ein neues Leben für mich. Paris, die Stadt des Königs.

Paris war damals das Herz von Frankreich und alles was Rang und Namen hatte konnte man dort antreffen. Es war eine Stadt voller Leben, voller aufregender Abenteuer, aber auch voller Gefahr.
Mein Vater war, nachdem er sein Gut verlassen hatte, Musketier geworden und nannte sich nun Athos. Er war ein geheimnisvoller, aber sehr kluger Mann. Kurz nachdem er mich nach Paris gebracht hatte fing er an mich zu unterrichten. Er zeigte mir den Louvre und die Palais der Adeligen. Anhand dieser lehrte er mich die Geschichte von Frankreich. Natürlich war ich noch viel zu jung um alles was er sagte zu verstehen, aber es war schön zuzuhören wenn er von Königen und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen und von Kardinal erzählte. Am liebsten unternahm er diese lehrreichen Spaziergänge mit mir am Sonntag, nach der Kirche. Er legte großen Wert drauf, daß ich immer schön angezogen war und mich von meiner besten Seite zeigte wenn wir in die Kirche gingen. Er sagte immer, acht auf deine Haare, deine Hände und Schuhe, an diesen drei Dingen kann man erkennen ob einer ein Edelmann oder Lump ist; egal welches Gewand er sonst trägt.
Jeden Sonntag hörte ich von neuem zuerst seine Predigt, dann die des Priesters (die ich natürlich nicht verstand, weil ich keine Ahnung von Latein hatte) und dann seinen Vortrag über die Geschichte Frankreichs. Doch sehnte ich mich mehr danach zu spielen. Unsere Hauswirtin hatte zwei Kinder, einen Jungen er war ein paar Jahre älter als ich und ein Mädchen das ungefähr gleich alt war. Der Junge hieß Pierre und das Mädchen Justine. Ich verbracht viel Zeit mit Ihnen. Jeden Morgen, nachdem mein Vater mich geweckt hatte und wir gemeinsam gefrühstückt hatten, brachte er mich zu ihr. Mein Vater sah sehr schön aus in seiner Uniform und ich glaube Marie, unsere Hauswirtin, war heimlich ein bißchen in ihn verliebt.
Den ganzen Tag spielte ich mit Pierre und Justine und natürlich halfen wir drei auch Marie. Sie war eine sehr herzliche und liebe Frau. Sie war klein und ein wenig rundlich, doch mit schönen braunen Haaren und einem herzhaften Lachen. Wenn Justine und ich ihr in der Küche halfen, so erzählte sie uns immer, das sie einmal für den König gearbeitet hatte. In der königlichen Küche und habe sein königliches Frühstück gemacht. Sie konnte so lustig erzählen. Von dem Küchenchef der sich über jede Kleinigkeit sofort aufregte und die königlichen Lieferanten mit denen man gut scherzen konnte. Oft erzählte sie uns auch von dem einem mal als sie hinauf gehen durfte in die königlichen Gemächer. Es war damals kurz nach der Heirat des Königs gewesen. Ein großes Fest wurde gefeiert. Tausende Besucher waren da. Marie meinte ganz Frankreich, nein die ganze Welt sei damals bei diesem Fest gewesen. Vor dem Fest mußte sie damals mithelfen Essen in eines der königlichen Speisezimmer zu bringen. Und da sah sie zum ersten Mal die Prunkräume des Schlosses. Sie erzählte uns von dem Gold und den Spiegeln, den Teppichen die so weich waren das man glaubte man gehe auf Wolken. Es war auch das erste Mal, daß sie die junge Königin von Frankreich, Anna von Österreich, sah. Ganz nah, sagte Sie war sie damals an Ihr vorüber gegangen. Mit jeder Erzählung wurde der Abstand geringer. Zuerst waren es noch zwei Zimmer die sie trennten, doch das letzte Mal meinte sie sogar, das sie fast ihr Kleid berührt hatte. Egal, Marie war glücklich wenn sie es erzählte. Und wir Kinder auch. Schön soll sie damals gewesen sein die Königin, so eine wunderschöne Frau habe sie noch nie im Leben gesehen. Herrliche braune seidig glänzende Locken, ganz zarte Hände, eine weiße Haut und sehr graziös soll sie gegangen sein. Das Kleid, daß sie damals trug war überhaupt das prächtigste von der ganzen Welt. Golden soll es geschimmert haben. Justine und ich saßen oft zusammen und träumten davon auch einmal im Schloß des Königs zu sein. Wie es wohl sein würde auf diesen weichen Teppichen zu gehen. Wir träumten davon Anna von Österreich zu sein und in solch einem schönen Schloß wohnen zu dürfen. Pierre lachte uns immer aus. Er wollte Soldat werden oder noch besser Musketier um den König zu beschützen. Während Justine und ich Prinzessin spielten, jagte er den Katzen und Hunden hinterher. Er meinte dies seien die Feinde und er, der große tapfere Musketier, werde uns beschützen. Es machte viel Spaß ihm zuzusehen, vor allem dann wenn er vor lauter Übermut auf die Nase viel. Das kam nicht selten vor.Es war eine glückliche Zeit. Mein Vater war froh, das ich bei Marie ebenfalls lernte, das man den König achten soll, das er das Oberhaupt von Frankreich ist, von Gottes Gnaden eingesetzt. Ich wußte damals noch nicht genau was das hieß doch da die Erwachsenen dabei immer so ein ernstes Gesicht machten, war mir klar, daß es etwas sehr wichtiges sein mußte. Ein paar Jahre war ich nun schon in Paris. Marie lernte uns wie man einen Haushalt führte. Von ihr lernte ich kochen, sticken und nähen. Ich bemühte mich sehr den Haushalt für meinen Vater zu führen. Er meinte immer, das es sehr lieb von mir sei und er meine Bemühungen gerne unterstütze doch ich sei wohl noch ein bißchen zu jung dafür. Er sah es lieber wenn ich die Geschichte Frankreichs lernte oder Frage über die letzte Predigt des Priesters stellte. Er meinte, daß dies zwar für ein Mädchen nicht unbedingt notwendig sei, doch auf jeden Fall würde es mir einmal sehr viel nützen können.Eines Abends lernte ich zwei Freunde meines Vaters kennen. Der eine war ein Riese. Als ich ihn zum ersten mal sah hatte ich, ich muß es gestehen, Angst vor ihm. Aber die verging genau so schnell wie sie gekommen war. Er hatte eine herzliche Art und ein lautes kräftiges Lachen. Irgendwie erinnerte er mich an Marie, er strahlte genau so viel Wärme aus. Sein Name war Porthos.
Der andere war ruhiger doch nicht weniger liebenswert. Er war groß und schlank und sah sehr sehr fein aus. Sein Name war Aramis. Die ganze Art erinnerte mich an die Priester die ich jeden Sonntag in der Kirche sah, mit der einen Ausnahme das dieser hier keine Predigten hielt. Doch darin sollte ich mich täuschen. Mein Vater hatte nun den ehrgeizigen Plan mir lesen, schreiben, Latein, Geschichte, feine Manieren und Tanzen beizubringen. Er meinte ich wäre nun alt genug dafür. Als er mir seinen Plan offenbarte war ich nicht sehr begeistert. Denn er erklärte mir, das ich von nun an jeden Abend einige Stunden lernen sollte. Ich wollte protestieren, da ich nun keine Zeit mehr hätte mit Justine und Pierre zu spielen, doch bei meinem Vater war Protest sinnlos.
Er wollte mich nicht alleine unterrichten. Seine Freunde würden ihm dabei behilflich sein. Er selbst wollte mir lesen uns schreiben sowie Geschichte lehren, Aramis sollte die Lateinlektionen übernehmen und Porthos dürfte das Tanzen übernehmen.
Überraschend schnell gewöhnte ich mich daran, still zu sitzen und meine Lektionen zu lernen. Mein Vater war ein sehr strenger und genauer Lehrer. Jeden Abend machten wir eine Lektion durch. Am nächsten Tag mußte ich dann, während er weg war diese Lektion wiederholen. Und wenn er, was öfter vor kam, ein paar Tage nicht nach Hause kam und ich wieder bei Marie blieb so hatte ich dort die Lektion zu wieder holen.Aramis war anders. Er redete viel über Gott und erklärte mir die Bibel. Er lehrte mich Latein. Doch war er nicht so streng wie mein Vater. Es war ihm wichtig das ich es verstand und vor allem bestand er darauf, das ich die Gebete ordentlich sprechen konnte. Es war lustig mit ihm. Denn manchmal erzählte er nur von Gott und er Kirche und er erwähnte auch, das er ja so gerne Priester wäre. Doch gab es auch Abende an denen wir kaum eine Lektion schafften und er mir vom Leben erzählte und wie schön es doch ist Musketier zu sein. An diesen Abenden lernte ich dann mehr über die Musketiere als über die Kirche. Was allerdings irgendwie spannender war.Doch nichts übertraf die Abende mit Porthos. Er war der lustigste und beste Lehrer von allen. Er kam immer herein mit einem langen Stock der am Ende einen kleinen goldenen Knauf hatte. Er war wahnsinnig stolz auf diesen Stock. Zuerst zeigte er mir die Tanzschritte und dann mußte ich sie tanzen. Er schlug dann immer den Rhythmus mit seinem Stock auf den Boden und sang dabei eine Melodie. Es war so lustig es zu beobachten. Wie er sich immer mehr hineinsteigerte. Einmal schafft er es sogar ein Stück Holz aus dem Boden zu brechen, weil er so heftig mit dem Stock aufschlug. Kaum halten konnte ich mich vor lachen.Es war schön zu lernen. Natürlich wollte ich, das meine Freundin Justine daran teil haben sollte. Doch Marie wollte nicht, das sie lesen und schreiben lernte. Sie konnte es ja selber nicht. Sie hielt das alles nur für dummes Zeug. Also unterließ ich meine Bemühungen Justine das lesen beizubringen. Sie interessierte sich mehr fürs sticken. Auch Marie meinte, daß das weitaus wichtiger wäre.Eines Abends, mein Vater war alleine mit mir, kam ihm ein neuer Freund besuchen. Es war ein junger Mann von vielleicht 19 Jahren. Sehr gutaussehend. Sein Name war d'Artangnan. Er war offensichtlich sehr erstaunt über das Bild was er sah. Offensichtlich hatte mein Vater ihm verheimlicht, das er eine Tochter hatte. Er schaute lange von meinem Vater zu mir und wieder zu ihm ohne ein Wort zu sagen. Mein Vater stellte mich vor, und dann gingen beide in sein Zimmer.
Oft kam d'Artangnan zu uns auf Besuch; ich mochte Ihn sehr gerne. Er war lustig und erzählte mir oft Geschichte aus seinem Dorf, wo er herkam und auch die Geschichte wie er nach Paris kam. Oft erzählte er mir wie sein Pferd aussah. Ich hätte es gerne gesehen, denn ich konnte nicht glauben, das es wirklich orange war. Ich habe in meinem ganzen Leben noch kein orange farbenes Pferd gesehen.Eines Tages kam d'Artangnan zu uns und machte ein sehr ernstes Gesicht. Er war nicht so lustig wie an den anderen Abenden. Er ging auch, kaum das er mich begrüßt hatte mit meinem Vater in dessen Zimmer. Am liebsten hätte ich an der Tür gelauscht über was sie sprachen, doch mein Vater mochte es nicht wenn ich das tat. Ich kroch dennoch ganz vorsichtig zur Tür und sah ihre ernsten Gesichter im Kerzenschein und hörte ernstes Gemurmel. Ein paar Mal hörte ich, daß Worte vielen wie, der König, die Königin, der Kardinal und von einem Herzog von Buckingham war auch die Rede. Ich begriff nicht was das bedeutet also widmete ich mich anderen Dingen. Ich liebte diese Zeit, tagsüber war ich bei Marie und am Abend bekam ich Unterricht. Doch sie sollte nicht von langer Dauer sein. In letzer Zeit waren diese Abende immer spärlicher geworden. Nur noch selten kam mein Vater nach Hause. Porthos und Aramis bekam ich kaum mehr zu Gesicht. Eines Abends kam er nach Hause und sprach lange mit mir. Er erklärte mir, das nun eine schwierige Zeit für Frankreich angebrochen war. Es gäbe Feinde die das Land bedrohen und er mußte nun mit seinen Freunden das Land verteidigen. Der König und vor allem die Königin sei in Gefahr. Der König selbst hatte ihn mit einem wichtigen Auftrag betraut.
Er wollte aber nicht, daß ich bei Marie bleibe sonder schickte mich in ein Kloster. Ich war jetzt 11 Jahre alt und begriff, das die Lage ernst war. Ich wollte meinem Vater helfen, doch das einzige was ich tun konnte, war ins Kloster zu gehen. Dort würde ich sicher sein und man würde für mich sorgen. Schweren Herzens brachte mich mein Vater am nächsten Morgen ins nächste Kloster. Er überreichte der Mutter Oberin ein Kästchen mit dem Auftrag, das falls er nicht mehr wiederkehre ich diese Kästchen mit 19 erhalten solle. Ich glaube er wollte nicht das ich das höre und ich tat auch so als habe ich nicht verstanden, was die beiden geredet hatten. Doch ich bekam Angst. Sollte ich ihn wirklich nie mehr wieder sehen? Zum Abschied drückte ich ihn ganz fest. Eigentlich wollte ich ihn nicht mehr loslassen. Ich wußte gewiß er fühlte das selbe. Auch er hatte Angst, doch zugeben, nein das würde er nie. Denn es war für den König, der eingesetzt wurde durch Gottes Gnaden. Zum ersten Mal begriff ich wirklich was das hieß: Der König war Gott auf Erden. Wenn er befiehlt haben alle zu folgen. Auch mein Vater.

Kapitel Das Kloster

Nachdem mein Vater gegangen war richtete ich mich ein lange im Kloster zu bleiben. Ich verabschiedete mich von Justine, Pierre und Marie und irgendwie hatte ich das Gefühl, ich würde sie nie mehr wiedersehen. Die ersten Tage waren schrecklich. Alles rund um mich war so ernst. Die Nonnen und auch Mutter Oberin war sehr nett zu mir, doch ich vermisste meinen Vater und meine Freunde und dagegen konnten selbst sie nichts unternehmen. Am Anfang zog ich mich oft sehr zurück und weinte den ganzen Tag. Ich wusste, dass zur selben Zeit Mein Vater mit seinen Freunden die tollsten Abenteuer erlebten, in fremde Gegenden reisten und den König beschützten. Ich wollte das auch tun. Doch konnte ich nichts anderes machen als hier auf ihre Rückkehr zu warten. Warten, warten und nichts anderes als warten. Ich vermisste den Unterricht, ich wollte lernen doch das ging nicht. In das Klosterleben, dass mir bis zu diesem Zeitpunkt zur aus Aramis Schilderungen bekannt war musste ich mich einfügen. Ich konnte es nicht leiden stundenlang auf den Knien herum zu rutschen um zu beten. Doch in den ersten Tagen gab es keine andere Möglichkeit für mich als zu beten. Leider konnte ich auch da nichts Neues lernen, weil ich alle Gebete und Geschichten aus der Bibel schon kannte. Aramis war ein guter Lehrer gewesen. Bald fingen sich die Nonnen und auch die Mutter Oberin an zu wundern woher ich die Bibel so genau kannte. Wahrheitsgemäß antwortete ich: von Aramis. Ein Lächeln glitt über ihre Lippen. Er war ihnen gut bekannt. So Manche stieß einen Seufzer aus und blickt sehnsüchtig in Richtung Himmel.
Irgendwie hatte ich das bestimmte Gefühl, dass ich nicht ohne Grund in diesem Kloster gelandet war. Auch war mir bewusst, dass Aramis seine Finger da mit im Spiel hatte. Er schien mehr in die Geschicke der Zeit und der Menschen eingreifen zu können, als mir je bewusst war. Er war mehr als ein einfacher Musketier, der Priester werden wollte. Doch wer er war, oder warum er all das tat begriff ich nicht. Eines Tages würde ich es erfahren. Doch noch nicht jetzt. Die Zeit war noch nicht reif dafür.
Im Moment gab es andere Dinge für mich zu tun. Nicht viele oder interessante Dinge, aber sie vertrieben die Zeit. Als man feststellte, dass ich nicht sehr gut bewandt war in der Küche, beschloss man mich dahingehend zu unter weisen. Das war viel spannender. So konnte ich nun in der Küche und auch im Garten helfen. Ich lernte vieles über die richtige Zubereitung von Speisen, was man zur Fastenzeit essen dürfe und was nicht, und auch über Heilkräuter. Es war interessant und machte viel Spaß.

Doch meine Zeit im Kloster sollte noch spannender werden als ich es je für möglich gehalten hatte. Nachdem ich einige Wochen dort war machte ich eine sehr nette Bekanntschaft. Nach der Morgenmesse ging ich wie üblich in den Garten um zu helfen. Es war die Zeit der Apfelernte und da ich jung und geschickt war durfte ich auf den Baum klettern und die Äpfel hinunter reichen. Die Sonne schien und ich war sehr übermütig. Immer höher kletterte ich hinauf. Die Schwestern baten mich doch wieder hinunter zu kommen und etwas achtsamer zu sein doch ich hörte nicht. Als ich nach einem besonders großen Apfel griff passierte es; der Ast unter mir brach ab und ich fiel auf den Boden. Sofort wollte ich aufstehen doch ich konnte nicht. Mein Bein war zerschunden. Die Wunde schien nicht tief zu sein, doch ich hatte große Schmerzen. Man hob mich auf und brachte mich zu den heilkundigen Schwestern. Sie legten mich auf ein Bett, reinigten die Wunde, cremten sie mit einer übel riechenden, braunen Salbe ein und verbanden mein Bein. Wenn ich heute daran zurück denke, kann ich immer noch den Gestank dieser Salbe riechen. Doch oft sind die Salben die am übelsten riecht und das Medikament das am bittersten schmeckt, die Besten.

Nachdem sie mich versorgt hatten verließen sie das Zimmer und sagten ich solle schlafen, da dies den Heilungsprozess beschleunigen werde. Doch ich konnte nicht schlafen. Die Salbe linderte zwar die Schmerzen doch sie waren noch stark genug um mich wach zu halten. Also blickte ich mich im Zimmer um. Neben mir lag ein junges Mädchen. Sie sah sehr blass und mager aus. Sie trug das Gewand einer Nonne. Ganz still lag sie da. Ihr flacher, leiser Atem war das einzige Zeichen von Leben, das von ihr ausging. Nach kurzer Zeit hörte ich wie sie anfing zu weinen. Ganz leise, eher wie das Wimmern eines Hundes. Ich blickte zu Ihr rüber doch sie bemerkte mich nicht. Schwester Anna kam ins Zimmer. Ich machte sie darauf aufmerksam, doch sie sagte das sei normal. Schwester Juliette habe versehentlich Tollkirschen gegessen. Ich solle mich nicht weiter darum kümmern und endlich schlafen.
Doch ich konnte nicht. Ihr Wimmern war so herzzerreißend, das ich sie ansprach. Schwester Juliette, rief ich, was ist mit euch? Habt ihr Schmerzen sollt ich die Schwestern holen? Doch sie reagierte nicht. Ich probierte es immer wieder und wieder doch da war keine Antwort. Gequält von meinem und Ihrem Schmerz schlief ich ein. Es war ein unruhiger Schlaf. Ich träumte vom König, von meinem Vater und von einem Gericht zubereitet aus Äpfel und Tollkirschen und von Schwester Juliette die das alles aß.
Kurze Zeit später erwachte ich wieder. Es war nun mitten in der Nacht und ich hörte den Gesang der Nonne aus der Kirche. Auch Juliette war wach. Sie weinte nicht mehr. Ich fragte sie ob alles in Ordnung sei oder ob sie Hilfe bedarf. Sie drehte den Kopf zu mir und sagte: Liebes Kind, mir geht es gut, kümmere dich nicht um mich. Mein Leben ist vorbei.
Aber warum den, ich wollte wissen was mit Ihr nicht stimmte. In Ihrer Stimme klang so große Verzweiflung mit, wie ich es noch nie gehört hatte. Ich blickte ihr tief in ihre Augen. Sie waren groß und schwarz. Seltsam, denn solche Augen hatte ich noch nie gesehen. Hier im Norden wo ich wohnte hatte kaum jemand schwarze Augen. In meiner kindlichen Naivität versuchte ich sie aufzumuntern. Ich erzählte Ihr von mir und wer mein Vater war. Als sie hörte, dass er Musketier war begann sie auf einmal zu erzählen.
Sie war mit der Königin vor ein paar Jahren aus Spanien gekommen. Sie war eine der wenigen deren die Königin vertraute. Sie half Camille de Bois-Tracy ebenfalls eine Vertraute der Königin, die Briefe der Königin unbemerkt nach Spanien und auch nach England zu schicken. Es war gefährlich, doch sie liebte ihre Königin und wollte alles für sie tun.
Doch der König misstraute seiner Frau und schickte alle ihre Vertrauten entweder zurück nach Spanien oder wie sie ins Kloster. Einige Zeit war sie sicher hier gewesen. Niemand hatte sie hier vermutet. Nicht einmal die Königin. Doch irgendwie war man vor ein paar Tagen auf sie aufmerksam geworden. Männer des Kardinals waren bei Mutter Oberin gewesen um herauszufinden ob sie hier war. Sie vermutete dass diese Männer wissen wollten wer Ihnen noch geholfen hatte Briefe nach England zu schicken. Da sie die Namen aber unter keinen Umständen preisgeben wollte, hatte sie Tollkirschen geschluckt um sich damit zu töten. Niemand sollte ihr Geheimnis erfahren. Niemand. Ich musste ihr schwöre nie ein Wort preiszugeben.
Sie wirkte erleichtert, doch ich war betrübt und verwirrt. Dieser König muss wirklich ein Gott sein wenn er dies alles bewirken konnte. Auch der Kardinal musste ein sehr mächtiger Mann sein.
Ich schloss Freundschaft mit Juliette. Sie saß in der Messe neben mir und im Garten verrichteten wir von nun an unsere Arbeiten gemeinsam. Während dieser Zeit brachte sie mir ein paar Worte Spanisch und auch Englisch bei. Sie erzählte mir auch von einem gut aussehenden Musketier in den sie sich verliebt hatte. Sie hatte ihn einige Male bei Madame de Bois-Tracy gesehen. Ein großer, schlanker Musketier der sehr feine Hände hatte. Den ganzen Tag schwärmte sie nur von Ihm. Sie erzählte mir auch viel über die Königin. Es war fast wie der Unterricht meines Vaters, doch erzählte sie mit viel mehr Gefühl und legte nicht so großen Wert darauf, dass ich ihr ununterbrochen zuhörte. Wichtig war für sie nur das sie erzählen konnte.

Ich war nun schon einige Zeit schon im Kloster, als eines Tages, aus heiterem Himmel mein Vater vor mir Stand. Es war Sonntag und er erhielt von Mutter Oberin die Erlaubnis mich in die Messe zu begleiten. Wir gingen in die Kirche, Porthos war auch dabei. Am Ende der Messe geschah etwas Seltsames. Porthos ging zum Weihwasserbecken und eine wunderschöne blonde Frau stand neben ihm und berührte seine Hand. Als ich sie sah, spürte ich plötzlich einen Stich im Herz. Sie hatte blonde Haare wie ich und auch dieselben blauen Augen. Sie sah sehr elegant aus. Ich vermutete, dass sie eine Gräfin oder zumindest Baronin war, denn auf Ihrem Gebetbuch war ein Wappen abgebildet.
Mein Vater schien sie auch bemerkt zu haben. Sie sah kurz zu uns hinüber, erstarrte, doch schüttelte sie gleich wieder den Kopf als wolle sie ihre Gedanken loswerden. Noch am selben Tag bat er die Mutter Oberin mich aus dem Kloster zu entlassen. Zuerst war ich sehr glücklich dies zu hören, doch als ich sah welch ernste Gesichter alle machen bekam ich es mit der Angst zu tun. Was war passiert? Warum durfte ich nicht hier bleiben? Ich wollte mich von Juliette verabschieden doch auch sie war verschwunden. Ich kehrte mit meinem Vater in seine Wohnung zurück. Ich war sehr froh wieder bei ihm zu sein, doch auch sehr beunruhigt. Ich fragte ihn was das alles zu bedeuten habe. Doch gab er mir keine Antwort. Er meinte die Zeit für Erklärungen ist noch nicht reif.

Kapitel Im Palast

Da man sich mit unerklärlichen Fragen nicht lange aufhalten soll, begann ich den Haushalt meines Vaters zu führen. Natürlich wollte ich Marie, Pierre und Justine Wiedersehen. Doch sie waren weg. Niemand konnte mir sagen wohin. Es ging das Gerücht um sie seien wieder aufs Land zu Verwandten gezogen. Justine sei angeblich mit einem Bauernsohn verlobt und Pierre sei nun Laufbursche bei einem hohen Herrn. Was mit Marie geschehen war wusste niemand. Alles hatte sich geändert. Alles um mich herum war ernster geworden.

Die Wochen zogen ins Land und alles blieb gleich. Doch eines Abends, es war schon sehr spät, fast Nacht kam d’Artagnan zu uns. Er war kreidebleich im Gesicht, seine Hände zitterten und vor Aufregung brachte er kaum ein Wort heraus. Als er zur Tür herein kam sah er mich mit einem Blick an der mir Angst machte. Es war eine Mischung aus Verzweiflung, Wut, aber auch Neugier. Mein Vater und er schlossen sich im Zimmer ein und redeten lange.
Ich weiß bis heute nicht warum ich es tat, aber ich sah durchs Schlüsselloch. Ich wusste genau, dass mein Vater das nicht leiden konnte, doch was ich da sah werde ich nie vergessen. Beide saßen sich gegenüber, am Tisch stand eine Flasche Wein die noch unberührt war. Sie redeten aufgeregt doch plötzliche verstummten beide. D’Artagnan hielt einen Ring hoch, mein Vater griff nach ihm, betrachtete ihn genau, sah von d’Artagnan zum Ring und wieder zu Ihm und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Nun redete mein Vater sehr leise. Es war mich unmöglich auch nur ein Wort zu verstehen. Kurz danach kam d’Artagnan wieder heraus. Ich fragte ihn was den passiert sei doch er strich mir übers Haar und über mein Gesicht. Er sah mich mit einem Blick an den ich nicht verstand. Mein Vater hat mir nie gesagt was in jener Nacht vorgefallen war zwischen den beiden. Doch ich vermute er hat ihm dieselbe Geschichte erzählt wie er sie mir ein paar Minuten später. Die Geschichte seiner großen Lieben und sein damit verbundenes Herzensleid. Die Geschichte meiner Geburt. Obwohl die Ereignisse schon lang zurücklagen erinnerte er sich an jedes Detail. An das Kleid, dass sie bei ihrer ersten Begegnung trug, wie sie sich verliebten, an ihre erste gemeinsame Nacht und auch an jedes Detail als er schließlich versuchte sie zu töten.

Nachdem mein Vater mir die Geschichte erzählt hatte, war ich böse, zornig und wütend auf ihn. Wie konnte er es tun? Wie konnte er seine große Liebe einfach so töten? Selbst wenn sie eine Diebin oder schlimmeres war, er hatte sie doch geliebt? Obwohl ich meine Mutter ja nie kennen gelernt hatte, empfand ich plötzliche einen großen Schmerz, eine große Leere in mir. Bis jetzt wurde diese Leere von einem Geheimnis ausgefüllt doch nun da ich die Wahrheit kannte fühlte ich mich unglaublich verloren.
Mein Vater versuchte es mir zu erklären doch ich wollte nicht auf ihn hören. Zwei Tage sprach ich kein Wort mit ihm. Er war verzweifelt und wusste sich nicht zu helfen.
Eines Abends schickte er Aramis zu mir. Vielleicht hatte ein Theologe mehr Glück bei mir. Und in der Tat es half. Den ganzen Abend redete Aramis mit mir. Über Gott, über die Erbsünde, davon das wir unser Schicksal nur wenig beeinflussen können. Wir alle seien Geschöpfe Gottes und unser Weg ist uns vorbestimmt. Er nahm sich viel Zeit und ging behutsam auf meine Fragen ein. Zum Schluss sagte er mir noch, das irren menschlich, jedoch vergeben göttlich ist.
Ich beschloss daher meinem Vater zu vergeben. Meine Wut war noch keineswegs verraucht, aber sie würde verschwinden.

Es kehrte wieder der gewohnte Tagesablauf ein. Doch dies sollte nicht lange so bleiben. Frankreich war im Krieg und mein Vater und seine Freunde mussten nach La Rochelle um gegen die Protestanten zu kämpfen.
Mein Vater machte sich große Sorgen was den aus mir werden würde, falls er nicht mehr aus dem Krieg heimkehrt. Er sprach darüber mit mir. Er fragte mich ob ich denn wieder ins Kloster wolle, denn er hätte das Geld um mir die Möglichkeit zu geben Gott zu dienen. Ich wollte nicht. Falls es keine andere Möglichkeit gibt so wolle ich mich fügen, doch gerne würde ich nicht gehen. Kurz dachte er auch darüber nach, mich zu verheiraten. Die Mitgift wäre gering, aber doch wäre ich beschützt. Doch diesen Gedanken verwarf er gleich wieder, da es keinen geeigneten Kandidaten gab und ich außerdem noch zu jung sei. Warum ich nicht in seiner Abwesenheit einfach hier in unserer Wohnung bleiben könnte. Das ginge nicht, sagte er. Ein Mädchen ohne jeglichen Schutz, ganz allein. Nein, dass war nicht möglich. Dann wolle ich mitkommen, nach La Rochelle und ebenso für den König kämpfen. Er begann zu lachen. Ein Kind im Krieg? Nein das ginge schon gar nicht. Ich bin kein Kind mehr, protestierte ich lautstark. Ja, das wisse er, deshalb habe er mit Monsieur de Treville gesprochen ob die Königin nicht eine Hilfe in der Wäscherei bräuchte. Monsieur hätte ein gutes Wort eingelegt und wenn ich wollte, könnte ich im Palast arbeiten. Das klang tausendmal verlockender als den ganzen Tag zu beten. Ich erinnerte mich an die Geschichten von Marie und tausende Bilder über den Palast tauchten in meinem Kopf auf. Ob all diese Fantasiebilder wohl der Wahrheit entsprachen?
Mein Vater meinte, der Palast sei ein sicherer Ort für mich. Monsieur de Treville kenne die Wäschebeschließerin. Sie sei eine anständige Dame und würde gut auf mich aufpassen.
Gesagt getan, am nächsten Tag brachte mich mein Vater in den Palast. Gerne hätte er mir etwas Besseres geboten, sagte er mir als wir uns verabschiedeten, doch er sei nur ein einfacher Musketier und seine Mitteln beschränkt. Ich versicherte ihm, dass ich zufrieden mit dem sei was ich bin, die Tochter eines Musketiers. Wir verabschiedeten uns unter Tränen und ich hoffte ihn bald wieder zusehen. Er versprach mir zu schreiben, doch ob ich jemals einen Brief erhalten würde bezweifelte ich. Wieder einmal war ich darauf gefasst ihn nie wieder zu sehen.

Die Wäschebeschließerin der Königin war erst sein kurzem in ihrem Amt. Nachdem man Constance Bonacieux entführt hatte und momentan niemand wusste wo sie war. Angeblich in einem Kloster. Ich erinnerte mich, dass sie d’Artagnan’s Geliebte war. Ich habe sie nie kennen gelernt, kannte sie nur aus Erzählungen. D’Artagnan hat mir in groben Zügen von ihrer Entführung berichtet und dass sie momentan in einem Kloster war. Dies war sicherer für sie, da sie einfach viel zu viel wusste über die Königin.
Die neue Wäschebeschließerin, Madame Bijou, die von allen nur Madame genannt wurde, war eine große, schlanke Dame mit dunklen Locken die sorgsam unter einer Haube versteckt waren. Ihr Gesicht verriet, dass sie keine sehr glückliche Person war. Die Gesichtszüge waren hart und ihre Lippen schmal. Als ich sie zum ersten Mal sah, bekam ich Angst. Sie kam auf mich zu und ohne ein Wort an mich zu richten sah sie auf meine Hände, meine Füße und auf meine Zähne. Ob ich denn überhaupt nähen und sticken könnte fragte sie mich. Ja, war meine wahrheitsgemäße Antwort. Ich wagte ihr nicht zu sagen, dass ich beides nicht besonders gut konnte. Ob ich es denn gewohnt sei mir die Hände schmutzig zu machen? Ich berichtete ihr davon, dass ich für meinen Vater den Haushalt geführt hatte und durchaus im Stande sei ordentlich zu arbeiten. Sie sah mich kurz an, packte mich und brachte mich in die Wäscherei. Kurz erklärte sie mir meine Aufgabe. Ich hatte die gebrauchte Wäsche der Hofdamen hierher zu bringen, Löcher zu stopfen, dann alles in die Wäscherei bringen und wenn die Wäsche fertig war, diese dann zusammen mit ihr in die Gemächer zurück zu bringen.

Sofort machte ich mich an die Arbeit. Die ersten Tage waren schrecklich. Auf Schritt und Tritt beobachtete mich Madame und tadelte bei jedem Fehler. Nach einiger Zeit besserte sich meine Lage. Ein neues Mädchen war in der Wäscherei und so hatte Madame jemand anderen zum quälen. Die arbeit war hart aber sehr schön. Vor allem war es jedes Mal aufregend wenn ich in die Prunkräume ging. Ganz versteckt über geheime Tapetentüren. Niemals wäre es Dienstboten gestattet gewesen die offiziellen Treppen zu benutzen. Doch die Räume die ich sah waren so prunkvoll. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass es solche Pracht gab. Alle Fantasiebilder die ich mir über die Jahre ausgemalt hatte kamen nicht an das Original heran. Herrliche Gobelins, prachtvolle Möbel und vor allem so viele. In meines Vaters Wohnung standen zwei Betten, zwei Truhen und ein Tisch mit Sesseln. Doch hier gab es kleine Tischchen und große Tische, Betten mit Vorhängen, Truhen, kleine und große Schränke und vor allem sehr viele Spiegel. Ich war jedes Mal aufs Neue fasziniert.
Zu meinem großen Erstaunen fiel mir auch das Nähen und Sticken immer leichter. Ich war doch nicht so ungeschickt wie anfangs dachte und schon bald hatte ich viel Freude daran. Meine ganze Zeit verbrachte ich im Palast. Ich schlief auch dort, mit den anderen Mädchen in einem Raum am Dachboden. Dieser war in keiner Weise so luxuriös wie die übrigen Räume, aber es war warm, sauber und trocken.

Eines Tages, ich machte mich gerade auf den Weg in die Räume der Königin, kam ein junger Bursche, ungefähr in meinem Alter auf mich zu gerannt Er war von schlaksiger Figur, hatte langes dunkles Haar und seine Augen kamen mir bekannt vor. Es war Pierre, der Sohn von Marie. Wir begrüßten uns herzlich, denn schließlich hatten wir uns seit Jahren nicht mehr gesehen. Ich fragte ihn natürlich sofort nach Marie und Justine. Marie sei letzten Winter gestorben, erzählte er mir traurig und Justine habe geheiratet. Sie lebte mit ihrem Mann auf einem Bauernhof in der Nähe von Versailles. Das Leben dort gefalle ihr sehr gut. Nun fragte ich ihn natürlich auch noch was er denn hier um Schloss zu suchen habe. Pierre erzählte mir lange und ausführlich, dass er im Dienste des Kardinals stände. Im Moment sei der Kardinal auf ein kurzes Gespräch in den Palast gekommen. Denn eigentlich sei er bei den Truppen in La Rochelle. Mit wem er das Gespräch führte, dass konnte er mir nicht sagen. Ich gratulierte ihm zu seiner Stellung und trug ihm auf, meine besten Grüße an Justine auszurichten wenn er sie wieder sah.

Kurz darauf trat ich in das Gemach der Königin, ordnete die Wäsche im Kasten und wollte gerade gehen als ich Stimmen im Raum nebenan hörte. Ich wollte mich gerade zurückziehen als die Worte England, Buckingham und La Rochelle fielen. Seit Wochen hatte ich nur noch Gerüchte gehört über die Belagerung. Ich wusste auch nicht ob mein Vater und seien Freunde noch lebten oder bereits tot waren. Also beschloss ich kurz zu lauschen. Vielleicht würde ich endlich etwas Neues erfahren. Ich trat langsam zur Tür und sah durch das Schlüsselloch. Im angrenzenden Raum stand der Kardinal und neben ihm ein Herr den ich aber nicht genau sehen konnte. Wie ich richtig gehört hatte sprachen sie über den König und den Krieg. Sie beratschlagten sich über die beste Taktik und kamen zu dem Schluss, dass Buckingham aus dem Weg geräumt werden muss. Er dürfte unter keinen Umständen die Rebellen in La Rochelle unterstützen. Mir stockte der Atem. Ich hatte schon von Buckingham gehört und Gerüchte gingen um, dass er der Liebhaber der Königin sei. Der Kardinal sprach nun weiter und teilte dem anderen Herren mit, dass er Mylady de Winter mit dieser Aufgabe betrauen würde. Mylady de Winter, so nannte sich meine Mutter. Seit dem Abend, als Aramis zu mir kam um mit mir über die Ereignisse zwischen meinem Vater und meiner Mutter zu sprechen, hatte ich nicht mehr an sie gedacht. Und nun …………. Der Kardinal hatte aufgehört zu sprechen. Ich hörte wie sich bei der Tür Richtung Stiege näherten. Es bestand keine Gefahr, dass sie mich sehen würden, dennoch beschloss ich schleunigst zu verschwinden. Ein Satz beherrschte von nun an mein Denken. Ich musste es meinem Vater schreiben. Doch wie? Dann kam mir die Lösung ich lief in den Raum von Madame und stahl mir Papier und Feder, schrieb eilig die wichtigsten Inhalte des Gesprächs auf rannte zu Pierre. Wie ich aus dem Gespräch zwischen dem Kardinal und diesem seltsamen Herren erfuhr wollte beide bald wieder zurück nach La Rochelle. Pierre war im Dienste des Kardinals also würde er wohl auch bald wieder dorthin zurückkehren. Ich wollte ihm den Brief anvertrauen. Doch war es wirklich klug einem Diener des Kardinals solch etwas zu geben. Nun Pierre war nie besonders klug gewesen und er würde mir glauben, dass ich nur Sehnsucht, nach meinem Vater habe. Gesagt getan, ich erzählte Pierre wie sehr mir mein Vater fehlte, vergoss dabei ein paar Tränen und wie ich es vorhergesehen hatte, glaubte er mir. Er versprach mir hoch und heilig, dass er den Brief meinem Vater persönlich überreichen werde. Niemand würde ihn davon abhalten können. Ich war beruhigt und ging zurück an meine Arbeit.

Kapitel Constance Bonacieux

Die Zeit verging und nichts änderte sich. Der Tagesablauf war immer derselbe. Ich hörte auch nichts von meinem Vater, was mich auch etwas beunruhigte. Hatte er den Brief erhalten? Ich wusste es nicht. Ich versuchte auch nicht daran zu denken. Es würde schon alles gut gehen. Man kann sich vorstellen wie erleichtert ich war als ich kurz darauf Antwort von meinem Vater bekam. Er bedankte sich für die Warnung. Alle seien wohlauf, und sie hätten bereits Mylady de Winter getroffen. Bedauerlicherweise wisse sie, dass ich noch lebte und wo. Sie habe es von der Mutter Oberin erfahren, als ich noch im Kloster war. Dies war auch der Grund, warum ich das Kloster hatte verlassen müssen. Es war zu gefährlich. Doch damals wollte er mich nicht beunruhigen. Wörtlich schrieb er: „Habe keine Angst. Sie hat versucht d’Artagnan zu töten, sie hat es auch mir angedroht. Doch Hand an die eigene Tochter anlegen, dass würde sie nicht wagen.“ Weiters riet er mir, Pierre nicht zu vertrauen. Leichtsinnig sei es gewesen ihm den Brief mitzugeben. Schließlich stehe er im Dienste des Kardinals. In Zukunft sollte ich mir einen anderen Weg überlegen. Pierre sei in der Gunst des Kardinals gestiegen und nicht mehr nur ein einfacher Laufbursche. Aber verscherzen sollte ich es mir mit ihm auch nicht. Zu guter Letzt enthielt das Schreiben noch einen Satz der mein Herz höher schlagen ließ, er würde bald nach Paris zurückkehren. Doch beunruhigte mich die Nachricht über meine Mutter. Wie skrupellos war sie? Würde sie mich töten oder töten lassen? Sie hatte ihre Beziehungen, sonst hätte sie nie erfahren, dass ich im Kloster war. Hoffentlich würde mein Vater bald kommen. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, ich hatte Angst.
Ich ging meiner Arbeit nach, doch konnte ich an nichts anderes denken als an meinen Vater.
Vor allem aber hatte ich Angst vor meiner Mutter. Sie wusste viel, hatte viele Freunde, stand in der Gunst des Kardinals. Bestimmt wusste sie auch jetzt wo ich war. Inständig hoffte ich, dass mein Vater recht behalten würde.
Am Tag nachdem ich den Brief erhalten hatte, traf ich Pierre wieder. Eigentlich müsste er ja in La Rochelle sein, denn dort war der Kardinal auch. Doch er war hier. Er suchte mich auf. Nur um zu plaudern sagte er. Er erzählte mir vom Krieg, von den Truppen, berichtete mir auch, wie es meinem Vater ging und seinen Freunden. Ich dankte ihm nachdrücklich. Eigentlich hatte ich kaum Zeit und noch weniger Lust mich mit ihm zu unterhalten. Nun erzählte er mir vom Kardinal. Was für ein großherziger, edler Mann er sei. Etwas Merkwürdiges lag in Pierres Augen. Es machte mich unruhig. Alles was er mir hier erzählte, war nicht der Grund warum er hier war. Er begann mir Komplimente zu machen, redete über unsere lange Freundschaft und davon dass wir uns eigentlich schon von Kind an kannten. Pierre redete nun von einem tiefen Gefühl der Zuneigung, dass er mir gegenüber empfand. Fast schon Liebe, meint er. Ich traute meinen Ohren nicht. Bisher mochte ich Pierre ganz gerne, doch was ich nun hörte versetzte mir einen Schlag. Er konnte all das unmöglich ernst meinen. Mein Gefühl befahl mir ihm nicht zu trauen. Und nach noch ein paar unzähligen Komplimenten, gab mir mein Gefühl recht. Denn nun sprach er davon welchen ungeheuren Einfluss der Kardinal hatte, und dass er mir jederzeit eine besser Stellung besorgen könnte. Ganz gewiss wäre es möglich mich als Gesellschafterin unter zu bringen. Ich dankte ihm und teilte ihm mit, dass ich keinen Wert auf die Hilfe des Kardinals legte. Außerdem sei ich glücklich dort wo ich bin. Dies stimmte zwar nicht, aber dass brauchte er nicht zu wissen.
Er war sichtlich verärgert. Anscheinend hatte er mit einem ganz anderen Ausgang des Gesprächs gerechnet. Er begann mir zu drohen. Der Kardinal hat einen langen Arm, sagte er. Ich sollte es mir mit ihm nicht verscherzen. Pierre lief rot an, begann schneller zu atmen und sagte mit einem künstlichen Lächeln, dass er hoffe wir würden trotz allem Freunde bleiben.

Nachdem er gegangne war wurde auch mir Angst und Bang. Bisher hatte ich Pierre nie als Gefahr gesehen. Eher als einen dummen Tölpel, von dem man mit ein paar schönen Worten alles verlangen konnte. Ich würde mich vor ihm in Acht nehmen. Nie wieder ein unbedachtes Wort über meine Lippen kommen lassen in seiner Gegenwart.

Am Nachmittag desselben Tages erhielt ich einen Brief von meinem Vater. Ich sollte zu Madame Bijou gehen und ihr sagen dass irgendeine Tante von mir krank sei und dass ich schnell zu ihr kommen müsse, da sie im sterben liege. Des weitern sollte ich mich reisefertig machen. Er würde mich in den nächsten Tagen abholen.
Sofort ging ich zu Madame Bijou. Zu meinem großen Erstaunen willigte sie ein. Sobald mein Vater eintraf, würde ich gehen dürfen. Ich begann mich reisefertig zu machen und zwei Tage später kam mein Vater. Mein Herz machte einen großen Sprung als ich ihn sah, doch sein Gesicht verriet mir, dass die Lage ernst war. Ich bestürmte ihn mit Fragen, doch er sagte mir ich solle still sein. Wir borgten uns ein Pferd aus dem Stall von Monsieur de Treville und ritten davon. Nach ungefähr einer Stunde und als wir schon weit außerhalb von Paris waren trafen wir auf Aramis, Porthos und d’Artagnan. Alle hatten dieselbe ernste Miene wie mein Vater. Nun konnte ich meine Fragen nicht mehr zurückhalten. Warum waren sie hier? Was hatte das alles zu bedeuten? Warum musste ich Madame Bijou anlügen? Die Geschichte die sie mir nun erzählten verschlug mir den Atem. Mylady de Winter, meine Mutter, sei nach England gereist um den Herzog von Buckingham zu töten. Man habe sie dort ins Gefängnis gesteckt doch sie konnte flüchten. Ein gewisser Fenton, ehemals ergebener Diener des Herzogs, hat das vollendet wozu Mylady nach Englang gefahren war. Sie wisse alles. Wo ich sei und wo Constance sei. Sie wolle sich rächen. D’Artagnan war ihrem Anschlag in La Rochelle entgangen, nun würde sie sich an Constance dafür rächen. Athos hatte sie bestohlen, und er kannte alle ihre Geheimnisse. Gut möglich, dass sie ihr eigenes Kind töten würde um sich an ihm zu rächen. Es wäre zu gefährlich für mich dort zu bleiben wo ich jetzt war, denn im Palast habe der Kardinal viel mehr Spione als man denkt.
Wir ritten also zu Constance nach Bethune um sie in Sicherheit zu bringen. Stundenlang ritten wir. Einmal nur hielten wir an um die Pferde zu tränken. Als wir alle schon fast am Ende unserer Kräfte waren, kamen wir in Bethune an. Constance hatte die letzte Zeit im Kloster verbracht, nur aus Sicherheit nicht im den Schleier zu nehmen, also fingen wir dort an zu suchen. Wir klopften an der Tür und eine Schwester öffnete uns. Sofort fragten wir nach Constance. Sie erklärte uns das selbige vermutlich gerade in der Kirche sei um zu beten. Wir stürmten los, doch fanden wir sie dort nicht vor. Uns wurde Angst und Bang. Was wenn etwas geschehen war? D’Artagnan unterbrach eine Schwester, die in der ersten Bank saß, wüst in ihrem Gebet. Er fragte wo die Zelle von Constance Bonacieux sei. Welch Glück sie wusste es. Er stürmte los. Wir konnten ihm nur atemlos folgen. Wie von einer unsichtbaren Macht angetrieben nahm er drei Stufen auf einmal empor zum ersten Stock. Er rannte als ob der Teufel hinter ihm her war. Kurz verloren wir ihn aus den Augen. Vor allem Porthos war es unmöglich mit ihm mitzuhalten. Nach einigen Momenten fanden wir ihn wieder.
Er saß in einer Zelle über einen leblosen Körper gebeugt. Nun erst erkannte ich, dieser leblose Körper hatte einmal die Seele von Constance Bonacieux beherbergt. D’Artagnan weinte nicht. Er saß stumm da und trauerte einen Moment. Dann schlang er seine Arme um ihren Körper und drückte ihn an sich. Aramis begann ein Gebet zu sprechen, Porthos versuchte d’Artagnan zu trösten, doch in den Augen meines Vater konnte ich eine Mischung aus Wut, Zorn und Verzweiflung sehen, doch vor allem eines Rache. Er war wütend darüber Recht behalten zu haben mit seiner Vorahnung, zornig, dass sie nicht rechtzeitig gekommen waren und verzweifelt litt er mit seinem Freund. Doch deutlich spürte ich, dass all diese Gefühle von dem der Rache verdrängt wurden. Ich hatte Constance nie wirklich kennen gelernt, doch empfand ich eine tiefe Trauer. Ich litt mit d’Artagnan. Er musste sie sehr geliebt haben. Doch noch ein anderes Gefühl beherrschte mich; die Angst. Angst nun auch um mein Leben. Meine Mutter war ein gefährliches Biest, sie konnte töten. Es bereitete ihr offensichtlich keinen Skrupel. Bestimmt, war es ihr auch ein leichtes mich zu töten.
Von dieser Angst beherrscht, bemerkte ich nicht den Mann der soeben ins Zimmer gekommen war. Er deutete auf den leblosen Körper und sagte: Ich habe mich nicht getäuscht. Ihre Spur ist unverkennbar. Nun blickten wir alle auf. Keiner von uns erkannte diesen Herrn. Es war der Schwager von Mylady, Lord de Winter, der Bruder ihres zweiten Mannes. Athos trat auf ihn zu und begrüßte ihn. Er sei auf unserer Seite und wir auf seiner. Wir hatten einen neuen Verbündeten gefunden.

Kapitel Der Tod der Mutter

Gemeinsam ritten wir nach Bethune zu einer Herberge. Nahmen dort Quartier und Athos schickte uns alle schlafen. Er sprach noch kurz mit Mylord de Winter und kam dann in unser Zimmer. Er sah mich an und sagte: Ich habe Mylord unsere Geschichte erzählt. Er sieht ein, dass es auch an uns ist die Toten zu rächen. Nach all den Ereignissen des Tages konnte ich kaum mehr klar denken. Zu vieles war heute geschehen. Doch war mir klar, dass ohne meine Zustimmung mein Vater nichts unternehmen würde. Noch immer erfüllt von der Angst gab ich ihm mein Einverständnis. Daraufhin verschwand er in der Nacht. Trotz all der Angst schaffte ich es doch einen recht ruhigen Schlaf zu finden. Am nächsten Morgen sah ich meinen Vater neben meinem Bett sitzen. Er sah mich liebevoll an, deutete zum Fenster und sagte mir, dass wir in wenigen Stunden aufbrechen werden; nach Armentieres.
Wir ritten am Nachmittag los, gemeinsam mit einem Mann den ich nicht kannte, aber mein Vater schien ihn zu kennen. Am Abend kamen wir in Armentieres an. Es war eine stockfinstere, gewittrige Nacht. Eigentlich hatte ich immer Angst vor Gewittern gehabt, doch diesmal nicht. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt nicht an das zu denken, was nun kommen würde.
Wir kamen zu einem Haus, das einsam in weiter Flur stand. Athos ging zum Fenster, sah hindurch, und drückte es dann auf. Von drinnen kam ein Schrei, der Schrei meiner Mutter. Wir folgen ihm in das Haus. Zuerst d’Artagnan, dann Aramis und Porthos, Mylord de Winter, der Unbekannte und zuletzt ich. Ich zögerte. Nun würde ich zum ersten Mal bewusst meiner Mutter gegenüber stehen. Doch lange konnte ich nicht darüber nachdenken, schon stand ich mit den anderen vor ihr. Sie frage was wir hier wollten und blickte die Reihe entlang. Zuletzt traf ihr Blick mich. Seltsam war ihr Blick, ich vermochte ihn nicht zu deuten. Ja, dies ist unsere Tochter, sagte mein Vater erstaunlich ruhig. Sie kam auf mich zu, wollte mich umarmen, doch unwillkürlich wich ich zurück. Es war eine Fremde die auf mich zukam, eine Fremde und trotzdem keimte ein Gefühl des Vertrauens in mir als ich sie ansah.
Nur einen Augenblick später erklärte Athos ihr warum wir hier waren. Wir waren ihre Richter, wir wollten sie verurteilen für alle Verbrechen die sie begangen hatte. Für den Mordversuch an d’Artagnan, wegen der Anstiftung zum Mord am Herzog von Buckingham, für den Mord an ihren zweiten Ehemann Lord de Winter und den Mord an Constance Bonacieux, wegen allem was sie meinem Vater und mir angetan hatte. Athos brachte die Klage vor, ich hätte nicht sprechen können, noch konnte ich sie ansehen. Nun trat der Mann vor, den mein Vater mitgebracht hatte. Es war der Henker von Lille. Er nahm ihren Arm und sagte, dass wir ein Urteil zu sprechen hätten. D’Artagnan begann, er forderte die Todesstrafe, dann Lord de Winter, ebenfalls die Todesstrafe, Aramis und Porthos ebenso. Mein Vater nahm mich am Arm, sah mich an, doch ich konnte nicht sprechen, so nickte ich nur. Nie wieder in meinem Leben war mir eine solch einfache Bewegung so schwer gefallen. Athos sprach das Urteil. Wir brachten sie hinaus. Der Henker setzte sie in ein Boot auf der Lys. Nun begann sie zu flehen und zu betteln. Verzweiflung sprach aus ihren Worten und aus ihrem Gesicht. Jeden bat sie um Gnade, auch mich. Sie versprach mir von nun an eine gute Mutter zu sein, alles versäumte nachzuholen. Sie wolle mir von nun an bei allem beistehen. Ich müsste nicht mehr im Palast arbeiten, sie würde für mich sorgen. Schier endlos schienen mir ihre Versprechen, endlos wie unglaubwürdig. Ich hielt mir die Ohren zu. Ich wollte sie weder sehen noch hören. Die Schreie verstummten. Ich öffnete die Augen, ein Blitz zuckte aus den Wolken und ich sah wie das Beil des Henkers sich senkte. Ich zuckte zusammen und brach in Tränen aus. Auch wenn ich sie nie gekannt hatte, so hatte ich doch gerade meine Mutter verloren. Die Frau die mir das Leben geschenkt hatte. Die Frau, der ich so ähnlich sah. Die Frau die mein Vater geliebt hatte. Es war vorbei. Nie würde ich erfahren wie es ist eine Mutter zu haben. Sie war tot und ich war schuld. Ich hätte es verhindern können. Die andern hätten vielleicht auf meine Bitte gehört. Doch ich hatte es nicht getan. Die Tränen wurden mehr, mein Schluchzen lauter. Mein Vater nahm mich in seine Arme und ich heulte bis sein Umhang nass von meinen Tränen war. Er sagt nichts. Nach einiger Zeit hob er mich auf mein Pferd und wir ritten davon. Lord de Winter trennte sich in Bethune von uns und wünschte uns Glück sowie wir ihm. Lange Zeit war es mir unmöglich zu denken und ich war froh, dass wir einfach nur ritten. Es dauerte lange bis ich wieder Herrin über meine Gefühle war.

Wir kehrten nach Paris zurück. Ich kehrte nicht in den Palast zurück sondern blieb bei meinem Vater. Nur ein paar Zeilen schickte ich Madame Bijou. Vermutlich würde meine Tante noch länger krank sein. Natürlich erfuhr der Kardinal nur wenige Tage später vom Tod seiner besten Dienerin. Dass er darüber nicht gerade glücklich war konnte sich ein jeder denken. D’Artagnan wurde zu ihm bestellt, offenbar um sich zu rechtfertigen. Am Abend kam er zu uns in die Wohnung wo er von allen schon ungeduldig erwartet wurde. Schließlich hatte der Kardinal einen langen Arm. Er könnte unweigerlich unser aller Unglück herauf beschwören. Doch zu unserer Überraschung kam alles anders. Mein Vater hatte ja meiner Mutter damals in La Rochelle eine Vollmacht des Kardinals abgenommen. Diese hatte d’Artagnan ihm einfach gezeigt und somit war seine Tat kein Verbrechen mehr. Der Kardinal hatte ihm sogar die Ernennung zum Leutnant der Musketier mitgegeben. Wir alle waren glücklich und erleichtert. Doch nun musste noch geklärt werden wer den nun Leutnant werden sollte, denn er Name war noch frei. Mein Vater hatte beschlossen, nun da meine Mutter tot war, nicht mehr Athos sondern fortan der Graf de la Fere zu sein. Gemeinsam wollten wir auf unser Gut zurückkehren. Den Dienst bei Madame Bijou würde ich aufgeben. Porthos war zwar geschmeichelt aber eigentlich war er froh dort wo er war. Aramis zögerte kurz, dann lehnte er ab. Er wolle nun doch Priester werden. Also setzten wir d’Artagnans Namen ein und stießen die ganze Nach auf seien Beförderung an. Nach soviel Schmerz tat es gut, mit guten Freunden einen schönen Abend zu verbringen und sich einfach nur geborgen zu fühlen. Morgen früh würde meine Welt eine andere sein. Ich würde zurückkehren zu meinen Wurzeln. Mein Vater würde wieder der Graf de la Fere sein. Die Welt wäre in Ordnung. Ich taumelte vor glücklicher Zuversicht doch was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste war die Tatsache, dass mein Leben doch ganz anders verlaufen würde als ich es mir in diesem Moment vorstellte.