Kapitel Sinne
Sie waren auf dem Rückweg zu seiner Wohnung, und die Luft war geschwängert von Düften, durchzogen von Gerüchen, verpestet von Miasmen. Dort blühte Yasmin, hier roch es nach Brot, Heu oder Feuer, da stank es erbärmlich – früher war ihm diese ungeheure Vielfalt nie aufgefallen, nun roch er, wenn sich eine Ratte näherte oder ein Kauz über sie hinwegflog. Auch die Menschen konnte er riechen und hören, zum Glück noch ohne von dieser abscheulichen Gier gepackt zu werden. Aber er bemerkte sie, selbst wenn sie so weit von ihnen entfernt waren, dass man sie kaum erkannte. Er sah, roch und hörte sie und irgendetwas tief in ihm drin flüsterte leise: „Beute!“. Sein Verstand und sein gefüllter Magen protestierten sogleich, doch schlummerte in ihm die Angst, was wohl wäre, wenn einmal die Bestie in ihm die Überhand bekäme. Es war, als wandere er über morsches Eis, im Moment trug es noch, doch wehe, wenn es brüchig würde. Hier draußen, außerhalb seiner Wohnung, war sein Instinkt noch wacher, waren seine Sinne noch mehr geschärft. Der Schmied hatte es ihm womöglich angesehen, er hatte ihn mit seltsamen Blicken gemustert, als sehe er ihn zum ersten Mal, obwohl es Aramis gewesen war, der ihm seine immer noch schlafende Tochter in die Arme gelegt und ihm erzählt hatte, sie hätten sie nahe seiner Wohnung nachtwandelnd aufgegriffen. Zuerst hatte der Mann es ihnen nicht glauben wollen, hatte behauptet, sie habe noch nie geschlafwandelt, doch dann war die Kleine aufgewacht und hatte ihren Vater umarmt und auf dessen Fragen nur gesagt, sie könne sich an nichts erinnern, aber sie sei immer noch müde, so dass der Schmied ihnen schlussendlich kopfschüttelnd gedankt hatte. Athos hatte sich überwunden und ihn angesprochen, hatte ihn gewarnt, er möge bitte auf seine Tochter aufpassen und sie nie bei offenem Fenster schlafen lassen. Der Vater hatte es ihm versprochen, ihn aber noch misstrauischer angesehen, obgleich er darauf geachtet hatte, im Schatten zu bleiben.
Parbleu, es war gerade einmal ein Tag vergangen, seit er diese Wandlung durchgemacht hatte, aber er hatte das Gefühl, es wären schon Wochen gewesen. Wie sollte er das nur durchstehen, diesen ständigen Kampf mit sich selbst, den Kampf mit dieser Bestie in seinem Innern – und wenn er aufgäbe und zu den Schatten … nein! Denke es nicht einmal! „Habt Ihr die große Ratte da drüben gesehen?“, fragte er Aramis, um seine Gedanken von diesen Irrwegen fortzuleiten – wobei die Ratte wirklich riesig war, sie saß auf einem Mauernziegel und beobachtete sie aus kleinen, schwarzen Äuglein. Konnten sich Vampire auch in Ratten verwandeln?
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