Das Gefährt von Percy 

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Kapitel Das Gefährt

„Jetzt müßt Ihr uns aber dieses schwarze Ungetüm erklären, mon ami!“

D’Artagnan stand neben dem Auto und klopfte mit der flachen Hand auf die schwarzglänzende Motorhaube.

Der Freund ging zu ihm, Athos, Porthos und Aramis im Schlepptau.

„Ja, wie ich schon bemerkte, ist das mein Wagen. Damit fahre ich beruflich und privat….“ Er stockte. Was für eine dumme Formulierung. Diese Unterscheidung in beruflich und privat gab es damals sicherlich noch nicht in dieser Deutlichkeit.

„Euer Wagen?“ fragte Porthos zweifelnd. „Euer Wagen ist ja doch wohl das da!“ Und er deutete zur Ponykutsche, die unter der Remise stand. „Obwohl es ein wenig…..nun ja, minimalistisch ist?“ In Porthos Stimme klang Enttäuschung über die Kutsche mit.

Der Freund lachte. „Das da ist mein Marathonwagen, den ich für Ausfahrten nutze.“

Porthos versuchte, etwas vorteilhaftes an dem Gefährt zu erkennen. „Nun ja, aber Ihr hättet Euch doch sicher auch etwas…..prächtigeres leisten können? Ihr seid doch ein reicher Mann!“

Der Freund schluckte, dachte an den Immobilienkredit, den Grundbucheintrag, die laufenden Kosten, die des öfteren an seiner Kontokorrentlinie nagten. Nein, das konnte er Porthos nicht erklären. Nicht daß Porthos ihn für einen armen Schlucker hielt. Nein, für Porthos würde er gerne den reichen Mann aus der Zukunft geben, allerdings bezog er selbst seinen Reichtum auf immaterielle Dinge wie Gesundheit, die Ponys, den Hund, ein Dach über dem Kopf, genug Heizöl im Tank…..nein, hier war er wieder bei diesem furchtbaren Thema!

„Reichtum liegt ja immer im Auge des Betrachters oder in der eigenen Zufriedenheit!“ sprang ihm Athos hilfreich bei. „Nun zeigt uns aber doch dieses Gefährt!“ Athos wies auf den PKW.

„Gerne. Also, in unserer Zeit ist dies ein alltägliches Fortbewegungsmittel. So wie Ihr damals Eure Pferde gesattelt oder die Kutsche angespannt habt, ist es für uns alltäglich, das Auto zu benutzen.“ Er holte den Schlüssel aus der Hosentasche, berührte eine Taste und alle vier Blinker leuchteten kurz auf, während die Türverriegelung entsicherte.

Die Gäste zuckten zusammen oder traten gleich einen Schritt zurück.

„Oha! Es sieht…..ein wenig aggressiv aus!“ bemerkte Aramis und schaute auf die schmalen Frontscheinwerfer.

„Aber nein, das ist harmlos! Allerdings muß so ein Fahrzeug schon ein bißchen schnittig aussehen, dann macht es gleich mehr Spaß, damit zu fahren. Ist wie mit einem schönen Pferd!“

D’Artagnan lachte: „Haha, das kann ich gut nachfühlen! Hab ich mich geschämt auf der orangen Mähre, als ich nach Paris kam!“

Der Freund öffnete die Fahrertür, setzte sich hinein und startete den Motor.

„Allmächtiger! Was ist das für ein Wunderwerk!“ Aramis staunte. „Etwas Vergleichbares gibt es in unserer Zeit nicht.“

„Es ist recht …laut.“ Athos verzog das Gesicht.

„Findet Ihr?“ fragte der Freund und trat spielerisch im Leerlauf aufs Gas, so daß er die Drehzahl hochjagte. Er grinste frech. Offenbar machte ihm das ziemlichen Spaß.

„DAS ist jetzt laut!“ stellte Athos mißbilligend fest.

„Wenn Ihr drinsitzt und die Türen schließt, ist es halb so wild!“

„Ich weiß nicht, ob ich mich da hineinsetzen möchte.“ Athos zweifelte. Vorsicht war geboten.

„Aber ich möchte mich reinsetzen!“ D’Artagnan lief rasch zur Beifahrertür, die der Freund von innen aufstieß. Er glitt auf den Sitz. „Herrlich, fast wie ein Sessel! Lasst uns mit diesem Ding ein Stück fahren!“

„Aber gerne!“ Der Freund stieg kurz aus, öffnete die hinteren Türen und bedeutete Aramis, Athos und Porthos galant, Platz zu nehmen. „Porthos am besten nicht in die Mitte, das ist nichts für große Leute!“

Aramis quetschte sich gehorsam auf den mittleren Sitz. Gut so, dachte der Freund. So schlank, wie er ist, ist das passend.

„Anschnallen bitte!“

Verständnislose Blicke.

„Ach ja, wir schnallen uns an beim Autofahren, damit man im Falle eines Unfalls bessere Überlebenschancen hat…“

„Also jetzt steige ich wieder aus! Das ist ja lebensgefährlich!“ Athos‘ Blick war ein einziger Vorwurf.

„Nein, bitte, das ist nicht nötig! Es passiert nichts. Das ist nur in der Straßenverkehrsordnung vorgeschrieben. Lasst mich Euch beim Anschnallen behilflich sein. Ihr gestattet…“ Der Freund beugte sich über Athos, vergrub seine Hand direkt neben Athos Hüfte in den Polstern des Rücksitzes und suchte……

Athos schnappte empört nach Luft. Fast hätte er die Hand des Freundes weggeschlagen, als dieser fündig wurde, etwas umfaßte und im Sitz hervorzog. Ein seltsames schwarzes Ding mit einem roten Knopf.

„Ihr gestattet noch einmal?“ Der Freund griff erneut in die Polsterritze, bedauerte, daß er nicht vorher die Gurtverschlüsse hervorgeholt hatte (so war es eigentlich immer, wenn er in seltenen Fällen auf dem Rücksitz Gäste mitnahm), und holte diesmal deutlich schneller einen zweiten Verschluß für Aramis hervor. Jetzt ums Auto laufen und über Porthos greifen, wobei Porthos deutlich mehr Platz auf dem Sitz einnahm, so daß das ganze eher eine Nahkampflektion war und den Freund einigermaßen in Schweiß brachte. Er schnappte nach Luft. Jetzt noch anschnallen. Erst den Beifahrer, hier hatte er Platz und die anderen konnten zugucken. Er öffnete die Beifahrertür, nahm den Gurt und zog ihn ein gutes Stück heraus. Dann griff er damit über d’Artagnan, der verlegen grinste und ließ den Gurt neben d’Artagnans Hüfte einschnappen.

„Normalerweise macht das jeder selbst.“ grummelte er. „Glaubt nicht, ich sei zudringlich.“

Athos und Porthos machten sich an ihren Gurten zu schaffen, zogen sie testweise heraus, während Aramis einigermaßen enttäuscht auf den kurzen Beckengurt sah, der für den mittleren Sitz bestimmt war.

„Aramis, leider habt Ihr nur einen Beckengurt. Einfach von der einen zur anderen Seite führen und direkt neben Euch einschnappen lassen, bitte.“ Klack! Aramis hatte sich erfolgreich angeschnallt.

Athos zog den Gurt lang, besah sich den Verschluß – Klack! Der Gurt zog sich stramm, als Athos ihn losließ. „Huch!“

„Kein Problem, es passiert nichts. Er paßt sich nur eurer Gestalt an!“

Porthos hielt den langgezogenen Gurt in der Faust, er hatte ihn nicht einschnappen lassen.

„Ihr müßt ihn jetzt in den Gurtverschluß neben euch stecken.“ Wies der Freund an.

„Wieso? Ich kann mich doch auch ganz gut daran festhalten!“ Porthos fand offensichtlich, daß er stärker war als eine potentielle Aufprallenergie.

„Der Gurt kann nicht arbeiten, wenn er nicht fest ist.“ Beharrte der Freund, griff noch einmal über Porthos und schnallte den Hünen an.

Sofort zog Porthos den Gurt wieder lang, hielt ihn über der Brust fest und von seinem Körper weg.

Der Freund stöhnte innerlich. Das erinnerte ihn an seine verstorbene Großmutter, die auch ständig bei der Fahrt am Gurt gezogen und ihn von sich weggehalten hatte, er wäre ja so eng und man bekäme ja kaum Luft.

Sanft löste er Porthos Finger vom Gurt, bis dieser an Ort und Stelle lag. Sofort griff Porthos wieder danach und wollte ihn von sich wegziehen, aber der Gurtstrammer blockierte.

„Parbleu! Es hält mich fest! Was ist das?“ Porthos schaute echauffiert auf den impertinenten Gurt.

„Ja, genau so arbeitet er! Bei schnellen Bewegungen blockiert er und hält Euch im Sitz, sonst würdet Ihr….. (er senkte die Stimme, warf einen besorgten Blick zu Athos) ….bei einem Unfall durchs Auto fliegen…..“

„Können wir jetzt fahren?“ kam d’Artagnans ungeduldige Stimme vom Beifahrersitz.

Allmählich kam er sich vor wie ein Vater mit vier Kindern im Auto. Ob von den Musketieren auch „Wann sind wir dahaaa?“ „Ich muß maaal!“ „Mir ist schlecht!“ zu hören sein würde…..?

Schnell das Hoftor manuell öffnen – für einen neuen Zaun mit entsprechender Automatik hatte es noch nicht gereicht – rein ins Auto und los ging es.

Langsam ließ er den Wagen auf die Straße rollen. Jetzt kam erstmal ein Wohngebiet mit einer 30er Zone, nichts Spektakuläres.

„Ihr fahrt aber ganz schön schnell!“ bemerkte Aramis vom Rücksitz.

Der Freund hatte das Gefühl, er würde dahinkriechen. Heute hielt er sich sogar mal an die vorgeschriebenen 30 km/h. „Findet Ihr?“

„Ja, so schnell galoppiert ein Pferd!“

„Aber es ist bequemer als auf einem Pferd!“ d’Artagnan strich über den weichen Stoff des Sitzes und streckte sich behaglich.

„Also, schneller muß das aber nicht sein!“ bemerkte Athos leise.

Jetzt mußten sie an der Bundesstraße Vorfahrt gewähren, der Freund setzte den Blinker und bog ab. Beschleunigte auf 50 km/h.

Er hörte Athos entsetzt japsen.

D’Artagnan starrte begeistert auf die Straße vor ihm: „Wahnsinn! So schnell!“

„Porthos, laßt den Gurt los!“ Porthos blickte schuldbewußt auf und bemerkte ertappt, daß der Freund ihn im Rückspiegel beobachten konnte. Er sah dessen dunklen Blick und die vorwurfsvoll zusammengezogenen Brauen.

„Guckt lieber auf die Straße, mein Freund!“ intervenierte Aramis.

„Ja, bitte! Dann habe ich ein besseres Gefühl!“ kam es leise von Athos.

Als er das Ortsausgangsschild passiert hatte, trat er aufs Gas, beschleunigte geschmeidig auf 100 km/h.

„Seid Ihr wahnsinnig?“ Athos stand kurz vor einer Panik.

„Formidabel! Das ist herrlich!“ rief d’Artagnan.

„Was denn? Es ist normal, mit dieser Geschwindigkeit außerorts zu fahren.“ meinte der Freund lässig.

Aramis und Porthos enthielten sich eines Kommentars, im Rückspiegel sah er, wie beide instinktiv versuchten, mit den Augen Fixpunkte in der Landschaft zu erfassen. Gut so, da würden sie nicht reisekrank.

Er behielt die Geschwindigkeit bei. „Athos, entspannt Euch und schaut nach vorne, dann kommt Euch das nicht so schnell vor!“

„Wie furchtbar!“ murmelte Athos. „Ich würde jetzt gerne spazieren gehen….. auf meinen eigenen Füßen!“

Der Freund warf ihm einen Seitenblick über die Schulter zu. Tatsächlich, dem furchtlosen Athos stand der Schweiß auf der Stirn! „Ihr habt Glück! Am Ende des Waldes ist ein kleiner Parkplatz. Von dort kann man herrlich wandern.“

„Ach ja, bitte! Welch wunderbarer Gedanke!“

Der Freund parkte den Wagen, hieß allen, auszusteigen und los ging es. „Auf der anderen Waldseite ist ein Gasthaus, dort können wir eine kleine Erfrischung zu uns nehmen, bevor wir uns auf den Rückweg machen“

„Oder besser, eine große…….“ murmelte Porthos unwirsch. „Wegen Athos dürfen wir jetzt laufen…… so schlecht war dieses Gefährt nun wirklich nicht….“