Der Zaun von Percy 

  Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 3 Bewertungen

Kapitel Der Zaun

„Ah, hier wohnt Ihr also, mon ami?"

Athos sah sich um. Das kleine Bauernhaus mit den Rosensträuchern vor den Fenstern und den hohen Weißdornhecken, die das Grundstück umschlossen, sah allerliebst aus. Obwohl sie ja gerade im 21. Jahrhundert angekommen waren, sah es hier ganz „normal" aus. Fast wie in ihrer eigenen Zeit. Wäre da nicht dieses seltsame schwarze Ungetüm auf Rädern, das in der Einfahrt stand und die ziemlich futuristisch aussehende Kutsche unter der Remise. Der Kamerad nannte das erstere sein „Auto" und die Kutsche einen „Marathonwagen". Was auch immer das sein mochte.

Weit hinten auf dem Areal sah man zwei schwarze Pferde. „Sind das Eure Pferde, mein Lieber?" Aramis blickte über die Wiese, kniff die Augen zusammen und versuchte, mehr zu erkennen im gleißenden Sonnenlicht. „Sie sehen recht klein aus!" „Ja. Sie sind klein. Das sind Ponys." „Ponys?" Aramis musterte den neuen Freund abschätzig „Ein erwachsener Mann wie Ihr reitet Ponys??" Der Neue straffte seine Gestalt: „Natürlich! Ich reite und fahre sie. Und sie haben ihren eigenen Kopf, deshalb unterschätzt sie nicht!" Aramis beschloß, das Thema fürs erste fallen zu lasen. Er wollte den Freund nicht verstimmen. Immerhin waren sie seine Gäste.

Während sie vor dem Haus standen und sich umsahen, murmelte d'Artagnan leise: „Ihr entschuldigt mich wohl kurz....." und verschwand um die Hausecke Richtung Pony-Paddock. Der neue Freund schaute ihm hinterher und grinste. Der Gascogner war schon einige Minuten von einem Fuß auf den anderen getreten. Es war klar, wohin er mußte. Plötzlich durchfuhr es ihn siedendheiß: Um Himmel Willen! Der Paddock! Der Elektrozaun!!!

Wie der Blitz schoß er um die Hausecke, sah, wie d'Artagnan sich nur wenige Handbreit vor besagtem Elektrozaun breitbeinig hinstellte.....

Mit zwei Sprüngen war er bei ihm, packte ihn von hinten an den Schultern und zog ihn vom Zaun weg.

„Ihr indiskreter Kerl! Was fällt Euch ein!" schrie d'Artagnan erbost, während er mit beiden Händen zwischen den Beinen seine Blöße zu bedecken suchte. „Das wird Euch leid tun!!!" Hastig und mit hochrotem Kopf verstaute er seine Männlichkeit unverrichteter Dinge wieder in der Hose, funkelte den Freund wütend an. Dieser blieb ganz ruhig: „Besser mir tut es jetzt leid, bevor es Euch in wenigen Augenblicken noch mehr leid getan hätte!"

„Was meint Ihr damit? Wozu soll mir das leid tun? Ich wollte hier doch nur pi...." Der andere unterbrach ihn: „Jetzt holt erst einmal Luft und laßt mich erklären. Dieses hier ist ein Elektrozaun." Ein verständnisloser Blick des Musketiers rief ihm ins Gedächtnis, daß es „Elektrozäune" im 17. Jahrhundert noch nicht gegeben hatte. „Also, wenn Ihr diesen Zaun mit einem Körperteil berührt, erhaltet Ihr einen Stromschlag!"

D'Artagnan musterte ihn überheblich: „Ich hatte nicht vor, dieses Konstrukt mit irgendeinem...Körperteil zu berühren!"

„Nun, es hätte auch Euer Strahl gereicht und Ihr hättet einen Schlag erhalten!" Der andere grinste süffisant, was d'Artagnan noch mehr in Rage brachte. „Ihr wollt mir doch nicht sagen, daß diese beiden mickrigen Kordeln es wagen würden, mich zu schlagen, wenn ich sie berühre??" Sprach's, streckte demonstrativ die Hand aus und ergriff die oberste Litze.

„UUUAAAAH!!!!!" kreischte d'Artagnan, sprang zurück und hielt sich die Hand, „Mordioux, was ist das für ein Teufelswerk???" „Das," versetzte der Freund trocken, „war der Stromschlag!"

An der Hausecke hörten die beiden unterdrücktes Gelächter. Athos, Porthos und Aramis wohnten der Szene mit sichtlichem Vergnügen bei: Porthos brach jetzt in schallendes Gelächter aus, Aramis strich vergnügt schmunzelnd über seinen feinen Bart und selbst Athos' Mundwinkel zuckten verräterisch.

„Nun laßt mal sehen, so schlimm kann es doch nicht sein, daß Ihr hier schreit wie ein Mädchen!" Porthos fing sich einen höchst giftigen Blick von d'Artagnan ein, der immer noch leicht geschockt seine Hand rieb und sich nicht auszumalen wagte, was geschehen wäre, wenn der Freund ihn nicht gerettet hätte.

Porthos trat zu dem wehrhaften Zaun, betrachtete ihn und warf dem Neuen einen verächtlichen Blick zu: „Das nennt Ihr Zaun, mon ami? Das ist wirklich nicht sehr beeindruckend. Ich wundere mich, daß ihr dahinter Pferde halten könnt." Der Freund wollte noch „Vorsicht!" schreien, aber es war schon zu spät. Auch Porthos griff beherzt an die Litze, bekam mit voller Wucht den Stromschlag ab, da er überdies noch schwitzende Handflächen hatte.

„HAAAAARGGHHHHH!" brüllte Porthos, taumelte zurück direkt in Aramis' Arme, der ihn mit einiger Mühe halbwegs galant auffing.

„Hat noch jemand das Verlangen, dieses Wunderwerk der Zukunft zu berühren?" fragte ihr neuer Freund sarkastisch.

„Danke, die Demonstration hat mir genügt! Sie war ausgesprochen.....gewichtig!" ächzte Aramis und versuchte, sich aus Porthos' Klammer-Umarmung zu befreien. Porthos war so entsetzt, daß er gar nicht realisierte, daß er seinen Freund immer noch eng umschlungen festhielt.

„Mein Lieber, Ihr wohnt hier in wahrhaft gefährlichen Gefilden!" sinnierte Athos. „Alles sieht so harmlos aus, doch tatsächlich lauert die Gefahr knapp unter der schönen Oberfläche! Wenn ich also von eurer Wohnstatt auf den Besitzer schließen darf, so seid auch Ihr ein gefährlicher Mann! Ihr seht so hübsch und harmlos aus, aber tatsächlich möchte ich Eure dunklen Seiten nicht aufdecken!"

Der andere grinste diabolisch. „Dieses Kompliment gebe ich gerne an Euch alle zurück! Ich wage zu behaupten, daß keiner von Euch eine komplett weiße Weste hat!" Die Unzertrennlichen sahen einander ertappt und etwas verlegen an. „Aber das wäre ja auch entsetzlich langweilig, nicht wahr?" fuhr der neue Freund lächelnd fort.

„Und jetzt folgt mir, ich habe im Gewölbekeller noch etwas Wein gelagert, den ich Euch gerne anbieten möchte. Wir können uns auf die Terrasse setzen!"

D'Artagnan trat verlegen zu ihm und fragte leise: „Mon ami, um auf mein...ähm Vorhaben von eben zurückzukommen: Wo könnte ich denn hier mal...Ihr wißt schon....ohne Gefahr für meine..." Er wurde rot und brach verlegen ab.

„Geht am besten hinter den Schuppen. Der Birnbaum wird dankbar sein, wenn er etwas gewässert wird. Und dort ist garantiert kein Elektrozaun!" Er wies ihm den Weg und d'Artagnan verschwand eiligen Schrittes in der angegebenen Richtung.

Kurze Zeit später tauchte er mit deutlich entspannteren Gesichtszügen wieder auf. Seine Augen funkelten und er marschierte festen Schrittes auf den neuen Freund zu.

„Jetzt haut er mir doch noch eine rein!" durchfuhr es diesen. „Oder fordert mich!" Er stand sehr aufrecht, erwartete den Angriff.

Stattdessen fiel ihm d'Artagnan um den Hals, umarmte ihn innig und drückte ihm auf beide Wangen einen Bruderkuss.

„Was...was wird das?" stammelte der andere.

„Danke, mein Freund! Danke! Ihr hättet mich auch ins Verderben laufen lassen können, aber Ihr habt mich davon abgehalten. Daher verzeihe ich Euch Eure Indiskretion!"

„Na, so ein Glück aber auch!" murmelte er, löste sich etwas verlegen aus der Umarmung und führte die kleine Gesellschaft zur Terrasse, wo der sonnige Nachmittag im Schatten des alten Walnußbaumes beschlossen werden konnte.