Die Liebeshändel des Abbé d'Herblay von Dogtanianette
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 5 BewertungenKapitel Regentage im Leben
Aramis erwachte mit Kopfschmerzen an diesem Morgen. Und äußerst missgestimmt. Ein prüfender Blick aus dem Fenster trug nicht gerade zur Verbesserung seiner Laune bei. Der Himmel war grau in grau und Regen trommelte unaufhörlich gegen die Scheibe.
Nach einer Weile erhob sich der Abbé gähnend von seiner komfortablen Bettstatt und schlüpfte in seine Samtpantoffeln. Noch im Nachtgewand, das reich mit Spitzen und Rüschen verziert war, tappte er langsam zum Fenster und sah hinaus.
Das Jesuitenkloster von Noisy war auf einer Anhöhe am Rande der Stadt erbaut worden, von der man weit über das Land sehen konnte. Von hier aus ließ sich bei sonnigem Wetter die kleine Stadt mit ihren Gehöften, Fachwerkhäusern, Giebeldächern, engen Straßen und Türmen wunderbar überblicken.
Heute allerdings goss es wie aus Kübeln und Nebel zog in Schwaden über das Schloss des Erzbischofs hin und legte sich wie eine Decke drückend über Noisy-le-Sec. Auch die Morgensonne ließ ihre wohltuenden Strahlen vermissen und dunkle Wolken zogen unaufhörlich über den Himmel.
"Bei diesem Wetter würde man normalerweise nicht einmal einen Hund vor die Tür jagen!" murmelte der Abbé übellaunig. "Sollte der Himmel selbst mir heute zu Hilfe kommen?" Doch rasch verwarf er diesen Gedanken wieder. Es war sinnlos, sich selbst etwas vorzumachen. Er würde das Kloster heute verlassen, wie schlecht das Wetter auch sein mochte. Daran führte kein Weg vorbei.
An diesem denkwürdigen Tage sollte ja das große Mysterien-Schauspiel auf dem Marktplatz von Noisy aufgeführt werden, und zwar von den würdigen Jesuitenpatres persönlich.
"Es ist also wieder soweit"seufzte Aramis ergeben. "Die Theatermaschine wird angeworfen!" Der Abbé wandte sich vom Fenster ab, durchschritt rasch den Raum und ließ sich in einen eleganten Sessel fallen. Er dachte mit Unbehagen an den vor ihm liegenden Tag, den es nun durchzustehen galt.
Er konnte sich denken, welcher seiner Mitbrüder auf die glorreiche Idee gekommen war, ihn als Engel verkleidet aus großer Höhe an einer Leine auf die Bühne schweben zu lassen. Direkt nach ihm war dann das große Feuerwerk an der Reihe.
Seine Kopfschmerzen verstärkten sich. Als hätte er nicht schon genug Sorgen gehabt, jetzt hatte er auch noch für eine völlig überflüssige Sache zu funktionieren. Doch ein reibungsloser Ablauf musste in jedem Fall gewährleistet werden. In Sachen Disziplin verstanden seine Ordensbrüder keinen Spaß! Er wollte nicht noch eine weitere Disziplinierungsmaßnahme heraufbeschwören. Die Flugeinlage an der Leine genügte ihm vollkommen. Also zurück zum Ablauf!
Nach dem Mysterien-Schauspiel würde es einen rituellen Umzug - eine feierliche Prozession von Noisy aus auf das freie Land- geben. Mit dem Ziel dieses zu segnen und zu heiligen. Entlang der Strecke würden dann immer wieder kleine biblische Episoden aufgeführt werden. Er selbst - Aramis- war hier für die Rolle eines Pharisäers vorgesehen. Jedes Mitglied des Ordens hatte seine Rolle mit Begeisterung und Überzeugungskraft zu spielen. Das wichtigste Ziel war es, die Menge zu bewegen. Es galt, Herzen zu gewinnen und Seelen zu retten.
"Der Weg der Bekehrung" murmelte der Abbé mit einem seltsamen Lächeln. Er betrachtete eine Weile versonnen seine schönen weißen Hände mit den langen schlanken Fingern. Dann wanderte sein Blick weiter zur Wand und seine schwarzen Augen starrten gebannt auf die Mauern, die sein Zimmer umgaben.
Es war ihm, als könne er diese mit der Kraft seiner Gedanken durchdringen, durch die Wände blicken, bis hinüber zu IHR. Er dachte an SIE - und an die Gefahr, in der sie beide nun schwebten. Sie mussten nun vorsichtig sein. Sehr vorsichtig!
Ein lautes Klopfen ließ Aramis erschrocken in die Höhe fahren. Besuch zu solch früher Stunde? Das konnte nichts Gutes bedeuten. Ärgerlich erhob sich der Abbé aus seiner bequemen Lage. Er streifte sich schnell seinen violetten Morgenrock über und ging dann mit resoluten Schritten zur Tür. Sollte es abermals dieser Unverschämte sein?? Mit Schwung öffnete Aramis die Tür. Draußen stand, mit einem boshaften Lächeln auf den dünnen Lippen, der Abbé de Worminger.
"Womit kann ich Euch dienen?" fragte Aramis kühl. "Ich muss gestehen, Ihr habt einen ziemlich unpassenden Zeitpunkt für Euren Besuch gewählt. Ihr tretet sehr früh auf den Plan an diesem Morgen!"
"Es tut mir furchtbar leid, Euch zu so früher Stunde stören zu müssen" entgegnete der Abbé mit dieser unglaublich leisen, schleppenden Stimme, die einen zur Weißglut treiben konnte, da sie einen zwang, ganz genau hinzuhören um überhaupt etwas zu verstehen.
"Unser Prior hat mich beauftragt, Euch davon in Kenntnis zu setzen, dass Ihr am heutigen Tage mit dem Verkauf unserer -ähem- Accessoires betraut werdet!" Mit diesen Worten griff er nach einem großen, neben ihm auf dem Boden stehenden Korb und reichte ihn Aramis mit einer Verbeugung. "Voilà Monsieur- hier ist eine kleine Auswahl des zur Verfügung stehenden Plunders. Der ganze Rest befindet sich- wie Ihr ja wisst- in unserem Kellergewölbe. Ich bin sicher, Ihr werdet Eure Aufgabe glänzend erfüllen!"
Aramis nahm den Korb unwillig entgegen und sah hinein. Er enthielt das Übliche: Heiligenbildchen, Rosenkränze, kleine Ablass-Medaillons....
"Wie kommt der Abt dazu, ausgerechnet mich mit dieser -hmmm- ehrenvollen Aufgabe zu betrauen?" fragte Aramis und sah dem anderen dabei fest in die mausgrauen Augen. Dann machte er einen Schritt auf de Worminger zu und seine Stimme wurde schneidend:
"Soweit ich unterrichtet bin, wart Ihr doch für den Verkauf dieser Sachen vorgesehen! Oder täusche ich mich da?" De Worminger lächelte und rieb die Handflächen gegeneinander. "Ich habe dem ehrwürdigen Abt anvertraut, dass es mir meine sehr angegriffene Gesundheit nicht erlaubt, bei diesem nasskalten Wetter den ganzen Tag über meinen Dienst zu versehen." Das Lächeln wurde noch eine Spur freundlicher. "Des Weiteren" fuhr er mit salbungsvoller Stimme fort "habe ich ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass Ihr- der Abbé d'Herblay- Euch angeboten habt, diesen ehrenvollen Dienst für mich zu übernehmen, da Ihr mir gegenüber eine tiefe Verbundenheit und...Freundschaft empfindet." Und er sah ihn mit diesen kleinen, stechenden Augen lauernd an. "Das tut Ihr doch, nicht wahr?"
Aramis biss sich vor Wut auf die Lippen und wandte sich schnell von dem anderen ab. Er durchschritt hastig sein Zimmer und riss unsanft das Fenster auf.
Regen klatschte ihm ins Gesicht und der Wind zerzauste seine schwarzen Locken mit Macht. Seine Fäuste umschlossen das Fenstersims so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Kapitel Im Glockenturm
Der Abbé d'Herblay stand hoch oben im Glockenturm der Kirche von Noisy, die sich majestätisch am Rande des kleinen, quadratischen Marktplatzes erhob.
Er trug bereits seine großen, goldenen Flügel, die mit Hilfe eines soliden Ledergurtes an seinem Körper befestigt worden waren. Gesicht und Hände waren gleichfalls in dem selben Goldton geschminkt. Über seinen schwarzen Locken schwebte gar zierlich ein Hauch von Heiligenschein.
Dem sonst doch so unerschrockenen Abbé war es recht elend zu Mute und er fühlte zu seinem großen Ärger, wie seine Beine versagten. Das hübsche Gesicht des Priesters hatte den Ton von Alabaster angenommen und er biss sich krampfhaft auf die Unterlippe, um sie am Zittern zu hindern. Niemand sollte seine Angst sehen! Das ließ sein Stolz nicht zu. Er musste sich ermannen.
Entschlossen schleppte sich Aramis darum mit weichen Knien und zusammengebissenen Zähnen zum Fenster, beugte sich ein Stück hinaus und sah nach unten. Doch sogleich erfasste ihn Schwindel und er zog sich rasch wieder ins Innere des Turmes zurück. Er lehnte sich erschöpft gegen die Mauer und schloss für einen Moment die Augen. "Ist alles in Ordnung, Herr?" fragte einer der zwei jungen Burschen, die ihn im Auftrag der Brüder vom Turm herunterlassen sollten. "Natürlich!" führ der Abbé ihn ärgerlich an und öffnete schleunigst wieder die Augen. Schweiß stand ihm auf der Stirn. "Ich sammelte lediglich meine Kräfte für diese wichtige Aufgabe und sprach ein kleines Gebet. Ist alles bereit?" "Ja, es sollte nun halten, Herr Abbé" erwiderte der rothaarige junge Mann mit einem breiten Grinsen. "Na großartig!" blaffte Aramis und verzog das Gesicht. "Nun denn, schreiten wir zur Tat!"
Wieder trat der Abbé beherzt zum Fenster. Er durfte vor diesem grünen Jungen jetzt keine Schwäche mehr zeigen. Erneut sah er hinab, vermied es aber sorgsam, sich noch einmal so weit wie eben hinauszulehnen. Tief, tief unter sich gewahrte er den Marktplatz von Noisy le Sec, der schwarz vor Menschen war. Klein wie Ameisen kamen sie ihm vor. Sie umstanden dicht gedrängt die große Tribüne der Jesuiten, die neben dem Marktbrunnen aufgebaut worden war und einen prächtigen Anblick bot.
Ein am Querriegel des Turmfensterkreuzes befestigtes Seil war stetig abwärts führend über den Marktplatz gespannt worden. Das andere Ende hatte man sorgfältig an einem Gerüst am Ende der großen Theaterbühne angebunden, welches jedoch durch einen schwarzen Vorhang fast vollständig verborgen blieb. Die Menge sah gebannt auf den Prediger, eine winzige, fleischfarbene Puppe in einer schwarzen Soutane. Plötzlich hob der Mann beide Arme zum Himmel und eine Trommel ertönte. Auf einmal erstarb jedes Geräusch auf dem Platz. Aramis drehte sich zu den beiden wartenden Burschen um. Jetzt musste alles schnell gehen. In Kürze würden sie unten das Zeichen geben! Auf Aramis' Anweisung hin, setzte einer der jungen Männer nun eine Rolle auf das Seil, die an der Unterseite eine Art Haken aufwies. Diesen befestigte er sogleich an Aramis' Flügeln, an denen zu diesem Zwecke auf der Rückseite ein kleiner Ring angebracht worden war. An dieser Konstruktion wurde nun eine Leine angebracht, die der Rothaarige gleich in der Hand behielt. Sein Gehilfe nahm das Seil ebenfalls zwischen seine kräftigen Fäuste.
Der Abbé kletterte nun auf das Fenstersims und ließ sich durch das Gitter aus dem Fenster gleiten, wobei er sich krampfhaft am Stabwerk festklammerte. Als er endlich,beide Beine über dem Abgrund baumelnd, auf der Sohlbank saß, schloss er schaudernd die Augen. Ihm war übel. Aramis drehte sich nun noch einmal zu seinen Helfern um und sprach:" Es ist soweit. Seht zu, dass ihr mich langsam hinunterlasst. Ich soll schweben und nicht wie ein Stein zur Erde fallen!"
"Seid unbesorgt, Herr Abbé, Ihr werdet mit uns zufrieden sein." kam es selbstsicher zurück. "Das hoffe ich!" murmelte Aramis sauertöpfisch vor sich hin. Er sah die beiden noch einmal scharf aus schwarzen Augen an: "Und ihr habt das schon einmal gemacht,ja?" "Oh gewiss, gnädiger Herr" erwiderte der Rothaarige eifrig. "Erst letztes Jahr hatten wir die Ehre, dem Herrn Abbé Cartier behilflich zu sein!" Aramis nickte errötend. Er erinnerte sich nun an den kugelrunden Abbé, den man- da sich kein Freiwilliger gefunden hatte- für diesen Zweck extra aus einem anderen Kloster geholt hatte. Der bedauernswerte Bruder hatte sich dort eine Konkubine im Stall gehalten und Begierde war eben keine Zierde. "Nun denn"sprach Aramis mit seltsam belegter Stimme und räusperte sich verlegen."Zieht an und wehe euch wenn ihr loslasst! In diesem Moment stieg eine Signalrakete zum Himmel auf. Nun gab es kein Zurück mehr! Nachdem sich der Priester noch einmal davon überzeugt hatte, dass die jungen Leute das Seil straff angezogen hatten, spannte er alle Muskeln an, so als gelte es, ein Duell zu bestreiten. Dann rutschte Aramis mit einem tiefen Seufzer über die nach unten geneigte Außenfensterbank nach vorne. In diesem Augenblick glaubte er zu sterben! Als er dann so völlig losgelöst zwischen Himmel und Erde an der hin- und herschwingenden Leine baumelte, verging ihm für eine Weile Hören und Sehen. Doch als das Pendeln sich gelegt hatte und er sich zu seiner großen Verwunderung noch am Leben befand, öffnete er vorsichtig wieder die Augen. Unter ihm gähnte der Abgrund. Die Höhe war geradezu niederschmetternd. Doch zum Glück währte dieser Zustand nicht allzu lange und er verlor nach und nach immer mehr an Höhe. Schon schien die Welt dort unten nicht mehr ganz so klein zu sein. Immer näher kam der Marktplatz und die Dinge nahmen nach und nach immer klarere Konturen an. Nach einer Weile erkannte Aramis bereits Details. Schließlich konnte er sogar einzelne Gesichter ausmachen. die Menge starrte ihm entgegen und Schrecken spiegelte sich auf vielen Mienen. Irgendwie erfüllte ihn das mit Befriedigung! Ein Mann stach besonders aus der Menge hervor, da er die anderen um mehr als einen Kopf überragte. Plötzlich blinzelte Aramis überracht. Er kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können. Dieser Mann hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit seinem alten Freund Porthos! Doch das konnte ja nicht sein. Was sollte Porthos hier zu suchen haben? Der saß doch in seinem Schloss Pierrefonds und wurde allmählich immer beleibter über seinen Schmäusen. Und dennoch sah der Mann ganz genau wie Porthos aus. Er blickte ebenfalls sehr erstaunt zu ihm hoch und schien ihn gleichfalls zu erkennen. Ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf. Es gab nun für Aramis keinen Zweifel mehr-es war Porthos. Plötzlich zuckte es verdächtig um die Mundwinkel des Riesen. Aramis war sich bewusst, dass er in den Augen seines Freundes einen höchst lächerlichen Anblick bieten musste. 'Das wird mir ja ewig nachhängen!' dachte er gerade, als seine Aufmerksamkeit plötzlich von Porthos abgelenkt und von etwas Anderem, höchst Unerfreulichem, in Anspruch genommen wurde. Das Seil, an dem er hing, hatte auf einmal bedenklich zu schwanken begonnen. Der Abbé sah nach oben, wollte schreien, doch vor Entsetzen versagte ihm die Stimme. Im selben Moment fiel er auch schon in die Tiefe und die Erde raste auf ihn zu. Die Höhe war ja immer noch beachtlich. Hart schlug Aramis neben der Tribüne auf. Als er so auf der Erde lag und ihm allmählich die Sinne schwanden, dachte er absurderweise noch, dass ein gefallender Engel nun wirklich kein gutes Aushängeschild für den Orden sei. Wie zum Hohn hörte er noch ein ohrenbetäubendes Brausen, als das Feuerwerk gezündet wurde. Menschen schrien in Panik durcheinander. Dann umfing in tiefe Dunkelheit und es wurde still.
Als Aramis wieder zu sich kam, lag er im feuchten Gras. Alles tat ihm weh. Jeder Atemzug, jede Bewegung! Als er langsam die Augen öffnete, erblickte er direkt über sich de Worminger. Entsetzt wollte er aufspringen aber rasende Kopfschmerzen ließen ihn sofort wieder zurücksinken. Er konnte sich kaum rühren. Was war nur geschehen? "Bewegt Euch nicht!" flüssterte De Worminger heiser. "Ihr könnt froh sein, dass ihr noch lebt. Wir sahen uns genötigt, Euch wegen der aufgeregten Menge rasch vom Ort Eures Missvergnügens zu entfernen. Hier seid Ihr in Sicherheit." Aramis versuchte wieder, sich aufzurichten, doch eine erneute Schmerzenswelle überrollte ihn. Zudem kniete Worminger unmittelbar über ihm und drückte seinen Körper nach unten. "Ich werde Euch den Gürtel lockern, dann werdet Ihr Euch besser fühlen" raunte er ihm zu. Aramis verzog angewidert das Gesicht, was ebenfalls weh tat. Er sah Worminger scharf an:"Und wie werdet Ihr Euch dann fühlen?" Er hatte erst jetzt bemerkt, dass seine Flügel entfernt worden waren und sein Hemd halb offen stand. "Nehmt Eure dreckigen Pfoten von mir!" schrie Aramis aufgebracht und versuchte verzweifelt, sich aus dieser unerfreulichen Lage zu befreien. Doch seine Verletzungen machten ihn in diesem Augenblick einigermaßen wehrlos. Er war dem anderen ausgeliefert, auf Gedeih und Verderb! Panik stieg in ihm hoch. "Ihr wolltet mich umbringen! Habt Ihr den Verstand verloren?" rief Aramis in höchster Aufregung. Worminger brachte sein Gesicht ganz nahe an das von Aramis und ließ eine Hand auf dessen entblößte Brust herunterwandern. "Mit Eurem Unfall habe ich nichts zu tun mein Lieber. Ich würde ihn aber als glücklichen Zufall für mich verbuchen!" "Ihr lügt. Ihr habt das Seil manipuliert oder diese Burschen bestochen. Gesteht es nur!" schrie der Abbé auf seiner Meinung beharrend. De Worminger lachte rau auf. "Warum sollte ich unser kleines Abkommen so abrupt beenden? Es gefällt mir gerade viel zu gut Euch springen zu sehen, wenn ich pfeife! Ich beiße nicht die Hand, die mich füttert, d'Herblay...." "Aber wer hat dann" fiel Aramis wieder ein, wurde jedoch von Worminger unwirsch unterbrochen. "Ich weiß es nicht! Zerbrecht Euch datüber nicht Euren hübschen Kopf, ihr braucht ihn noch. Später wird sich ein Arzt Eure Blessuren ansehen. Viel später....." Aramis begann um Hilfe zu rufen. Es war das Einzige, was er noch tun konnte, obwohl es entwürdigend war. "Es wird Euch niemand hören" versetzte Worminger. "Es sind nur meine Leute in der Nähe, also spart Euch das. Und jetzt...."
Der Schlag kam schnell und unerwartet. Worminger gab ein ächzendes Geräusch von sich und riss die Augen auf. Dann sank er in sich zusammen und fiel mit seinem ganzen Gewicht auf Aramis. Angewidert drehte dieser den Kopf zur Seite. Doch schon erschien ein neues-ihm höchst vertrautes- Gesicht in seinem Blickfeld. Nie war es ihm so schön erschienen, wie in diesem Augenblick!
Porthos zog Worminger von seinem Freund herunter. "Es scheint, als sei ich gerade im richtigen Moment gekommen" sagte er und kniete sich neben seinem Freund ins Gras."Euch schickt der Himmel, Freund Porthos!", krächzte Aramis mit vor Erleichterung überkippender Stimme. "Welches Glück Euch zu sehen!"
Porthos zwinkerte ihm aufmunternd zu. "Ich habe gesehen, wie die beiden Padres Euch weggetragen haben. Durch die völlig verrückt spielende Menge konnte ich ja leider nicht gleich bis zu euch vordringen. Ich bin euch dann gefolgt. Es kam mir seltsam vor, dass sie den Weg zum Park einschlugen, statt Euch in ein Haus zu bringen. Am Schlossparktor stellten sich mir auf einmal zwei seltsame Gestalten in den Weg. Ich musste sie erst auf meine Art davon überzeugen, mich durchzulassen! Durch dieses kleine Intermezzo habe ich dann kurz eure Spur verloren, aber dann hörte ich Euch rufen und hier bin ich. Sagt, könnt Ihr Euch bewegen?" "Bewegen Porthos?" rief Aramis freudlos aus. "Ich kann kaum zwinkern!" "Nun, dann werde ich Euch tragen. Ihr müsst sofort zu einem Arzt." Porthos hob Aramis mühelos vom Boden auf und sie entfernten sich langsam von diesem unerfreulichen Ort. Worminger ließen sie auf Aramis Bitten hin einfach auf dem Rasen liegen. "Der wacht schon wieder auf" meinte Porthos gelassen. "Ich habe nicht sehr fest zugeschlagen,schließlich ist er ein Mann der Kirche, auch wenn er sich nicht so benimmt".
Sie näherten sich den ersten Häusern. "Sagt, Freund" hub Porthos nach einer Weile wieder zu sprechen an "was wollte denn der Padre genau von euch? Wollte er euch -ähem- die letzte Ölung erteilen?"
Aramis, der seinen Kopf erschöpft an die Schulter seines großen Freundes gelehnt hatte, musste trotz seiner Schmerzen lachen. "Ich glaube, dass Ihr den tieferen Grund seines Handelns gar nicht wissen wollt!"
Porthos trug seinen alten Freund bis zum Gasthof "Zum halben Hähnchen". "Macht Euch keine Gedanken mein Freund. Wir werden Euch schon wieder hinkriegen. Wir sorgen jetzt erstmal für Euch".
"Ihr sprecht von Euch in der dritten Person wie seine Majestät der König es zu tun pflegt, Porthos?" fragte Aramis verwirrt. "Oh, mir scheint, Ihr seid sehr stolz geworden. Nun, das wird wohl an Eurer neuen Würde als Schlossbesitzer liegen,wie?" "Mein lieber Aramis" entgegnete Porthos und zog die Augenbrauen hoch "wenn ich von wir rede, dann meine ich damit auch wir, nämlich Athos und mich!" "Athos ist hier?" rief Aramis überrascht. "Aber wie kann das sein?" "Nun, er erwartet mich oben im Gasthof. Und er wird entzückt sein, wenn ich Euch gleich mitbringe! Wir wollten Euch eigentlich erst morgen aufsuchen. "Aber was treibt euch beide denn nach Noisy?" fragte Aramis verwundert. "Nun, Ihr seid der Grund. Wir wollten Euch besuchen. Euer letzter Brief klang doch recht traurig. Und da Ihr sonst nicht zu Sentimentalitäten neigt, beschlossen wir, nach Euch zu sehen!"
Aramis kam das alles wie ein Traum vor. Schon bald würde er aufwachen, und sich wieder in seiner Klosterzelle befinden. Doch bis es soweit war, wollte er die Zeit mit seinen alten Feunden erst noch von Herzen genießen!
Kapitel Ein Abbé in spe
Sie saß allein in ihrem Boudoir, in tiefen Sorgen versunken. Sie hatte sich einen Lehnstuhl ans Fenster gerückt und sah versonnen hinaus auf den Park. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt, und die untergehende Sonne überzog den Boden ihres Zimmers noch einmal wehmütig mit ihren Strahlen, den Abschied verkündend. Die Luft war erfüllt von Rosenduft und dem Balsam der großen, alten Bäume. Die Nacht zog unaufhaltsam herauf. Eine weitere Nacht ohne den Geliebten. Wo mochte Aramis jetzt sein? Sie hatte ihn oft so genannt, wenn sie zusammen waren. Es war sein Name bei den Musketieren gewesen. Doch ein Teil von ihm würde immer Aramis bleiben.Sie liebte ihn bisweilen so sehr, dass es schmerzte. Er war alles für sie. Warum hatte er ihr nicht geschrieben wie sonst? Wie oft war sie heute schon im Schlosspark spazieren gegangen! Doch in dem Hohlraum der alten Linde hatte sich kein Brief ihres Liebsten befunden. Hatte dieser Mesner etwas damit zu tun? Hatte er sich vielleicht eines ungeliebten Auftrages entledigt? Keine Nachricht von Aramis. Die teuren, so stark herbeigesehnten Worte. Der Trost, der aus den in dieser vertrauten, zierlichen Handschrift geschriebenen Zeilen sprach. Es waren nur Worte auf Papier, aber es war besser als nichts. Die Briefe halfen ihr, die Zeit zu überstehen, bis sie sich wieder sehen konnten. Sie dachte an ihr letztes Rendezvous. An die gestohlenen Stunden im Park. Er hatte ihr gehört, nur ihr allein mit Leib und Seele. Ihr schöner Edelmann mit den schwarzen Augen. Sie hielten sich eng umschlungen bis der Morgen graute. Als der Tag anbrach, war er fort gegangen. Zurück in das Kloster, so wie immer. Seit der alte Herzog von Longueville, ihr Gatte, wieder im Schlosse weilte, konnten sie sich nur noch unter erschwerten Bedingungen sehen. Doch das sollte sie nicht abhalten! Sie würden Mittel und vor allem Wege finden. Auf diesem Gebiet war ihr schöner Geliebter sehr erfinderisch. Als die junge Frau an die Strickleiter dachte, musste sie trotz ihrer Sorgen lächeln. Wie hatte der gute René sich abgemüht, um zu ihr zu gelangen! Auch was das Bäumeklettern betraf, konnte er mittlerweile einem Eichhörnchen Konkurrenz machen. Und dennoch hatte sie seit einiger Zeit dieses seltsame Gefühl, dass etwas Schlimmes geschehen würde. Etwas stimmte nicht, sie konnte es spüren aber nicht benennen. Sie waren beide in Gefahr! Ihre Liebe war eine gestohlene Liebe. Ob sie schon bald für diese Liebe bezahlen musste? Eines Tages würden sie sie finden. Sie hatten sich schuldig gemacht, und die junge Frau wusste, dass ihr Handeln falsch war, doch ihre Liebe war wie ein verzehrendes Feuer und niemand war in der Lage, diese Flammen zu ersticken. Mochten sie auch am Morgen ihre Aschen herauskehren! Heute waren sie am Leben, sie waren jung und einfallsreich und Meister im Verdrängen ihrer Sünden. Wie ging Aramis mit der Schuld um? Konnte er damit besser leben als sie? Er war Abbé und hatte die Weihen empfangen. Er hatte geschworen, der Welt zu entsagen und ein Leben in Demut und Askese zu führen. Fühlte er sich seines Glaubens so wenig verpflichtet? Würde er sich dann ihr auf ewig verpflichtet fühlen? Aramis war ein Freigeist, der immer in erster Linie sich selbst gehören würde. Er liebte sie, daran bestand für sie kein Zweifel. Er begehrte sie und schenkte ihr in glühenden Nächten mehr, als sie je zu hoffen gewagt hätte. Doch würde es auch morgen so sein? Würde sie immer die Einzige für ihn bleiben? Er hatte schon vielen Frauen Lebewohl gesagt, das wusste sie. Er war wie das Wetter, genauso unbeständig. Und er war zu schön, viel zu schön. Sie liebte sein sanftes, fein geschnittenes Gesicht mit den großen, dunklen, von langen Wimpern umrahmten Augen, seinen zerbrechlichen, alabasterweißen Körper, die filigran geschwungene Form seiner Lippen und das weiche, duftende Haar, das ihm natürlich gewellt über die Schultern fiel. Wenn er schlief, glich er nicht mehr dem Soldaten. Wenn die Anspannung des Tages von ihm abfiel, ging eine Veränderung mit ihm vor, die sie immer wieder aufs Neue berührte. Weich und verletzlich kam er ihr in solchen Augenblicken vor. Ewig konnte sie dann so dasitzen und seinen Schlaf bewachen. Sie waren dazu gezwungen, ein Leben am Rande des Abgrundes zu führen, das sie so nicht wollten. Ein Leben in den Schatten, am dunklen Ende der Straße. Ein Leben in Angst, Hast und Hoffnung, ständig auf der Suche nach verborgenen Winkeln. Ein trauriges Dasein, doch Aramis war jedes Opfer wert. Doch eines Tages würden sie sie finden! Sie fröstelte unwillkürlich, erhob sich und schloss das Fenster. Mittlerweile war es draußen stockfinster geworden. Im Raum brannten Wachskerzen und verbreiteten ein gespenstisches Dämmerlicht. Plötzlich verzog die Herzogin schmerzvoll das Gesicht. Schon seit heute Morgen ging es ihr nicht gut. eine regelmäßig wiederkehrende Übelkeit war seit Tagen ihr lästiger Begleiter. Die junge Frau setzte sich, das Unwohlsein so gut es eben ging ignorierend, energisch an ihren Frisiertisch. Sie öffnete ihr Haar und begann, die langen, goldenen Flechten zu kämmen. Nach einer Weile ließ sie die Haarbürste sinken und betrachtete ihr trauriges, blasses Gesicht im Spiegel. Was sollte nun werden? Ihr Gatte, der Herzog, durfte nie erfahren, dass sie das Kind eines anderen unter ihrem Herzen trug. Es drohte die Verbannung oder Schlimmeres. Man würde sie beide mit unerbittlichem Hass verfolgen. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, von René getrennt zu werden. Das durfte nie und nimmer geschehen!
"Nein, nein und nochmals nein!" gellte es an ihre Ohren. "Athos, Porthos- nie seid ihr da wenn man euch braucht!" Athos öffnete hastig die Tür zum Krankenzimmer und stürzte in den Raum, dicht gefolgt von Porthos, der, ein großes Stück Schinken in der Hand, mit vollen Backen kaute. Aramis saß mit einem dicken Kopfverband im Bett. Neben ihm stand mit beleidigter Miene der Arzt. "Könntet ihr diesem Herrn bitte klar machen, dass ich kein Klistier wünsche!" wetterte der Abbé. "Aber mein Herr" verteidigte sich der Arzt empört "warum zischt Ihr über wie Fett in der heißen Pfanne? So ein aufweichendes Klistier durchfeuchtet ganz wunderbar das Gedärm. Es erfrischt den müden Geist und..." "Ja,ja, vielleicht schärft es auch noch Euren stumpfen Verstand, es ist mir einerlei- ich will nicht!" unterbrach ihn Aramis unwirsch und ganz seine guten Manieren vergessend. "Aber mein Herr..." beharrte der Doktor "Kein aber! Mir tut der Kopf weh, Arme und Beine brennen wie Feuer! Wozu also ein Klistier? Hinaus mit ihm!" "Ich verbiete mir diesen Ton, mein Herr!" erwiderte der Mediziner pikiert. "So ein schönes, belebendes Klistier hat noch niemand geschadet!" "Dann verabreicht es Euch doch selbst, elender Quacksalber und lasst mir meine Ruhe" giftete Aramis zurück. Als der Arzt zu einer Retourkutsche ansetzte, ergriff Athos schnell das Wort:" Was fehlt unserem Freund denn nun eigentlich?" "Ja, zum Henker" versetzte Porthos "das würde mich auch interessieren!" "Nun," begann der Arzt wichtig und rückte seine Brille zurecht "außer einer starken Gehirnerschütterung, die nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte, ist sein rechtes Bein stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich rate daher sehr davon ab, es in den nächsten Tagen auch nur im Geringsten zu belasten. Absolute Bettruhe ist unerlässlich und für den Genesungsprozess zwingend erforderlich. Erst nach dieser Frist werden wir sehen, ob es sich nur um eine starke Verstauchung handelt, oder ob etwas gebrochen ist. In diesem Fall bin auch ich mit meinem Latein am Ende...doch vielleicht haben wir Glück!" "Das ist alles? Mehr könnt Ihr nicht für ihn tun?" fragte Porthos erstaunt. "Bedaure" entgegnete der Arzt und machte ein Gesicht, als ob er ein Pfund Zitronen gegessen hätte. "Der Herr muss sein Bein ruhig halten und brav im Bett liegen bleiben. Das macht fünfzig Franken!" "So viel? Für was denn?" empörte sich der unbequeme Patient. "Für was denn, für was denn" echote der Arzt "für meine Arbeit natürlich!" Der Mediziner war nun wirklich schwer beleidigt und fühlte sich in seiner Berufsehre zutiefst gekränkt. Die hohe Rechnung war seine Rache an diesen Ignoranten. Unsere Freunde waren allerdings viel zu bestürzt, um sich lange über den völlig überhöhten Preis aufzuregen. Athos bezahlte die verlangte Summe und der Herr Doktor verabschiedete sich mit dem Versprechen, in drei Wochen wieder nach Aramis zu sehen.Als der Arzt mit hoch erhobenem Kopf hinausgerauscht war, herrschte betretene Stille im Raum. Mit einem möglicherweise gebrochenen Bein war in jenen Zeiten nicht zu spaßen! Athos und Porthos nahmen sich Stühle und setzten sich zu Aramis ans Bett. Während der Arzt Aramis untersuchte hatte, hatte Porthos dem Grafen von La Fère bei einem reichlichen Frühstück noch einmal ausführlich berichtet, was auf dem Marktplatz und im Schlosspark vorgefallen war. "Ich kann immer noch nicht glauben, dass man mich ermorden wollte!" brach Aramis als Erster das Schweigen. "Aber es muss jemand die Leine manipuliert haben. Es wird dieser rothaarige Bursche gewesen sein. Er kam mir gleich so seltsam vor. Aber wer war sein Auftraggeber?" "Könnte es nicht der Kerl aus dem Park gewesen sein? Der, vor dem ich Euch gerettet habe? Der verderbte Abbé?" fragte Porthos. "Nein, Worminger war es nicht. Er braucht mich! Er ist hinter ein äh Geheimnis gekommen, mit dem er mich erpresst. Ich bin nützlich für ihn. Warum sollte er diese Situation beenden?" "Aber er hat nichts getan, um Euch nach Eurem Unfall zu helfen! Er hat Euch in den Park geschleppt und hätte Euren Tod billigend in Kauf genommen!" rief Porthos empört aus. "Worminger war in diesem Moment nur das Opfer seiner niedrigen Triebe." entgegnete Aramis mit ruhiger Stimme. "Der infame Schurke hat die Gunst der Stunde genutzt. Ich glaube, er hat in diesem Moment nicht an die Folgen gedacht. Er ist ein Aas, das keine Skrupel kennt, aber er ist nicht das Hauptproblem! Ich habe noch weitaus gefährlichere Feinde im Kloster!" "Was sagt Ihr da Aramis?" fragte Athos und blickte seinen Freund beunruhigt an. "Die Wahrheit lieber Athos" kam es düster zurück. "Mann stellt mir schon lange nach und es wurden immer wieder Anschläge auf mich verübt. Angefangen hat alles mit harmlosen Streichen: Abführmittel in der Suppe, Brennesseln und Diesteln im Bett, Verleumdungen die Abstrafungen von Seiten des Ordens zur Folge hatten und dergleichen mehr. Dann immer wieder Wormingers Schickanen. Er schwärzt mich bei jedem noch so kleinen Regelverstoß beim Prior an. Ich muss unglaublich vorsichtig sein, denn die Padres verstehen es zu strafen! Ich habe ohnehin das Gefühl, dass der Prior mich auf dem Kieker hat. Naja, wie auch immer. Dann kamen diese Drohbriefe. Eines Abends als ich müde in meine Zelle zurück kam, steckte ein blutverschmierter Dolch in der Wand, direkt über meiner Bettstatt! Auf einem kleinen Zettel standen die wenig originellen Worte 'Noch steckt der Dolch in der Wand!." "Pfui, was für ein makaberer Scherz!" rief Porthos empört aus. "Allerdings" pflichtete Aramis ihm trocken bei. "Doch es geht noch weiter! Vor etwa zehn Tagen war jemand nachts vor meiner Tür. Ich war zum Glück noch wach, da ich an einer Predigt feilte, die ich dem Abbé Renard versprochen hatte. Im Schein meiner Kerze sah ich, wie langsam die Türklinke heruntergedrückt wurde. 'Wer da?' rief ich dummerweise in meiner Überraschung und daraufhin hörte ich draussen Schritte, die sich schnell entfernten. Ich sprang aus dem Bett und rannte zur Tür, ich trat hinaus auf den Gang aber es war niemand mehr zu sehen. Der Unbekannte hatte das Hasenpanier ergriffen und war in der Dunkelheit des Korridors untergetaucht. In der folgenden Nacht wiederholte sich das Ganze und die Tür öffnete sich zu meinem Schreck einen Spalt breit und ich nahm einen Schatten war, der sogleich wieder verschwand. Der Besucher wurde wohl durch den Lichtschein gestört und zog sich daraufhin schnell zurück. Auch diesmal war er sofort wie vom Erdboden verschwunden, verschluckt von der Dunkelheit des Ganges. In der dritten Nacht nun, legte ich mich auf die Lauer, aber der Schurke tat mir leider nicht den Gefallen, sich auf frischer Tat ertappen zu lassen und tauchte diesmal nicht auf." Athos hatte dem Bericht des Freundes mit wachsender Besorgnis gelauscht. Er beugte sich zu Aramis vor und fragte leise:"Könnte es sich bei dem nächtlichen Besucher nicht doch um Worminger gehandelt haben?" "Das würde die Sache sehr vereinfachen" seufzte Aramis. "Leider weilte Worminger zu dieser Zeit nicht im Kloster, da er wegen Familienangelegenheiten für fünf Tage beurlaubt worden war. Ergo- er kann es nicht gewesen sein! Auch die Drohbriefe trugen nicht seine Handschrift, die würde ich erkennen.Seither" gestand der Abbé mit Bitterkeit in der Stimme "schlafe ich nur noch mit einem Dolch unter meinem Kissen und dem Degen am Bett und- wie ihr euch denken könnt-äußerst schlecht! Und nun dieser feige Mordanschlag! Ich bin nicht mehr sicher im Kloster....." Athos und Porthos sahen sich bestürzt an. "Freund, ihr könnt unmöglich dahin zurückkehren! In Eurem jetzigen Zustand werdet ihr Euren Verfolgern schutzlos ausgeliefert sein!" rief Athos, der noch ganz betäubt von dem Bericht des Freundes war. " Ja und dazu kommt noch erschwerend hinzu, dass die würdigen Padres meine Pflege selbst übernehmen werden" fuhr Aramis düster fort und seufzte. "Wir haben keine Dienstboten im Kloster und ich kann mir schon vorstellen, wer sich freiwillig melden wird! Ihr habt ja gesehen, wozu dieser Halunke Worminger fähig ist. Oh- mich graust es schon bei dem Gedanken! Dennoch, ich muss zurück. Ich kann das Kloster nicht so einfach verlassen. Der Orden ist alles was ich habe. Außerdem habe ich gewisse ähem- Verpflichtungen in der Gegend." "Ihr spracht vorher von einem Geheimnis, Aramis, mit dem Worminge Euch erpresst." sprach Athos mit ruhiger Stimme. "Worum handelt es sich dabei? Oder gehört das Geheimnis nicht Euch?" Aramis wurde rot bis hinter die Ohren. "Oh, bitte dringt nicht weiter in mich Athos!" wehrte er tödlich verlegen ab. "Jetzt ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Ihr werdet bei Zeiten schon noch alles erfahren! Wenn ich lange genug lebe, versteht sich!" setzte er mit einem zynischen Lächeln hinzu. Porthos war aufgesprungen. "Lasst mich Euch begleiten, Aramis!" rief er euphorisch und schlug dem Abbé kameradschaftlich auf die Schulter, worauf dieser schmerzvoll zusammenzuckte. Porthos bemerkte es in seinem Eifer nicht und schritt aufgeregt im Zimmer auf und ab. "Ich schleiche mich unbemerkt ins Kloster und leiste Euch dort Gesellschaft bis es Euch wieder besser geht!" fuhr er unbeirrt fort, seine Worte mit lebhaften Gesten begleitend. "Wenn jemand hereinkommt, verstecke ich mich im Wandschrank!" "Du vergisst," warf Aramis, sich die Schulter reibend, schnell ein "das wir im Kloster kaum Privatsphäre genießen! Da sich die Türen nicht abschließen lassen, könnte jederzeit ein ungebetener Gast unangemeldet hereinplatzen. Zudem werden unsere Zellen gegelmäßig durchsucht. Es ist eine Tatsache, die hier jedem bekannt ist. Niemand redet offen darüber, aber jeder weiß es." "Sie durchsuchen eure Zellen?" polterte Porthos los. "Das ist ja allerhand! Zu was soll das gut sein? Das ist ja wie in der Bastille..." "Nun"meinte Aramis und errötete leicht, wir hatten hier schon des öfteren ähem ungebetene Gäste und vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.Im übrigen hat man die Gastgeber mit grausamer und unerbittlicher Härte bestraft. Glaubt mir das, die Padres haben da ihre Methoden! Ihr seht also" schloss Aramis traurig und resigniert "Euer Plan, so gut er auch gemeint sein mag, ist keinesfalls durchführbar." "Gut" sprach Athos entschlossen "wir müssen folglich etwas anderes finden. Jetzt wäre D'Artagnan von Nutzen, da er immer die besten Ideen hat!" "Wie geht es ihm eigentlich?" fragte Aramis interessiert. "Habt ihr Nachrichten von ihm erhalten?" "Ich glaube nicht, dass er sich momentan in Paris aufhält" erklärte Athos. "Er hat nicht auf meinen letzten Brief geantwortet, den ich schon vor Monaten geschrieben habe." "Nun, er ist vielleicht sehr beschäftigt" entgegnete der Abbé leichthin. "Nein" widersprach Porthos sofort und mit Entschiedenheit. "Es ist nicht seine Art, ohne Grund damit aufzuhören, seinen Freunden zu schreiben!" Der Hieb saß und der Abbé d'Herblay kniff die Lippen zuammen und starrte verbissen vor sich hin. Athos rettete die Situation und fuhr schnell fort:"Gut, wie auch immer- wir müssen es eben ohne den Gascogner schaffen. Sagt Aramis" wandte er sich freundlich an den Jüngeren "wie steht es denn mit Besuchen hinter den Klostermauern aus? Dürft Ihr Besuch empfangen?" "Weltlicher Besuch ist uns nur in Ausnahmefällen gestattet" erwiederte der Abbé mit sanfter Stimme. "Und auch nur für kurze Zeit, höchstens ein Tag, keinesfalls mehr!" Plötzlich blitzte es in den sanften, dunklen Augen des Musketier-Priesters jäh auf. "Anders verhält es sich mit Mitgliedern des Ordens aus anderen Klöstern der Umgebung! Ihnen ist es sogar gestattet, sich für mehrere Tage im Kloster aufzuhalten. Wir haben hier für solche Gelegenheiten eine Gästekammer..." "Ihr meint...." "Ja, wir basteln uns einen Abbé!" erklärte Aramis mit einem breiten Grinsen. "Der Euch als Leibwächter im Kloster zur Verfügung steht!" schloss Athos und lachte. "Großartig, Aramis, Ihr seid wirklich der Weisheit voll!" "Gut! Ich hoffe nur, dass es eine Soutane in meiner Größe gibt!" meldete sich nun auch Porthos zu Wort und zwirbelte unternehmungslustig seinen Schnurrbart. "Na, einerlei, dann ist sie eben ein wenig eng um die Brust und eine Handbreit zu kurz. Das bezeugt Demut, nicht wahr?" "Je nun, mein Freund," warf Aramis mit skeptischem Blick ein "Euer Antrag ehrt Euch, aber ein Abbé muss Latein und Griechisch verstehen. Könnt Ihr das?" "Nun, ich gebe zu, dass meine Erzieher die scholastischen Studien etwas vernachlässigt haben, aber..." "Und was ist" versetzte Aramis offenbar wenig angetan "wenn man Euch in eine theologische Diskussion verwickeln will? Ihr werdet des öfteren mit den Brüdern alleine sein, da ich das Bett nicht verlassen darf. Sie debattieren oft und gerne!" "Nun, ich schon auch, aber nicht in lateinischer Sprache, zugegeben." räumte Porthos nun doch etwas nachdenklich geworden ein. "Ein Abbé" sprach Aramis geduldig weiter "muss zudem stets diskret und äußerst verschwiegen sein. Er spricht nur, wenn es nötig ist und ist ansonsten stumm, blind und taub!" "Stumm,blind und taub meint Ihr?" fragte Porthos und kratzte sich am Kopf. "Zudem Porthos" schloss sich nun auch Athos an, "seid mir nicht böse, aber den Abbé nimmt Euch keiner ab! Mit Eurem Gardemaß wird man kein Kirchenmann, sondern sucht sein Glück auf den Heerstraßen! Wer hätte schon jemals so einen riesengroßen Abbé gesehen?" "Zudem" bemerkte Aramis mit einem feinen Lächeln "ist das Essen im Kloster absolut ungenießbar und Ihr werdet keinen Sonderstatus genießen als Gast. Für langjährige Mitglieder des Ordens gibt es natürlich gewisse Vergünstigungen..." "Ihr habt mich überzeugt!" brummte der Riese gutmütig. "Mir scheint, ich bin nicht zum Priester geboren! Dann soll Athos den Abbé geben. Und was mache ich solange??" "Nun, das wird sich schon alles finden!" sagte Aramis. "Zuerst einmal gilt es, passende Kleidung aufzutreiben und alles für die Verwandlung vorzubereiten. Wir brauchen eine Soutane für dich, Athos!. Ich würde dir ja gerne eine der meinigen anbieten, aber sie wäre ohnehin zu klein." "Seit unbesorgt, ich werde schon etwas geeignetes finden." versetzte Athos zuversichtlich. Und Porthos kann mir dabei helfen!" "Gut" sprach Porthos und stand auf. "Dann lasst uns keine Zeit verlieren. Genug der langen Worte!" Athos erhob sich ebenfalls und nachdem sie Aramis noch einmal eingeschärft hatten, ruhig liegen zu bleiben, verließen sie gemeinsam das Krankenzimmer.
Als Aramis alleine war, schrieb er einen langen Brief. Porthos sollte ihn dann übermitteln. So hatte er schon eine Aufgabe und kam sich nicht allzu nutzlos vor. Er sollte ihn Bazin nach Notre Dame bringen. Der Diener würde ihn dann an die richtige Adresse weiterleiten, wie er es immer tat. Mann konnte nicht vorsichtig genug sein. Vorläufig würde er sich in diesem Punkt auch nicht seinen besten Freunden anvertrauen. Portos war einfach ein zu großes Risiko. Er trug sein Herz zu sehr auf der Zunge, bei aller Freundschaft...Der Abbé wollte sein Geheimnis um jeden Preis wahren. Nachdem der Brief aufgesetzt war, lehnte sich Aramis erschöpft aber zufrieden in die Kissen zurück. Er wollte jetzt nur noch an sie denken - an Anne-Geneviéve!