Die Verbannung von Louise
Kapitel Die Verbannung
Verbannung
Das Wort hallte in ihrem Kopf wieder.
Verbannung
Bastille, Arrest,....alles hätte sie erwartet....
Verbannung
Was bedeutete das?
Verbannung
Vom Hof, von der Königin, von... Aramis
Verzweifelt versuchte sie, nicht zu ihm zu blicken. Sie durfte Richelieu nicht noch mehr Macht über sich geben als er schon hatte. Wenn er von ihren Gefühlen für den jungen Musketier erfahren würde, wären sie beide in Gefahr.
Entschlossen hob sie den Kopf. Nicht zum König, der das Urteil aussprach, sondern zu dem Mann, der abseits vom König stand und dessen Blick sie auf sich ruhen fühlte. Ihre Augen trafen sich. Sie sah den Triumph, und es kostete sie unglaubliche Kraft, diesem Blick standzuhalten. Es mußte ein Leichtes für ihn gewesen sein, den König von ihrer Schuld zu überzeugen, als er endlich einen festen Beweis vorweisen konnte. Der König haßte sie seit dem Tage, an dem die Königin ihrem Beispiel gefolgt und über die Gräben von Versailles gesprungen war, dabei stürzte und Frankreich des Dauphins beraubte. Wer hatte Richelieu von der Botschaft erzählt, die sie am Morgen nach England geschickt hatte? Wer konnte davon wissen? Ihr Gesicht blieb stumm, starrte Richelieu an, während sie ihre Gedanken ordnete. Zweifellos würde man in der Zwischenzeit ihre Gemächer durchsuchen. Sie konnte ein leichtes Lächeln nicht verbergen, als sie daran dachte, was der Kardinal wohl erwartete und wie enttäuscht er sein würde, wenn er entdeckte, daß nichts von politischer Bedeutung unter ihren Sachen war. Wie konnte er in Besitz der Botschaft gekommen sein?
"Marie!" Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie ihren Namen vernahm. Ruckartig drehte sie sich um. Die Tür war aufgerissen worden und Anna von Österreich, Königin von Frankreich, gefolgt von zwei Gardisten, die verzweifelt versuchten, sie daran zu hindern, lief mit schnellen Schritten auf sie zu. Ihr Haar hatte sich aus der kunstvollen Frisur gelöst und zeugte zusammen mit ihrem erröteten Gesicht davon, daß sie den Weg von ihren Gemächern zum Thronsaal gerannt war. Ihr Blick war von Sorge und Angst erfüllt. Sie wollte ihre Freundin in den Arm nehmen, doch kurz, bevor sie zu ihr gelangen konnte, trat Rochefort, der rechte Arm des Kardinals, zwischen die beiden Frauen. Voller Haß sah die Königin ihn an, trat dann aber an ihm vorbei und wandte sich zum König. "Louis.....das könnt Ihr nicht tun! Das könnt Ihr mir nicht antun! Ich flehe Euch an..." "Schweigt!" unterbrach sie der König, der nun hastig die Stufen von seinem Thron zum Boden hinabstieg und empört auf die Herzogin de Chevreuse wies: "Sie ist eine Hochverräterin, Madame! Überlegt Euch genau, ob Ihr sie verteidigen wollt, denn es liegen schwerwiegende Beweise vor!"
"Aber was soll sie denn getan haben?" rief die Königin. "Sie ist doch nur eine Frau wie ich, wie sollen wir uns in Eure Politik einmischen?" Und als sie bemerkte, daß der König darauf nicht einging, wandte sie sich an Mme de Chevreuse. "Was wirft man Dir denn vor, Marie? Dass Du meine Freundin bist?"
"Madame, bitte macht uns keine Szene!" fuhr der König dazwischen. "Die Herzogin hat die Chance gehabt, sich zu verteidigen, als man sie fragte, ob sie sich im Sinne der Anklage für schuldig bekennt. Sie hat es getan, Madame, und Gott bewahre Euch davor, daß sie dies Verbrechen durch Euren Auftrag verübt hat!" Ludwig XIII war während seiner Rede immer wütender geworden. Keiner der Hofleute wagte, etwas zu sagen, als er die Königin indirekt beschuldigte. Der Kardinal trat einige Schritte auf den König zu und sagte dann: "Sire, ich bin mir sicher, daß die Königin mit dieser Affäre nichts zu tun hat. Ist es nicht so, Majestät?"
Die Königin wandte sich zu ihm. Ihre Augen funkelten vor Zorn. Richelieu, dachte sie, er war es. Er würde alles tun, um mich zu verletzen. Laut sagte sie: "Nennt mir Ihr Verbrechen, Kardinal Richelieu!" Und unbedacht fügte sie hinzu "Ich kann mich von nichts distanzieren, was man mir nicht nennt!"
Mit einem triumphierenden Lächeln reichte Richelieu dem König ein Stück Pergament und Mme de Chevreuse erzitterte. Es war die Botschaft, die sie heute morgen geschrieben hatte. Der König hielt es der Königin hin, und sie nahm es. Während sie las, wurden ihre Wangen blaß. Der Hof wartete gespannt auf ihre Reaktion. Als sie zuende gelesen hatte, sah sie der Herzogin in die Augen und fragte dann laut: "Warum habt Ihr das getan, Marie?" Ihre Stimme zitterte leicht. Für jeden der Höflinge hörte es sich so an, als mißbilligte die Königin Mme de Chevreuses Tat. Keiner konnte ahnen, daß die Königin mit den Tränen kämpfen mußte, weil sie von dem Freundschaftsbeweis Marie de Chevreuses, den sie in den Händen hielt, so gerührt war.
Die beiden Frauen waren mehr noch als Schwestern für einander. Die Königin hatte ihrer Freundin am gestrigen Abend gestanden, daß sie alles tun würde, um den Herzog von Buckingham wiederzusehen. Sie wußte von der Liebe Anna von Österreichs zum englischen Premierminister. Und so hatte sie heute morgen nach England geschrieben und den Herzog gebeten nach Frankreich zukommen. Sie hatte in der Ich-Form geschrieben und mit ihrem Namen unterschrieben. Doch die Tatsache, daß der König Buckingham verboten hatte, Frankreich je wieder zu betreten, machte diese Aufforderung zu einem Staatsverbrechen. Ihre Freundin war diese Risiko eingegangen, um ihr, Anna von Österreich ihren Liebsten zuzuführen. Richelieu wußte es.
"Madame", sagte der König etwas sanfter zu seiner Frau. "Ich sehe nun, daß Ihr nichts hiervon wußtet. Ich bitte Euch, geht." Er nahm ihr die Botschaft aus den Händen. Mechanisch drehte sich die Königin um und verließ den Saal. Ein letzter Blick fiel auf ihre Freundin, und als sie an ihr vorbei ging, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme: "Danke." Es war ihr egal, daß Rochefort, Richelieus Handlanger, dieses letzte Wort verstanden hatte, denn der Kardinal wußte es sowieso.
Als die Königin gegangen war, entfernte sich auch Rochefort von Maries Seite und sie stand wieder allein vor dem Thron, umgeben von den Höflingen. Sie fühle die Einsamkeit, die auf sie einbrach, und so konnte sie es nicht mehr zurückhalten. Ihr Blick glitt hinüber zu Aramis, der mit zwei weiteren Musketieren abseits stand. Sie sah, wie er die Hand des einen fest umklammert hielt. Ihre Augen suchten die seinen. Der Schmerz, den sie darin las, berührte ihr Herz. Vielleicht war das die schlimmste Strafe. Zwei Menschen, die sie liebte, durch ihre Tat und deren Folgen Schmerz zu bereiten. Wie gerne hätte sie ihn in ihre Arme genommen. Doch das war unmöglich. Sie würde wohl sofort nach Tours reisen müssen. Mühsam kämpfte sie mit den Tränen. Diesen Triumph konnte sie Richelieu nicht auch noch gönnen. Gewaltsam richtete sie ihren Blick wieder auf den König. "Sire, gestattet mir eine Frage!" Es war dreist, doch der König nickte. "Für wie lange?" Es wurde noch stiller im Saal. Verwirrt drehte sich der König zu Richelieu um. Darüber hatten sie noch nicht gesprochen. Wieder einmal zeigte sich die Macht, die Richelieu über den König hatte. "Das hängt von Eurem Verhalten ab!" antwortete der Kardinal. Es war eine Drohung. Das verstand sie. Doch so einfach würde sie es ihm nicht machen. In Gedanken schwor sie Rache.
Als der König befahl, sie zur Kutsche nach draußen zu bringen, verbeugte sie sich vor ihm und wandte sich um. Sie erwartete, daß Rochefort oder ein anderer von Richelieus Untergebenen sie geleiten würden, und so schenkte sie der Hand, die sich auf ihren Arm legte zunächst keine Bedeutung. Erst als sie die folgenden Worte vernahm, blickte sie auf. "Bitte, Marie, verlaß mich nicht!" Aramis ging neben ihr, und in seinen Augen glitzerten die Tränen, die er zurückhalten mußte. "Nur Mut!" flüsterte sie ihm zu. "Wir werden einen Weg finden!"
Sie schritten die Treppe zum Hof hinab. Dort wartete eine Kutsche auf sie, sowie 20 Garde-Offiziere, die sie bis nach Tours begleiten sollten. Aramis half ihr einzusteigen und schloß dann den Wagenschlag. Ein letztes Mal strich sie sanft über seine Wange. "Ich werde Dich nicht vergessen, Liebster! Sobald ich kann, erhältst Du Nachricht von mir!" Er wollte etwas erwidern, doch schon setzte sich die Kutsche in Bewegung. Sie glaube jedoch, erkannt zu haben, welche Worte seine Lippen geformt hatten: "Ich liebe Dich!"