Kapitel Kapitel 4
Der Superior des Jesuitenkollegs von Noisy le Sec, Pater Denis Pétard, war kein adliger Mann. Er war auch nicht groß und nicht besonders gutaussehend. Seine Haare, die er entgegen jeder Mode kurz rasiert trug, hatten sich fast bis auf den Hinterkopf zurückgezogen, so dass seine Stirn breit hervortrat, seine Nase, lang, schmal und gekrümmt, erinnerte an einen Adlerschnabel, und seine Haltung war immer ein wenig gebückt, als suche er etwas oder blicke von einem Buche auf. Doch all diese Kleinigkeiten fielen nicht mehr auf, sobald man ihm in die Augen sah, denn diese funkelten vor Wissbegierde und Intelligenz und schienen durch die Menschen hindurch auf ihren innersten Kern zu blicken. Er war in den Fünfzigern, hatte die Universität mit Auszeichnungen abgeschlossen, mehrere geschichtliche und theologische Werke verfasst und schon an einigen Kollegien gelehrt, bis man ihn als Superior hierher nach Noisy berufen hatte. Mit viel Schwung war er daran gegangen, das gemütliche, ein wenig verstaubte Kolleg auf Vordermann zu bringen: Er hatte die Bibliothek erweitert und Gumppenberg eingestellt, hatte Fortbildungen organisiert und Dozenten verschiedenster Wissenschaften eingeladen, auf dass sie die Jesuiten des Konvents zu neuem Denken anregten, was vor allem jenen schwer aufgestoßen war, die sich im behäbigen Alltagstrott gemütlich eingerichtet hatten.
Er galt als unkonventionell, und manch einer hatte ihm schon Ketzerei vorgeworfen, denn es war bekannt, dass er auch alte, umstrittene oder gar verbotene Schriften las und deren Ansichten nicht von vorneherein verwarf, sondern durchdachte und aufgrund neuester Erkenntnisse zu widerlegen oder bestätigen suchte. Auch die Menschen damals seien Kinder Gottes gewesen, pflegte er zu sagen, sie hätten es nur noch nicht gewusst.
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