Ein Feind in der Nacht von Silvia und Maike
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 9 BewertungenKapitel Gestohlene Vergangenheit
Der erste Schnee fiel früh dieses Jahr in Paris, in dichten Flocken, die das Palais du Luxembourg ebenso umtanzten wie das Hôtel de Tréville und die Häuser an der Rue des Fossoyeurs oder der Rue Férou. Die Wolken hatten am frühen Abend begonnen, sich ihrer Last zu entledigen, und als gegen Mitternacht ein allzu heiterer Tréville, der eben von einem Fest zurückkehrte, die Stufen zu seinem Haus wieder hinaufstieg, nicht weit entfernt ein übermüdeter d’Artagnan den Versuch aufgab, das beschädigte Fenster, durch das Schnee und Kälte in sein Schlafzimmer drangen, abdichten zu wollen, und auf der anderen Seite der Seine ein nicht viel wacherer Stallmeister des Kardinals den Kopf auf einen vor Papieren schier überquellenden Schreibtisch sinken ließ, schneite es noch immer.
Es war zu dieser Stunde, als die Stadt still zu werden begann, daß sich in der Rue Férou eine Hand um den Griff einer prächtig verzierten Waffe schloß und sie langsam, fast ohne eine Laut zu verursachen, aus ihrer Scheide hervorzog. Allein – dies war kein Meuchelmörder, der sich anschickte, sein schmutziges Handwerk im Schutze der Nacht auszuüben, auch kein Kavalier, der einen Überfall fürchtete oder noch spät die Ehre seiner Dame zu verteidigen gedachte, statt sich in ihren Armen von den Mühen des Tages auszuruhen. Der Mann, der nun ungerührt den Degen, den er eben gezogen hatte, durch einen anderen, weit minder kunstvoll gefertigten, ersetzte, auf leisen Sohlen zum Kamin hinübereilte und von dessen Sims eine Kassette hob und dann seine Beute zur Tür der Wohnung, die seit Jahren ein unter dem nom de guerre Athos bekannter Musketier bewohnte, hinübertrug, war nichts weiter als ein Dieb – oder vielleicht noch weniger als das, nicht einmal ein Dieb aus eigenem Willen, sondern nur ein besseres Werkzeug, ein Handlanger, denn er reichte noch an der Tür den Ertrag seines heimlichen Raubzugs an eine in einen dunklen Mantel gehüllte Gestalt weiter, die sich gehütet hatte, die einfachen Zimmer, die nun das Heim des einst so stolzen Comte de la Fère bildeten, zu betreten. Auch dies ging ohne einen Wortwechsel, ja, fast ohne jegliches Geräusch, über die Bühne, und einige Augenblicke später hätte man schon annehmen können, da wären nie zwei Diebe gewesen; die Tür war sorgsam wieder geschlossen, und ein Betrachter des schönen Tableaus hätte sich fragen können, ob er vielleicht nur schattengleichen Gespenstern, die zur Geisterstunde ihre Streiche spielten, begegnet sei.
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Kapitel Prendre doit on la mort en gré
Es war recht ungewöhnlich, Monsieur d’Artagnan, den Leutnant der königlichen Musketiere, zu einer Morgenstunde, die selbst seinem ehemaligen Kameraden Aramis für fromme Übungen noch zu früh erschienen wäre, der Kirche Saint-Sulpice zueilen zu sehen, zumal er sich eigentlich längst im Hôtel de Tréville hätte befinden sollten, wo ein noch nicht recht wacher und daher ohnehin schlechtgelaunter Hauptmann seiner harrte. Allein – es gab Dinge, die über dem Dienst, ja, sogar über der Macht der Gewohnheit stehen mußten, und wie der geneigte Leser leicht wird ermessen können, handelte es sich in d’Artagnans Fall bei diesen Dingen nicht um den hehren Wunsch, Gott oder dem heiligen Sulpicius seine immerwährende Ergebenheit zu bezeugen. Folgerichtig war das, was der Leutnant fest in der Hand hielt, als er die Stufen zum Kirchenportal hinaufhastete, denn auch kein Gebetbuch, sondern ein unscheinbares Billet, das leicht eines hätte sein können, mit dem eine Dame einen Liebhaber zu einem trauten Stelldichein bat. Allerdings hätte es wohl eine seltsame Dame – zumindest aber eine so gefährliche, wie d’Artagnan sie nach seiner Bekanntschaft mit Lady de Winter nicht mehr zu treffen gewünscht hatte – sein müssen, die zu solch einem Zweck Worte wie die folgenden gebraucht hätte:
Monsieur, sofern Ihr nicht wünscht, daß gewisse Einzelheiten über Geschehnisse im Boudoir der guten Madame de T., an denen Ihr nicht unbeteiligt wart, ihrem Ehemann sehr nachdrücklich zur Kenntnis gebracht werden, begebt Euch allein nach Saint-Sulpice, noch bevor es sechs Uhr geschlagen habt, und trefft mich in der Marienkapelle am linken Seitenschiff. Jedwede Unpünktlichkeit Eurerseits werde ich als Ablehnung meines Angebots eines gütlichen Gesprächs über diese Vorgänge werten.
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Kapitel Wer einmal als Frauenmörder bekannt ist…
Athos hatte unterdessen das Hôtel de Tréville erreicht, wo er sich zum Dienst melden wollte. Wie gewöhnlich hielt er sich mit einigen seiner plaudernden Kameraden im Treppenhaus zum Vorzimmer auf, als ein Junge im Meßdienergewand erschien und Monsieur de Tréville zu sprechen verlangte. Während er darauf wartete, daß seinem Wunsch entsprochen wurde, streiften einige verwunderte Blicke den Jungen, der ein Briefchen in der Hand hielt. Doch nach einer Weile verloren die Musketiere das Interesse an dem Meßdiener und wandten sich wieder ihren üblichen Scherzen und Fechtspielereien zu. Athos hielt sich etwas abseits und beteiligte sich nicht an den Witzeleien und Gesprächen seiner Kameraden – der Diebstahl in der Nacht beschäftigte ihn immer noch. Irgendwann wurde der geduldig wartende Meßdiener in das Arbeitszimmer des Hauptmanns gerufen – und nach einer kurzen Weile trat ein bleicher und sichtlich bestürzter Tréville in das Vorzimmer und sah sich kurz suchend um.
„Athos, kommt bitte einen Moment in mein Arbeitszimmer“, sagte er mit um Festigkeit bemühter Stimme, als er den Musketier erblickt hatte.
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Kapitel D'Artagnan ermittelt
D’Artagnan hatte sich in Richtung der Rue Férou aufgemacht. Der Weg war nicht weit, doch er war tief in Gedanken versunken und brauchte so für die Strecke länger als sonst. War es möglich, daß Athos… Nein, auf keinen Fall! Energisch rief der Gascogner sich zur Ordnung. Athos hatte unmöglich etwas mit dieser abscheulichen Bluttat zu tun, es war alles ein scheußliches Mißverständnis oder sogar ein böswilliger Versuch, Athos den Mord in die Schuhe zu schieben. Nachdem Rochefort zum Hôtel de Tréville gegangen war, hatten d’Artagnan und Porthos bei der toten Äbtissin gewartet und die Zeit genutzt, um den Tatort noch einmal gründlich abzusuchen. Doch jemand hatte ganze Arbeit geleistet, außer dem Degen und dem Ring fanden sich keine weiteren belastenden Spuren - allerdings auch keine entlastenden, kein einziges Zeichen, das auf den wahren Mörder hingedeutet hätte. Als Rochefort wieder erschienen war, hatte er ihnen nicht ohne ein gewisses Funkeln in den Augen verkündet, daß er Athos verhaften und zum Châtelet hatte bringen lassen.
„Rochefort, Handlanger eines verrückten Kardinals, Ihr wißt genau, daß Athos es nicht gewesen ist!“ hatte Porthos daraufhin empört gerufen. „Er ist nicht fähig zu solch einem Mord!“
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Kapitel Eine Fahrt ins Ungewisse
Monsieur de Jussac, der Leutnant der Kardinalsgarde, war nicht allein ein fähiger Offizier und kundiger Fechter, sondern auch der rechte Mann, heikle Aufträge diskret und zuverlässig auszuführen. Da bekannt war, welch ein Aufsehen es erregen würde, einen Musketier, den Monsieur de Tréville bekanntermaßen schätzte und dem sogar der König den ein oder anderen Gunstbeweis nicht versagt hatte, quer durch die Stadt zum Châtelet abzuführen, hatte er den ihm anvertrauten Gefangenen über eine Dienertreppe aus dem Hôtel de Tréville und sodann in eine in einer Seitenstraße wartende, verhängte Kutsche befördert, in die er selbst mit einstieg, um Athos auf unverdächtigen Umwegen in das erwähnte Gefängnis zu schaffen. „Zur alten Wechselstube!“ befahl er auch folglich dem Kutscher; denn diese Bezeichnung war unter den Leuten des Kardinals eine gern gebrauchte Umschreibung für das Grand Châtelet, das bekanntlich nahe am vor einigen Jahren abgebrannten Pont au Change erbaut war.
Der festgenommene Athos hatte sich, ganz seiner unerschütterlichen Natur entsprechend, ruhig verhalten, seit er sich in die Hände der Gardisten begeben hatte, und so wäre es eine schweigsame Fahrt, nur aufgelockert durch die gedämpft hereindringenden Geräusche der winterlichen Stadt, die um die dunkle Kutsche brandeten und gelegentlich Rückschlüsse auf die Straße, die eben passiert, den Platz, der eben überquert wurde, erlaubten, wäre nicht in einer ruhigen Seitengasse auf der Ile de la Cité, auf der Kutscher eine halbe Runde zu drehen gedachte, um etwaige Beobachter von dem Gedanken abzubringen, daß der Wagen geradewegs auf dem Weg zum Châtelet sei, die Kutsche recht plötzlich zum Stehen gekommen. Allein – nichts hatte darauf hingedeutet, daß der Weg versperrt war, und so war es mit einem gewissen Ärger, daß Jussac den Vorhang an einem der Fenster hochhob, um die Weiterfahrt zu befehlen. Er fand sich aber nicht etwa einem der Gardisten, die zu Pferde den Wagen eskortiert hatten, gegenüber, sondern blickte in das Gesicht eines Fremden – eines bewaffneten Fremden, wohlgemerkt, der eine Pistole auf ihn gerichtet hielt. „Gott zum Gruß, Monsieur de Jussac!“ sagte nun ebendieser Fremde. „Ihr werdet gewiß nichts dagegen haben, uns Euren Reisebegleiter zu überlassen, vielen Dank auch – danach werdet Ihr ungehindert die Fahrt fortsetzen können.“
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Kapitel Warum der Keller des Comte de la Fère mehr als eine Leiche enthalten könnte...
Es war dem Leutnant der königlichen Musketiere schon mehr als einmal vorgekommen, daß einer seiner Untergebenen, der nicht zum Dienst erschienen war, sich im Châtelet wieder angefunden hatte, und wenngleich d’Artagnans Besuche dort weniger gefürchtet waren als die seines Hauptmanns, so waren sie doch bisher zumeist von Erfolg gekrönt gewesen. Wohl hatten sich im Laufe der Zeit einige höchst bizarre Geschichten im Zusammenhang mit dem städtischen Gefängnis abgespielt, doch niemals hatte man d’Artagnan mitgeteilt, der gesuchte Musketier habe sich schon ohne die Hilfe eines Vorgesetzten wieder entfernt – niemals, bis zum heutigen Tag.
„Geflohen, was soll das heißen?“ erkundigte er sich eben zum wiederholten Male bei dem unglücklichen Schreiber – einem jämmerlichen, ältlichen Männlein mit schütterem Haar und tintenbefleckten Fingern – den man vorgeschickt hatte, um dem Leutnant, der den gefangenen Äbtissinnenmörder zu sprechen wünschte, die schlechte Nachricht mitzuteilen. „Athos flieht nicht!“
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