Eine Novelle von Maron
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Eine Novelle
In der Tat war es Aramis, nachdem er Paris verlassen und nach Vannes gefunden hatte, der nun am meisten zu leiden hatte. Eben hatte ein Kurier vom königlichen Dienst seine fahrende Kutsche eingeholt und dem Bischof einen Brief übergeben. Aramis brach das Siegel mit einem Gefühl des Unbehagens auf und las den Brief, der vom König selbst geschrieben worden war.
„Gott behüte uns, d´Artagnan ist tot!“ schrie er auf.
Der Kutscher hörte dies und ließ die Pferde stoppen.
„Mein Herr, was sagten Sie da?“ fragte er ungläubig.
„Ah, mein lieber Bouvard, Gott hat mir nun auch den letzten meiner Freunde zu sich geholt! D´Artagnan ist von einer Kugel tödlich zusammengebrochen!“
„Welch Unglück!“ sagte Bouvard betroffen und erwartete einen Befehl zur Weiterfahrt. Aber Aramis rührte sich nicht. Er schwieg um ein Wimmern zu unterdrücken und seine Tränen der Trauer zurückzuhalten. Bouvard war ein Menschenkenner und ließ die Pferde weiterlaufen. In Stunden der Trauer mochte ein Schmerz den Mund des Leidenden stets zum Schweigen bringen.
Aramis verlor jedes Zeitgefühl. Das erste mal in seinem Leben sah er keinen Grund mehr, noch länger auf Erden zu verweilen. Er war alt, seine Freunde tot und seine Ehre mehr als angefressen. Er wusste nur zu gut um seine Blässe, die ihn erholt hatte, und er kannte seine Schwäche, die seit dem Tod von Porthos vor gut vier Jahren regelmäßig zu ihm kam. In jenem Augenblick war sie besonders schlimm.
Noch einmal las er den Brief, den er immer noch zitternd hielt, durch. Ludwig hatte nur den einen Satz „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass der Marschall von Frankreich, Herr d´Artagnan, an der Front im Kriege durch eine Kugel getroffen, verstorben ist. Ludwig.“ geschrieben und scherte sich kaum darum, wie schmerzlich es für Aramis sein musste, zu erfahren, dass sein Freund tot war.
Immerhin, dachte Aramis, hat d´Artagnan doch noch seinen Marschallstitel erhalten. Ein kleines aber schmerzliches Lächeln durchzog sein Gesicht als bald darauf die Kutsche erneut anhielt und der Bischof von Vannes das Kloster erblickte.
„Herr Aramis, wir sind soeben in Vannes angelangt.“ sagte Bouvard und schwor sich, dem alten Musketier zu helfen wo es ihm nur möglich war.
Aramis stieg schweigend und gebeugt aus. Sein ergrautes Haar hing schlaff auf seine Schultern und umrahmten das bleiche Gesicht, das einst eine herrliche und gesunde Röte hatte. Noch immer hielt er den Brief des Königs in den Händen. Bouvard schien es, als sei sich Aramis seinem Dasein nicht mehr bewusst, denn er starrte das Kloster fast entfremdend und ängstlich an. Dann ging er aber in seinem gewohnt, schnellen Schritt über den Platz zum Eingangstor. Bouvard schickte einen Bauern an, die Kutsche und die Pferde in den Stall zu stellen, und eilte Aramis nach.
Am Klostertor wurde er freudig von einem Mönch begrüßt, der aber beim Anblick des trauernden Bischofs, sofort sein Lächeln in eine düstere Miene verwandelte. Aramis trat ein, nickte kurz als Dank und folgte einem langen Gang.
Bouvard wurde ebenfalls eingelassen, da er dem Kloster bekannt und willkommen war. Denn Bouvard war Gärtner, Kutscher und Bäcker gleichzeitig im nahgelegenen Dorf. Er versorgte das Kloster mit seiner hingebungsvollen Art und hatte sich dadurch auch Aramis zum Freunde gemacht. Doch dieser schritt den kahlen Gang entlang, als wäre er auf einem Felde des Krieges. Bouvard eilte ihm in ehrfurchtsvollem Abstand nach, sorgte er sich doch, da er wusste was vorgefallen war, am meisten.
Aramis bemerkte Bouvard nicht, auch wenn er wusste, dass der treue Diener des Klosters ihm nachlief. In seinen Gedanken versunken, wiederholte er all die Späße, Freuden und Leiden zusammen mit seinen verstorbenen Freunden. Er erinnerte sich an seine Jugend, daran, wie Athos und Porthos in sein Leben getreten waren und wie d´Artagnan mit seiner aufrichtigen und stürmischen Art alle drei in Verwunderung zog, als er bei Tréville auftauchte. Dann dachte er an die Aufträge von der Königin, die Geheimnisse in und außerhalb Frankreichs, an seinem Aufstieg und seinen Fall, an die großartigen Menschen, die er in seinem Leben getroffen und zu schätzen gelernt hatte. Ein kleiner, kaum spürbarer Sinnungswandel neigte Aramis dazu, seine Gedanken an Richelieu und Mazarin zu verlieren. Jetzt, da er über diese großen Männer nachdachte, war es ihm etwas leichter ums Herz geworden. Soviel Schwierigkeiten die Kardinäle auch gemacht hatten, soviel Freude und Lebenslust hatten die vier Freunde gehabt, die einander schworen: Einer für alle, alle für einen. Ein weiterer Gedankenstoß verleitete ihn nun dazu, über Ludwig XIII und Ludwig XIV nachzudenken. Hier kam ihm ein Zorn, ein unterdrückter Hass und die blanke Wut hinauf. Noch während er lief, kämpfte in seinem Kopf die Nächstenliebe mit der Rache. Erst als Bouvard ihn schließlich mit einem Ruf aufmerksam machte, wachte er auf.
„Mein Herr, wohin gedenken Sie zu gehen?“ fragte er.
Aramis drehte sich um und spürte erst jetzt die Träne, die an seiner Wange herunterlief. Schnell wischte er sie mit dem Ärmel seines Mantels weg.
„Ich weiß es selbst nicht!“ antwortete der Bischof nachdenklich. „Vielleicht sollte ich mein Zimmer aufsuchen, da ich ja ohnehin dorthin muss.
Wirklich, seine Wortwahl war eine reinste Katastrophe. Aber er wusste sich nicht zu helfen, als das auszusprechen, was er gerade dachte. Alles andere wäre Unsinn gewesen und verlangte Aramis zuviel ab. Für ihn war klar, das der Schleier des Todes auch ihn erreicht hatte. Er war alt, er hatte sein Leben genutzt und ausgenutzt um bald die süße Verlockung des Todes schmecken zu können. Als er endlich sein Zimmer erreicht hatte, bat er Bouvard darum, den Mönchen im Kloster über den Tod d´Artagnans aufzuklären und ihn einstweilen ein wenig in Ruhe zu lassen. Bouvard, so gutmütig und ergeben er war, tat, wie es ihm Aramis aufgetragen hatte.
Indessen glaubte sich Aramis halb betäubt, halb wach. Er zweifelte, er grübelte, ja er sank sogar in seine tiefsten Schmerzen. Das Zimmer beherbergte noch immer stolz den Degen, der ihn über all die Jahre das Leben gerettet und manchem Freund zu Hilfe gekommen war. Nun war er abgenutzt, zeigte schon die ersten rostigen Flecken und Aramis fühlte, wie aus dem Degen das Leben flüchtete. Aus einer körperlichen Schwäche heraus setzte sich der Bischof auf die Bettkante. Er blickte um sich. Nie hatten seine Freunde diese Aussicht aus dem Fenster genießen können. Nie hatten sie die Lavendelfelder, die sich meilenweit erstreckten, gesehen, nie haben sie den Duft der Rosenstauden im Sommer, der in Aramis ins Zimmer bei offenem Fenster drang, schmecken können und nie konnten sie den Spiegel an der Wand bestaunen, der, wenn die Sonne auf ihn schien, Flecken in Regenbogenfarben, die herrlich schimmerten, im ganzen Zimmer verteilte.
Aramis war ein Mann von Geist. Heute war dieser Geist sein Henker. Obwohl Aramis sich guter Gesundheit erfreuen konnte, so spürte er jetzt, wie sehr ihm seine Freunde, die jungen Jahre und die Zeit, daran denken zu können, fehlten. Bald würde der Tod kommen und ihn mitnehmen. Er würde Porthos wiedertreffen, vielleicht aß er gar im Himmel soviel wie auf Erden. Und auch Athos würde, mit Raoul an seiner Seite, mit einem guten Wein aus Anjou bereit stehen, um mit ihm, Aramis, für die Wiedervereinigung anzustoßen. Und d´Artagnan würde, stolz wie er war, ihm von allen Fehlern des Königs erzählen und herumprahlen, dass er zwei Kardinäle überlebt hat und zum Marschall von Frankreich geworden war, noch bevor der Tod ihn ereilen konnte. Ja, diese Gedanken munterten den armen Aramis ein wenig auf. Bestimmt würden sie ihn nicht auffordern, ihnen nachzueilen. Ja, sie würden ihn sogar dazu zwingen, weiterzuleben, bis er an Alterstod starb.
Es wurde Abend und die Sonne zog sich aus den Winkeln des Zimmers zurück. Draußen wurde der Himmel Purpur und die Lavendelfelder schwarz. Aramis saß immer noch auf dem Bett, hatte sich zuweilen gedreht, und starrte mit leeren Augen auf den Degen.
Es klopfte an der Tür und Aramis wusste, dass dieser eine harte und die zwei weichen Schläge von Bouvard kamen.
„Herein.“ sagte er.
Langsam öffnete Bouvard die Türe und blickte seinen Freund mitfühlend an.
„Aramis, möchten Sie mit mir zum Abendessen kommen? Es tut Ihnen nicht gut, wenn Sie hier in allzu frohen Gedanken und Erinnerungen schwelgen und sich darauf aufhängen!“
Aramis seufzte. Vielleicht hatte Bouvard recht. Ihm war ja nicht kränklich zumute. Er fühlte eine kalte Hand um sich, die ihn streichelte, die vielleicht nur die Hand der Trauer war.
„Sie haben Recht, mein lieber Bouvard! Gehen wir.“ sagte er schließlich und verließ sein Zimmer mit dem seltsamen Gefühl, es in nächster Zeit sehr lange beherbergen zu müssen.
Im Esssaal waren, wie immer, alle Mönche versammelt. Sie erwarteten Aramis und standen auf, als er eintrat.
Ein Mönch, klein und ohne Haar, kam Aramis entgegen.
„Herr Bischof, lassen Sie mir im Namen des Klosters unser herzliches Beileid für Ihren Freund aussprechen!“
Aramis, der eben noch der Meinung war, sich beim Abendessen etwas ablenken zu lassen, erstarrte in einem Grauen.
„Warum?“ fragte er wimmernd. Dieses Warum galt der Frage, weshalb die Mönche ihn nicht einfach mit seiner Trauer in Ruhe lassen konnten. Doch erinnerte er sich, dass er Bouvard aufgetragen hatte, im Kloster vom Tod d´Artagnangs zu verkünden.
Der Mönch aber dachte, das Warum galt dem Beileid. Da die Mönche d´Artagnan nicht gekannt haben, musste sich wohl Aramis darüber wundern, warum er bemitleidet wurde.
„Oh, vergeben Sie uns! Aber da Sie uns, Aramis, so wohlvertraut sind und wir sie schon oft über Ihre, so tapferen Freunde reden haben hören, konnten wir es nicht zulassen, nicht unser Beileid auszusprechen. Vor Gott sind wir alle gleich! Der Hirte holt seine Schafe in seinen Stall zurück. Und auch wenn Herr d´Artagnan nie vor unseren Augen getreten war, so ist er doch in unseren Gedanken, da Sie vor unseren Augen stehen und seinen Geist mit sich führen.“
Aramis verstand schnell, wie der Mönch seine Frage aufgenommen hatte. Er bedankte sich und setzte sich, Bouvard gegenüber, an den Tisch. Nach dem Essen begab er sich zurück in sein Zimmer. Ein nagender Kummer zerrte erneut an ihm, an seiner Seele. Er hatte niemanden mehr auf der Welt, mit dem er über seine Trauer um seine Freunde sprechen konnte. Denn niemand, der sein Freund noch war, kannte diese drei Musketiere so wie er. Bouvard hatte einmal das Vergnügen gehabt, d´Artagnan kurz anzutreffen, doch wechselte er mit ihm kein Wort, ausgenommen der Begrüßung.
In dieser Nacht, Aramis hatte das Fenster ein Stück offen gelassen, schlief er sehr schlecht. Schlimme Träume überkamen ihn und ließen ihn nicht in Ruhe. Früh am morgen, es war gerade fünf Uhr, stand Aramis, betreten und müde von der Nacht, auf. Nun verspürte er das erstemal sein Herz schmerzen. Da er zuvor nie einen solchen Stich verspürt hatte, wurde er unruhig und setzte sich rasch auf einen Stuhl hin, legte die Hand auf das rasende Herz und bekam Angst. Die Angst schnürte ihm die Luft ab und er war gezwungen, nach jemanden zu rufen. Bald traf Bouvard ein, der sein Zimmer in der Nähe hatte und dank seines jungen Alters von sechsunddreißig Jahren schneller als die Mönche laufen konnte.
„Um Himmels Willen, Aramis! Was haben Sie? Fühlen Sie sich nicht gut?“ fragte er aufgeregt und blass, als er Aramis in dem Stuhl sah, wie er mit schweißbedeckter Stirn auf seine zitternden Hände starrte.
„Es war...nur ein Anfall. Ein kleiner Schwächeanfall, der mich eben ängstigte.“ sagte Aramis etwas keuchend aber schon wieder kräftig genug, um sich aus dem Stuhl zu hieven. Doch er war noch immer schwach und so versagten seine Beine und er erreichte gerade noch das Bett.
„Ich fühle mich nicht wohl. Ich denke, ich bleibe heute im Bett und ruh mich etwas aus.“ meinte er dann.
„Kann ich irgendetwas für Sie tun, mein Freund?“ fragte Bouvard.
„Ja, bringen Sie mir einen Arzt.“ sagte Aramis trocken.
Bouvard war erschrocken, gehorchte aber und eilte zu Herrn Denis. Der Arzt, der Aramis kannte, war schnell an Ort und Stelle, wohin ihn Aramis gerufen hatte. Während Bouvard Herrn Denis geholt hatte, waren die Mönche so besorgt um ihren Bischof, dass sie Aramis befürsorgten. Da Julien, der Mönch, der gestern im Namen aller das Beileid ausgesprochen hatte, vermutete, dass Aramis an Fieber litt, denn die Mönche waren nicht unwissend, machten sie Umschläge. Aramis hatte nichts dagegen, denn er fiel immer wieder in Ohnmacht, die ihn seiner bemächtigte.
Als Bouvard mit Herrn Denis eintraf, war Aramis wach, zeigte aber die ersten Anzeichen eines vom Tode mitgezerrten Mann. Der Arzt wollte Aramis allein untersuchen und schickte die Mönche und Bouvard aus dem Zimmer.
Ist es denn möglich, dachte Bouvard, dass ihn seine Freunde, die ihn alle verlassen haben, zu sich rufen? Kaum mag ich mir vorstellen, dass der gute Aramis so schnell seiner Trauer und dem Schmerz unterlegen ist und dem Tod die Türe öffnet.
Geduldig warteten einige Mönche mit Bouvard vor der Tür, als der Arzt herauskam.
„Wie steht es um den Bischof?“ fragte ihn Bouvard voller Sorge.
„Nun, der Bischof muss etwas sehr schmerzliches widerfahren sein! Noch bei meinem letzten Besuch vor vier Wochen wunderte ich mich über diese gute Gesundheit des guten Aramis. Doch heute vermag ich ihm kaum noch eine Woche zu geben! Das Fieber hat ihn ergriffen und da Herr Aramis sehr geschwächt ist, was mich sehr erstaunt, denn das Fieber allein hätte ihn nicht auf einmal so schwächen können, wird er auch kaum Nahrung oder Wasser zu sich nehmen!“
Herr Denis seufzte. Ihm waren die Geheimnisse nicht erzählt worden, so musste er sich seine eigenen Gedanken zu Aramis´ Kummer machen. Bouvard bewies aber Herz und weihte den Arzt ein.
„Ach, herrje, jetzt verstehe ich auch diese leeren Augen! Dieser Kummer wird ihn noch auffressen! Der Bischof sagte mir, er habe das Fenster offen gelassen und schlecht geschlafen. Menschen mit schlechten Träumen neigen dazu, zu schwitzen und sich im Bette umher zu wälzen. Ein kleiner Luftzug und schon ist es mit einer Erkältung und Fieber geschehen!“ sagte der Arzt, nachdem Bouvard ihn mit allen Einzelheiten aufgeklärt hatte.
Alle waren sehr bedrückt darüber. Herr Denis bat die Mönche, Aramis kalte Umschläge zu machen, damit das Fieber wegginge und ihm Zeit zu lassen um über die Trauer, die ihn plage, hinwegzukommen. Dann verließ er das Kloster mit dem Versprechen, am Abend noch einmal zu kommen.
Aramis begann im Verlauf des Tages zu phantasieren. Bouvard, der nicht mehr von seiner Seite wich, erschrak zuweilen, wenn der Bischof Namen wie „Ludwig“ „Porthos“ und „Tréville“ schrie. Da Bouvard ein guter Denker war, ordnete er Ludwig dem König und Porthos, von dem er schon einiges gehört hatte, dem Freund zu. Den Namen Tréville hatte er nie gehört gehabt, oder er meinte zumindest, ihn noch nicht gehört zu haben. Manchmal sprach Aramis im Schlaf auch ganze Sätze, die aber nur andeuten konnten, ob sie der Rache, der Freundschaft oder der Gehorsamkeit gegenüber dem König galten.
Zum späten Nachmittag schlug Aramis die Augen auf. Er sah Bouvard zu seiner rechten, der in ein Buch versunken war. Der Bischof fühlte sich schwach, noch schwächer als heute morgen, und er fand, dass er bereits die Stimmen seiner Freunde hörte.
„Bouvard.“ murmelte er leise.
Bouvard war ein guter Zuhörer und Hörer. Sofort klappte er das Buch zu und wandte sich Aramis zu.
„Aramis! Wollt Ihr etwas essen oder wenigstens trinken?“
„Nichts.“ war die Antwort von Aramis. Tatsächlich verspürte er keinen Hunger und auch keinen Durst.
„Aber Ihr müsst trinken! Ich lasse Ihnen ein Glas Wasser bringen!“ sagte Bouvard und schellte. Daraufhin kam Julien, blickte besorgt den Kranken an, stieß ein kurzes Gebet in den Himmel und erwartete einen Auftrag.
„Julien, Bringen Sie doch bitte ein Glas Wasser! Der Bischof muss etwas trinken, da er sonst noch austrocknet!“
Der Mönch machte sich sofort aus dem Zimmer.
Aramis, der alles beobachtet hatte, fand, dass Bouvard und die Mönche eine richtige Dienstgesellschaft abgaben.
„Sie haben Julien zum Diener gemacht?“ fragte Aramis, hustend und mit zitternder Stimme.
„Nein, nein, wir haben jeder einen Posten übernommen um für Sie gut sorgen zu können. Ich habe den Posten als Aufpasser übernommen, auch, weil ich ein Freund von Ihnen bin. Julien erklärte sich zum Läufer, also er springt, wenn ich ihn rufen muss.“
Aramis hätte gelächelt, wenn er es gekonnt hätte. Soviel Aufwand für einen Bischof, einen alten Mann, der vom Tod träumte. Das hatte er nicht erwartet.
Zum Abend hin kam Herr Denis noch einmal. Die Prognose von ihm war schlimmer als von heute morgen, da Aramis einen Husten dazu bekommen hatte.
„Es sieht schlecht für den Bischof aus! Er will sich wohl nicht heilen lassen. Soweit ich das sehe, will er zu seinen Freunden zurückkehren, von denen Sie mir erzählt haben, Herr Bouvard! Sollte sich der Bischof nicht dem Leben zuwenden wollen, müssen sie bald einen Beichtvater aufsuchen.“
In der Nacht blieb Julien an der Seite von Aramis. Der kleine Mönch ließ seine kurzen Beine am Stuhl baumeln und schrieb, mit einem Buch als Unterlage, einen Brief. Er blickte oft auf Aramis weißes Gesicht, dass vom Mond, der durch das Fenster schien, erhellt wurde. Manchmal starrte Julien lange darauf, manchmal wagte er auch nur einen kurzen Blick über seine Schultern. Aramis sah immer gleich aus.
Im Morgengrauen löste Bouvard den armen Julien ab. Bouvard war erstaunt, das der Mönch nicht geschlafen hatte.
Aramis schlief bis zehn Uhr und als er aufwachte, war Bouvard gerade aufgestanden um sich die Beine im Zimmer zu vertreten. Er blickte Aramis lächelnd an um ihn Mut zu machen. Doch Aramis´ Gesicht war eingefallen und seine Wangenknochen lugten schon etwas hervor.
„Bouvard.“ sagte Aramis schwach.
Bouvard kniete sofort zum Bett und hielt Aramis seinen Kopf hin.
„Achtet mir auf die Rosenstauden unter meinem Fenster und passt auf die Lavendelfelder auf!“ murmelte der Bischof.
„Aber Aramis, Sie werden doch wieder gesund und dann können Sie mit mir die Rosen bewundern und die Felder gießen!“ sagte Bouvard, den Tränen nahe. Er spürte, dass sich Aramis verabschieden wollte.
„Ich werde gehen, wohin meine Freunde bereits das Glück hatten, zu gehen. Mein lieber Bouvard, ich schenke Ihnen die Kutsche und die Pferde! Nehmen Sie darauf Acht und helfen Sie dem Kloster so, wie Sie es immer taten!“
„Aber Herr Bischof, Sie können doch nicht ohne Beichtvater von uns gehen!“ meinte Bouvard und verbarg seine Tränen nicht mehr. Aramis lächelte friedlich.
„Porthos und d´Artagnan starben ohne Beichten abgelegt zu haben. Athos hatte die seine abgelegt und der Beichtvater des Grafen de la Fère hat mir genau erzählt, was Athos gesagt hat. Und Athos log dem Beichtvater etwas vor. Er wollte seine Sünden mit in das Grab nehmen wie es Porthos, d´Artagnan und Raoul getan hatten. So will auch ich mich keiner Schuldigkeit entledigen! Gott wird mir verzeihen, weil er sieht und weiß, wer ich bin! Lebt wohl, Bouvard, letzter Freund, den ich lieben durfte.“
Sein Kopf fiel seitwärts, die Augenlieder schlossen sich ohne ein nerviges Zucken. Der Arm des Bischofs lag leblos auf seinem Herz, als müsste er Frankreich noch einmal beweisen, wie treu er ihm gedient hatte. Der Tod hatte ihn schneller ereilt als Bouvard es glauben wollte. Und im Angesicht des Toten sah Bouvard, wie stolz, ehrwürdig und friedlich das Gesicht war. Aber es lag noch ein weiterer Zug darin: die Stärke, die Aramis zu einem Musketier gemacht hatte und wie die nur seine drei Freunde Athos, Porthos und d´Artagnan gesehen hatten.