Kapitel Brothers in fate
Nach der Unterredung mit Kardinal Richelieu wäre der Comte de Wardes am liebsten stehenden Fußes nach London zurückgekehrt, doch dies erwies sich als unmöglich. Wie ihm Rochefort bereits in Royan erklärt hatte, erwartete man im Feldlager die Ankunft der englischen Flotte vor La Rochelle; auf dem Meer wimmelte es von Kriegsschiffen, und kein vernünftiger Kapitän würde sich aus dem Hafen wagen, bevor die drohende Konfrontation nicht beendet war. Auf dem Landweg nach Calais oder Le Havre hingegen wäre er wochenlang unterwegs gewesen, und ob es in diesen Häfen eine Passage nach England gab, war ebenfalls äußerst fraglich. Er hatte also keine andere Wahl, als vorerst im Lager zu bleiben, was wiederum Rochefort und Richelieu sehr willkommen war. Mit beiden führte er in den folgenden Tagen noch mehrere lange Gespräche über seine Arbeit in England, seine Erfahrungen, seine Erkenntnisse, mögliche Szenarien, wie es nun nach Buckinghams Tod in der englischen Politik weitergehen würde, und was er zu tun hatte, wenn er nach London zurückgekehrt war. Charlottes Tod kam nicht wieder zur Sprache, doch er umgab de Wardes wie ein unheilvoller Schatten. Zwar hatte er dieses Mal nicht den Fehler begangen, verdrängen zu wollen, was geschehen war; wieder und wieder hatte er versucht, sich bewusst zu machen, dass sie unwiderruflich fort war und dass er allen Grund hatte, darüber erleichtert zu sein. Zeitweilig funktionierte das auch, nur manchmal kam ihm alles irgendwie unwirklich vor, und er hatte das Gefühl zu träumen, was jedoch harmlos war im Vergleich zu dem, was er tatsächlich träumte, wenn er schlief. Nacht für Nacht machte Charlotte vor seinem inneren Auge unzählige Verwandlungen durch, wurde vom Engel zur Nymphomanin, von der zärtlichen Liebhaberin zur mörderischen Furie, erschien ihm als Henker, als Dämon, als doppelköpfige Schlange… Als er wieder einmal im Morgengrauen schreiend von seiner Pritsche hochfuhr und sein Herz hämmerte, als wollte es seinen Brustkorb sprengen, seine Kehle heiser, Hemd und Haare schweißnass, wusste er: wenn er wollte, dass dies aufhörte, musste er versuchen, eine Antwort auf die Frage zu finden, die weder Richelieu noch Rochefort ihm hatten beantworten können. Wer war Charlotte tatsächlich gewesen?
In der Kardinalsgarde wussten mittlerweile alle, dass der junge Mann, der unter ihnen im Lager wohnte, ein Agent Richelieus war; man beäugte den Zivilisten mitunter, ließ ihn aber ansonsten in Ruhe. Im Lager der königlichen Musketiere sah dies naturgemäß anders aus.
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