Graf und Gräfin de La Fère von Louise 

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Kapitel Graf und Gräfin de La Fère

Vorsichtig zog er den Vorhang des Bettes zur Seite und ließ die ersten Sonnenstrahlen auf die seidene Bettdecke scheinen. Es mochte noch recht früh am Morgen sein, und der junge Graf sank zurück in die weichen, mit Seide umhüllten Kissen. Wie schön das Leben doch war!
Er entsann sich der letzten Nacht und konnte nicht umhin, mit stolzem Lächeln die Augen auf seine noch schlafende Gemahlin Anna zu richten! Einen Monat war es nun schon her, daß er seinen Eltern zum Trotz diesen Engel zur Frau genommen hatte! Eine Entscheidung, die ihm nicht schwer gefallen war, und die er auch getroffen hätte, hätte sein Vater die Drohung wahr gemacht, ihm seinen Erbteil aufgrund dieser Vermählung zu verwehren. Was er nicht tat, da er seinen Sohn aufrichtig liebte. Somit hatte für ihn die schönste Zeit seines Lebens begonnen. Noch nie war ihm die Welt als ein solches Wunder erschienen. Die Schönheiten der Natur, die er früher kaum wahrgenommen hatte, erwärmten nun sein Herz. Er selbst bemerkte den Wandel, der in ihm vorging, am meisten, seit Anna in sein Leben getreten war. Natürlich, sie hatte keinen Titel und stammte aus einer niederen Schicht, doch der junge Graf konnte sich keine Frau vorstellen, die besser in die Rolle der Gräfin gepaßt hätte als seine Frau. Sein Blick ruhte immer noch auf der jungen schlafenden Frau neben ihm. Ihr blondes gelocktes Haar umgab sie wie ein Heiligenschein und auch wenn ihre Augen geschlossen waren, erahnte man doch die Ähnlichkeit, die diese mit dem Meer haben mußten. Ihr feinen Gesichtszüge wurden durch die rosigen weichen Lippen vervollständigt. Sein Blick wanderte von ihrem Gesicht hinab zu ihrem schönen jungen Körper, der sich unter der seidenen Decke abzeichnete. Sie war kein Engel, sie war eine Göttin. Vorsichtig ließ er seine Hand über ihre samtene weiße Haut gleiten und hauchte ihr einen sanften Kuß auf die Lippen.

Während der Graf sich so leise wie möglich von der Bettdecke befreite, öffnete seine junge Gemahlin die Augen. Die Sonnenstrahlen wärmten ihr Gesicht und sie blinzelte. Es hatte diesmal nur einen kurzen Moment gedauert, bis sie sich ihrer Lage bewußt geworden war, doch die Schrecken der Vergangenheit waren nicht so schnell zu vergessen, und so befürchtete sie noch immer jeden Morgen, daß ihr neues Leben sich als ein einziger schöner Traum verflüchtigen würde. Doch als sie ihren Gemahl erblickte, der zum Fenster geschritten war, verschwanden alle Ängste, und sie rekelte sich beruhigt in dem weichen Bett. Welch ein übernatürliches Glück hatte sie gehabt, daß ausgerechnet der junge Graf de la Fère sich in sie verliebt und sie zur Frau genommen hatte. In ihrer Lage hätte sie jeden reichen Mann geheiratet, doch der Graf war nicht nur reich, sondern darüber hinaus auch noch ein überaus schöner und gebildeter junger Mann. Seine Haltung, seine Gebärden, sein ganzes Aussehen war ein einziger Beweis für seinen Adel. Noch nie hatte Anna einen so schönen Mann gesehen, der gleichzeitig Würde, Schönheit und Kraft ausstrahlte. Versonnen betrachtete sie ihn, wie er da am Fenster stand und die frische Morgenluft in sich aufnahm. Das lange schwarze Haar fiel ihm elegant auf seine breiten Schultern und glänzte im Sonnenlicht. Er war nicht sonderlich groß und recht schlank, ohne dabei aber mager zu wirken. Seine Körperhaltung war von tadelloser Eleganz. Jedesmal wenn sie ihn so betrachtete, regte sich ein Gefühl in ihrem Herzen, das sie gerne verbannt hätte und dem sie aber doch nicht entfliehen konnte. Seufzend richtete sie sich in dem weichen Bett auf, ohne jedoch den Blick von ihrem Gemahl zu wenden. Dieser hatte sich bei dem Geräusch umgedreht und wünschte ihr nun lächelnd einen guten Morgen. Seine Augen waren ebenso wie sein Haar rabenschwarz und so tief, daß sie glaubte, darin zu versinken. Und auch wenn sie im Moment nur Wärme und Liebe ausstrahlten, so wußte sie doch, daß diese Augen ebenso grausam wie jetzt wärmend blicken könnten, wenn aus ihnen Verachtung und Haß sprachen. Fröstelnd zog sie die Decke enger um sich.
Der junge Graf war vom Fenster zurückgetreten und näherte sich nun wieder dem Bett. Er war bereits in eine schwarze Hose geschlüpft und zog nun auch ein weißes Hemd über die Schultern. Lächelnd beugte er sich über seine Frau und drückte ihr einen Kuß auf die Lippen, den sie leidenschaftlich erwiderte.
"Kann ich denn gar nichts tun, um Dich wenigstens einmal länger im Bett zu behalten?" fragte sie lächelnd, während sie ihm über die Wange strich.
Sanft schüttelt er den Kopf: "Der Morgen ist voll Frische und Sonnenschein. Ein wundervoller Tag wartet auf uns, und Du willst ihn in diesem stickigen Haus verbringen?" Und schelmisch grinsend fügte er hinzu "Ich denke wirklich, es reicht, wenn wir die Abende und Nächte in diesem Bett verbringen! Wenigstens während des Tages möchte ich mich doch erholen können." Bei diesen Worten hatte er sich spielerisch auf sie geworfen und scheuchte sie mit einer etwas ungewöhnlichen Methode aus dem Bett.
Nach einem liebevollen Kuß trennten sich die beiden Ehegatten zur morgendlichen Toilette, um eine Stunde später beim Frühstück wieder zusammenzutreffen. Während der Graf sich mit einer Schüssel kaltem Wasser begnügte und danach einen kurzen Ausritt unternahm, ließ sich die Gräfin ein Bad herrichten. Danach entließ sie die Kammerzofen und schloß sich in dem Badegemach ein. Sie öffnete die Verschlüsse ihres Nachtgewandes, das aus feinem himmelblauen Batist gewebt war und ließ den Stoff auf die Erde fallen. Dann glitt sie anmutig in das warme Wasser und schloß gedankenverloren die Augen. Das Wasser umspielte ihren Körper, und sie atmete tief den Duft des Badeöles ein. Ihre Glieder entspannten sich, während sie das Öl sanft auf ihrer Haut verrieb. Wie schön wäre es gewesen, wenn es seine Hände hätten sein können, die ihren Körper massierten. Doch bei diesem Gedanken lief ihr ein Schauer über den Rücken, und während sie sich langsam ihrer linken Schulter näherte, weiteten sich ihre Augen, und die Maske der engelsgleichen Sanftmut wich dem wahren Gesicht dieser Frau, das von Haß und Grausamkeit entstellt war. Zitternd löste sie das schwarze Seidenband von ihrer Schulter und betrachtete fast nachdenklich die eingebrannte Lilie, die unter dem Stoff zum Vorschein kam. Sollte der Graf dieses Zeichen jemals entdecken, so war sie verloren. Sie hatte lange versucht, eine Geschichte zu entsinnen, um ihn von ihrer Unschuld zu überzeugen. Doch sie wußte auch, daß der Graf gebildet und klug war, und sie ihn trotz seiner fast blinden Liebe zu ihr nicht täuschen konnte. Hastig ergriff sie ein dunkelrotes Samtband und band es um ihre Schulter. Niemals durfte er es zu Gesicht bekommen, niemals.

Der Graf jedoch ahnte nichts von dem Betrug, dem er verfallen war und jagte frei von Sorgen über die Wiesen und Felder seines Besitzes hinweg. Sein schwarzes Haar wehte im Wind, und unter dem seidenen Stoff seines Hemdes zeichnete sich sein muskulöser Oberkörper ab. Er ritt einen schwarzen Hengst, den er eigenhändig gezähmt hatte und der in seiner Wildheit sehr der seines Reiters glich. Auf einer Anhöhe zügelte der junge Mann sein Pferd. Von hier aus konnte er seinen gesamten Besitz überblicken. Das Schloß wurde von vielen Wiesen und Feldern umgeben und fast verdeckt durch die zahlreichen Bäume, die um es gepflanzt waren. Für ihn allein war es viel zu groß. Er war sich immer einsam und verlassen vorgekommen, doch mit seiner Frau hier zu leben, war wundervoll. Sie erfüllte alles mit Leben und mit einer unglaublichen Schönheit. Er war ein Einzelgänger von Natur aus und liebte die Ruhe. Er hatte immer gewußt, daß er sein Herz nur einmal vergeben würde, dann allerdings für immer. Nun war es geschehen und er zweifelte nicht einen Moment daran, daß es für die Ewigkeit sei. Schließlich wendete er sein Pferd und galoppierte zurück zu seiner Frau.

Als sie in den Speisesaal eintrat, verschlug es ihm die Sprache. Jeden Tag aufs neue beeindruckte ihn ihre Schönheit. Sie trug ein einfaches weißes Seidenkleid mit weinrotem Überwurf. Ihr Haar war zu einem langen Zopf geflochten und mit einem einfachen weinroten Band zusammengehalten. Lächelnd setzte sie sich zu ihm an die Tafel. Während sie sich niederließ, spürte sie, daß er seinen Blick nicht von ihr nahm. Sie begegnete ihm ruhig und verführerisch, und so ergründeten die schwarzen Augen die tiefblauen und wurden gleichzeitig von diesen ergründet. Der junge Graf bemerkte ein weiteres Mal, die Rätselhaftigkeit ihrer Augen und sah die vielen Geheimnisse, die in ihnen verborgen waren. Die Frau, die ihm gegenüber saß, war eine Fremde, das spürte er. Und doch gehörte ihr sein Herz. Sie hingegen las aus seinen Augen nur seine Liebe und die Sanftmut, die er ihr entgegenbrachte - sie konnte nur erahnen, was verborgen war in dieser schwarzen Tiefe.
Nach dem Frühstück zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück, um Angelegenheiten seines Guts zu klären, während sie sich um den Haushalt kümmerte und Briefe an adlige Freunde der Familie ihres Mannes schrieb. Umgeben von seinen Büchern, die in den bis zur Zimmerdecke reichenden Regalen standen, rechnete und prüfte der Graf und sprach mit seinem Verwalter. Er war einer der wenigen Gutsherren, die ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nahmen und sich um das Wohl ihre Untertanen kümmerten, die es ihnen mit Respekt und Ehrfurcht vergalten. Er war ein gewissenhafter Mann, der eine gute und umfassende Bildung genossen hatte und der die Gerechtigkeit hoch schätzte.
Nach getaner Arbeit ließ er seinen Waffenhalter kommen und verabredete mit ihm eine Fechtübung im Freien. Wie alle Sprößlinge aus adliger Familie hatte auch er das Fechten erlernt und diese Kunst im Laufe der Jahre immer mehr verbessert, so daß er nun nicht nur seinen Fechtlehrer, sondern auch seinen Vater besiegen konnte. Jedoch kam es ihm auf einen schönen und fairen Kampf an und nicht nur auf das Siegen. Er betrachtet den Degen nicht als Waffe, vielmehr als eigenständige Macht, die ihn ausgewählt hatte, sie zu nutzen. Er zog ihn denn auch ehrfürchtig aus der mit Edelsteinen besetzten Scheide und vollführte einige Hiebe in der Luft. Sein Degen war schlicht und nur mit wenigen Verzierungen gearbeitet, dennoch war es eine majestätische Waffe, die jedem Gegner Angst eingeflößt hätte. Mit ihr in der Hand stieg er die Freitreppe hinab zu einer Wiese, wo der Waffenhalter bereits auf ihn wartete. Sie verbeugten sich voreinander und kreuzten dann die Degen.

Leicht bewegte sie die Feder in ihrer Hand. Es war ein wundervolles Gefühl von all diesen Adligen als Freundin bezeichnet zu werden. Sie, die als einfaches Mädchen in einem Kloster gelebt hatte, war nun anerkannt als adlige Gräfin mit Ruhm und Ehre. Ihr Blick fiel auf den Ring, der sie zu dem gemacht hatte, was sie heute war, und versonnen legte sie die Feder nieder. Dieser Ring, der mit Saphiren und Smaragden das Wappen der Grafschaft de la Fère formte, war ihre Garantie für ein neues Leben ohne Furcht. Der Mann, der ihn ihr gegeben hatte, war die Garantie für eine ewig dauernde Liebe. Das Mal auf ihrer Schulter konnte beides zunichte machen.
Das Waffengeklirr drang vom Hof zu ihr herauf, und nachdenklich lehnte sie sich an das Fenster. Draußen fochten ihr Gemahl und sein Waffenmeister einen Kampf, der der Fechtkunst alle Ehre machte. Man hätte meinen könne, es sei ein Kampf auf Leben und Tod, hätten nicht beide Fechter die Härte des Kampfs mit ihrer Eleganz verdeckt.
Liebte sie diesen Mann? Es war eine Frage, die sie sich seit einigen Tagen immer wieder stellte. Am Tag seines Antrages hatte sie nur aus Berechnung zugestimmt, doch nun, seit einige Wochen vergangen waren, fühlte sie, daß sie diesem Mann mehr entgegenbrachte als nur kühle Berechnung. Die Gefühle, die er in ihr verursachte, wenn sie ihn betrachtete, mit ihm sprach und sich ihm hingab, waren anders als alles, was sie je gefühlt hatte. Sollte das wirklich Liebe sein?
Sie wurde in ihren Gedanken unterbrochen, als ein Bote eintrat und ihr ein Schreiben der benachbarten Familie überbrachte. Es enthielt eine Einladung zu einem Ball für diesen Abend. Dies waren die einzigen Abwechslungen, die eine adlige Familie auf dem Lande haben konnte. Und auch wenn sie bis jetzt jeden Tag beschäftigt gewesen war, überlegte sie doch, ob sie ihr ganzes Leben hier verbringen wollte. Seine Liebe für sie würde ewig dauern, das hatte er ihr geschworen, und sie glaubte es ihm. Doch würde sie hier verweilen können? Sie war noch sehr jung und als Gräfin stand ihr die gesamte Welt offen. Immer wieder sagte sie sich, daß sie ihr Leben nicht von Gefühlen leiten lassen durfte. Dazu war es zu kostbar.

Als sie ins Freie hinaustrat, trug sie wieder die Maske der Gutmütigkeit und Sanftmut, die nichts über die Gedanken verriet, die sie soeben beschäftigt hatten. Lächelnd trat sie auf ihren Gemahl zu, der sofort den Kampf unterbrochen hatte, und reichte ihm die Einladung ihres Nachbarn, des Grafen de Polignac. Als er das Schreiben überflogen hatte, sah er zu ihr. "Und, möchtest Du tanzen?" Immer wenn es sich um eine Entscheidung handelte, die beide Ehegatten betrafen, und auch bei vielen seiner eigenen Angelegenheiten, erkundigte er sich vorher über ihre Meinung. Es war wie viele andere Dinge der Beweis für seine Liebe und seine Achtung ihr gegenüber. Er war zweifellos der edelste Mann, den sie je gekannt hatte und tief in ihrem Herzen verborgen, fragte sie sich, warum ihr Verstand das Herz nicht siegen ließ und dem Grafen die Liebe gewährte, die er verdiente.
"Gerne möchte ich tanzen, ... aber nur mit Dir!" antwortete sie und küßte ihn sanft auf die Lippen.
Zusammen gingen sie zum Mittagsmahl, um danach gemeinsam zu lesen und noch einen Spaziergang zu unternehmen. Als sie schließlich am Abend im Ballsaal des Schlosses de Polignac eintraten, vermittelten sie wie schon die Tage zuvor das Bild des überglücklichen Paares, das in dieser Zeit mehr als selten war. Sie trug ein Kleid aus blauer Seide und einem dunkelblau samtenen Überrock. Die Saphire, die an einer silbernen Kette auf ihrem Décolleté lagen, glichen ihren leuchtenden blauen Augen. Ihr blondes Haar hatte sie bis auf einige kleine Strähnen mit einem silbernen Diadem hochgesteckt. Er, neben ihr, trug ebenfalls einen dunkelblauen Rock mit edlen silbernen Verzierungen, eine schwarze Hose und ein weißes Seidenhemd. An seiner Seite hing sein Paradedegen und in seiner Hand trug er einen mit Samt bezogenen Hut mit dunkelblauen Federn. Sein Haar war zu einem Zopf gebunden und mit einem blauen Samtband zusammengehalten.
Niemand, auch nicht der genaueste Betrachter, hätte vermutet, wie gegensätzlich die Gedanken des Paares waren. Er, zwar glücklich, und doch voller Neugierde und Spannung auf das Geheimnis seiner Frau, das er erahnte, und doch nicht lösen konnte. Sie in dem Konflikt aus Liebe und Berechnung und welchem sie den Vorzug geben sollte. Keiner der anwesenden Gäste ahnte etwas von dem dunklen Mahl auf der Schulter dieser Frau und von den Verbrechen, die sie noch begehen würde. Keiner wußte etwas von der Seelenqual und der Trauer, die diesen jungen Mann, der zu ihrer linken stand, überwältigen und beinahe zerstören würden. Vor ihnen standen der Graf und die Gräfin de la Fère, die später unter neuen Namen Todfeinde sein würden. Der Tanz, den sie tanzten, sollte ihr letzter gemeinsamer sein. Der nächste Tag würde aus ihm den unnahbaren, verbitterten Musketier Athos machen und aus ihr die haßerfüllte Intrigantin Mylady. Denn am nächsten Tag, als sie gemeinsam auf die Jagd gingen, stürzte sie vom Pferd und wurde ohnmächtig, und der Graf, der ihr zur Hilfe eilte, erblickte, während er ihr die Kleider, die sie beengten, aufriß, das Mal auf ihrer Schulter, die Lilie!