Herz und Seele Frankreichs von RoostersCromedCDF

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Kapitel Kapitel 14

Thernes trat einen Schritt von Aramis zurück und beobachtete ihn aufmerksam. Seine Worte – und vermutlich auch die Überzeugungskraft des Ochsenziemers - hatten die gewünschte Wirkung gehabt, denn Aramis hatte heftiger reagiert als in all den Stunden zuvor und das Zittern, dass durch seine Körper gelaufen war, war nicht zu übersehen gewesen. Thernes spürte eine Erregung in sich aufsteigen, die alle anderen Gefühle – nicht, dass er viele davon hatte - verdrängte und er sah sich am Ziel seiner Ambitionen und nichts und niemand würde ihm diesen Triumph noch entreißen können.

„Gut. Sie scheinen zu wissen, wovon ich rede, das bringt uns wirklich weiter“, säuselte er schmeichelnd, während er sich wieder zu Aramis vorbeugte. „Dann würde ich sagen, bringen wir es hinter uns und Sie erzählen mir nun vom exakten Ziel des Konvois, nicht wahr?“

Die Augen des Gefangenen glitzerten dunkel und abgründig und Thernes hatte auf einmal das Gefühl, dass Aramis einen Entschluss gefasst hatte, der ihm nicht gefallen würde.

„Welcher Konvoi? Ich habe keine Ahnung wovon Sie reden“, antwortete Aramis leise und schüttelte soweit es seine Position an der Säule zuließ den Kopf.

Thernes fuhr zurück, als hätte Aramis ihm ins Gesicht geschlagen. Im gleichen Moment fiel nun endgültig seine Maske des Oberlehrers, die er bis jetzt wohldosiert zur Schau gestellt hatte. Er spürte die Hitze seiner abgrundtiefen Bösartigkeit und Wut in seinem ganzen Körper. „Halten Sie mich für dumm? Ich bitte Sie, Aramis, beleidigen Sie nicht meine Intelligenz“, zischte Thernes ihn an. „Denken Sie, das hier ist immer noch ein Spiel? Hm? Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sagen, das alles übersteigt bei Weitem ihre Fähigkeiten. Sie haben sich erstaunlich wacker geschlagen bis hierhin, das muss ich Ihnen zugestehen, aber tun Sie sich und mir den Gefallen und sagen Sie einfach, was sie wissen – um Ihretwillen.“

Während er sprach, hatte sich Thernes wieder ganz nah zu Aramis hinbewegt, wie ein Raubtier, das jeden Moment sein Opfer zerreißen wird. Er sprach mit leiser, drohender Stimme und jede Faser seines Körpers war gespannt wie ein Bogen. Aramis schluckte schwer und richtete dennoch einen beinahe trotzigen Blick auf ihn.

Si crees que voy a decirte, de entre todos, dónde escondió el Rey el corazón de Francia, estás muy equivocado, ¡maldito bastardo.1, erwiderte Aramis mit einem spöttischen, aber eiskalten Unterton in der Stimme.

Thernes traute seinen Ohren nicht und er war für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich unfähig, zu reagieren. Er verharrte wie angewurzelt vor Aramis, vergaß beinahe zu atmen und versuchte krampfhaft die Antwort von Aramis einzuordnen. Von allen Möglichkeiten – damit hatte er nicht gerechnet. Verdammt noch einmal, warum zum Teufel hatte mich niemand davon unterrichtet, dass dieses Ungeziefer Spanisch spricht?

Thernes spürte den Moment, in dem er seine Fassung verlor, konnte es aber nicht mehr verhindern. Er wirbelte zutiefst aufgebracht herum, zog den Ochsenziemer voll durch und drosch unerbittlich immer wieder auf Aramis ein. Er hatte keinen Sinn mehr für die vermeintliche Schönheit seiner Verhörarbeit, für wohl platzierte Schläge und Variationen der Dosierung. Hier und jetzt reagierte er sich nur mehr ab, bestrafte Aramis für seine Impertinenz und seinen Widerstand in den letzten 20 Stunden. Thernes badete in seiner Wut und Gier nach Blut und ließ den Dämon in sich frei – Nein, ich bin der Dämon.

Aramis wurde durch die schiere Wucht der Schläge an die Säule gepresst und obwohl Thernes von Mal zu Mal fester zuschlug, schrie der Scharfschütze einfach nicht. Warum schreit er nicht? Diese penetrante Sturheit, mit der Aramis immer noch aufrecht stand und bei Bewusstsein blieb, reizte Thernes bis ins Blut.

„Herr Kommissar! Herr Kommissar!“

„Was?“ Weiße Wut pulsierte gemeinsam mit seinem erregten Herzschlag durch seinen Körper und Thernes musste mehr als an sich halten, um den Ochsenziemer nicht direkt in das Gesicht des Sturmmannes zu schlagen, der sich beflissen neben ihm aufgebaut hatte. Er schloss kurz die Augen, um sich wieder unter Kontrolle zu bringen, ehe er sich angewidert zu dem Mann umdrehte.

„Herr Kommissar! Bitte entschuldigen Sie, aber es sind bereits 24 Schläge. Die Vorschrift sagt, dass nach 15 Schlägen ein Arzt den…“, versuchte der Sturmmann, der Aramis von der Mönchszelle hier her eskortiert hatte, ihn mit unterwürfigen Ton in der Stimme zu beschwichtigen.

„Ich weiß, was die verdammte Vorschrift sagt, Baumgartner, Sie brauchen mich nicht daran zu erinnern“, blaffte Thernes den kleinen Bürokraten an, trat dann aber dennoch von Aramis weg und atmete zwei Mal tief durch. Seine Hand hielt den Ochsenziemer immer noch fest umklammert, während Bluttropfen zu Boden fielen und eine winzige Lache bildeten. Das einzige Geräusch, das mittlerweile zu hören war, war das unstete Keuchen von Aramis, der sich augenscheinlich nur unter größter Anstrengung an die Säule geklammert aufrecht hielt.

Thernes hätte den Sturmmann am liebsten an Ort und Stelle getötet, doch stattdessen seufzte er frustriert und wandte sich direkt an Kleindienst, der das Geschehen mit einem Ausdruck großer Schadenfreude vom Rollsessel in der Nähe des Alkoven aus beobachtet hatte. „Holen Sie Dr. Rausch, aber dalli!“, befahl er Kleindienst und blickte zu Baumgartner, während er in bemüht süffisantem Ton weitersprach: „Wir wollen doch nicht, dass die Vorschrift nicht befolgt wird, nicht wahr?“

Kleindienst sprang sofort auf, nickte und warf Baumgartner einen verächtlichen Blick zu. „Beim Führer, diese Berliner Erbsenzähler haben doch keine Ahnung Ahnung von Verhörtechnik. Aber ihr Sesselfurzer seid doch alle gleich“, spuckte aus und verließ das Verhörzimmer.

***

Als Dr. Rausch die kleine Kapelle betrat, verzog er missbilligend das Gesicht. Wie es aussah, hatte Thernes wieder einmal die Fassung verloren. Und ich darf nun die kläglichen Überbleibsel seiner Eskapaden notdürftig zusammensetzen.

Rausch hatte kein Problem mit den Verhörmethoden des Kommissars, im Gegenteil, diese ermöglichten ihm in der Regel wertvolle Fallstudien und es fiel immer wieder hie und da ein Leichnam – manchmal sogar ein noch lebendes Versuchsobjekt – für ihn ab. Die Erkenntnisse, die er inzwischen über die Muskel- und Gewebsstruktur des Menschen gewonnen hatte, würden ihm ganz sicher den Weg an die Berliner Universität ebnen.

Was ihn jedoch wirklich störte war die Erwartungshaltung, die Thernes mit seiner Arbeit verband. Der Kommissar wünschte, dass, ganz gleich wie sehr sie den Gefangenen bei ihren verschärften Vernehmungen zusetzten, er als diensthabender Arzt diese wieder so zusammenflicken würde, dass immer noch weitere Befragungen möglich wären. Und dann bin ich wieder Schuld, wenn ein Delinquent stirbt. Ich lasse doch nicht meine Reputation in Frage stellen, dachte Rausch empört.

Die Niederungen dieses eher schlichten Verhör-Gewerbes erschlossen sich ihm wahrlich nicht, stellte Rausch voller Selbstmitleid fest und er bedauerte nicht zum ersten Mal die Verschwendung seines Talentes an diesem Ort.

Er seufzte also ein wenig frustriert über die Beliebigkeit, mit der seine kostbare Arbeit weit unter Wert angefordert wurde – überhaupt um diese Tageszeit – und begutachtete den Rücken des armen Schweins, das erstaunlich lange durchgehalten hatte. Das gestrige Ausbluten war haarscharf an der Grenze gewesen, beinahe hätte er den Gefangenen verloren und nur seiner Routiniertheit war es zu verdanken gewesen, dass er die massiven Blutungen hatte stillen können. Darüber hinaus ärgerte es ihn, dass Thernes und Kleindienst seine Warnungen in Bezug auf eine Erholungszeit erst viel zu spät ernst genommen hatten. Verhöre dieser Art waren immer Gratwanderungen und wenn seine Expertise nicht im ausreichenden Maß berücksichtigt wurde, dann musste sich auch wirklich niemand der Herren wundern, dass die Subjekte dem Druck nicht standhielten. Rausch seufzte erneut und begann, in seiner ausgebeulten Arzttasche nach dem obligatorischen Lysoform und einem größeren Tupfer, der zweifelsohne nötig sein würde, zu suchen.

***

Thernes hatte sich zwischenzeitlich in eine kleine, jedoch sehr breite Fensternische gesetzt, die die alte Kapelle vom Kreuzgang trennte und mit dicken bleiverglasten Fenstern ausgestattet worden war. Ihm war unendlich langweilig, als er zusah, wie Rausch immer wieder den Rücken des Scharfschützen begutachtete und scheinbar einzuschätzen versuchte, wie schwer der Schaden war, den er angerichtet hatte.

„Das Verhör war wohl ein wenig härter als üblich....“, stellte Thernes trocken fest und rieb sich mit einer Hand über sein Kinn. Den Ochsenziemer hatte er achtlos in die hintere Ecke der Kapelle geworfen und wie ein schmollendes Kind hatte er im Moment keine Lust mehr an dem Spiel, das er mit Aramis trieb. Ihm war klar, dass, auch wenn die kleine Resistance-Ratte am Ende seiner Kräfte zu sein schien, er seinem Ziel mittlerweile keinen Schritt nähergekommen war. Es ist wie verhext. Aber noch hatte er nicht alle Optionen ausgeschöpft, doch dieser Spielverderber Baumgartner – er würde mit dem Hauptquartier bezüglich einer Versetzung zurück nach Berlin reden müssen – hatte ihn viel zu früh unterbrochen.

„Scheint so“, antwortete ihm Dr. Rausch schnippisch, aber Thernes war gänzlich unempfänglich für die Befindlichkeiten des Arztes. Ihm war lediglich wichtig, dass der Gefangene so schnell als möglich wieder bereit sein würde für den nächsten Schritt und so ließ er Rausch seine Frechheit durchgehen.

Der Arzt tupfte lieblos und grob den Rücken des Scharfschützen mit einem in Desinfektionsmittel getränkten Leinentuch ab. Die Haut, an einigen Stellen vom Rücken gerissen, klaffte hie und da bis zu den Muskelsträngen und es befriedigte Thernes, dass Aramis sein Stöhnen immer weniger unterdrücken konnte. Irgendwann war es Rausch wohl zu mühsam oder zu blöd geworden, jedenfalls begnügte er sich nicht mehr mit dem benetzten Leinentuch, sondern leerte einfach das Lysoform unmittelbar in die Wunden des Gefangenen.

Ah - sieh an! Er kann also doch schreien, dachte Thernes mit Genugtuung und diebischer Freude, die sich jedoch schnell wieder verflüchtigte, als er sah, wie der Scharfschütze das Bewusstsein verlor und schwer in die Ketten sank.

„Lassen Sie es gut sein, Dr. Rausch, ich denke, das genügt fürs Erste.“

Der Arzt reagierte wie gewünscht und trat augenblicklich von Aramis weg, sich ein wenig angeekelt das Blut von den Händen wischend. Thernes nickte ihm gönnerhaft zu und signalisierte Dr. Rausch damit, dass seine Dienste hier nicht mehr benötigt wurden. Während Dr. Rausch umständlich seine Sachen zusammenpackte und den kleinen Verhörraum verließ, deutete Thernes Kleindienst, er möge den Scharfschützen wieder aufwecken. Kleindienst fackelte nicht lange und kettete Aramis mit einem zweiten Mann, der die ganze Zeit über an der Tür Wache gestanden war, von der Säule los. Aramis fiel schwer in ihre Arme, schien jedoch langsam wieder das Bewusstsein zu erlangen. Kleindienst und der Sturmmann zerrten ihn quer durch den Raum und die Tür hindurch in den größeren Verhörraum. Hier drückten sie Aramis grob auf den weißen Metallsessel unter der obligatorischen roten Hakenkreuzfahne, auf dem Aramis bereits beim ersten Verhör gesessen hatte. Sie verzichteten darauf, Aramis am Tisch anzuketten, denn der Gefangene erweckt im Moment weder einen bedrohlichen Eindruck noch hatte es den Anschein, dass er fliehen würde.

Nun denn, dann das Ganze noch einmal von vorne. Thernes stand mit einem deutlichen Frustgefühl in seiner Brust auf und folgte Aramis nach.

 

1 Wenn Sie glauben, ich würde ausgerechnet Ihnen verraten, wo Ludwig das Herz Frankreichs versteckt hat, dann haben Sie sich gewaltig getäuscht, sie verdammter Drecksack.