Herz und Seele Frankreichs von RoostersCromedCDF
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 1 BewertungenKapitel Kapitel 9
Aramis war zu erschöpft, um sich gegen den eisernen Griff der beiden Sturmmänner, die ihn grob vom Sessel zerrten, zu wehren und ließ sich widerstandslos die kleinen Stufen hinauf aus dem Raum in den Kreuzgang führen. Durch die milchigen Bleigläser der Spitzbogenfenster dämmerte das letzte Licht des Tages wie ein Abschied. Aramis konnte das Grün des Efeus und die freundliche, beinahe romantische alte Fassade des gegenüberliegenden Kreuzganges ausmachen. Hier hatten seit Jahrhunderten Menschen im Gebet verweilt, hatten sich von den kraftspendenden Worten ihres Glaubens durch ihr Leben tragen lassen und all ihr Denken und Fühlen auf die eine Mitte ausgerichtet. Und wieder fühlte Aramis sich nicht allein, als die Sturmmänner ihn hart nach rechts führten, zuerst wenige Treppen hinauf, um dann in einem weiteren Gang durch eine kleine Eisentür in den Keller hinab zu schwenken.
Modriger Kellergeruch schlug ihm entgegen und schwache, kleine Glühbirnen, die lieblos der Wand entlang verkabelt worden waren, zeigten ihnen den Weg nach unten. Der Gang war schmal, enge Steintreppen und unverputzte Steinmauern zeugten davon, dass sie hier die uralte Grundfeste des Klosters betraten, die wohl bis ins 14. Jahrhundert zurückreichte. Es musste wohl 2 Stockwerke in die Tiefe gegangen sein, ehe Aramis von den Sturmmännern grob zum Anhalten gezwungen wurde. Die Gestapo-Soldaten drückten eine schwere, beinahe winzige Holztür auf und stießen Aramis in einen ebenso winzigen Raum. Das fensterlose Kellerabteil war lang und schmal, der blanke Erdboden mit einer wenigen Zentimeter hohen Blechwanne ausgelegt. Aramis konnte sich nicht halten und sank in dem Moment, in dem die Sturmmänner ihn losließen, auf den Boden. Er robbte mühsam zur hinteren Wand so weit wie möglich vom Eingang weg, zog die Füße so gut es mit den eingefaschten Händen ging zu sich heran und lehnte sich erschöpft zur Seite. Der Raum hatte kein Licht und als die Wachen die Tür zuschlugen und von außen verriegelten, wurde es stockfinster. Aramis war es gleich, er schloss beinahe dankbar die Augen, ließ seinen Kopf auf seine Knie sinken und schlief wohl augenblicklich ein.
Als der bitterkalte, scharfe Wasserstrahl ihn traf, konnte sich Aramis im ersten Moment nicht orientieren, er fuhr völlig verwirrt hoch und in diesem Moment traf ihn der Schmerz ebenso unvorbereitet wie heftig. Er drückte sich verzweifelt an die Wand und versuchte, dem Druck des Wassers, das sich von oben bis unten über ihn ergoss, zu entkommen und irgendwie nach Luft zu schnappen, aber er war dem stetigen Schwall hilflos ausgesetzt.
Er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte, es war ihm nur wie wenige Minuten vorgekommen, aber das hatte im Moment ohnehin keine Bedeutung. Der eiskalte, scharfe Wasserstrahl traf punktgenau seine Prellungen und riss beinahe den Verband an seinen Händen herunter. Aramis versuchte verzweifelt, seinen Kopf zu schützen. Bereits nach kurzer Zeit sammelte sich jedoch das Wasser, das nicht abrinnen konnte, in der Blechwanne, in der er lag.
So schnell wie die Attacke gekommen war, war sie auch wieder vorbei und als die Holztür erneut ins Schloss fiel und sich wiederum Dunkelheit um ihn herum ausbreitete, konnte sich Aramis ein wenig fassen. Er zitterte am ganzen Körper, zum Teil ob der massiven Kälte, die vom Wasser und vom gesamten Steinraum ausging, zum Teil ob der immer noch heftigen Schmerzen. Das Wasser hatte seine gesamte Lederhose durchnässt und er konnte sich kaum bewegen.
Nichts durchdrang die schwarze Finsternis und so schloss Aramis die Augen und ließ sich kraftlos zur Seite fallen. Sein gesamter Körper lag nun im Wasser, wenige Zentimeter hoch, und ihm dämmerte, dass er zum ersten Mal seit Stunden die Möglichkeit hatte, etwas zu trinken. Nun, wenigstens war dieses Problem fürs Erste gelöst! Aramis stöhnte, richtete sich mühsam wieder ein wenig auf und schöpfte mit seinen Händen das kostbare Nass. Das Wasser schmeckte nach modrigen Mullbinden, nach Blut und Schweiß, aber das war ihm egal. Jeder eiskalte Schluck war im Moment eine Wohltat! Als er fertig getrunken hatte, quälte er sich weiter hoch und drückte sich zusammengekauert an die Wand.
Er hatte das Gefühl, dass die Kälte bis in seine Knochen vorgedrungen war und die undurchdringliche Dunkelheit zermürbte sein Denken. Immer öfter wanderten seine Gedanken zurück in jenen Wald, der so vielen seiner Kameraden das Leben gekostet hatte und Bilder von Blut und Schnee erschienen vor ihm, so sehr er versuchte, sie zu vertreiben. Immerhin hatte die Kälte den den permanenten Schmerz, der wellenartig durch seinen Körper pulsierte, ein wenig betäubt. Aramis Gedanken liefen im Kreis, Schmerz, Blut, Kälte, Schnee, wobei er immer weniger ausmachen konnte, in welcher Wirklichkeit er sich im Moment befand.
Er musste wohl wieder eingeschlafen sein, denn als ein weiterer Wasserstrahl ihn wieder wie aus dem Nichts traf, riss ihn dieser ebenso wie vorher hoch und Aramis schnappte erneut mühsam nach Luft. Die Kälte und der Druck des Wassers raubten ihm wiederholt den Atem und er spürte, wie das letzte bisschen Wärme aus ihm entwich.
Als die Sturmmänner den Wasserstrahl endlich abdrehten, zwang plötzlich ein greller Lichtstrahl Aramis die Augen zu schließen, da die Sturmmänner offensichtlich eine starke Lampe im Türrahmen platziert hatten. Seine Augen schmerzten und er versuchte sich, so gut es seine steifen Glieder zuließen, wegzudrehen. Das Licht blendete ihn selbst hinter seinen geschlossenen Lidern und auch wenn an Schlaf nicht zu denken war, so dämmerte er trotz der grellen Helligkeit immer wieder weg, um – wie es ihm schien - im nächsten Moment wiederum hoch gerissen zu werden.
Die Sturmmänner schienen genau zu wissen, was sie wann taten, Wasser, Licht und Dunkelheit bestimmten in den nächsten Stunden den Rhythmus seiner Qual und es wurde für Aramis immer mühsamer, sich mental und körperlich zurecht zu finden. Irgendwann forderte der Blutverlust und die mittlerweile vollständige Erschöpfung ihren Tribut und Aramis wollte nicht mehr länger gegen die innere Dunkelheit ankämpfen, die sich über ihn zu legen drohte, um seinen Geist in die Tiefen der Besinnungslosigkeit zu ziehen .
„Scheiße! Hol Kleindienst…und Dr. Rausch!“
Weit entfernt und losgelöst von jeglichem Bezug hörte Aramis, wie einer der Wachen hektisch Befehle erteilte.
„Los! Hilf mir!“
Aramis spürte, wie er hochgehievt und wieder abgelegt wurde, aber sein Verstand weigerte sich, sich genauer damit auseinanderzusetzen. Wo immer sie ihn hinbringen mochten, es war ihm egal.
Unendlich langsam tasteten sich Aramis Sinne durch den Nebel der Bewusstlosigkeit, aber er bemerkte, dass er sich zum einen in einer kleinen, vergitterten, ehemaligen Mönchszelle befand und zum anderen, dass er nackt auf seinem Bauch lag. Er hatte keinen blassen Schimmer, von wem oder wann er ausgezogen worden war. Aramis versuchte, sich ein wenig zu bewegen, stöhnte aber ohne es zu wollen auf und ließ es schnell wieder sein. Alles, aber auch wirklich alles tat ihm unendlich weh. Er konnte nicht sagen, wo der eine Schmerz endete und der andere anfing. Er war müde, so müde und wollte einfach nur schlafen. Die Stimmen drangen wie von weiter Ferne zu ihm, er war nicht allein, aber das war ihm gleichgültig.
„Ich sagte Ihnen doch, Herr Kommissar, dass Sie es hätten ruhiger angehen sollen! Das Subjekt kommt an seine Grenzen und ich weiß nicht, ob ich ihn wieder so herstellen kann, wie Sie es benötigen!“, machte er Dr. Rauschs Stimme aus.
Aramis spürte, wie Thernes sich neben ihn hockte. Er hatte nicht mitbekommen, wo der Kommissar so plötzlich hergekommen war, aber er bekam die Hand mit, die er auf einmal in seinem Haar spürte. Aramis rechnete mit erneuten Schmerzen, mit einem Schlag oder zumindest einem groben Hochreißen, doch stattdessen strich Thernes unvermutet sanft über seinen Kopf. Als die Hand sich jedoch weiter nach unten bewegte, beinahe liebkosend über seine Muskeln fuhr und den Konturen seines Körpers folgte, wurde Aramis schlagartig wieder seine Nacktheit gewahr. Er versteifte sich und versuchte erfolglos, sich irgendwie von der verhassten Hand wegzudrücken. Aramis zwang sich, die Augen zu öffnen und blickte glasig, am Rande des Fiebers stehend, in die klaren, gierigen Augen des Kommissars. Aramis konnte nicht verhindern, wie ein unwillkürlicher Schauer des Entsetzens durch seinen Körper lief, als ihm mit einem Schlag klar wurde, dass Thernes noch bei weitem nicht das gesamte Repertoire seiner Möglichkeiten ausgeschöpft hatte. Verdammt, diese Variante der Folter war ihm nicht im Entferntesten in den Sinn gekommen und er verfluchte sich innerlich für seine Naivität. Die Berührungen des Nazis hatte seine pochenden Prellungen gereizt, aber noch vielmehr brannten sie auf seiner Seele.
Aramis schluckte verzweifelt, er wusste wirklich nicht, ob er die Kraft haben würde, diese Art der Tortur zu ertragen, ohne sich dabei selbst zu verlieren. Unvermittelt fielen ihm seine beiden Musketierpferde sein, Selbstachtung und Würde, und das innere Bild, dass die beiden frei dahinflogen, fernab all dieser Trostlosigkeit und Erniedrigung, gab ihm ein klein wenig Hoffnung. Er nahm sich vor, bereit zu sein, um zu nehmen, was da komme, auch wenn er beim besten Willen keine Ahnung hatte wie! Aber es war beinahe mehr als er ertragen konnte, als er die Lippen des Nazis an seiner Schläfe spürte, wie sie ihm sanft einen Kuss hinhauchten und er ein heiseres Flüstern an seinem Ohr vernahm.
„Mein Lieber, sage mir: Wo hast du deine Stellungen aufgebaut? Wo versteckt sich dein König? Hm?“
Aramis fühlte sich den übergriffigen Annäherungen Thernes hilflos ausgeliefert und ihm wurde nicht nur aufgrund seines erbärmlichen Zustand, in dem er sich befand, übel. Eine weitere Ohnmacht kratzte an seinem Bewusstsein und so schloss Aramis als Antwort auf Thernes einfach seine Augen. Sollte dieser Drecksack machen, was er wollte, er würde ihm ohnehin nichts entgegensetzen können!
Thernes war der Wechsel von Angst zu Zuversicht in Aramis Gesichtsausdruck nicht entgangen. Er hatte deutlich gespürt, dass Aramis seine Berührungen kaum ertragen hatte, die Verspanntheit seines Körpers und das blanke Entsetzen, als ihm wohl gedämmert sein musste, was noch alles möglich wäre. Und wieder war Thernes sich sicher gewesen, dass er ihn hatte, dass er die Bastion des inneren Widerstandes dieses Mannes überwunden hatte und dennoch war Aramis ihm im letzten Moment entwischt. Thernes spürte eine Art Achtung ihm gegenüber erwachen, doch langsam, aber sicher begann es ihn auch zu nerven. Das Spiel hatte bis jetzt durchaus Spaß gemacht, war variantenreich und überraschend gewesen, doch es war beinahe Mitternacht und er hatte seine dringend gesuchten Antworten immer noch nicht! Es war enervierend, dass sein untrüglicher Instinkt für die Schwäche eines Menschen bei diesem Mann augenscheinlich immer wieder versagte und er entdeckte, dass er dieses Gefühl hasste!
Thernes schnaubte frustriert und erhob sich kopfschüttelnd. Er hatte nicht wirklich erwartet, dass Aramis ihm in diesem Zustand antworten würde, doch ein Versuch war es wert gewesen. Er drehte sich zu Dr. Rausch um. „Wie lange?“, fragte er seufzend und mit dem Selbstmitleid eines Kindes, dem gerade der Spaß verdorben worden war, den Arzt.
„Hm…“, wägte Rausch ab, „…ich würde sagen vier Stunden, mindestens! Die Zeit sollte zur Erholung ausreichen und einer weiteren Befragung stünde dann vermutlich nichts im Weg!“
Thernes nickte und blickte auf die Uhr. Es war 23.40 Uhr und auch er war in der Tat ein wenig müde geworden. Er hatte vergessen, wie anstrengend es war, einen Menschen zu brechen und auch ihm würde die Ruhe guttun. Womöglich könnte er noch auf einen Sprung zu Elsa schauen, ja, ganz gewiss sogar, denn die Arbeit mit Aramis hatte ihn ebenso gefordert wie erregt und eine Entspannung in jeder Hinsicht könnte ihn gewiss für das Kommende motivieren.
„Also gut!“, wandte Thernes sich nun an Kleindienst, der die Szene vom Gang aus durch die offene Zellentür beobachtet hatte, „Wir starten um sechs Uhr die verschärfte Vernehmung, lassen Sie ihn schlafen! Eine Wache vor der Tür sollte reichen. Und um Himmels Willen holen Sie ihm eine Decke und Kleidung, wir sind ja keine Unmenschen hier!“
Mit diesen Worten verließ Thernes die alte Mönchszelle und wenige Minuten später atmete Aramis erleichtert auf, denn er war nun tatsächlich allein, bekleidet mit einer braunen, schmalen Wollhose und einem ebensolchen Hemd. Es war ihm sogar gelungen, sich in eine bereitgelegte schwere, graue Militärdecke einzuwickeln. Der kleine Raum hatte keine Pritsche und die alten Steinwände und der Steinboden waren bitterkalt, doch Aramis fühlte ehrliche Dankbarkeit angesichts der kleinen Auszeit, die ihm die Gestapo zugestand. Er rollte sich wie ein Igel zusammen und drückte seinen Rücken an die Wand. So kalt ihm auch war, das Wasser hatte die Vielzahl an Schwellungen und Prellungen ein wenig zurückgehen lassen und die Schmerzen etwas betäubt. Aramis fühlte sich im Moment sicher und als er endlich zuließ, dass die Spannung aus ihm weichen konnte, war er augenblicklich eingeschlafen.