Kapitel Haute École
Vorsichtig ging Athos die Straße entlang, seine sporenbesetzten Stiefel klickten leise bei jedem Schritt auf dem vereisten Kopfsteinpflaster. Das Wirtshaus Pomme de Pin war sein Ziel, und selten war der Musketier so überzeugt gewesen, einen guten Schluck verdient zu haben, wie heute. Zuerst würde er gar ein großes, kühles Bier trinken, keinen Wein, wie es seine Gewohnheit war, nein, würzigen Gerstensaft, denn seine Kehle war trotz der Kälte staubtrocken. Drei Pferde hatte er geritten, und da der Boden gefroren war, hatten sie in der grand manège reiten müssen, dort, wo noch vor kurzer Zeit der große Antoine de Pluvinel seine Lektionen abgehalten hatte. Tréville hatte seinen Musketier beauftragt, dem neuen Rittmeister der Kompanie bei der Ausbildung der Regimentspferde zu helfen, weil er wusste, dass Athos einige Zeit bei ebenjenem Pluvinel Stunden genommen hatte -
Athos selbst hatte es seinem capitaine eines Tages gestanden, als sie beide in der Reithalle einem jungen Rekruten zugesehen hatten. Der junge Mann hatte mit hochrotem Gesicht an den Zügeln gezerrt und versucht, mit Sporentritten und Flüchen sein Pferd zu fliegenden Wechseln bringen. Aber er erreichte nur, dass das Pferd stieg und ihn direkt vor den beiden Zuschauern sauber in den Sand setzte – woraufhin Athos es sich nicht verkneifen konnte, de Pluvinel zu zitieren, der seinen Schülern eingebläut hatte, dass die wichtigsten Elemente aller Reitkunst die Anmut und die Freude seien. Auch die Freude des Tieres.
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Kapitel Entraînement
Die Reithalle des Musketierregiments erwies sich als ein rechteckiges, gemauertes Gebäude mit gewölbtem Dach, massiver Balkendecke und hohen Bogenfenstern, die zu jeder Tageszeit viel Licht einließen. Zu beiden Seiten der Bande befand sich eine schmale Zuschauertribüne, mannshohe Spiegel füllten die Wandflächen zwischen den Fenstern, und in der Mitte des mit einem weichen Gemisch aus Sand und Sägemehl knöcheltief bedeckten Hallenbodens ragten zwei marmorne Pilaren auf, geschmückt mit dem königlichen Lilienbanner und der Standarte des Regiments.
Aramis drückte das schwere Tor auf und betrat die Halle, in Reitkleidern und Stiefeln, und auch die obligate lange Gerte aus Haselnussholz hatte er nicht vergessen – er kam ein wenig zu früh, denn sein Freund war noch nicht da, und so sah er sich neugierig um. Sein Herz begann beim Anblick des imposanten Gevierts schneller zu schlagen, und ein leises Prickeln überlief ihn, angesichts der unzähligen Hufspuren im Sand – ja, hier widmete man sich einer der ältesten und edelsten Künste der Menschheit, die schon seit den Tagen Xenophons in voller Blüte stand und über welche die besten und berühmtesten Reitmeister aller Jahrhunderte dicke Bücher schrieben! Parbleu, was würde ihn nun hier erwarten? Schweißtreibende Arbeit, soviel war sicher! War er doch noch nie Hohe Schule geritten und hatte dementsprechend eine Menge zu lernen! Er wandte sich nervös um, wo Athos nur blieb? Doch da öffnete sich bereits das Tor, pünktlich mit dem zehnten Glockenschlag vom nahem Kirchturm, und sein Freund trat gemessenen Schrittes über die Schwelle, an der Hand einen kräftig bemuskelten, glänzend gestriegelten Rappen, in dem Aramis sogleich Bajazet, Athos` formidablen Reithengst, erkannte. Dahinter, in gehörigem Respektabstand, erschien Grimaud, Athos` treuer Diener.
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Kapitel Courbette
Am Morgen war die Halle meistens leer, de Gommard, ein bekennender Langschläfer, stieg erst gegen die Mittagszeit aufs Pferd. Obwohl Athos die einsamen Stunden mit den Tieren immer genossen hatte und zuerst der Gedanke, sie mit jemanden, und sei es ein Freund, zu teilen, ihm nicht behagte, merkte er bald, dass es ihm eine seltsame Freude bereitete, Aramis Unterricht zu geben. Der Freund war höchst sensibel, wusste seine Hilfen zu dosieren und mit der nötigen Spannung und Feinheit zu reiten, um zwischen ihm und Bajazet jenes feine Band zu knüpfen, ohne das keine wahre Reitkunst möglich ist. Er machte im Sattel eine wahrhaft gute Figur, und nur manchmal erlaubte sich der Hengst kleine Eigenwilligkeiten, die er bei seinem Besitzer nie gewagt hätte. Fast glaubte Athos, in den Augen des Tieres ein kleines Schmunzeln zu sehen, wenn er bei einem fliegenden Wechsel zu übereifrig sprang oder einer unschuldigen Pirouette eine nicht verlangte Croupade folgen ließ. Aramis zürnte ihm nie, und nach überaus korrekt erfüllten Lektionen der niederen Schule kam der Moment, an dem Athos seinem Freund den Steigbügel hielt und sagte: „Heute werdet Ihr mit den Sprüngen beginnen.“
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Kapitel Krankenlager
Beim Allmächtigen, nein! Athos merkte, wie die blanke Panik nach ihm griff, und ganz hinten, in einem letzten Rest kühlen Verstandes, wunderte er sich darüber. Wie viele Tote hatte er schon gesehen? Doch seine Hände zitterten, und am liebsten hätte er seinen Freund in die Arme genommen, hätte das Schicksal bezwungen, das Rad zurück gedreht, es konnte doch nicht sein, dass sein Pferd ... dass Aramis hier ... halt inne! Es reicht, er stirbt nicht! Er ist bewusstlos, siehst du nicht die blutige Kerbe an seiner Stirn, halb verborgen unter einer Haarsträhne? Während sein Herz haderte, hatten seine auf zahlreichen Schlachtfeldern erworbenen Reflexe das Kommando übernommen, und er hatte Aramis gründlichst untersucht. Auf der Stirn des Freundes sah man deutlich den Abdruck einer Hufkante, vermutlich hatte Bajazet ihn bei seinen wilden Sprüngen aus Versehen erwischt. Das konnte gefährlich sein, mit Kopfverletzungen war nicht zu spaßen - andererseits heilten sie schnell, wenn die Schädeldecke nicht gebrochen war.
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Kapitel Erwachen
„Gerechter Himmel, Grimaud! Lass mich sofort zu meinem Herrn!“ Bazin schnaubte zornig, drängte seinen korpulenten Leibesumfang an Athos` Diener vorbei und betrat resoluten Schrittes die Wohnung. „Lebt er überhaupt noch?! Kerl, du hast mir versprochen, mich sofort zu verständigen, wenn sein Zustand sich verschlechtert!“ Er eilte auf die Schlafzimmertüre zu und legte die Hand auf die Klinke – doch da stand Grimaud schon neben ihm und hielt Bazins Wulstfinger mit seiner Rechten eisern fest. „Er schläft!“, erklärte er lapidar und wies mit der Linken auf die geschlossene Türe. „Und mein Herr auch! Gib also Ruhe!“
„Was?! Ich soll Ruhe geben?!“, fauchte Bazin erbost zurück. „Während mein Herr, Gott behüte!, womöglich bereits das Zeitliche gesegnet hat?! Grimaud, das ist nicht dein Ernst! Lass mich sofort rein, oder ich kündige dir die Freundschaft!“
Sporenklirren erklang, und eine kräftige Hand stieß die halb offene Eingangstür komplett auf. "Was ist hier los?", rief Porthos und legte schon die Hand auf den Degen, "wurdet ihr überfallen? Sind Räuber eingedrungen? Kardinalisten?"
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Kapitel Kapriole
Endlich! Aramis stieß einen abgrundtiefen Seufzer der Erleichterung aus, als er sich nach ein paar Tagen strikter Bettruhe, die sowohl Athos als auch Porthos im Verein mit Bazin und Grimaud allerstrengstens überwachten, endlich wieder frei bewegen durfte. Mon Dieu, das wurde auch Zeit! Seine unfallsbedingte Haft in Athos` Wohnung hatte wahrlich lange genug gedauert! Obwohl – insgeheim musste er zugeben, er hatte es dennoch auch genossen, so dermaßen umsorgt zu werden! Besonders, wenn Athos ihm abends mit seiner tiefen, klangvollen Stimme aus den Büchern vorlas, die Bazin mitgebracht hatte, da er, Aramis, seine Augen noch schonen musste. Aber trotz dieser angenehmen, trauten Stunden war er doch heilfroh, nun endlich wieder auf den Beinen zu sein! Diable, als Kranker war man ja schließlich nicht mehr als ein unmündiges Kind, über dessen Kopf hinweg einfach entschieden wurde!
Unter solch widersprüchlichen Gedanken erreichte der junge Mann das Hauptquartier der Musketiere, und sein Blick fiel unwillkürlich auf die große Reithalle, in der sich sein tragischer Unfall ereignet hatte. Eigentlich wäre es vernünftiger für ihn gewesen, diesen Tag geruhsam zu beschließen, ehe er morgen seinen gewohnten Dienst wieder antrat, sich sogleich nach Hause in die Rue de Vaugirard zu begeben und Madame Péronnes heftige Sorge um ihn zu zerstreuen. Doch das große Gebäude zog ihn wie magisch an, als habe er dort etwas vergessen, eine Aufgabe noch nicht zu Ende gebracht. Und ihm wurde nur zu klar bewusst, welche dies war: Die Kapriole!
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Kapitel Pomme de Pin
Sie kamen erst am späten Abend im Pomme de Pin an, nachdem Athos noch zwei Pferde geritten hatte und Aramis ihm dabei zur Hand gegangen war. Das Wirtshaus war, wie üblich um diese Zeit, gesteckt voll, und sie mussten sich ihren Weg fast mit dem Einsatz der Ellenbogen bahnen, doch Porthos saß an seinem angestammten Platz und beugte sich gerade halb über den Tisch, als sie zu ihm stießen: "Jüngelchen, hier ist besetzt, und zwar für diese Herren", fuhr er einen jungen Mann an, der schüchtern an der Lehne eines der beiden freien Stühle gezogen hatte, dabei wies er mit großer Geste auf die Neuankömmlinge. Der Jüngling hob entschuldigend die Hand und wandte sich zu seinen Freunden um, die ebenfalls keinen Platz gefunden hatten und ihren Wein im Stehen tranken. Schon wollten sie protestieren und sich um ihren Kameraden scharen, doch im selben Moment griffen Athos und Aramis nach den Stühlen. Die jungen Leute taxierten sie, einen Augenblick lang vibrierte die Luft, und Athos legte die Hand an sein Messer, aber schließlich drehte sich der Größte ihrer Widersacher wieder um und nahm das unterbrochene Gespräch wieder auf. "Sagt ich´s doch, hier ist besetzt", schickte ihm Porthos noch hinterher, um dann Aramis´ Hände mit seinen beiden Pranken zu umfassen: "Parbleu, Ihr seid auferstanden, Freund, das erleichtert mich. Das erleichtert mich maßlos!"
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