Im Gasthaus von Percy
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„Athos, beim nächsten Mal laßt Ihr unseren Freund um den Wald herumfahren!“ Der Vorwurf in Porthos‘ Stimme war unüberhörbar. „Hier stehen ja mehrere von diesen neumodischen Gefährten! Da hätten wir auch hinfahren können!“
Porthos überblickte entrüstet den Parkplatz, die Hände in die Hüften gestemmt.
Athos seufzte resigniert. „Jaja, ist ja gut. Es war nur so……unheimlich……“
Der Freund ging dazwischen: „Nun kommt schon, dafür hatten wir einen wirklich schönen Waldspaziergang! Und förderlich für die Gesundheit ist das obendrein!“ Er grinste. „Und nachher haben wir eine ähnlich lange Wanderung vor uns.“
Porthos stöhnte. „Vorher muß ich mich stärken! Unbedingt! Laßt uns hineingehen!“
Der Freund musterte seine Gäste. Schneidig sahen sie ja aus, mit Kavalierskleidern, Hut und Federbusch…… gab es an diesem Wochenende vielleicht irgendwo in der Region einen Mittelaltermarkt oder etwas ähnliches, das er heranziehen konnte, wenn allzu neugierige Fragen gestellt werden sollten? Er dankte dem Schicksal, daß sie alle vier ihre Degen zu Hause gelassen hatten, da sie im Auto äußerst hinderlich gewesen wären.
Mutig schritt er voran. Die Gaststätte war ein beliebtes Ausflugsziel. Hier konnte man gut brunchen und am Wochenende gab es Kaffee und Kuchen. Jetzt war es 16:00 Uhr, beste Kaffeezeit, fand der Freund.
Sie fanden einen Tisch am Fenster. Porthos wollte seinen Hut auf den Tisch werfen, doch ein strafender Blick des Freundes rettete die Blümchenvase in der Mitte vor dem Verderben.
Um sie herum verdrehten die Gäste die Hälse, man hörte einiges Getuschel.
„Einfach ignorieren!“ empfahl der Freund leise. „Sie sind es nur nicht gewohnt, solch stattliche Herren zu sehen…..“
„Ah, dann ist es ja gut!“ Porthos‘ Laune besserte sich zusehends. Er lehnte sich entspannt zurück, suchte mit den Augen den Raum nach der Bedienung ab.
„Holla! Schankmaid!!!“ Er hob die Hand, machte eine einladende Bewegung. „Hierher! Wir bedürfen dringend einer Stärkung!“
Die Bedienung im mittleren Alter runzelte die Stirn, eilte aber sogleich zu der rustikal anmutenden Männerrunde. Besser, sie bediente sie gleich, dann waren sie bestimmt ruhig!
Porthos schaute bewundernd auf den üppigen Ausschnitt des engen T-Shirts, streckte ihr die Hand entgegen, die sie recht verwirrt ergriff, woraufhin er ihr einen schmatzenden Handkuss verpaßte, was Aramis indigniert die Augen verdrehen ließ.
„Kommt her, meine Schöne! Was seid Ihr für ein Prachtweib! Bringt uns doch gleich fünf Flaschen Bordeaux……au!!!!“
Der Freund hatte ihm unter dem Tisch heftig vor das Schienbein getreten, suchte den Blick der Kellnerin, die den seinen dankbar auffing. Endlich ein normal gekleideter Mann! „Bitte bringt uns doch fünf große Tassen Café au lait und dazu fünf Stücke Apfelkuchen……mit Sahne!“
Rasch eilte sie zurück zur Theke, während Porthos sich das Schienbein rieb……“Ihr seid ein brutaler Kerl, mon ami!“
„Ich weiß!“ gab der Freund ungerührt zurück.
„Warum habt Ihr mich nicht bestellen lassen?“
„Warum?“ Der Freund starrte Porthos entgeistert an. „Wißt Ihr, wieviel fünf Flaschen Bordeaux im Lokal kosten??? Außerdem möchte ich den Weg zurück zum Auto ganz gerne halbwegs nüchtern zurücklegen! Und angetrunken (sternhagelvoll, ergänzte er im Geiste) darf man sowieso nicht Auto fahren!“
„Na schön, aber das klingt ja wenig spaßig in Eurem Jahrhundert! Immerhin habt Ihr hier prächtige Weiber herumlaufen, die….“
„Porthos!“ Athos hob mahnend Stimme und Zeigefinger, „Nur weil sie Euch mit ihren Reizen erfreut, heißt das nicht, daß Ihr zudringlich werden dürft!“
„Ja, ganz fürchterlich, mein Lieber!“ Aramis zog die Nase kraus. „Ihr wißt doch, daß bei einem Handkuss die Lippen den Handrücken nicht berühren und auf gar keinen Fall wird das Ganze von schmatzenden Kußgeräuschen begleitet!“
Porthos sank ein wenig in sich zusammen. Hilfesuchend wandte er sich an d’Artagnan. „Na los! Habt Ihr nichts dazu zu sagen? Ihr könntet mich ein wenig verteidigen!“
D’Artagnan lachte leise. „Ich werde mich hüten, auf die falsche Seite zu geraten! Bei DEM Anblick hätte ich um ein Haar mit anderen Körperteilen als meinem Großhirn gedacht!“
Der Freund grinste. „Ja, daran werdet Ihr Euch wohl gewöhnen müssen. Unsere Mode ist im Sommer ein wenig ……freizügiger als Ihr es vielleicht gewohnt seid.“
„Aber es ist doch ein sehr erfreulicher Anblick!“ grinste Porthos, während der Freund sinnierte: „Jaaaa, manchmal…..nicht immer….. ich gebe zu, der Sommer ist für mich die Zeit der optischen Körperverletzung! Ich bin jedes Jahr froh, wenn der Herbst kommt und alle sich wieder halbwegs bedecken.“
„Das kann ich gut verstehen, mon ami!“ überlegte Aramis und wies mit den Augen auf ein ausnehmend korpulentes Rentnerehepaar, das sich soeben unter viel Geschnaufe mit ihrem ebenso korpulenten Schoßhund an einem freien Tisch niederließ. Der Mann trug tatsächlich Shorts mit freiem Blick auf Krampfadern und Tennissocken, seine Gattin überzeugte mit einem Spaghettiträgertop, unrasierten Achseln und Oberarmen, die dicker als Porthos‘ Oberschenkel waren.
„Himmel Hilf!“ entfuhr es dem Freund leise und er schaute sofort interessiert auf das Tischtuch vor ihm. „Aramis, Ihr habt es definitiv verstanden!“
Glücklicherweise kam nun die Kellnerin und balancierte ein großes Tablett mit Kuchen und Milchkaffee. Athos stand sogleich auf, half ihr beim Abstellen, was ihm ein Lächeln und ein gehauchtes „Dankeschön, der Herr!“ einbrachte. Offenbar erlag sie gerade den unaufdringlich ins Spiel gebrachten Reizen eines Athos, der sich seiner Wirkung absolut nicht bewußt war.
Routiniert stellte sie Kaffee und Kuchen vor jedem Gast ab, wobei dem Freund auffiel, daß auf jeder Untertasse ein Keks in Herzform lag.
„Dankeschön!“ Er lächelte ihr zu, ihre Erwiderung war nicht ganz so warmherzig wie bei Athos, aber das war ja zu erwarten gewesen, wenn man mit einem Mann wie ihm unterwegs war.
Schließlich wandten sie sich ihrer Bestellung zu.
„Was ist das für ein köstliches Getränk?“ fragte Aramis.
„Das ist Café au lait, Kaffee mit heißer Milch, eine französische Spezialität.“
„Ach, die kenne ich noch gar nicht!“ wunderte sich Athos. „Wahrscheinlich wurde sie irgendwann zwischen unserer und Eurer Zeit kreiert, kann ich mir vorstellen.“
„Auf jeden Fall schön mild. Ich finde den Geschmack äußerst angenehm und belebend!“ fand Aramis.
„Und der Kuchen ist auch köstlich!“ lobte Porthos. „Und schöne große Stücke, wie es sich gehört!“
„Seht ihr, so bekommt Ihr doch noch was zum Naschen!“ grinste der Freund, woraufhin d’Artagnan lachte und Porthos anzüglich zuzwinkerte.
Während sie gemütlich speisten, lief ein kleiner Junge quer durch den Gastraum auf sie zu, blieb zielstrebig vor d’Artagnan stehen und beäugte ihn von oben bis unten.
D’Artagnan schaute ungerührt zurück.
Der Kleine starrte ebenfalls ausdauernd, mittlerweile mit offenem Mund.
D’Artagnan machte eine lustige Grimasse, um ihn zu veräppeln.
„Bist du ein Muskeltier?“ fragte der Junge schließlich.
Der Gascogner lachte. „Ein Muskeltier?.....Nein…..eher nicht! Aber ein Musketier, der bin ich wohl!“
„Ooooh,“ hauchte der Kleine und wurde ganz aufgeregt. „Meine Mama hat mir zum Schlafengehen die Geschichten der „Drei Musketiere“ vorgelesen!!! Bist du d’Artagnan????“
D’Artagnan war geschmeichelt und auch etwas besorgt, welche Version ihrer Abenteuer dem Knaben wohl vorgelesen worden war, aber was sollte es, hier war ein bekennender Verehrer! „Ja, ich bin d’Artagnan.“
Der Kleine drehte sich auf dem Absatz um und stob davon, während er quer durch die Gaststube schrie: „MAMA! PAPA! Da vorne sitzt D’ARTAGNAAAAAN!!!!!“
Sämtliche Gäste drehten sich schlagartig zu ihnen um. D’Artagnan besaß die Geistesgegenwart, charmant zu lächeln, woraufhin besonders die Damen jeglichen Alters ihre Blicke länger und intensiver auf ihm ruhen ließen.
Die Mutter des Knaben reckte den Hals, die Wangen gerötet, während der zugehörige Gatte eifersüchtig nach ihrer Hand griff. Doch zu spät, wie magisch angezogen hatte sich seine Angetraute erhoben, der Junge packte ihre Hand und zog sie ungeduldig zu seinem Idol.
„Oh nein, bitte nicht….“ hauchte Athos. Der Freund überlegte fieberhaft, seine Gedanken überschlugen sich, was sollte er der Dame nur sagen?
Wenige Augenblicke später standen Mutter und Sohn vor ihrem Tisch. Die Musketiere erhoben sich reflexartig, der Freund warf einen verwirrten Blick in die Runde: Richtig, in Anwesenheit einer Dame erhob sich der wohlerzogene Herr. Rasch kam er auf die Füße. Der Junge brabbelte aufgeregt: „Mama, das ist d’Artagnan! Und er ist gar kein Muskeltier, sondern ein Musketier!“
„Aber sicher doch, mein Liebling, natürlich ist das d’Artagnan, der Musketier!“ Sie strich ihrem Sohn über den Kopf, warf den fünf Männern einen nachdenklichen und ein wenig entschuldigenden Blick zu.
„Warum hast du deinen Degen nicht dabei?“ quasselte der Kleine drauflos. „Du mußt doch bereit sein zu kämpfen!“
„Öhm…..nun ja…..“ D’Artagnan fand, daß er seinen Degen wirklich hätte mitnehmen sollen, aber im Auto und auf der Wanderung wäre er wirklich hinderlich gewesen.
„Keiner von uns hat seinen Degen dabei, mein Kleiner!“ meinte Porthos väterlich wohlwollend.
Irritiert sah der Junge zu dem Hünen auf, überlegte kurz und dann platzte er los: „Ihr seid bestimmt der große, starke Porthos!!! So stark will ich auch mal werden!!!“
Die Mutter errötete: „Schsch, mein Lieber, rede nicht so mit dem Herrn!“ Dabei verschlang sie jeden einzelnen der schmuck gekleideten Männer mit den Augen, ordnete ihnen im Geiste ihre Namen zu. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus: „Und Sie sind Athos, der Graf de La Fère?“ Athos deutete eine stumme Verbeugung an. „Dann sind Sie Aramis, der Abbé d’Herblay?“ Aramis lächelte charmant: „Stets der Ihre, Madame!“ was sie bis zu den Haarwurzeln erröten ließ.
„Und wer sind Sie???“ Irritiert blieb ihr Blick an dem Freund hängen.
„Ich…..ich bin der Kursleiter!“
„Der Kursleiter???“ Sie zog die Augenbrauen hoch.
„Ja!“ Der Freund holte tief Luft, setzte gravitätisch hinzu: „Ich leite unseren Selbsterfahrungskurs für Männer: Finde deinen inneren Musketier! Erkenne deine wahre Berufung!“
„Ach, das ist ja hochinteressant!“ rief sie, während sich ihr Gatte, der bereits gezahlt hatte, ungeduldig näherte. „Dann sind das ja gar nicht die echten Musketiere?“
„Nein, natürlich nicht.“ versicherte der Freund. „Wie könnten die Romanfiguren des Alexandre Dumas zu realen Personen werden?“ Er lachte bedeutungsvoll. „Wir dagegen sind eine männliche Selbsthilfegruppe. Meine Kursmitglieder möchten ihren inneren Krieger finden und verkörpern zufällig alle vier Charaktere. Um richtig tief in das Thema einzutauchen, gehört auch die Außenpräsentation dazu. Möglichst authentische Kostüme, Haar- und Barttracht, sowie das Verschmelzen mit dem jeweiligen Heros.“
Die Frau griff nach dem Ärmel ihres Gatten: „Schatz, Schatz! Das wäre doch etwas für dich! Das mußt du unbedingt auch machen!!!“
Der Freund setzte noch einen drauf, jetzt war ihm alles egal: „Informationsmaterial bekommen Sie bei der VHS! Der nächste Kurs startet im Herbst!“