Kleider machen Leute von Percy 

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Kapitel Kleider machen Leute

Er visualisierte die vier Gäste vor seinem inneren Auge, kratzte sich am Kinn. Was für ein Dilemma! Sie sahen einfach umwerfend schneidig aus in ihren Kavalierskleidern. Jeder auf seine Art perfekt angezogen. Allen voran Aramis, dessen Geschmack unanfechtbar war. Seine Kleidung war maßgeschneidert, schmeichelte seiner Figur und betonte durch ihre Farbwahl subtil Augen- und Haarfarbe. Athos legte zwar offiziell keinen Wert auf Kleidung à la mode, doch sein unfehlbarer Geschmack ließ ihn offensichtlich stets die beste Wahl treffen. Unaufdringlich, aber dennoch in höchstem Maße vollendet und edel. Porthos war dagegen der absolute Hingucker. Immer nach dem neuesten Schrei, immer aufwändig und für damalige Zeit avantgardistisch gekleidet, drehten sich die Damen (und Herren) quasi automatisch in seine Richtung. Er hatte einmal zugegeben, daß er gerne so edel wie Athos erscheinen würde, jedoch wurde dies stets zu einem unmöglichen Unterfangen, so sehr Porthos sich auch mit edlen Gewändern in den mutigsten Farbnuancen schmückte. Athos hätte man einen Kartoffelsack überwerfen können, seine Noblesse war unverkennbar wie er sich bewegte, wie er den Kopf zurückwarf oder seine ausdrucksvollen Hände bewegte. D’Artagnan dagegen war um einiges sorgloser was Schnitt, Farbwahl und Avantgarde betraf. Zu einem gewissen Maße zwar eitel, jedoch von einem Hauch schnoddriger Nachlässigkeit umgeben, die durch seine schöne Gestalt, seine Energie und Präsenz mehr als wettgemacht wurde.

Es war einfach ein Jammer, diese so perfekten Gestalten in Kleidung des 21. Jahrhunderts zu stecken. Er selbst hätte absolut nichts dagegen gehabt, sich in Kavalierstracht zu kleiden. Damals konnte man sich als Mann noch schmücken wie ein prächtiger Hahn – und immer noch mannhaft und verwegen aussehen – während das 21. Jahrhundert so recht schmucklos war. Und reich an Geschmacksverirrungen. Ihn schauderte, wenn er an die rauschebärtigen, bebrillten, mageren Hipster in zu engen Hochwasserhosen mit dicken Schals um den dürren Hals dachte, oder an den ältlichen, bierbäuchigen Nachbarn aus der Nebenstraße, der jeden Sommer fröhlich im komplett einsehbaren Vorgarten arbeitete und dabei ein weißes Feinripp-Unterhemd, kurze Hosen, Tennissocken und Sandalen trug. Im Hochsommer verzichtete er der nahtlosen Bräune wegen gänzlich auf das Feinripp-Unterhemd, was ihm bei unserem Freund den Spitznamen „der Barpansige“ einbrachte. Er riß sich zusammen, schnell an etwas anderes denken, das war zu gruselig!

Die vier Freunde aus der Vergangenheit boten da auf jeden Fall einen weitaus ästhetischeren Anblick. Moderne Kleidung würde sie hoffentlich nicht gänzlich entstellen und sie weniger schneidig aussehen lassen, so glaubte er.

Dank seines eigenen Kleiderschrankes, einigen Kumpels, die er unter fadenscheinigen Vorwänden um Klamotten angepumpt hatte und des großen Internet-Versandhandels Amadingens hatte er eine recht ordentliche Kollektion moderner Kleidungsstücke auf dem großen Eßzimmertisch parat gelegt. Wenn er schon Besuch hatte und sie etwas unternahmen oder die Nachbarn durch die Weißdornhecken schielten, dann sollten sie ganz normale Zeitgenossen zu sehen bekommen. Ein täglich abgehaltenes Kostümfest in Barock-Kleidung war doch etwas zu schillernd.

„KLABUMM!“ Der kaum zu überhörende Zeitspalt! Er seufzte. Jetzt wurde es ernst.

„HIMMEL, ARSCH UND ZWIRN!!!!“ Porthos‘ donnernder Bass hallte bis ins Haus.

Er hörte d’Artagnan kurz auflachen, dann seine Stimme: „Porthos, Ihr kennt doch die „Stolperfalle“!“

Darauf Aramis, besorgt: „Habt Ihr Euch den Fuß verstaucht? Womöglich wie damals in Chantilly Euer armes Knie?“

„Hmpf, nehmt Eure Hände von mir, ich kann alleine laufen! Er sollte wirklich mal das Pflaster begradigen, das sind ja Zustände wie im alten Rom!“ meckerte Porthos.

Der Freund eilte ihnen entgegen, um schnell das Thema zu wechseln. Vorausschauend hatte er zwei Flaschen Wein aus dem Keller geholt und entkorkt. Fünf Gläser standen parat. „Kommt rein, ich bitte Euch! Porthos, ich habe eine kleine Erfrischung vorbereitet!“ Er geleitete Porthos zum Tisch, überprüfte unauffällig dessen Gang. Sehr gut, nichts ernstes war geschehen.

Beim Anblick der Weingläser und Flaschen besserte sich Porthos‘ Laune sofort. Er strahlte: „Aaah, mon ami, Ihr versteht es, einen Mann wieder auf die Beine zu bringen!“

Sie brachten die gefüllten Gläser zum Klingen, plauderten eine Weile über Belanglosigkeiten.

Schließlich hielt der Freund den Zeitpunkt für gekommen. „Ich habe etwas vorbereitet für Euch, meine Freunde.“ Er wies auf die Kleidungsstücke auf dem Tisch.

„Ah…..und, was soll das sein?“ Aramis klang mißtrauisch. Vorsichtig packte er mit zwei Fingern ein Textil und hob es hoch.

„Nun, da Ihr mich ja regelmäßig hier im 21. Jahrhundert besucht, habe ich mir gedacht, daß es nicht schadet, wenn Ihr dem Zeitgeist entsprechende Kleider tragt…..“

„Dem Zeitgeist entsprechend……hmm…..“ Aramis nahm ein weiteres Teil, Porthos griff ebenfalls zu.

„Habt Ihr keinen Schneider, zu dem wir gehen könnten, mon ami?“ fragte Porthos skeptisch. „Diese Stoffe…..nun ja, lassen doch sehr zu wünschen übrig, was Qualität und Farbgebung betrifft.“

Athos glaubte im Boden zu versinken. Mit beredten Blicken versuchte er, Porthos und Aramis Einhalt zu gebieten. D’Artagnan beobachtete das ganze Schauspiel amüsiert und nippte an seinem Wein.

Der Freund wand sich. Sie hatten ja so recht! Das, was da auf dem Tisch lag, war ganz normale Herrenkleidung, casual wear, schlicht und schmucklos, in gedeckten Farben, und konnte sich in keinster Weise mit dem messen, was die vier Zeitreisenden trugen.

„Allons, mes amis!“ Athos griff jetzt resolut durch. Er wollte den Gastgeber auf gar keinen Fall echauffieren. Der Freund hatte gut mitgedacht. Das, was da auf dem Tisch lag, war zwar unspektakulär, bot aber sogar Auswahl in verschiedenen Größen und Schnitten. Es war sicher für jeden von ihnen etwas passendes dabei. „Lasst hören, was Ihr mit uns vorhabt!“ Athos lächelte dem Freund ermutigend zu.

Dieser räusperte sich: „Ich habe Euch eine Kleiderauswahl besorgt, die Ihr anprobieren könnt. So haben wir die Möglichkeit, uns ohne viel Aufsehen unters Volk zu mischen, Ausflüge zu unternehmen und ich kann Euch unseren Alltag zeigen. Außerdem habt Ihr dann das richtige „Feeling“ für unsere Zeit, was sicherlich auch ein Abenteuer ist!“ Er zwinkerte d’Artagnan zu, dessen Wangen bereits vor Begeisterung glühten. Abenteuer! Das war immer passend!

„Na schön…..“ seufzte Aramis leise.

Porthos stürzte resigniert sein Glas Wein hinunter.

„Also: Laßt uns anfangen!“ D’Artagnan knöpfte Wams und Hemd auf, streifte beides ab, bückte sich nach seinen Stiefeln, die er schnell ausgezogen hatte und knöpfte die Hose auf, die daraufhin mit Hemd und Wams auf einem unordentlichen Haufen landete. Dies ging so rasch, daß er, ehe der Freund sich‘s versah, splitternackt im Raum stand. Der Freund errötete. So schnell hatte er nicht mit nackten Tatsachen gerechnet.

Porthos entkleidete sich mit höchster Grandezza, Athos streifte seine Kleidung gleichgültig und effizient ab, Aramis genierte sich ein wenig, tat es seinen Freunden aber schließlich gleich.

Du lieber Himmel! Sie waren wirklich schnell! Der Freund wußte gar nicht, wohin er schauen sollte.

„So!“ D’Artagnan griff nach einem Hemd. „Kann ich das nehmen? Sieht bequem aus!“

„Nein, das ist die größte….äh, stattlichste Größe in dieser Kollektion. Das solltet Ihr Porthos überlassen! Nehmt stattdessen eines von diesen!“ Er wies auf mehrere Hemden seines eigenen Bestandes. Die würden dem Gascogner und Aramis auf jeden Fall passen. Sie waren alle drei nur von kaum mittelgroßer Statur (ein spitzzüngiger Freund zog ihn immer damit auf, er wäre „klein“), wobei seine Hemden den Musketieren ein wenig mehr „Bauchfreiheit“ bieten würden, amüsierte er sich. Für den etwas größeren Athos hatte ihm ein Kumpel mit entsprechender Statur ausgeholfen, zu kurz durfte so ein Hemd ja auch nicht sein.

D’Artagnan schnappte sich ein Hemd, streifte es sich über und schaute an sich herab. „Hm, das ist aber ganz schön kurz!“

„Wieso?“ fragte der Freund. Das Hemd paßte gut, auch die Länge war absolut passend.

„Das hört ja schon am…..Gehänge auf! Das ist doch kein richtiges Hemd!“

Der Freund schaute errötend in die von d’Artagnan ausgewiesene Region. Ohne Unterhose sah es natürlich ein wenig nackt und neckisch aus, aber er hatte ja auch nicht vor, d’Artagnan so vor die Tür gehen zu lassen.

„Bückt Euch mal nach vorne, mein Lieber!“ rief Porthos, der hinter dem Gascogner stand und auch gerade das entsprechende Hemd anzog.

D’Artagnan bückte sich verwirrt, das Hemd rutschte ihm über den Hintern und Porthos klatschte ihm unter schallendem Gelächter die flache Hand auf die Pobacke. „Ganz reizend, diese Zukunftshemden!“ D’Artagnan kam hoch, fuhr herum und baute sich mit hochrotem Kopf vor Porthos auf.

Unwillkürlich mußte der Freund lachen. Oh je! Nur mit spärlichster zeitgenössischer Kleidung sah die ganze Szene wirklich wenig beeindruckend aus. Hätten sich d’Artagnan und Porthos in vollem Kavaliersornat oder in Uniform so drohend gegenüber gestanden, hätte direkt die Luft gebrannt, aber jetzt……. Irritiert sahen beide zu ihm, wurden wider Willen von seiner Heiterkeit angesteckt.

„Nun ja, man soll es nicht übertreiben….“ brummelte Porthos mit zuckenden Mundwinkeln und wandte sich wieder den Kleidungsstücken zu.

D’Artagnan zog linkisch grinsend noch einmal an seinem Hemd, woraufhin ihn der Freund beruhigte: „Keine Sorge, da kommt noch was drunter!“

Alle vier hatten schließlich ein Hemd gefunden, jetzt kam das „Drunter“.

Der Freund grinste. „Jetzt werden die Kronjuwelen verpackt!“ Die vier Gäste schauten schockiert auf ob seiner Frivolität. Was konnte er aber dafür, wenn sie ihn hier ungeniert mit nackten Tatsachen konfrontierten!

„Das hier nennt sich Boxershorts!“ Er warf jedem eine Hose in passender Größe zu. „Es gäbe auch noch eine engere Variante, den Slip, aber das wird Euch wahrscheinlich nur einengen. Im Gegensatz zu diesen weiten Hosen im 17. Jahrhundert.“

Sie probierten die Shorts an.

„Komisch!“ kommentierte d’Artagnan. „Unsere Hosen sind bequemer und weiter!“

Der Freund lachte. „Weiter ja, bequemer vielleicht…… Ich verrate Euch eines: Heutzutage würde kein Mann auf die Idee kommen, ohne irgendetwas „drunter“ zu reiten…..“

„Pah!“ meinte Aramis verächtlich, „das ist ja überhaupt kein Problem! Man muß nur wissen, wie man korrekt zu Pferde sitzt! Offenbar habt Ihr das in Eurem Jahrhundert verlernt!“

„Ein absolut stichhaltiger Punkt, Aramis! Der korrekte Sitz und die Einwirkung des Reiters wird heute durchaus diskutiert und über verschiedene Lehren angestrebt, aber ich persönlich glaube auch, daß es uns einfach abhanden gekommen ist, da wir nicht täglich ganz selbstverständlich Stunden im Sattel verbringen.“

„Tja, dann müßt ihr eben aus euren Fehlern lernen!“ grinste Porthos.

Der Freund verzog das Gesicht und dachte an einen Kumpel, der einen neuen Sattel ausprobieren wollte und beim ersten Bergabreiten direkt Bekanntschaft mit dem Vorderzwiesel gemacht hatte…..

Schließlich hatten sich alle mit der ungewohnten Shorts abgefunden, den Gummizug im Bund für äußerst praktisch erklärt und harrten der Dinge, die noch kommen sollten.

Schnell für jeden ein paar Socken, dann kam das Thema Hose.

„Heutzutage tragen alle sehr gerne Jeans, das sind diese Hosen.“ Er hielt eine entsprechende Hose hoch. „Probiert sie mal an, ich habe mehrere Größen da.“

Er verteilte die Kleidungsstücke mit den entsprechenden Beinlängen und Bundweiten und stellte mit einem gewissen Stolz fest, daß er überraschend korrekt gelegen hatte mit seiner Einschätzung.

Jedem Musketier paßte das für ihn ausgewählte Beinkleid, allerdings stockte die Bekleidung beim Thema „Reißverschluß“.

„Was soll das denn sein? Sieht komisch aus und diese Metallzähne sind recht scharf.“ D’Artagnan strich über eine Seite des Reißverschlusses.

„Das ist ein Reißverschluß.“ erklärte der Freund.

„Komisches Ding!“ fand Porthos. „Soll man etwa daran reißen, damit er sich verschließt?“

„Hmm, Ihr habt Recht. Das Wort ist tatsächlich seltsam!“ Der Freund überlegte. Definitiv wurde es jetzt etwas schlüpfrig. Ach, das war es eigentlich schon die ganze Zeit, resignierte er, stellte sich vor den Vieren auf, daß jeder ihn gut sehen konnte: „Ich zeige Euch jetzt das korrekte Schließen dieser Hose.“

Leicht errötend griff er an den Reißverschluß, zog ihn nach unten und öffnete den obersten Knopf.

„Als Allererstes, und das ist ganz wichtig, stellt sicher, daß sich keine anderen Dinge zwischen die Zähne des Reißverschlusses schieben können. Die Zähne jeder Seite verhaken sich abwechselnd ineinander (hier verschränkte er die Finger beider Hände ineinander, um die Wirkweise zu demonstrieren), so bleibt er geschlossen. Dieses kleine Teil hier bewirkt das Zusammenfügen der Zähne und damit öffnet und schließt man den Reißverschluß (hier schob er den Zipper langsam hoch und runter).“

Seine Wangen glühten, als ihm bewußt wurde, daß ihm vier gestandene Kerle fasziniert auf den Hosenschlitz starrten.

D’Artagnan grinste anzüglich, offensichtlich arbeitete bei ihm bereits das Kopfkino. „Wie meint Ihr das, mon ami, mit den Dingen, die da nicht hineingeraten dürfen?“

Der Freund hätte dem Gascogner am liebsten eine reingehauen, riß sich aber zusammen. „Wenn Ihr noch viel fragt, lasse ich Euch diese Jeans ohne Unterhose anziehen und dann könnt Ihr schauen, was so alles dazwischen geraten kann!“

Porthos und Aramis glucksten vor unterdrücktem Lachen, Athos versuchte, seine Nonchalance zu wahren.

Der Freund schob routiniert alles aus dem Weg, zog den Reißverschluß hoch und schloß mit einem unterdrückten Seufzer der Erleichterung den obersten Knopf. „Jetzt Ihr!“

Wesentlich langsamer, aber mit größter Konzentration und Sorgfalt hantierten die Musketiere mit den Verschlüssen.

„Perfekt! Genau so!“ Der Freund grinste.

„Da frage ich mich ja, ob es solche Hosen nicht auch mit den guten, alten Knöpfen gibt!“ überlegte Aramis. „Ist doch um einiges ungefährlicher!“

Der Freund überlegte: „Es gibt sie auch noch mit Knöpfen, doch zu einem großen Teil tatsächlich nur noch mit Reißverschluß! Der Vorteil liegt hier in der Schnelligkeit!“ Und er grinste diabolisch.

„Sei’s drum!“ Aramis drehte sich vor dem Spiegel, pfiff anerkennend: „Excellent! Dieses Beinkleid bringt meine Rückansicht extrem schmeichelhaft zur Geltung!“

Der Freund nickte und kicherte: „Heutzutage würden wir sagen: Ihr habt einen richtigen Knackarsch!“