Nicht alles im Leben läuft wie am Schnürchen... von Percy 

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Kapitel Nicht alles im Leben läuft wie am Schnürchen...

Charles de Batz-Castelmore d’Artagnan saß im Lehnstuhl vor dem prasselnden Kaminfeuer. Allein, und das war auch gut so.

Was machte er überhaupt hier? In diesem viel zu großen, viel zu pompösen Schloss im Burgund?

Er fühlte sich wie ein deplatziertes Möbelstück.

Seufzend griff er nach dem Wein, der auf einem eleganten Beistelltischchen neben dem Sessel stand. Allein das war schon eine Zumutung gewesen. Er hatte nach Wein verlangt und der Diener wollte ihm einschenken in eines dieser sündhaft teuren, fein ziselierten Kristallgläser. Vehement hatte er auf einem einfachen Zinnbecher bestanden, was den Diener indigniert die Augenbrauen heben ließ. Freches Volk! So etwas hätte er im Dienst als Insubordination bestraft! Schließlich bekam d’Artagnan den verlangten Becher, für den Rotwein war es jedoch schon zu spät gewesen. Er war bereits dekantiert worden, schwappte nun müde in einer bauchigen Karaffe umher. Eigentlich ein Spiegelbild dessen, wie er sich selbst gerade fühlte. Er hatte unwirsch gefragt, ob es denn keine Weinflaschen auf dem Schloss gab, woraufhin der Diener mit einer Spur Hochmut in der Stimme, die die Nerven des Musketiers erneut reizte, erklärte, der Wein müsse schließlich atmen.

Pah! Atmen! Damit hatte es sich sowieso, sobald er ihn in seinem Inneren verschwinden ließ! Dann war da nichts mehr mit „Atmen“…..Höhnisch grinste er, ergänzte mutwillig: Außer natürlich, er bekäme Blähungen, vielleicht ging dann doch noch ein leichter Atemzug. Er unterdrückte ein kehliges Lachen über seinen eigenen schlechten Witz, doch die Vorstellung amüsierte ihn weiter, dass man –er- von IHREM Wein Blähungen bekam.

Die düstere Abenddämmerung ging in die Nacht über, Dunkelheit legte sich über den Raum. Fast lautlos öffnete sich eine Tür und ein Diener kam herein, um die Kerzen zu entzünden.

„Halt! Nicht so viele! Mir reichen die vier hier am Kamin!“ Der Diener zuckte ob des Befehlstones zusammen, d’Artagnan beachtete ihn nicht mehr. Diese Kammerschranzen krochen überall umher und verrichteten ihre Dienste in der unterwürfigen Haltung derer, die nie beim Militär gedient hatten und in ständiger Furcht vor der adligen Herrschaft lebten. Schon am Königshof empfand er eine deutliche Abneigung gegen diese Leute, die sich noch nicht einmal ein letztes Fünkchen Stolz bewahrt hatten, wie er glaubte.

Die Kerzen flackerten unstet, er blickte in die Flammen, schenkte Wein nach. Er trug immer noch seine Stiefel, die er nach seinem nachmittäglichen Ausritt nicht abgelegt hatte. Wie gerne wäre er jetzt in den Stall gegangen, hätte eigenhändig seinen treuen Hengst gesattelt und gezäumt und wäre auf und davon……. Richtung Paris!

Er seufzte. Fühlte sich gefangen. Das war nicht gut. Auch sein Pferd rebellierte, er wurde zu wenig beansprucht. Bei jedem Ausritt spürte er den Bewegungsdrang und Mutwillen des Tieres. Das Stallpersonal traute sich nicht mehr an ihn heran, also verrichtete d’Artagnan mit Genugtuung die Fellpflege und das Aufzäumen höchstselbst. Sollten sie doch Angst haben vor seinem Pferd und am besten auch vor ihm!

Während er trübsinnig seine Stiefelspitzen  musterte, öffnete sich am anderen Ende des Saales erneut eine Tür. Er vernahm leichte Schritte und verspannte sich.

Ein Rascheln von zarten Rüschen direkt neben ihm. Er starrte weiter ins Feuer.

„Aber mein liebster Ehegemahl, was macht Ihr denn hier noch zu so später Stunde?“ Ihre Stimme klang zart und hatte einen leicht schmachtenden Unterton.

Er spürte ihre Präsenz, vermeinte, ihren Atem zu hören. Rasch schielte er zur Seite. Sie trug das leicht durchsichtige Nachtgewand! Wie schamlos!

Sie hatte doch erst vor ein paar Tagen ein Kind zur Welt gebracht!

Sie glitt hinter den Sessel, legte ihre Hände auf seine Schultern. Er erstarrte, rührte sich nicht, als sie begann, ihn sachte zu massieren. „Mein Liebster, Ihr seid sehr verspannt! Lasst mich ein wenig für Eure Entspannung sorgen…..“

Sie massierte weiter ohne Erfolg an seinen Schulter- und Nackenmuskeln herum. Er beugte sich vor, griff seinen Becher und kippte ihn auf einen Zug hinunter, um sogleich nachzufüllen.

Jetzt tauchte sie wieder neben dem Sessel auf, setzte sich in ihrem durchscheinenden Gewand auf die Lehne, legte einen Arm um seine Schulter, sog mit Behagen den Duft seines Haares ein, während eine Hand auf seinen Oberschenkel rutschte.

Sogleich packte er ihr Handgelenk mit eisernem Griff und schob ihre Hand von sich weg.

„Liebster Gatte, was ist Euch? Gefalle ich Euch etwa nicht?“ Sie rückte ihre Figur ins Licht, brachte ihre Weiblichkeit zur Geltung. Kalt musterte er ihren Körper. Gut, vor zwei Jahren hatte ihn der Anblick durchaus in Wallung gebracht, auch dieses Nachtgewand hatte seine Phantasie angeregt. Aber jetzt? Was fiel ihr eigentlich ein? Sich hier so darzubieten?

Wie vor einigen Wochen, als er mit seinem Regiment im Lager war und sie plötzlich ohne Vorwarnung auftauchte. Ihre Kutsche hielt vor seinem Zelt und da stand sie, mit ihrem unförmigen, hochschwangeren Leib und dem Knirps Louis, der zwar ungelenk laufen, aber noch nicht sprechen konnte, an der Hand. Was für Umstände sie ihm machte! Wie stand er jetzt da? Was sollten seine Männer von ihm denken?

Er dachte nicht daran, dass einige – die meisten – seiner Männer das offensichtlich romantisch fanden und insbesondere die Jüngeren wohl davon träumten, solch eine Ehefrau zu finden, die sich nach der Gesellschaft ihres Gemahls verzehrte.

Er konnte ihr keinerlei Annehmlichkeiten bieten, was er als persönliche Niederlage empfand. Also saß er am Abend bei einem improvisierten Dîner mit seiner Frau zusammen, der kleine Louis schlief schon in einem notdürftigen Kinderbett, einer Pferdekrippe, die mit Kissen ausgepolstert worden war. Die Konversation war gezwungen und er bat sie, am nächsten Tag abzureisen, da er sehr viel zu planen und vorzubereiten hätte.

Wie erleichtert war er, als er endlich ihre Kutsche abfahren sah.

Und jetzt war er wieder gefangen! Der König hatte ihn nach Burgund geschickt, auf das Schloss seiner Frau, damit er auf jeden Fall bei ihrer Niederkunft zu Hause war. Wie gerne wäre er in Paris geblieben. Bei diesen Frauenangelegenheiten konnte er sowieso nichts tun und Details wollte er auch nicht zu Gesicht bekommen. Seinen Widerspruch wischte der König einfach vom Tisch, lächelte ihn an und sandte ihn fort mit dem Kommentar, dass er als werdender Vater sicherlich aufgeregt sei, sonst würde er seinem König nicht widersprechen.

„Mon mari, kommt doch ins Bett……“ Er spürte die Lust in ihrer Stimme, fühlte, wie sie seinen Arm streichelte.

Niemals! Er würde seine Männlichkeit nicht dorthin versenken, wo vor wenigen Tagen ein kompletter Säugling unter Schmerzen, Blut und anderen Abscheulichkeiten herausgepresst worden war!

Sie musste gespürt haben, wie sich seine Muskeln verkrampften. „Was habt Ihr? So redet doch mit mir, mein liebster Mann!“

„Nichts! Es ist nichts! Ich will nur meine Ruhe!“

„Eure Ruhe? Die wollt Ihr schon seit Wochen! Seit Ihr hier angekommen seid!“ Sie klang entrüstet. Um so besser, dann verging ihr die Lust auf derartige…..Abartigkeiten!

Sie stand auf, stellte sich jetzt schräg vor den Sessel, das Feuer im Kamin zeichnete ihre Körperkontur in dem Gewand nach. Er wandte den Blick ab.

Die Hände in den Hüften, mit erwachendem Zorn in den Augen stieß sie hervor: „Wie gedenkt Ihr übrigens, Euren Sohn zu nennen?“

„Was? Wieso?“ Er war verwirrt über den Wechsel des Kriegsschauplatzes.

„Nun, mon mari, dann helfe ich Eurem Zeitgefühl ein wenig auf die Sprünge: Unser Sohn – Euer Sohn – ist bereits vier Wochen alt und hat noch keinen Namen! Der Pfarrer drängt bereits auf einen Tauftermin. Zum Glück ist unser Sohn ein kräftiges Kind, so daß keine Gefahr besteht, daß er ungetauft verstirbt.“

Er schenkte sich Wein nach, leerte den Becher in einem Zug. „Da hab ich mir noch keine Gedanken drüber gemacht.“

„Aber….“ Sie schnappte entrüstet nach Luft, rief sich selbst zur Ordnung. Sicher war ihr Gemahl gestresst oder hatte berufliche Sorgen. Als gute Ehefrau sollte sie ihm behilflich sein.

„Nun, liebster Gemahl, wie wäre es denn, wenn Euer Sohn Charles heißt?“ Sie lächelte liebreizend. Dieser Namensvorschlag würde ihm bestimmt gefallen.

„Was?“ Er brummte unwirsch, starrte an ihr vorbei in die Flammen. „Wieso Charles?“

„Nun, Charles, weil er sicherlich ein genauso stattlicher, gutaussehender Mann wie sein schneidiger Vater werden wird!“ Ihre Augen liebkosten seine Gestalt und sein Antlitz.

„Hmpf, Charles geht gar nicht!“ schnappte er.

Er hob den Blick, starrte ihr direkt in die Augen. „Louis! Er wird Louis heißen!“

Sie stammelte verwirrt: „Louis? Aber…..aber…..wir haben doch bereits einen Sohn namens Louis….“

„Was gibt es an Louis auszusetzen?“ fragte er widerborstig. „Louis ist der Name unseres Königs, also gibt es keinen besseren Namen für meinen Sohn als Louis! Er wird Louis heißen, basta!“

Er kniff die Lippen zusammen, die Brauen tief gefurcht, und sie wußte, dass das Gespräch beendet war. Er würde nichts mehr sagen, geschweige denn, zu ihr ins Bett kommen. Wahrscheinlich blieb er die ganze Nacht vor dem Kamin sitzen, um noch vor der Morgendämmerung sein Pferd zu satteln und auszureiten.

Mit einem angedeuteten Gute-Nacht-Kuß auf seine Wange, bei dem er das Gesicht wegdrehte, verließ sie den Saal.

Er seufzte, als die Tür sich hinter ihr schloß. So ging das nicht weiter. Sie war wie eines jener ekelhaften Schoßhündchen, die unterwürfig am Hofe Männchen machten. Er ertrug ihre Anhänglichkeit nicht mehr. Ein Egel konnte nicht schlimmer sein, so wie sie sich an ihn klammerte und ihm die Verve aussaugte.

Morgen früh würde er nach Paris zurückreiten. Er musste unbedingt vertraulich mit dem König sprechen. Da musste sich doch ein Arrangement treffen lassen, wie er der Gesellschaft seiner Gattin ledig werden konnte, ohne einen Skandal heraufzubeschwören.

Er schenkte Wein nach, lehnte sich zurück, beobachtete das Flammenspiel und spürte, wie er sich entspannte. Es ging doch nichts über eine Entscheidung, einen guten Plan und etwas, das er tun konnte, sobald der neue Tag anbrach!