Novemberherausforderung 2004 von Silvia 

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Kapitel Von Engeln und Teufeln von Anonymous

Hallo,
ich war selten so unsicher war eine Geschichte angeht, wie bei dieser. Ich bin nicht sicher, dass man sie eine Spukgeschichte im klassischen Sinne nennen kann, zwar geht der Teufel darin um und ist hinter den Seelen unserer vier Lieblingshelden her, aber gruslig ist es nicht geworden. Darum eine Bitte an alle Leser: wenn ihr denkt, ich hab das Thema echt verfehlt, dann sagt es mir und ich nehme die Sache wieder offline.

Dorothea

Von Engeln und Teufeln

Also, alle meine Schwierigkeiten begannen mit einer Gruselgeschichte. Es ist wirklich lächerlich, völlig lächerlich, aber genauso ist es passiert. Ich hatte in einer wirklich entspannten Runde gesessen und, während ich eine Geschichte über Heimsuchungen von mir gab, für Momente den Schatten meiner echten Gestalt sichtbar werden lassen. Das ist meine ganz große Nummer aus dem neunzehnten Jahrhundert, dort habe ich wirklich einige großartige Erfolge damit gehabt. Aber leider war ich im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert und es war Essig mit dem Erfolg. Am nächsten Tag wollte mich einer dieser Vögel doch untersuchen lassen, um die Natur meiner Besessenheit wissenschaftlich zu erforschen! Mort tous les diables! Wie die Franzosen es ausdrücken. Untersuchungen sind der Tod des Teufels.

Ich bekam höllischen Ärger im Dienst. Beelzebub, mein direkter Vorgesetzter, war alles andere erfreut und hätte mich am liebsten in die Zentralheizung versetzt, damit ich dort knacke. Von der Wut seiner höllische Eminenz mal gar nicht zu reden. Wohlgemerkt, ich rede hier von seiner höllischen Eminenz, nicht von den Kirchendienern, die sich auch so nennen, auch wenn wir von denen mehr als genug sehen, wenn sie ihr irdisches Dasein beschließen. Jedenfalls Monsieur le chef war absolut verärgert und verhängte meine sofortige Strafversetzung ins frühe 17te Jahrhundert. Das frühe 17te! Nun ja, eigentlich ist es keine so üble Zeit, die Religionskriege haben Spaß gemacht. Aber es war kurz vor dem 31. Oktober und mir schwante nichts gutes. Dieses Datum ist nämlich verflucht wichtig. Es ist die Nacht, die einzige im Jahr, in der wir – will meinen beide Seiten, Himmel und Hölle – Seelen ganz und gar für ihre Sache rekrutieren können und auch die höhere Erlösung ist in dieser Nacht wesentlich leichter bewerkstelligt als sonst. Und da dieser verengelte Termin grade vor Weihnachten liegt, heißt das Hochbetrieb und Überstunden ohne Ende. Nun, mir wurde meine Aufgabe rasch genug verkündet, es gab da vier Seelen im frühren 17ten Jahrhundert, von denen ich eine als zukünftigen Kollegen rekrutieren sollte. Und grade dafür ist das 17te Jahrhundert eine elende Zeit. Die Leute sind noch gottesfürchtig genug, um im Zweifelsfalle, wenn’s drauf ankommt, doch lieber ins Paradies zu wollen, aber leider, leider sind die großen Zeiten von Mystikern und Magie, wo sich für Wissen und Macht so mancher gewinnen lies, bereits vorbei. Nun ja, das mit der Hexenkunst wird in der moderne ja so langsam wieder, aber im 17ten war es Essig damit.

Jedenfalls nahm ich meine Arbeitsliste und machte mich auf die Socken. Mich wunderte es nicht besonders, dass ich kaum da angekommen über meinen Gegenspieler stolperte. Der Himmel hat in der Nacht des 31ten Oktober meist auch seine Leute unterwegs, um entweder irgendwelche gequälten Seelen zu erlösen oder auf arme Teufel, die nur ihre Pflicht tun, ein Auge zu haben. Ich gestehe, ich hatte noch Glück im Unglück, den man hatte Gabriel zu mir geschickt. Von allen Erzengeln ist er noch der netteste. Nicht so ein arroganter Schweiger wie Michael, der nie die Klappe aufkriegt und kein Raphael, der einem doch immer eine Moralpredigt hält und kein Ende finden kann. Damals, an dem ersten Weihnachtsabend, hielt der noch immer so eine große Rede an die Hirten, als ich Herodes schon halb auf dem Weg zu seiner Großtat hatte... na ja unwichtig. Ich war überrascht Gabriel hier zu treffen, den das hier war so total nicht seine Gegend. Sein Gebiet war ehe das Mittelalter mitsamt Kreuzzügen und den christlichen Schwertorden. Dort haben wir uns ja auch kennengelernt, als wir uns an einem anderen 31. Oktober über die Seele von Richard Löwenherz in die Wolle bekamen. Unwichtig zu sagen dass Gabriel damals gewonnen hat und ich mir später die Seele von Richards Bruder gekrallt habe. Jedenfalls war das 17te Jahrhundert überhaupt nicht seine Gegend. Er mochte es nicht. Wahrscheinlich tat es ihm weh, die Religionskriege zu sehen und alles was damit verbunden war. Ich fragte mich, ob man auch ihn strafversetzt haben mochte. Aber wie ich den Alten da oben so kenne, hat er Gabriel hierher geschickt, um ihn über irgendwas zu belehren. Ich bevorzuge die Strafen von Monsieur le chef.

Wir machten uns auf den Weg, oder besser: Ich machte mich auf den Weg und Gabriel begleitete mich. Sterblichen wären wir wie zwei der Ihren erschienen, so sie uns denn jemals wahrnahmen. Ich hatte mich, wie immer in diesem netten Zeitalter, in den Mann mit dem roten Mantel verwandelt während Gabriel etwas mehr Schwierigkeiten hatte, eine passende Gestalt anzunehmen. Unter Richards Kreuzfahrern hatte er passender gewirkt, aber da uns die meisten Sterblichen ohnehin nicht beachteten, waren die Probleme marginal. „Monsieur le chef hat mich nach einigen Leuten ausgeschickt.“ begann ich einen Schwatz. „Ich schätze, Du wirst sie mögen, es sind Soldaten.“ Und das meinte ich auch so. Gabriel hat für die kämpferischen Seelen etwas übrig.

Er nickte. „Ich weiß.“ Erwiderte er. „Ich bin um einer anderen Seele willen hier, aber ich begleite dich dennoch, das eine hat mit dem anderen eng zu tun. Wie immer.“

Es war gegen Mitternacht, als wir das Wirtshaus erreichten wo unsere vier verlorenen Seelen zusammensaßen. Ich seufzte auf, vier Soldaten, zwischen zwanzig und dreißig Jahren, das sind harte Nüsse, jedenfalls meistens. Niemand sah uns kommen, wie wir eintraten und nahe des Tisches stehen blieben. Hm. Der erste Eindruck war doch schon mal nicht schlecht. Karten und Würfel verteilten sich auf dem Tisch und getrunken wurde ganz mächtig. Oberflächlich gut. Ich betrachtete die vier genauer. „Gar keine so unpassenden Kandidaten, das musst du zugeben, Gabriel. Der da ganz links insbesondere: Er hat seine eigene Ehefrau in falschem Stolz ermordet.“

Gabriel studierte denjenigen genauer. „Nicht ganz.“ Erwiderte er dann. „Er hat es nur versucht und nicht geschafft. Und hinterher hat er es sehr bereut.“

Ich runzelte die Stirn. Das klang schon weniger gut. Wenn er schon einen simplen Gattinnenmord nicht hinbekommen hatte. „Aber er hat Schuld an ihrem Tod.“ Wandte ich ein.

„Ja, seine drei Freunde haben ihm später bei dem zweiten Mord geholfen.“ Erwiderte Gabriel traurig.

Oh nein! Zwei Anläufe und dann auch nur mit Hilfe! Ich musste mir überlegen, ob nicht einer von den anderen besser wäre. „Der daneben dann, ein falscher Priester. Ich weiß, das ist was sehr gewöhnliches, aber durchaus ein passender Kandidat.“

„Er war noch kein Priester.“ Hielt Gabriel mir entgegen. „Er wollte Priester werden, aber er hat noch nichts geschworen gehabt, was er hätte brechen können.“

Ich seufzte tief. Wenn Gabriel das sagt, dann muss es stimmen. Die da oben haben einen ganz guten Überblick über ihr Bodenpersonal, kein Vergleich mit der höllischen Schlamperei. Uns ist doch tatsächlich mal ein Teufel, ein wirklich alter Kollege, untergekommen, der irgendwann im zweiten Jahrhundert vergessen worden ist! Also gut, der beinahe Priester war es auch nicht. Ich drehte mich weiter und studierte den nächsten. Ein wahrhafter Hüne. „Hm... Ehebruch in mindestens einem Dutzend Fällen.“ Sagte ich leise zu Gabriel. „Ein Musterbeispiel an Untreue.“

Ein feines Lächeln bei meinem alten Feind sagte mir, dass ich mich da wohl irrte. „Er ist eine treue Seele durch und durch, er liebt lediglich das Leben. Und das ist keine Sünde, wie du weißt. Er ist eine gute Seele, von allen die hier versammelt sind, die klarste.“

Wenn Gabriel einen schon so lobt, eile ich besser schnell weiter, ehe ich Monsieur le chef einen wahrhaften Tugendbold anschleppe. Ich studiere den vierten. Also verbrochen hat er bisher nicht viel, ein angefangener – Angefangener! Nicht vollendeter! – Ehebruch, der Frauenmord und hm, ein bisschen Heimtücke. In den müsste man erst ein wenig Arbeit investieren. „Er ist ein Idealist.“ Sagt Gabriel leise und verstummt dann, denn der Gattinnenmörder ist aufgefahren und starrt entsetzt zum Fenster um sich dann erschrocken umzuwenden. Natürlich sieht er nichts, dafür sehen Gabriel und ich es umso besser. Wann sie gekommen ist, weiß ich nicht, aber wer weiß das schon bei verdammten Seelen?

Das also ist seine Gattin. Hübsch ist sie und nett teuflisch. Sie wäre wirklich etwas für unseren Verein. Aber der leise Schritt mit dem Gabriel auf sie zugeht, sagt mir, dass er wohl ihretwegen hier ist. Und nunja – Monsieur le Chef wollte einen Soldaten und keine Dame. Auch wenn er mein Gegner ist und ein verflixter Engel, macht es Vergnügen, Gabriel bei der Arbeit zu beobachten. Hier ist es natürlich etwas einfacher, denn sie ist eine ruhelose Seele. Aber schon unter den Menschen war das faszinierend. Ich habe mit gespitzten Ohren den ganzen Abend damals vor Akko dagesessen, als er – in seiner sterblichen Erscheinung William of Dalynridge – mit Richard Löwenherz diskutiert hat. Es war wirklich ein gutes Gespräch und auch wenn ich meinen Auftrag verpatzt und Richard nicht für die Hölle rekrutiert habe, war es das wert. Den ehrlicherweise hätte ich Richard nicht zum Kollegen haben wollen. Und auch hier ist es beeindruckend. Man merkt wirklich, dass Gabriel die Menschen sehr gern hat und sehr geduldig ist mit ihren Fehlern. Diejenige steht direkt hinter ihrem Mörder, der ihre Erscheinung im Spiegel erahnt hat und ich glaube, er schreibt es nur dem Wein zu, dass er inzwischen zwei Leute, die nicht da sind, in der Scheibe des Fensters sehen kann.
Gespannt beobachte ich das Gespräch von Gabriel und der Dame. Sie müsste ihrem Mörder ehrlich verzeihen, um diese Welt verlassen zu können. Ich wäre wirklich der falsche für dieses Gespräch, den nun kommen die Tränen, als sie alles was geschehen ist wiederholt. Gabriel hat das Verständnis und die Stärke ihr zu helfen und wie immer macht er das großartig. Hier könnte das halbe neunzehnte Jahrhundert antreten und lernen wie man das so macht. Es dauert zwar seine Zeit, aber schließlich, als sie sich wieder ihrem mörderischen Gatten zuwendet, weiß ich schon, dass sie ihm wohl verzeihen wird. Ihr Schwinden aus dem Raum bestätigt mir meine Vermutung. Sie hat ihm vergeben und damit ist das gelöst, was sie an diese Erde band. Ich sehe Gabriel lächeln. Er hat seine Aufgabe erledigt. Ich sehe wie er dem halb eingeschlafenen Gatten die Hand auf die Schulter legt. Spüren kann der es nicht, wie auch? Aber diese Art von Berührung ist ein besonderer Segen und wird ihm einen gewissen Frieden bringen.

Draußen schlägt die Glocke eins, die Nacht ist vorbei. Die vier Soldaten sind am Tisch eingeschlafen. Niemand sonst ist mehr hier. Gabriel muss wissen, dass ich keinen der vier rekrutiert habe, er würde es sehen, wenn es anders wäre. Auch der Wirt schläft. „Unterhalten wir uns noch, ehe wir aufbrechen?“

Natürlich werden wir das, machen wir ja immer. Das beste an diesem Jahrhundert ist die heiße Schokolade aus Spanien. Und wenn Gabriel sie zubereitet, ist sie geradezu himmlisch. Nunja, Monsieur le chef werden es nicht zu schätzen wissen. Aber ich bringe das ja nur über mich, weil ich selbstverständlich den Feind ausspionieren muss. Wir sitzen in dem schlafenden Raum, und ich muss sagen, diese Schokolade könnte ich mir einmal die Woche gefallen lassen, Gabriels Gesellschaft hin oder her. „Du hast keinen von ihnen gewählt.“ Sagte er nach einer Weile.

„Nun ja. Also wenn ich ganz ehrlich bin, Gabriel. Der eine hat zwar seine Frau ermordet, aber zwei Anläufe und viel Hilfe gebraucht. Der andere mag ja ein falscher Priester sein – aber nicht ganz – und ehrlichweise haben wir die im Dutzend bereits bei uns. Der dritte ist eine gute Seele, und was den vierten, den Leutnant angeht, ich hätte ihn ja ganz gern zum Kollegen, aber er ist ein Idealist. Und wenn ich es recht bedenke, kann ich keinen der vier Monsieur le Chef antun.“ Erwiderte ich. Mein Chef kann die echt nicht gebrauchen, das gäbe ja doch nur eine Katastrophe und davon haben wir auch so schon genug.

Gabriel nickt und stimmt mir zu, wir leeren die letzten Tropfe der heißen Schokolade, dann wird es auch schon Zeit zu gehen. Wir haben beide einen Chef, der wartet. Aber bevor wir uns verabschieden, machen wir aus, dass wir uns – so es die himmlischen und höllischen Dienstpläne zulassen – am heiligen Abend wiedertreffen, in Marienburg irgendwann im 13ten Jahrhundert. Ich habe das vorgeschlagen. Kenne doch Gabriel, der wird doch sicher an Weihnachten bei seinen Schützlingen nachschauen. Bevor ich gehe, mustere ich noch mal die vier, die da selig einem Kater entgegenschnarchen. Also wirklich? Diese Jammergestalten wollte Monsieur le Chef rekrutieren? Er weiß ja nicht, wie er sich geirrt hat.