Returning to Tomorrow von duchesse und Aramis
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 27 BewertungenKapitel Richelieus Vermächtnis
Die mächtigen Orgelklänge waren verstummt, das Kyrie eleison des kirchlichen Chors verklungen, und der Erzbischof von Paris, Monseigneur de Gondi, hob weihevoll die Hände und schickte sich an, zusammen mit seinem Herrn Koadjutor, den höchsten geistlichen Würdenträgern der Stadt und einer ungeheuren Schar von Ministranten das feierliche Hochamt zu Ehren des verstorbenen Kardinals de Richelieu in der Kathedrale von Notre Dame zu zelebrieren.
Leises Husten und Räuspern erklang allenthalben, Seide raschelte, Sporen klirrten, und der Schein unzähliger Kerzen erhellte die winterliche Düsternis, während Weihrauchschwaden den Altar wie zarte weiße Schleier umschwebten.
„Dominus vobiscum!“
Auch der Comte de Rochefort erhob sich inmitten der Trauergäste, die sich in den Kirchenbänken drängten, und murmelte folgsam „Et cum Spiritu Tuo!“, denn der Erzbischof, begleitet von vier jungen Ministranten mit hell leuchtenden Kandelabern in Händen, trat soeben gravitätischen Schrittes ans Lesepult, um mit lauter Stimme das Evangelium zu verkünden. An dieses schloss sich die obligate Predigt an, und in dieser würdigte Monseigneur de Gondi, dem hohen Anlass entsprechend, in feierlicher Rede die herausragenden Verdienste des verstorbenen Kardinals. Rochefort runzelte die Stirne. Alle waren sie erschienen, der gesamte Hof – doch nicht der König. Hm, Seine Majestät wirkte in letzter Zeit auffallend kränklich. Hatte etwa ein Unwohlsein Louis von der Teilnahme am Hochamt zu Ehren seines verstorbenen Ersten Ministers und getreuen Unterstützers abgehalten? Doch wie dem auch sei, leider bedeutete sein Fernbleiben, wenn auch vermutlich unbeabsichtigt, ein politisches Signal – hatten Richelieus Gegner nicht prompt frohlockt und in ihrem Triumph helle Freudenfeuer entzündet, weil ihr erklärter Feind endlich das Zeitliche gesegnet hatte? Immerhin gelang es dem Herrn Kardinal noch vor seinem Tode, dem König einen Nachfolger vorzuschlagen: Monsignore Giulio Mazarini, seit kurzem Kardinal, ein Parvenu mit hohen Ambitionen, der als päpstlicher Nuntius nach Paris gekommen war und vor rund zwei Jahren in Richelieus Dienste trat. War dies ein guter Griff? Das würde sich nun erweisen!
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Der Widerspenstigen Zähmung
In den darauffolgenden Jahren hatte der Comte de Wardes manches Mal an dieses Zusammentreffen zurückgedacht. Man schrieb nun das Jahr 1648, er hatte Rochefort seither nicht wiedergesehen, doch sie hatten brieflich Kontakt gehalten, obwohl es offiziell nichts mehr zu berichten gab – Mazarin war, nachdem auch König Louis XIII. kurz nach Richelieus Tod ebenfalls gestorben war, auf Distanz zu den ehemaligen Vertrauten des Kardinals gegangen und ließ all jenen am Hof und in der Politik freie Hand, die die früheren Parteigänger Richelieus nunmehr als Feinde verfolgten, an vorderster Stelle die Königinmutter und Regentin Anne d’Autriche. Rochefort war dennoch in Paris im Umfeld des Hofes geblieben, zwar ohne seine frühere Funktion, aber doch immer wieder mit wichtigen Aufgaben betraut, wenn man auf seine politische Erfahrung und Geschicklichkeit nicht verzichten konnte. De Wardes war dies riskant erschienen, doch Rochefort war seinen Bedenken immer mit dem Argument begegnet, wenn er mitten im Geschehen stehe, wisse er wenigstens, was vor sich gehe und wann Gefahr im Verzug sei. Doch nun hatte er schon seit fast einem Jahr nichts mehr von Rochefort gehört.
De Wardes selbst war ganz froh, in England zu sein, in sicherer Entfernung von allen Bedrohungen und Intrigen, geschützt durch seine falsche Identität, die ihm mit den Jahren wirklicher erschien als seine eigentliche. Schon seit langem dachte, träumte und fluchte er auf Englisch und empfand London als seine Heimat, schimpfte wie alle Einheimischen über das stetige Gedränge auf der London Bridge und nahm das schier immerwährende Regenwetter stoisch hin. Er spielte seine Rolle als Kaufmann Francis Warren nicht mehr, sondern hatte sie sich ganz und gar zu eigen gemacht, erst recht nach seiner Heirat mit der Reederin Lilian Lancaster, die – zur entsetzten Missbilligung der Londoner High Society – als junge Frau die Geschäfte ihres früh verstorbenen Vaters selbst übernommen hatte, statt sich zu vermählen und dies ihrem Gatten zu überlassen. Und darin wurde Miss Lilian unverhofft bestärkt: Nämlich durch ihren erst vor kurzem hochbetagt aus dieser Welt geschiedenen Herrn Onkel, Captain Lawrence Lancaster, der bereits in frühester Jugend im Dienste der Royal Navy stand, als junger Marineoffizier die berühmte Seeschlacht von Gravelines mitgemacht hatte und sich hinterher als erfolgreicher Kapitän einer eigenen Handelsflotte als ein äußerst kühner, unerschrockener Seefahrer erwies, der die entlegensten Gewässer des Indischen Ozeans befuhr und gar bis an die Küste Neuseelands gelangte. Auf seinen abenteuerlichen Reisen zur See scheute er sich nicht, es mit den berüchtigten Piraten von Westindien aufzunehmen, und als es ihm zusammen mit seiner ebenso kampfesmutigen Mannschaft gar gelang, den gefürchteten französischen Piratenkapitän Levasseur samt dessen Freibeutern, die bevorzugt englische Schiffe überfielen, in seine Gewalt zu bringen und der Gerichtsbarkeit auszuliefern, wurde er von Königin Elizabeth prompt in den Adelsstand erhoben. Lange Jahre fuhr der so Geehrte weiterhin zur See, zum Schrecken der französischen und spanischen Piraten, doch eine böse Verwundung im Zuge eines solchen Seegefechts bescherte Sir Lawrence, nun in bereits vorgerücktem Alter, ein lahmes Bein, und so gab er schweren Herzens seine geliebte Seefahrt auf, um auf seinem Landsitz an der cornischen Küste, nahe des Städtchens Torquay, sesshaft zu werden und, durch seine körperliche Behinderung gezwungen, das beschauliche Leben eines englischen Esquire zu führen. Und ebendort, im malerisch auf roten Klippen gelegenen Herrensitz genannt End House, an dessen Felsküste Sir Lawrences einzige Geliebte, das Meer, schäumend brandete, traf de Wardes seine zukünftige Braut.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Cromwells Schatten
Nicht ohne leichte Wehmut dachte de Wardes an jenen Abend zurück. Theateraufführungen waren seit nunmehr sechs Jahren im ganzen Land verboten; die einflussreichen Puritaner sahen in ihnen eine Bedrohung von Anstand und Moral. Unlängst waren sogar Schauspieler mitten in einer Aufführung von der Bühne weg verhaftet worden, selbst vor den King’s Men, der königlichen Theatertruppe, machten die Sittenwächter nicht halt. Natürlich vermisste de Wardes das kulturelle Leben, mit dem der Theaterbetrieb die Stadt erfüllt hatte; er und Lilian hatten sich immer gern neue Stücke angesehen, auch wenn ihnen – wie bei Der Widerspenstigen Zähmung – längst nicht alles gefiel; doch was ihm mehr Sorgen bereitete, war die Strenge, mit der die Puritaner mittlerweile in alle Bereiche des öffentlichen Lebens eingriffen und unter Androhung und Vollzug teils drastischer Strafen den Menschen ihre Vorstellungen aufzwangen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich auch in das private Leben einmischen würden. Schon während der beiden Bürgerkriege hatte man immer wieder von Verhaftungen und Repressionen gehört, auch wenn sich die Auseinandersetzungen in London glücklicherweise auf das Parlament beschränkten, wo Oliver Cromwell nunmehr die Macht an sich gerissen hatte.
Oliver Cromwell! In seinen Anfangsjahren war de Wardes, in Übereinstimmung mit Kardinal Richelieu, einigermaßen froh über seinen Einfluss gewesen, sorgte er doch zuverlässig dafür, dass die englische Politik mit sich selbst beschäftigt war – nach den von Lord Buckingham angeführten blutigen Auseinandersetzungen zwischen England und Frankreich konnte es ihnen nur recht sein, wenn Britannias Löwe seine grimmigen Blicke anderswohin richtete als über den Ärmelkanal. Während Richelieu Cromwell sehr kritisch gegenübergestanden hatte, hatte de Wardes anfangs durchaus Sympathien für seine Pläne empfunden. Je mehr seine Politik jedoch diktatorische Züge annahm, desto mehr begann de Wardes ihm zu misstrauen. Schon im Jahr 1643 hatte Cromwell mit Hilfe des Parlaments eine modernst ausgerüstete, schlagkräftige Kavallerieeinheit aufgestellt, Ironsides genannt, die überwiegend aus fanatischen Puritanern bestand, und mit ihrer Hilfe erzielte er entscheidende Siege über die Royalisten, wobei seine Streitmacht mit äußerster Brutalität vorging. Und bei der Belagerung des sogenannten Basing House in Hampshire, einer eilends errichteten Bastion, die Königstreuen und anderen dem Parlament missliebigen Bürgern, beispielsweise Katholiken, Zuflucht bot, erreichte diese Brutalität ihren grausamen Höhepunkt: Denn ein puritanischer Hassprediger bezeichnete die Verteidiger dieses Ortes als gotteslästerliches Ungeziefer und forderte nichts weniger als ihre gnadenlose Vernichtung! Sein entsetzlicher Wunschtraum ging in Erfüllung, die Roundheads erstürmten die Bastion und massakrierten erbarmungslos alle, die sich darin aufhielten. Bei Gott, allein diese Greueltat zeigte, wie es um die puritanische Herrschaft bestellt war! Und die seit kurzem wieder aufflammenden royalistischen Aufstände bewiesen nur zu klar, wie tief gespalten und mit sich selbst verfeindet das englische Volk mittlerweile war! Doch wohin sollte dies führen? In die gewaltsame Unterdrückung, in die permanente innenpolitische Erstarrung? Oder in einen neuerlichen Bürgerkrieg, dessen heiße Glut seit seinem ersten Ausbruch im Jahre 1642 nach wie vor schwelte? Oh, England war schon lange kein Ort des Friedens mehr, und wenn die Puritaner trotz ihrer rigiden Politik und ihrer abscheulichen Gesinnungsschnüffelei die Oberhand behielten, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie auch de Wardes’ Familie mit brutaler Gewalt bedrohten! Denn er, seine Gemahlin und seine Kinder waren katholisch.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Die Muse der Dichtkunst
Ein Schlüssel drehte sich leise knirschend im Schloss, und der Comte de Rochefort horchte auf. Die Luke in seiner Zellentür öffnete sich, und ein Stapel Papier wurde hineingereicht. Rochefort trat an die Tür und nahm ihn wortlos in Empfang. Es folgten zwei Schreibfedern und ein kleines Tintenfass, die er ebenfalls entgegennahm, und als letztes das feiste Gesicht von Monsieur Faujour, dem Gefängniswärter.
„Ihr hattet um Nachschub gebeten?“
„Ich befinde mich gerade in einer äußerst fruchtbaren poetischen Phase.“
Faujour gluckste vor Vergnügen. „Ihr schreibt Gedichte?!“
„Was hättet Ihr denn gedacht?“, gab Rochefort zurück.
„Mit Verlaub, ich hätte eher angenommen, dass Ihr versucht, heimlich zu korrespondieren.“ Faujour grinste hämisch. „Nicht, dass jemals auch nur ein Buchstabe, den Ihr niederschreibt, durch diese Mauern nach außen dringen würde. So sehr ich es auch bedauere, dies gilt gleichermaßen für herzzerreißende Sonette, so hübsch die Dame, der sie gewidmet sind, auch sein mag.“
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Carpe Diem
Monsieur le comte,
Mon cher François,
verzeiht, wenn meine Handschrift jener klaren Exaktheit entbehrt, die Ihr an ihr gewohnt wart, doch wie Ihr wisst, bin ich seit geraumer Zeit gezwungen, das Bett zu hüten, und es besteht kaum Hoffnung, dass ich es in diesem Leben noch einmal verlassen werde. Ich gesteh’s, ein unseliges Ereignis, von dem Ihr sicher gehört habt, trug dazu bei, mich aufs Krankenlager zu werfen, und meine schwache Gesundheit, die mich mein ganzes Leben hindurch begleitete, hat mich nun endgültig im Stich gelassen. Und dies ist auch der Grund, warum ich Euch schreibe, denn nur Gott allein weiß, wieviel Zeit mir noch vergönnt ist. Lasst mich daher, François, Euch von ganzem Herzen danken – für Euer Pflichtbewusstsein, Eure Zuverlässigkeit, Euren Mut und für all Eure Dienste, die Ihr mir erwiest und die gewiss nicht immer leicht zu verrichten waren. Und habt ebenso Dank für Eure unverbrüchliche Treue, die Ihr mir selbst in schwierigsten Zeiten bewiest! Seid gewiss, ich habe sie nicht vergessen, und ich will dafür sorgen, dass sie belohnt wird.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Das Damoklesschwert
„Darf ich mit aller gebotenen Höflichkeit fragen, wer das wissen will?“
Der blasse junge Mann mit dem rötlichen Haar lächelte kalt. „Diese Frage stellt sich nicht, Sir. Wir wissen bereits, dass Ihr und Eure Familie katholisch seid.“
„Das ist weder ein Geheimnis noch ein Verbrechen.“ De Wardes zog ärgerlich die Brauen zusammen. „Warum seid Ihr hier?“
Die Antwort bestand abermals in einem kalten Lächeln, das ihn zutiefst beunruhigte.
Es war ein ganz gewöhnlicher Samstag gewesen: Die Kinder hatten oben im Haus musiziert, während Lilian und er unten im Kontor der Reederei über den Rechnungsbüchern gesessen hatten, bis völlig unvermittelt dieser junge Mann aufgetaucht war, begleitet von einem bewaffneten Soldaten, den seine Uniform als Angehörigen von Cromwells Ironsides auswies, und angefangen hatte, Fragen zu stellen. Doch mehr Kopfzerbrechen als dieser Versuch, sie auszuhorchen, bereitete de Wardes die Tatsache, dass dieser Spürhund Cromwells ihm auf diffuse Weise bekannt vorkam, obgleich er sich nicht entsinnen konnte, ihm jemals irgendwo begegnet zu sein. Hatte sein unschlagbares Namens- und Personengedächtnis dermaßen nachgelassen, seit er die Tätigkeit als Geheimagent aufgegeben hatte? Sein Unvermögen, diesen Kerl irgendwie einzuordnen, ärgerte ihn noch mehr als die Schnüffelei, und so hatte er ihn nicht eben freundlich empfangen.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Aufgeflogen
Doch mit Lilians Plan, das Haus gründlich aufzuräumen und alles fortzuschaffen, was möglicherweise Verdacht erregen könnte, nahm es einen ähnlichen Gang, wie es sich mit derlei Dingen für gewöhnlich immer verhielt. Zwar hatte sie gleich am folgenden Tag begonnen, das Kontor zu durchforsten, aber das Tagesgeschäft wollte ja auch erledigt werden, zumal es mit einem ihrer Schiffe Komplikationen gab: die Ware, eine Ladung Wolle aus Irland, war beschlagnahmt und der Kapitän, ebenfalls ein Ire, festgenommen worden. Vermutlich war auch dies reine Willkür, es war ihr auch gelungen, die Angelegenheit zu regeln, aber dies kostete sie einen ganzen Arbeitstag, und der ganze Vorfall trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. Auch war das Aufräumen und Überprüfen eine langwierige Arbeit, die viel Zeit in Anspruch nahm, so dass Lilian nur langsam vorankam.
Nach einer Woche war sie immerhin mit dem geschäftlichen Bereich fertig und konnte sich den privaten Dingen widmen, doch als sie damit beginnen wollte, stellte sie rasch fest, dass dies noch ungleich komplexer war, als die Geschäftsunterlagen zu überprüfen. Allein die Bibliothek durchzusehen und bei jedem einzelnen Buch abzuwägen, ob sein Inhalt nach puritanischen Maßstäben annehmbar war oder nicht, würde Wochen dauern, und sie war schon jetzt mit ihrer Geduld am Ende. Vielleicht konnte Francis sich dieser Aufgabe annehmen – ja, sie würde ihn darum bitten, wenn er nachher von seinem sonntäglichen Salongespräch zurückkehrte.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Der Mann hinter der Maske
„Braucht Ihr noch etwas, Madam?“, fragte Jenny, das junge Dienstmädchen, mit zitternder Stimme, knickste gehorsam und verließ gesenkten Blickes das Schlafzimmer, nachdem die Hausherrin ihr mit sanfter Geste beschieden hatte, sich zurückzuziehen. Holy Jesus, wenn sie doch bloß etwas für ihre Gnädige tun könnte!
Beim allmächtigen Gott!, durchfuhr es Lilian, nachdem sich die Türe wieder geschlossen hatte, und sie blickte schaudernd aus dem Fenster, hinaus in die stockdunkle, finstere Nacht. Himmel, was war nur geschehen! Francis, ihr Gemahl, in seinem eigenen Hause verhaftet wie ein gemeiner Verbrecher! Oh, wie elend war ihr nun zumute, und welch bitterer Schmerz peinigte erst ihre armen Kinder! Theresa und Aurelia waren im Innersten entsetzt, schrien und weinten um ihren geliebten Vater, und auch Michael konnte sich seiner heißen Tränen nicht erwehren. Wütend ließen die drei ihrer Trauer und ihrem Zorn freien Lauf, bis Lilian sie schließlich mit brüchiger Stimme mahnte, zu Bett zu gehen. Es hätte ja keinen Sinn, die gesamte Nacht hindurch zu toben und zu wehklagen, sie könnten im Augenblick nichts gegen Cromwells Willkür tun!
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Urteil
Anfangs war er allein gewesen in der fensterlosen Zelle, doch immer wieder hatte sich die schwere Tür geöffnet, und weitere Männer wurden von schwerbewaffneten Soldaten in den Raum gebracht – offenbar hatte es in dieser Nacht nicht nur ihn erwischt. Obwohl er einige bekannte Gesichter sah und manche Gefangene einander zu kennen schienen, sprachen sie nur wenig; zu groß war ihre Furcht, man würde sie belauschen und aus dem Inhalt ihrer Gespräche eine Anklage konstruieren. De Wardes war ohnehin nicht nach Reden zumute; sein Hals schmerzte noch von der Garotte, mit der sie ihn beim Verhör nach seiner Ankunft traktiert hatten, und seine Gedanken waren schwärzer als die Finsternis um ihn herum. Was war mit Lilian und den Kindern geschehen? Ihm war übel vor Angst um seine Familie, und er musste all seine Selbstbeherrschung aufbieten, um ruhig zu bleiben.
Oh, Lilian! Beim heiligen Gott, wie musste sie sich nun fühlen?! Von ihm, ihrem Gatten, schändlich hintergangen und der Gewalt Cromwells und seiner grausamen Schergen schutzlos ausgeliefert! Hatte man auch sie eingekerkert, ihr gar ihre geliebten Kinder genommen? Beim Allmächtigen, diese entsetzliche Vorstellung war schlicht unerträglich! Doch das Allerschrecklichste für ihn war, dass er nicht wusste, ob sie ihm verziehen hatte. Welch ein Fluch, mit dieser furchtbaren Ungewissheit in den Tod gehen zu müssen! Sicher waren bei der Hausdurchsuchung seine französischen Papiere gefunden worden, und damit war ihm der Galgen gewiss. Waren nicht schon einige Male Gefangene aus der Zelle abgeholt und nicht wieder zurückgebracht worden? Je länger er hier auf dieser elenden Holzpritsche saß, umso mehr wuchs seine Verzweiflung, und er war überzeugt davon, dass er aus diesem Kerker nicht mehr lebend hinauskam. Das Zeitgefühl hatte ihn verlassen; lediglich einige Gesprächsfetzen, die an sein Ohr drangen, ließen darauf schließen, dass der nächste Tag bereits angebrochen war. Er fühlte sich wie zerschlagen; seine Lider brannten vor Müdigkeit, aber er wagte nicht, für ein Weilchen den Kopf auf die angezogenen Knie zu legen und die Augen zu schließen; wenn sie ihn holen kamen, musste er wach sein, und überdies bezweifelte er, dass er auch nur einen Augenblick Ruhe würde finden können. Wieder wanderten seine Gedanken zu Lilian. Der verletzte Ausdruck in ihren dunklen Augen, dieser Blick, in dem kein Zorn mehr war, nur noch Traurigkeit und Schmerz, ließen ihn nicht los. Seine Frau war immer schon ein Ausbund an Temperament und Willensstärke gewesen, eine regelrechte Naturgewalt, die es mit jedem Hindernis aufnahm, und nie, wirklich nie zuvor hatte er sie so gebrochen erlebt, förmlich gelähmt vor Resignation und Verzweiflung. Er hatte ihr Glück zerstört, ihr Leben aus der Bahn geworfen und sie überdies in höchste Gefahr gebracht. Was hatte er ihr bloß angetan; wie hatte er glauben können, sein Maskenspiel würde für alle Zeiten gutgehen? Jetzt würde er dafür büßen müssen, und er wünschte nichts sehnlicher, als ihr noch einmal sagen zu können, dass es ihm leidtat. In der Tat, wenn er es recht bedachte, so war die entsetzliche Qual, die er nun litt, bloß die gerechte Strafe für seinen Betrug. Jawohl, alles, was er hier durchmachen musste, war nur recht und billig, sein Schmerz nichts gegen die furchtbare Wunde, die er Lilians liebendem Herzen schlug! Doch seltsam – wie zum Trost erschien plötzlich ein wundersames Bild vor seinen Augen: Der Tag seiner Hochzeit. Oh, niemals hatte er solche Seligkeit in seinem Leben verspürt, nie größeres Glück empfunden als damals, vorm Altar, als seine Braut ihm ihr Jawort gab! Ja, ich will!, hatte sie gesprochen, zärtlich und sanft, und ihn, François, vorm Angesicht Gottes und der Welt zum Mann genommen, bis dass der Tod sie schied. Beim Allmächtigen! Wer hätte je gedacht, dass dieser schwarze Tag so nahe war, und ihm keine Zeit mehr blieb, sein Unrecht wieder gutzumachen! Fluch über ihn! Schon packte ihn abermals helle Verzweiflung, hielt ihn in ihrem Würgegriff und drückte ihm mit eiserner Faust die Kehle zu. Da vernahm er plötzlich Waffenklirren, schwere Schritte näherten sich der Türe, und ein Schlüssel knirschte im Schloss.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Flucht nach vorn
„Mother! Father! Seht doch!“
„Das muss die Küste Frankreichs sein, nicht wahr?“
Theresa und Aurelia standen im Bug des Fährbootes, mit der Linken an die Reling geklammert, und wiesen auf einen silberfarbenen Streif am Horizont, der sich über den dunklen Wassern des Ärmelkanals erhob. Das Wetter war wider Erwarten schön, doch der Wind blies kalt, weiße Schaumkronen tanzten auf den Wellen, eine frische Brise umwehte sie, zauste ihre Kleider und ließ die Segel über ihnen knattern.
„Jawohl, so ist es! Und wenn man scharf hinüberspäht, erkennt man schon die Türme von Calais!“, bestätigte ihr Vater und seufzte leise auf. Thank God, die Ausreise war geglückt, sie hatten im Hafen von London einen französischen Kapitän gefunden, der nicht nur sie allein, sondern eine ganze Schar Auswanderungswillige an Bord genommen hatte und überdies versprach, sie weiter nach Amsterdam zu befördern, wo sich mittlerweile eine kleine englische Kolonie gebildet hatte, bestehend aus Katholiken von den britischen Inseln, die den Repressalien gegen ihre Glaubensgemeinschaft auf diese Weise entkommen waren. Auch Lilian und ihr Gatte wurden gefragt, ob sie nicht mit ihrer Familie in dieser berühmten Handelsstadt, weitum bekannt für ihre tolerante Gesinnung, Asyl suchen wollten, doch sie hatten dankend abgelehnt und auf Sir Francis’ französische Geschäftsverbindungen verwiesen.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Touché
Parbleu, wie geschickt sein Gegner soeben cavierte! Teufel, das war gekonnt! Eines homme d’épée würdig! Doch noch ist dieses Gefecht nicht zu Ende! Finte! Quart! Ha, damit hat er jetzt nicht gerechnet! Seine Parade ist zu schwach!
Die Augen des Chevalier d’Herblay blitzten, schon schnellte sein Arm vor – mit stahlharter Hand band er die gegnerische Klinge, sie musste vor ihm weichen, und sein Stoß traf seinen adversaire mitten in die Brust –
„Touché!“ Pater Jean Jacques trat einen Schritt zurück und holte krampfhaft Luft – puh, dieser Treffer hatte wahrlich gesessen! „Meinen Glückwunsch, Monsieur l’abbé!“, keuchte er, noch empfindlich außer Atem. „Ihr seid einfach nicht zu schlagen! Eure meisterliche Fechtkunst zeigt Monsieur d’Arcys berühmte Schule, und im Gefecht mit Euch merkt man nur zu deutlich, dass Ihr überdies königlicher Musketier gewesen seid!“ Er hob sein fleuret zum Gruß, mit anerkennendem Lächeln, zog sein Taschentuch hervor und trocknete sich die feuchte Stirne.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Alte Freunde I
Mon cher Monsieur de Rochefort! Die Leidenschaft reißt Euch hin! Ihr denkt, Ihr wärt noch jung, weil Ihr nach wie vor das Herz eines Jünglings besitzt! Doch die jugendliche Kraft fehlt Euch. Glaubt mir, was Ihr braucht, ist Ruhe!
Bei allen Teufeln! Welche Impertinenz! Am liebsten hätte er, Rochefort, diesem erbärmlichen Schurken von einem Italiener einen Fausthieb ins grinsende Gesicht verpasst! Übler als Mazarin konnte man dieses boshafte Spiel wahrhaftig nicht treiben! Besaß dieser doch glatt die dreiste Unverschämtheit, zu behaupten, er hätte von Rocheforts Inhaftierung nicht das Geringste gewusst! Er, der sie selber angeordnet hatte! Aber Mazarins heimliche Strategie schien vollkommen klar: Er sah sich ringsum von Feinden umgeben, fürchtete empfindlich um seine Macht, und so versuchte er, sich treue Gefolgsleute zu verschaffen. Nach fünfjähriger Haft in der Bastille hielt er nun wohl ihn, Rochefort, für genügend demoralisiert und weichgekocht, um ihm sein infames Ansinnen vorzutragen: Rochefort sollte, Mazarins Willen gemäß, den Dienst als Kerkermeister des Duc de Beaufort in der Festung von Vincennes antreten! Natürlich hatte Rochefort dies rigoros abgelehnt, mit der klaren Begründung, der Herzog zähle beileibe nicht zu seinen Feinden! Und außerdem, dieses Amt hieße für ihn ja bloß, das Gefängnis zu wechseln! Daraufhin ließ Mazarin, als er sich dergestalt durchschaut sah, jene perfiden Bemerkungen vom Stapel, für die Rochefort, als Mann von Ehre, den elenden Italiener am liebsten mit der flachen Klinge verprügelt hätte!
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Alte Freunde II
„Pardon, Madame!“, beeilte sich der Comte de Wardes zu versichern, während er sich in die Sitzbank der Postkutsche zwängte, doch die beleibte ältere Dame mit der riesigen Hutschachtel auf dem Schoß knurrte bloß ungehalten, und der ebenso korpulente Herr in Advokatentracht an ihrer Seite, offenbar ihr Ehemann, musterte seinen Mitreisenden mit strengem Blick. Lilian setzte sogleich ihr charmantestes Lächeln auf, worauf sich die Miene des Herrn wohlwollend entspannte, sehr zum Unwillen seiner Frau Gemahlin, die ihren Gatten sofort mit einem argwöhnischen Blick bedachte. Zwei weitere Passagiere, ein hagerer Abbé, in sein Brevier vertieft, und ein schüchterner junger Mann, offenbar ein Studiosus, der sich auf der gesamten Fahrt ebenfalls in sein dickes Lehrbuch vergrub, vervollständigten die Zahl der Reisenden. Dieu merci, abgesehen von ein paar Bemerkungen über das launische Wetter und die momentanen Straßenverhältnisse schien keiner von ihnen Lust auf ausgedehnte Konversation zu verspüren, und so konnte der Graf ungestört seinen Gedanken nachhängen.
Der Comte de Rochefort war mittlerweile, aus Sicherheitsgründen strikt darauf bedacht, jede Öffentlichkeit zu meiden, in jenes gewisse Dorf Noisy-le-Sec unweit von Paris vorausgeritten, Standort eines der größten und stolzesten Jesuitenkollegien des Landes, wo er sich mit seinen beiden Verbündeten zu treffen gedachte, um zusammen mit ihnen einen weiteren möglichen Unterstützer seines geheimen Vorhabens aufzusuchen: den hochwürdigen Monsieur l’abbé d’Herblay, genannt Aramis.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Wieder vereint
„Amen!“, flüsterte Pater Jean Jacques und ließ, als er sein kurzes Gebet beendet hatte, den Kopf auf die gefalteten Hände sinken, während er mit geschlossenen Augen und pochendem Herzen auf das Klopfen an der Tür seines Gemaches wartete.
Kurz vor der Abendmesse hatte ihn Bazin, der Adlatus des Abbé d’Herblay, aufgesucht, was ihn zunächst nicht wenig geärgert hatte; er pflegte sich gewissenhaft auf jeden Gottesdienst vorzubereiten und schätzte es nicht, dabei gestört zu werden, schon gar nicht von Bazin, dessen Stimme ihn beim Sprechen wie beim Singen an das Quaken eines Frosches erinnerte und aus jedem Chorgesang herauszuhören war, weil der Unglückliche stets mit Inbrunst wettmachte, was ihm an Gespür für Takt und Ton fehlte. Doch als Bazin ihm eröffnet hatte, dass sich sein Bruder François hier im Konvent befinde und ihn zu sehen wünschte, wann immer es ihm genehm sei, hatte sein Unmut schlagartig blanker Fassungslosigkeit Platz gemacht. Welche Umstände mochten François bloß hierher geführt haben? Zu gerne hätte er seinen Bruder sofort empfangen, doch das Läuten der Glocken hatte ihn an seine Pflicht erinnert. Bei der Abendmesse hatte er von Zeit zu Zeit verstohlen ins Kirchenschiff hinuntergespäht, aber die seitlichen Bänke, die den Besuchern vorbehalten waren, konnte er von der Orgelempore nicht einsehen. Zu seinem eigenen Unmut war er auch beim Spielen nicht ganz bei der Sache gewesen, obendrein hatten seine Hände zunehmend vor Aufregung gezittert, so dass sich in die triumphierenden Klänge des Auszugs einige ungewöhnliche Harmonien gemischt hatten. Der Form halber hatte er den beiden Novizen, die das Windwerk der Orgel bedient hatten, die Ohren langgezogen und ihnen eingeschärft, die Blasebälge gefälligst gleichmäßig zu treten, um für gleichbleibenden Wind zu sorgen; dann war er schnellstens in seine Zelle geeilt, um François empfangen zu können. Und da, während er noch atemlos und gesenkten Kopfes lauschte, erklang auch schon ein leises, sachtes Pochen. Hastig und ungelenk erhob er sich vom Betschemel, mon Dieu, er fühlte sich kaum Herr über sich und seine Empfindungen! François hier bei ihm, nach all den Jahren! Und ehe er sich noch recht besann, rief sein Mund auch schon mit bebender Stimme: „Entrez!“
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Erkenntnis
Lilian hatte schon eine ganze Weile in einem seltsamen Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachen zugebracht; sie glaubte, wach zu sein, war sich aber nicht ganz sicher, ob sie dies nicht bloß träumte. Eindeutig nicht einem Traum entstammte jedoch das helle Bimmeln einer Glocke. Mit einem Mal war sie ganz wach und öffnete die Augen. Es musste früher Morgen sein, denn draußen zwitscherten die Vögel, obwohl es noch fast völlig dunkel war. Mit einem Seufzer drehte sie sich auf den Rücken und zog die Decke bis zum Kinn hoch, um, wenn sie schon nicht mehr schlafen konnte, wenigstens noch ein Weilchen die behagliche Wärme des Bettes zu genießen. Die Patres, die jetzt durch die zugigen Flure in die kalte, finstere Kirche eilen mussten, konnten einem leidtun. Sie dachte an Francis’ Bruder Jean Jacques, der jetzt sicherlich schon auf der Orgelempore saß. Gestern abend, nach ihrem ersten Kennenlernen, hatte er sie in die Kirche mitgenommen – er müsse noch üben, hatte er gesagt, und seinen jüngeren Bruder ohne Umschweife an die Blasebälge abkommandiert. Francis war also irgendwo im Inneren der Orgel verschwunden, während sie dagesessen und wie verzaubert den Klängen gelauscht hatte, die das gewaltige Kirchenschiff erfüllten. Die Musik hatte auf seltsame Weise wehmütig und fröhlich zugleich geklungen; sie hatte den Eindruck gehabt, dass Jean Jacques’ Spiel seine Gefühle anlässlich des Wiedersehens mit seinem Bruder zum Ausdruck brachte, und ihr Herz war voller Rührung und zugleich voller Zuneigung gewesen für diesen Mann, der sich mit den Fingern und Füßen auf seinem Instrument besser mitteilen konnte als mit zuweilen unbeholfenen Worten, der aber zweifellos das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Welch ein Unterschied zu dem undurchschaubaren Abbé d’Herblay, dessen Verhalten noch immer in ihrem Kopf herumspukte und ihr keine Ruhe ließ.
Sie starrte an die Zimmerdecke, wo ein erster, blasser Streifen Dämmerlicht erschien, der durch einen Spalt zwischen den Vorhängen fiel, und grübelte weiter. Sie wollte, sie musste Klarheit haben; wenn sie etwas nicht leiden konnte, waren es Heimlichkeiten. Verflucht, man war doch unter Männern und nicht in der Fensternische eines Salons, wo klatschsüchtige Lästermäuler hinterrücks Komplotte schmiedeten! Was auch immer er gegen sie hatte, er sollte es ihr ins Gesicht sagen, und dazu würde sie ihn schon bringen, so wahr sie Lilian Lancaster hieß!
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Die Verschwörung
„Bonjour, Monsieur le comte! Ich hoffe, ich störe nicht?“ Rochefort lächelte diabolisch und zog höflich seinen Hut, „ich weiß, es ist noch ziemlich früh am Morgen, aber ich dachte mir, zu dieser Stunde treffe ich Euch mit Sicherheit auf Eurem Zimmer an!“
„Ja, natürlich… äh… bitte tretet ein, Monsieur!“, erwiderte de Wardes gelinde verwirrt und hielt seinem Besucher höflich die Türe auf – dieser spähte nochmals verstohlen um sich, doch niemand schien ihm gefolgt zu sein, und keine Menschenseele wollte sich auf dem Flur zeigen.
„Oh, Ihr seid allein, François?“ Rochefort zog überrascht die Brauen hoch, während er das gediegen möblierte Gästezimmer in Augenschein nahm. „Wo befindet sich denn Eure reizende Frau Gemahlin?“
„Das wüsste ich auch gern.“
„Quoi?!“
„Nun ja, als ich vor einer Weile aufgewacht bin, war sie fort.“
„Einfach so?“
Rocheforts naive Frage hatte den Verdienst, dass sie de Wardes aus seiner Verwirrung riss. „Das sagte ich doch“, knurrte er. „Aber zu Eurer Beruhigung kann ich Euch versichern, dass sie schon wieder auftauchen wird.“
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Zweifel
„Good Heavens!“, murmelte Lilian gesenkten Blickes, nachdem der Comte de Rochefort zusammen mit dem Abbé d’Herblay das Gästezimmer verlassen hatte, und schlang fröstelnd die Arme um sich. „Ich muss gestehen, beim Gedanken an diesen verwegenen Plan, den der Graf da ausgeheckt hat, ist mir gar nicht wohl! Er bedeutet Gefahr für uns, und das vor allem für dich, Francis! Oh, Rochefort hat leicht reden, er ist schließlich ledig und besitzt keine Familie! Wir aber müssen an unsere Kinder denken! Es wäre zu schrecklich für sie, wenn dir, ihrem geliebten Vater, etwas zustößt!“ Sie holte tief Atem und setzte seufzend hinzu: „Ich weiß, Francis, du fühlst dich dem Comte zutiefst verpflichtet! Aber wäre es nicht weit besser für uns, wenn wir uns irgendwohin aufs Land zurückziehen und uns still verhalten, anstatt uns ohne Not in Gefahr zu begeben?“
De Wardes trat auf sie zu, nahm sie in die Arme und küsste sie zärtlich auf die Stirn. „So kenne ich dich gar nicht“, flüsterte er. „Verkriechen und stillhalten… das sieht dir gar nicht ähnlich. Hast du solche Angst?“
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Loslassen
Der Comte de La Fère, Herr auf Schloss Bragelonne, stand am Fenster seines Schreibgemachs und spähte mit gerunzelter Stirne in den sonnigen Garten hinunter, hin zu jenem schlanken, dunkellockigen Jüngling, der mit gesenktem Kopf inmitten blühender Rabatten auf der steinernen Gartenbank saß und gedankenvoll einen Blumenstängel zwischen den Fingern drehte. Woran dachte Raoul wohl gerade? Oh, der Graf wusste es nur zu gut! Doch was tun, woher bloß ein Heilmittel nehmen, gegen solch unvernünftige Schwärmerei! Mon Dieu, das Mädchen war viel zu jung, ein reines Kind noch – und Raoul dennoch so aberwitzig in die kleine Louise verliebt, dass er sich oft weder bei seinen Fechtlektionen, die Athos ihm gab, noch bei seinem übrigen Unterricht voll und ganz auf seine Aufgabe zu konzentrieren vermochte! Jawohl, es musste etwas geschehen, so konnte es mit dem Jungen nicht länger weitergehen! Aber wohin sollte er, Athos, seinen Sohn bloß schicken, um Raoul zum Manne zu stählen? Zur Armee? Oder womöglich zur See, die ihm selber in jungen Jahren eine strenge Lehrmeisterin gewesen war? Er seufzte schwer, doch es half nichts: Er musste endlich zu einer Entscheidung kommen, denn Raouls Zukunft stand auf dem Spiel!
Ein leises Pochen riss ihn aus seinen Gedanken, abrupt wandte er sich um. Diesen Klang kannte er, das war mit Sicherheit kein anderer als sein treuer Diener! „Nur herein, Grimaud!“, rief er also, worauf sich die Türe öffnete. „Was gibt es?“
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Heimlichkeiten
Während Athos und Raoul sich nach Paris begaben, um die Duchesse de Chevreuse mit ihrem Sohn bekannt zu machen, näherte sich ein Reiter zielstrebig einem Schloss im Vendômois, entre Loir et Loire, wie seine Bewohner zu sagen pflegten. Verglichen mit den prächtigen Schlössern, die diese Gegend Frankreichs schmückten, nahm sich das château der Grafenfamilie de Wardes äußerst bescheiden aus; es war klein und schlicht, und die gedrungene Bauweise mit den kleinen Fenstern ließ auf sein Alter schließen. Gleichwohl verrieten der strahlend weiße Kalkputz und das ockerfarbene Ziegeldach des Hauptgebäudes sowie die niedrigen, aus Holz errichteten Stallungen dahinter, dass die Bewohner sich gewissenhaft um die Instandhaltung des Schlosses kümmerten. Der Reiter zögerte einen Augenblick, ob er den kiesbestreuten Hauptweg nehmen oder sich dem Schloss lieber von hinten durch den Wald nähern sollte, dann entschloss er sich zu letzterem und schlug einen großen Bogen, bevor er zwischen den Bäumen verschwand.
***
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Von Freunden und Gegnern
Bei allen Geistern der Hölle! D’Artagnan wandte wortlos sein Pferd und setzte es widerstrebend in Marsch, die nachtdunkle Straße entlang, auf der Porthos und er eben erst gekommen waren. Doch es half nichts, er musste zurück nach Paris, musste Mazarin, seinem Dienstherrn, seine elende Schmach eingestehen, sein erbärmliches Versagen, das ihn getroffen und ihm seine Ehre als Soldat geraubt hatte! Aber wie hätte er seinen Auftrag ausführen, wie seine Ehre retten sollen, gegen fünfzig scharfe Degen und Pistolen, gegen die Phalanx jener schwer bewaffneten Männer, die den Duc de Beaufort nach seiner Befreiung vor seinen Verfolgern schützten! Morbleu, dazu hätte es es wahrhaftig übermenschlicher Kräfte bedurft, denn die zehn Gardisten, die der Kardinal ihm mit auf den Weg gab, waren auf d’Artagnans Befehl in die Umgebung ausgeschwärmt, um im weiten Umkreis der Festung von Vincennes, in der Beaufort seine Haft verbüßte, nach dem entflohenen Gefangenen zu suchen! Und der Teufel mochte wissen, wo die Kerle nun steckten! Ganz abgesehen davon, dass auch diese Hilfstruppe gegen eine solche Übermacht nicht viel ausrichten konnte! Mordious! Er, d’Artagnan, fühlte sich so elend wie noch nie! Verflucht, er kam sich bei jener unerwarteten Konfrontration auf offener Straße vor wie damals als weltfremder, unerfahrener Jüngling, als er vor zwanzig Jahren in Paris eintraf, gutgläubig und vollkommen ahnungslos, was Politik betraf! Und dazu dumm, unsäglich dumm! Verflucht, wie naiv war er doch gewesen, als er Aramis in Noisy aufsuchte! Und wie selig und im Innersten gerührt, als er Athos wiedersah! Oh, welch inniges Glück empfand er, als er in Athos’ Armen lag und dieser ihn sanft an seine Brust drückte! Ja, er glaubte wahrhaftig, seinen väterlichen Freund endlich wiedergefunden zu haben! Doch wie grausam hatte er sich getäuscht! Wie blind war er gewesen! Nein, keine Freunde mehr, Gegner waren sie nun, und auch, wenn Athos noch immer jenen eigenartigen, unerklärlichen Zauber über ihn übte, so war für ihn, d’Artagnan, dennoch klar: Er wollte sich mit Athos schlagen! Morgen Abend auf der Place Royale zu Paris! Porthos, der ebenfalls, treu und hochherzig wie er war, Opfer jener ungeheuerlichen Intrige wurde, würde ihm naturgemäß sekundieren, und gemeinsam wollten sie die erlittene Schmach blutig rächen! Teufel, nun war auch klar, wer Athos da hineingezogen hatte! Natürlich niemand anderer als dieser listige Fuchs Aramis, dieser geborene tartuffe, dem wie jedem Jesuiten Lüge und Heuchelei gleichsam im Blut lagen! Und wer steckte hinter all dem?! Wer hatte die Befreiung des Duc de Beaufort minutiös geplant, jene kühne, schier unglaubliche Aktion, die Mazarin aufs Äußerste reizen musste? Kein Geringerer als der Comte de Rochefort! Ha, was rief er doch vorhin, in unüberhörbarem Triumph? „Und sagt vor allem dem Herrn Monsignore, dass ich, wie man sieht, beileibe nicht zu alt bin für einen Mann der Tat!“ Aber er, d’Artagnan, hatte das Spiel nicht durchschaut und die Fäden nicht bemerkt, die der Comte heimlich zog! Sogar Athos’ treuer Diener Grimaud war mit von der Partie! Peste! Man könnte darüber lachen, wenn man nicht vor Zorn und Ärger über sich selbst weinen müsste! Vor Wut bebend hieb er mit seinem Degen durch die Luft und entlaubte ein paar tiefhängende Zweige. Porthos, durch das Geräusch alarmiert, wandte sich um, die Pistole schon in der Hand, doch als sein Blick auf d’Artagnan fiel, steckte er sie wieder ein, zog eine Grimasse und zuckte wortlos mit den breiten Schultern, dann drehte er sich wieder um und gab seinem Pferd die Sporen.
***
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Nach der Schlacht
Erst als es um ihn herum still geworden war, wagte de Wardes, den Kopf zu heben. Die Soldaten waren weg, und mit ihnen auch Rochefort. Was sollte er tun? Benommen stemmte er sich auf die Ellenbogen hoch. Ihm war schwindlig, sein Kopf dröhnte von dem Schlag gegen die Schläfe, er hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Als er versuchte, sich aufzusetzen, erwachten die Schmerzen in seinem linken Bein zu neuem Leben. Vorsichtig fuhr er mit den Fingerspitzen über den zerfetzten, blutgetränkten Stoff, unter dem die Schusswunde im Rhythmus seines Herzschlags pochte. Er brauchte Hilfe. Er musste hier weg. Aber wie? Ein eisiger Schauer überlief ihn, als ihm klar wurde, dass sich diese Frage erübrigte, wenn die Blutung nicht bald zum Stillstand kam. Mit zusammengepressten Lippen löste er den Gürtel von seiner Hose, legte ihn um seinen Oberschenkel und zog ihn so fest zu, wie er konnte, aber er hatte nicht mehr viel Kraft. Er tastete den Boden um ihn herum ab, bis er einen kleinen Stock fand, dann lehnte er sich mit dem Rücken gegen einen Baumstumpf, schob den Stock unter den Gürtel und verdrehte die entstandene Schlaufe ein paarmal, bis der Gürtel eng genug saß, dass das Pochen in seinem Bein endlich aufhörte. Mit zitternden Fingern schlang er das lose Ende des Gürtels darum und machte einen Knoten. Als er erschöpft den Kopf in den Nacken sinken ließ und tief Luft holte, sauste der sternfunkelnde Himmel auf ihn nieder.
***
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Hoffen und Bangen
Auch wenn es ihrem Naturell grundlegend zuwiderlief, war Lilian das Warten gewöhnt. Unzählige Male schon hatte sie mit banger Sorge auf die Rückkehr eines Schiffes geharrt, das sich um Wochen oder gar Monate verspätete; sie kannte die Qualen, die es bedeutete, nicht zu wissen, was geschehen war, und die ihre eigene Phantasie ihr bereitete, wenn sie sich ohne ihr Zutun die verschiedensten Gründe für das Ausbleiben des Schiffes ausmalte: wilde Stürme, blutrünstige Piraten, tragische Unfälle, todbringende Krankheiten. Mit der Zeit hatte sie gelernt, damit zu leben, ohne darüber den Verstand zu verlieren, aber jetzt, in diesen einsamen Tagen im Kloster von Noisy, hatte sie das Gefühl, das Warten nicht länger aushalten zu können. Auf Rocheforts Geheiß war sie dort geblieben, um die Stellung zu halten, auch wenn ihr nicht recht klar war, was sie allein hier ausrichten konnte, wenn der Plan der Männer zur Befreiung des Duc de Beaufort fehlschlug. In diesem Fall sollte sie Monseigneur de Gondi in Paris informieren – aber was war, wenn sie gar keine Nachricht mehr von den Männern erhielt? Wenn sie alle…
Sie ließ eine Perle zwischen Daumen und Zeigefinger hindurchgleiten, schloss die Augen und murmelte ein Ave Maria. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, wann immer sie die Angst um Francis zu übermannen drohte, den Rosenkranz zu beten, wofür ihr früher meist die Geduld gefehlt hatte. Jetzt war sie froh, sich mit dem Gebet von ihren düsteren Befürchtungen ablenken zu können, dafür verzählte sie sich trotz der Perlen ständig, wenn ihre Gedanken irgendwann doch wieder abschweiften. Francis war bei ihrem Abschied irgendwie anders gewesen. Die lebhafte Zuversicht Rocheforts hinsichtlich ihrer Unternehmung teilte er nicht, der Enthusiasmus des Abbé d’Herblay ging ihm merklich auf die Nerven, dafür hatte er einen grimmigen Zug an sich, den Lilian an ihm nicht kannte und der auch gar nicht zu seinem Wesen passen wollte. Erst als sie sich zum Abschied innig küssten und sie ihm in die Augen sah, hatte sie begriffen, dass sich diese finstere Entschlossenheit nicht auf die Befreiung Beauforts bezog, sondern Francis’ Art war, der Gefahr zu trotzen. Es war ihm nicht leichtgefallen, in einen Kampf zu ziehen, von dessen Zielsetzung er selbst nicht völlig überzeugt war, aber er hatte sich ihm stellen müssen und würde ihn durchstehen. Wollte Gott, dass er für die Treue zu seinen alten Freunden nicht einen hohen Preis zahlen musste! Lilian faltete die Hände und betete still.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Glück
„Seht Ihr? Mit einer Kutsche wären wir jetzt noch nicht mal in Fontainebleau.“
Jean Jacques hatte Lilian nahegelegt, wenn es schon sein musste, wenigstens mit der Postkutsche zu reisen, doch nach einem packenden Vortrag über die kriegerischen Verdienste der Familie Lancaster hatte er notgedrungen kapituliert und seiner Schwägerin ein paar zum Reiten geeignete Kleidungsstücke geliehen. Da sie nur eine Handbreit kleiner war als er, wirkte die Maskerade erstaunlich überzeugend, zumal sie mit ein paar Fundstücken aus der Waffenkammer des Klosters gekrönt wurde. Nun saßen sie schon den dritten Tag zu Pferde, und obwohl Lilian das tagelange Reiten nicht gewöhnt war und Jean Jacques die Strecke bereits zweimal in den Knochen steckte, kamen sie gut voran.
Anfangs war Jean Jacques nicht wohl dabei gewesen, allein mit Lilian unterwegs zu sein. Unter dem Straßenschmutz und der Männerkleidung war sie immer noch eine Dame, und er war gegenüber anderen Menschen, egal welchen Geschlechts, ohnehin immer ein wenig befangen, sobald sein Verhältnis zu ihnen mehr Hinwendung erforderte, als sie in Sopran und Alt, Tenor und Bass einzuteilen. Doch Lilian hing unterwegs oft ihren eigenen Gedanken nach und schien auch nicht die Absicht zu haben, sie mit ihm zu teilen, so dass sie nicht viel redeten, aber sie beide wussten auch so, dass sie dieselben Sorgen hatten.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Abschied
Zwei Wochen später stand vor dem Schloss eine Kutsche mit zwei schnaubenden Pferden, und der Kutscher verstaute einige kleine Gepäckstücke, während Rochefort und seine Mitstreiter Abschied vom Schlossherrn nahmen. Armand Jean hatten ihm und seinen beiden Onkeln wieder und wieder nahegelegt zu bleiben, doch die Ereignisse der vorangegangenen Tage hatten ihnen allen zu denken gegeben. Patrouillen waren in der Gegend aufgetaucht, um nach dem Verbleib des Duc de Beaufort zu fahnden, und man munkelte, dass Mazarin plane, den Unterstützern der Fronde ihre Landgüter zu entziehen. Rochefort, Jean Jacques und de Wardes waren zunehmend überzeugt, dass ihre Anwesenheit im Schloss eine Gefahr für seine Bewohner darstellte. In einem ungeselligen Eigenbrötler und seiner hochbetagten Großtante würde niemand gefährliche Aufrührer sehen; bei einem Jesuitenpater und zwei engen Vertrauten des verstorbenen Kardinals Richelieu lag die Sache hingegen deutlich anders. Und so war ihr Entschluss gefallen abzureisen, sobald François sich von seiner Verletzung und den Strapazen der Flucht erholt hatte. Doch obwohl sein Fieber allmählich nachließ und die Wunde zu heilen begann, besserte sich sein Zustand nur langsam; er schlief viel, und noch immer strengte ihn jede Bewegung an. Lilian wich nicht von seiner Seite und umsorgte ihn liebevoll. Nach einigen Tagen war er wieder in der Lage aufzustehen und mit ihrer Hilfe im Schloss umherzugehen. Armand Jean und Rochefort schenkten ihm einen Krückstock, in dessen Knauf sie auf nicht unbegabte Weise ein Gesicht geschnitzt hatten, welches Mazarin frappierend ähnlich sah. Der Hals der Figur bildete den Griff, so dass man, wenn man den Stock benutzte, den Kardinal am Kragen packte. Die beiden waren höchst zufrieden mit ihrem künstlerischen Werk und glucksten jedes Mal vor Vergnügen, wenn sie François damit durch die Flure hinken sahen.
„Eure Einfälle werden Euch geradewegs in die Bastille bringen!“, tadelte sie Jean Jacques.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Der Rächer
Oh, my God! Ich danke Dir, dass er nur mich allein kennt! Das war das Einzige, was Lord Winter, auf seinen Stuhl niedergesunken, imstande war, zu denken, nachdem sein Neffe ihn endlich verlassen hatte. Thank God! Sein Blick fiel auf den Spiegel, in dem Mordaunts Abbild vorhin erschienen war wie ein böser Geist, ein unheilverkündender Dämon, und wie von Geisterhand gezogen erhob sich Lord Winter, steif und mit Eiseskälte in allen Gliedern, und trat davor hin. Doch kein Eindringling, kein böser Dämon blickte ihm nun aus dem Spiegel entgegen, nur ein sichtlich gealterter, kummerbeladener Mann, den die schaudervollen Ereignisse der letzten Zeit zu überrollen drohten. Ja, zu allem Unglück kam auch noch dies: Der Schatten der Vergangenheit, der gewaltsame Tod seiner Schwägerin, hatte ihn eingeholt, in Gestalt ihres einzigen Sohnes, der nach blutiger Rache dürstete, obwohl seine Mutter nichts als eine gemeine Verbrecherin gewesen war, die ihr Schicksal wohlverdiente. Sie war meine Mutter!, hatte der Verblendete ihm, Lord Winter, entgegengeschleudert, und John Francis schreckte bloß deswegen davor zurück, ihm sofort ans Leben zu gehen, weil er zuvor, wie er drohte, seine Komplizen ausfindig machen wollte. Und dazu brauche er ihn, seinen Onkel, lebend!
Lord Winter kehrte seinem Spiegelbild brüsk den Rücken und fuhr sich mit den Fingern durchs ergraute Haar. Jawohl, nun musste er doppelt vorsichtig zu Werke gehen, denn sein Neffe verfolgte sicher alle seine Schritte, wie er es wohl schon seit geraumer Weile getan hatte! Devil! Der junge Mann hatte ihn vermutlich in den Straßen von Paris zu Gesicht bekommen, als er, Lord Winter, Madame Henriette zu Mazarin oder hinterher zurück in ihr Quartier im Louvre begleitet hatte! Doch was hatte John Francis hierher nach Paris geführt? Bloß sein brennender Rachedurst, verdreifacht durch das Bekenntnis des Henkers von Béthune? Bange Unruhe ergriff den Lord, verdammt, er hätte den Jüngling nach dem eigentlichen Grund seines Hierseins fragen sollen! Jener gewisse, streng vertrauliche Brief kam ihm in den Sinn, das Schreiben Charles’ I. an seine Gemahlin, Königin Henriette – hatte das überraschende Auftauchen des Herrn Neffen etwa damit zu tun? War John Francis nach Paris gekommen, um die englische Königin auszuspionieren?
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Vorahnung
Und so hatten de Wardes und Lilian gemeinsam mit Lord Winter dessen Quartier in Paris aufgesucht. Der Diener Tony unterbrach die Abreisevorbereitungen, um ihnen einen exzellenten Bordeaux zu servieren, und als er den kleinen Salon wieder verlassen hatte, stellte de Wardes sein Weinglas ab.
„Mylord, ich hoffe, Ihr vergebt mir, dass ich direkt zum Punkt komme, aber ich möchte Euch Eure Gastfreundschaft nicht vergelten, indem wir Eure kostbare Zeit mit Plaudereien vertun, so angenehm sie auch sein mögen.“
Lord Winter lächelte und zwinkerte Lilian zu, die amüsiert grinste und zurückzwinkerte.
„Ihr habt gefragt, was wir über jenen jungen Mann wissen, den Ihr als Euren Neffen bezeichnet und den wir als Untergebenen Cromwells kennengelernt haben. Leider ist dies vielleicht weniger, als Ihr hofft…“
Er berichtete kurz, wie Mordaunt ihnen in London nachgestellt hatte. Zu seiner Überraschung schien Lord Winter dieser Name nicht geläufig zu sein.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Um Kopf und Kragen
Der Comte und seine Frau hatten ohne Umschweife von Lord Winter Abschied genommen und seine Wohnstätte im quartier du Marais verlassen. Auf der Straße bot de Wardes Lilian seinen Arm, sie hakte sich ein, und eng umschlungen traten sie den Heimweg an. Es begann zu dämmern, und die Straßen leerten sich zusehends.
„Jemand folgt uns“, sagte er nach einer Weile in beiläufigem Plauderton, als spräche er über das Wetter.
Lilian erschrak.
„Nicht stehenbleiben, nicht umdrehen. Tu so, als wäre nichts.“
„Bist du sicher?“, wisperte sie. „Wer ist es?“
„Weiß ich nicht, er ist zu weit weg. Aber wenn es Mordaunt ist…“
„Meinst du?“
„… dann sollten wir zusehen, dass wir ihn loswerden.“
„Hast du einen Plan, wie?“
„Ich habe meine Pistole im Gürtel stecken, aber wenn ich jetzt danach greife, fällt es auf. Wir bleiben gleich stehen und küssen uns, dabei musst du mir unter den Mantel langen, und wenn wir uns wieder loslassen, gibst du mir die Waffe in die Hand.“
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Zuflucht
„Morbleu, nach jenen unsäglichen Ereignissen in England, die hinter uns liegen, bin ich gespannt, was uns nun in Paris erwartet!“, knurrte Aramis und drückte den Hut noch tiefer in die Stirn. Jawohl, in sechs Wochen konnte bekanntlich viel geschehen! Endlich den Wellen des Meeres entronnen und nach abenteuerlicher Überfahrt zusammen mit Porthos und d’Artagnan nach Frankreich zurückgekehrt, hatten Athos und er sich in Boulogne sicherheitshalber von ihren beiden Freunden getrennt, um Mazarins Nachstellungen zu entgehen, falls dieser sich bereits entschlossen haben sollte, die Normandie zu durchkämmen und jene Rebellen, die so kühn seine politischen Absichten durchkreuzten, auf offener Straße zu verhaften. D’Artagnan schlug vor, eine fixe Route festzulegen, Porthos und er wollten über Amiens und Compiègne nach Paris zurückkehren, in jeder Herberge am Wegesrand ein Zeichen ihrer Anwesenheit zurücklassend, falls ihre beiden Freunde sich auf die Suche nach ihnen machen mussten, und Athos und Aramis sollten auf ihrer Reise über Saint-Valéry und Dieppe desgleichen tun. Die Freunde teilten wie immer brüderlich ihre Barschaft, warfen sich einander zum Abschied in die Arme, als wär’s zum allerletzten Mal, und Porthos, der Weichherzigste der Vier, vergoss dabei heiße Tränen. Endlich trennten sie sich, nachdem sie einander nochmals ewige Treue und Freundschaft geschworen hatten, und machten sich, wie vereinbart, auf verschiedenen Wegen auf nach Paris.
„Mon ami, Ihr wisst genau, was uns erwartet!“, versetzte Athos düster. „Nämlich das Schlimmste, was einem ehrenfesten Edelmann widerfahren kann! Das offene Eingeständnis seines erbärmlichen Versagens, seiner untilgbaren Schuld, die jene Unglücklichen, die ihm vertrauten und auf seine Hilfe bauten, nun in tiefste Verzweiflung stürzen wird! – Mon Dieu“, fuhr er mit bebender Stimme fort, „ich gesteh’s Euch, Aramis, ich bin am Boden zerstört! Elend im Gemüt! Beim Allmächtigen, mir ist so schwer ums Herz als drücke Felsgestein, ja, ein Gebirge auf meine Brust! Charles I., Englands König, tot! Hingemordet auf dem Schafott durch diesen verfluchten Schurken Mordaunt, der nicht nur seinen königlichen Herrn, sondern auch dessen ergebensten Diener und treuesten Freund, Lord Winter, mit eigener Hand seines Lebens beraubte! Ha, wenigstens erhielt die Kanaille, was ihr gebührte! Sein eigener Dolch schickte dieses Ungeheuer, diesen Teufel in Menschengestalt endlich hinab in den tiefsten Orkus, wo der böse Geist seiner verbrecherischen Mutter schon seiner harrte! Doch Charles’ unglückliche Witwe und ihre Tochter mit dem Tode ihres königlichen Gemahls, ihres geliebten Gatten und Vaters, zu konfrontieren – oh, mein Freund, davor graut mir wahrhaftig noch mehr als vor dem, was wir in England und hinterher auf dem Meer erlebten!“
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Nicht aufgeben
Lilian und Athos sahen einander ein wenig perplex an, als die Tür ins Schloss fiel. Sie lächelte flüchtig.
„So habe ich wenigstens Gelegenheit, Euch noch einmal persönlich dafür zu danken, dass Ihr François das Leben gerettet habt.“
Er zuckte die Achseln und wandte seinen Blick ab. „Mein Anteil daran, Madame, verdient keinen besonderen Dank. Im Gegenteil bin ich ihm verbunden, weil er einst meinen Freund d’Artagnan verschonte.“
„Und weil Ihr und er von demselben Dämon verfolgt werdet?“
Athos’ finsteres Schweigen war Antwort genug.
„Ihr habt sie umgebracht, nicht wahr? Diese Frau, von der gerade die Rede war?“
„So gut wie.“ Er trank einen Schluck Wein. „Habt Ihr jetzt Angst vor mir?“
„Würde Euch das gefallen?“, fragte sie kühl zurück.
Athos runzelte die Stirne, verdammt, was sollte diese Frage?! Er schüttelte ärgerlich den Kopf und glaubte zugleich, ein leises Lächeln auf den Lippen der Gräfin zu bemerken. Parbleu, welch eine Frau! Schon allein ihr Blick und ihr Tonfall verrieten, dass sie nicht gewillt war, sich durch ihn aus der Ruhe bringen zu lassen. Eigentlich bemerkenswert. Aber auch irritierend! Er nahm einen weiteren Schluck.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!
Kapitel Rückkehr
Der Wind frischte auf und blähte die Segel, Matrosen kletterten in den Wanten, Luken knallten, und das Schiffsdeck hallte wider von lauten Rufen und Befehlen, wie immer, wenn ein Schiff unmittelbar vorm Auslaufen stand.
Lilian und François standen oben an der Reling, sie wollten sich das erregende Spektakel der Abfahrt nicht entgehen lassen, und der Graf lächelte leise in sich hinein, während er verstohlen das aufs Höchste gespannte Antlitz seiner Gattin betrachtete. Jawohl, die Seefahrt war Lilian in die Wiege gelegt! Mit Kennermiene verfolgte sie jeden Handgriff, jedes Manöver, und de Wardes konnte sich gut vorstellen, dass seine liebe Frau Gemahlin in diesem Augenblick wohl gern selber auf der Kommandobrücke gestanden wäre!
Er wandte sich ab, und sein Blick wanderte noch einmal zurück an Land. Hinter dem Wald aus Schiffsmasten, der den Hafenbereich bedeckte, erkannte man im klaren Morgenlicht die Gebäude der Stadt Calais, überragt von der unverwechselbaren Silhouette der Tour du Guet, die sich scharf gegen den blauen Himmel abhob. Sein Gesicht verdüsterte sich unwillkürlich, als er überlegte, wie oft dieser grimmig anmutende Wachturm ihn schon verabschiedet oder willkommen geheißen hatte. Mit einiger Verwunderung wurde ihm bewusst, dass er die Stadt kaum kannte, mit Ausnahme des Hafens und einer Handvoll mittelmäßiger Herbergen, in denen ein reisender Kaufmann nicht weiter auffiel. Wie auch dieses Mal hatte er sich nie länger hier aufgehalten, außer damals, als er nach jenem unglückseligen Duell mit d’Artagnan schwer verletzt um sein Leben gekämpft hatte, aber seine Erinnerung an diese Tage war so verschwommen, dass er nicht einmal mehr wusste, in welche Herberge sein Diener Lubin ihn damals geschleppt hatte. Der gute Lubin – er hatte ihm lange die Treue gehalten, ihn nach London begleitet und, keines englischen Wortes mächtig, tapfer in der Fremde ausgeharrt, bis de Wardes ihn irgendwann zur Rückkehr nach Frankreich hatte überreden können. Der Gedanke daran versetzte ihm einen Stich. Lubin mit seinem schlichten Gemüt hatte nie einen Zweifel gehegt, wohin er gehörte – warum nur war er selbst innerlich so zerrissen? Trotz des Wiedersehens mit seiner Familie und der Rückkehr an den Ort, an dem er geboren und aufgewachsen war, hatte sich Frankreich nicht wie Heimat angefühlt, und dieser Verlust schmerzte mehr, als er sich eingestehen wollte. Waren all die Veränderungen schuld, die er mit Aramis vor ihrem Abschied aus Noisy diskutiert hatte? Oder lag es an ihm selbst? War er der Fremde? Bitterkeit stieg in ihm auf; er musste schlucken und ballte die Hände zu Fäusten.
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!