Returning to Tomorrow von duchesse und Aramis
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 27 BewertungenKapitel Erkenntnis
Lilian hatte schon eine ganze Weile in einem seltsamen Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachen zugebracht; sie glaubte, wach zu sein, war sich aber nicht ganz sicher, ob sie dies nicht bloß träumte. Eindeutig nicht einem Traum entstammte jedoch das helle Bimmeln einer Glocke. Mit einem Mal war sie ganz wach und öffnete die Augen. Es musste früher Morgen sein, denn draußen zwitscherten die Vögel, obwohl es noch fast völlig dunkel war. Mit einem Seufzer drehte sie sich auf den Rücken und zog die Decke bis zum Kinn hoch, um, wenn sie schon nicht mehr schlafen konnte, wenigstens noch ein Weilchen die behagliche Wärme des Bettes zu genießen. Die Patres, die jetzt durch die zugigen Flure in die kalte, finstere Kirche eilen mussten, konnten einem leidtun. Sie dachte an Francis’ Bruder Jean Jacques, der jetzt sicherlich schon auf der Orgelempore saß. Gestern abend, nach ihrem ersten Kennenlernen, hatte er sie in die Kirche mitgenommen – er müsse noch üben, hatte er gesagt, und seinen jüngeren Bruder ohne Umschweife an die Blasebälge abkommandiert. Francis war also irgendwo im Inneren der Orgel verschwunden, während sie dagesessen und wie verzaubert den Klängen gelauscht hatte, die das gewaltige Kirchenschiff erfüllten. Die Musik hatte auf seltsame Weise wehmütig und fröhlich zugleich geklungen; sie hatte den Eindruck gehabt, dass Jean Jacques’ Spiel seine Gefühle anlässlich des Wiedersehens mit seinem Bruder zum Ausdruck brachte, und ihr Herz war voller Rührung und zugleich voller Zuneigung gewesen für diesen Mann, der sich mit den Fingern und Füßen auf seinem Instrument besser mitteilen konnte als mit zuweilen unbeholfenen Worten, der aber zweifellos das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Welch ein Unterschied zu dem undurchschaubaren Abbé d’Herblay, dessen Verhalten noch immer in ihrem Kopf herumspukte und ihr keine Ruhe ließ.
Sie starrte an die Zimmerdecke, wo ein erster, blasser Streifen Dämmerlicht erschien, der durch einen Spalt zwischen den Vorhängen fiel, und grübelte weiter. Sie wollte, sie musste Klarheit haben; wenn sie etwas nicht leiden konnte, waren es Heimlichkeiten. Verflucht, man war doch unter Männern und nicht in der Fensternische eines Salons, wo klatschsüchtige Lästermäuler hinterrücks Komplotte schmiedeten! Was auch immer er gegen sie hatte, er sollte es ihr ins Gesicht sagen, und dazu würde sie ihn schon bringen, so wahr sie Lilian Lancaster hieß!
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