Sans toit ni loi von kaloubet
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 99 BewertungenKapitel Réflexions
D´Artagnan stand langsam auf und streckte den schmerzenden Rücken. Es war spät, fast schon zehn Uhr abends, und er wollte nur noch eines: Etwas essen und dann ins Bett. Aus dem Nebenzimmer drangen Geräusche und er wusste, er würde da durchgehen müssen, durch die fröhliche Besprechung, die vor etwa zwei Stunden begonnen hatte. Turreau hatte seine Generäle zu sich gebeten und erklärte ihnen seinen Plan, den er d´Artagnan am Morgen schon kurz umrissen hatte: Die Vendée aufzuteilen in Planquadrate und Kolonnen von zweihundertfünfzig bis zu mehr als tausend Mann hindurchzuschicken. Die Order war einfach: Alles zu zerstören, alles zu töten, was auch nur den Anschein nach ein Rebell sein oder den Rebellen dienen könnte, kurz, ein Freibrief für grausamste Verfolgung und Exzesse jeglicher Art. Heute Morgen hatte der général en chef schon eine kleine Gruppe losgeschickt, das Dorf Genillé zu durchsuchen und mit Verdächtigen nicht zu zimperlich umzuspringen. Der Kommandant dieses bataillons war vorher zurückgekehrt und hatte Turreau Bericht erstattet, dieser schien zufrieden. Doch d´Artagnan hatte die Gesichter der Soldaten gesehen, die in den Hof gewankt waren, die Augen schwarz, die Gesichter verzerrt, die Uniformen blutbespritzt, nur wenige hatten zufrieden gegrinst, und er hatte Bescheid gewusst. In den Jahren, in denen er nun Soldat war, hatte er viel gesehen, er kannte Schmerz und Leid, die der Krieg verursachte, er hatte belagerte Städte betreten, in denen kaum noch ein Mensch lebte, er hatte in Schlachten gekämpft, die zum Blutbad geworden waren, hatte getötet, weil es ihm befohlen worden war. Auch Zivilisten waren dabei umgekommen, Männer, Frauen und Kinder hatten den Tod gefunden, weil sie zufällig dort waren, wo der Krieg sich austobte, weil der Moloch keine Rücksicht nahm und alles verschlang, was sich ihm in den Weg stellte. Aber noch nie in seinem ganzen Soldatendasein hatte man ihm befohlen, bewusst und willkürlich ein Dorf auszulöschen, noch nie die systematische Zerstörung eines ganzen Landstriches angeordnet. Ein Abgeordneter in Paris habe doch tatsächlich befohlen, nach dem Massaker die Vendée in Vengée umzubenennen, verflucht, der Mann sollte einmal herkommen und sich ansehen, was derartige Ideen wirklich bedeuteten! D´Artagnan brauchte das zerstörte Dorf gar nicht mit eigenen Augen zu sehen, die Gesichter der Soldaten sagten ihm, was vorgefallen war, die Befehle waren schließlich eindeutig genug gewesen. Was würde er tun, wenn ihm Turreau nun auch befähle, eine dieser Kolonnen zu übernehmen? Bis jetzt hatte es geheißen, er sei für die Ordnung in der Stadt Blois zuständig, er und das Bataillon, das schon vor der Ankunft Turreaus hier stationiert gewesen war. Der General hatte seine eigene Armee mitgebracht und teilte sie nun in jene Kolonnen auf, der jeweils ein Planquadrat zugewiesen wurde. Ein Planquadrat! Auf der Karte war das nichts, waren das nur Striche und Flächen, aber dort, in den Wäldern und auf den Feldern der Vendée, da wurden aus Planquadraten bestelltes Land, bewohntes Land, da wurden aus Rebellen Menschen, da wurde aus Taktik Grausamkeit. Nein, er wollte da nicht durchgehen, er wollte Turreau nicht in Erinnerung rufen, dass er existierte, dass er sich schon mehrmals ausgezeichnet hatte und dass er auf eine Beförderung hoffte. So wollte er sie nicht erlangen, dieser Preis wäre zu hoch. Im Gegenteil, angesichts der Ereignisse begann er sich zu fragen, ob Porthos nicht Recht hatte. Desertieren … und dann? Er war Soldat, war nie etwas anderes gewesen, was konnte er schon? Er besaß kaum Rückstände, hatte keine Aussicht auf ein Erbe, besaß kein Heim – all das war ihm die Armee gewesen in all den Jahren.
Verflucht seien alle Turreaus, verflucht die Bürokraten in Paris, die nicht wussten, was sie mit ihren gnadenlosen Forderungen anrichteten. Er konnte da jetzt nicht durchgehen, konnte sie sich nicht ansehen, die lachenden, siegessicheren Generäle, ein Dorf war ausgelöscht, viele Unschuldige hatten den Tod gefunden und sie verbuchten es als einen gelungenen Probelauf, das Wort hatte er vorher durch die geschlossene Tür gehört. Kurz dachte er daran, aus dem Fenster zu steigen, verwarf den Gedanken aber sofort als lächerlich, wenn ihn ein Soldat sähe, wäre sein Ruf dahin. Er setzte sich zurück an den Schreibtisch, starrte die Papiere an, die darauf lagen, verstand nicht mehr, was da geschrieben stand, und zog schließlich die Schreibtischschublade auf, in der Laval seinen Schnapsvorrat aufbewahrt hatte. Tatsächlich, eine Flasche Cognac stand darin und auch von den Macarons hatte Porthos ein paar übrig gelassen.
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