Spiel mir das Lied vom Tod von andrea
Durchschnittliche Wertung: 2, basierend auf 1 BewertungenKapitel Spiel mir das Lied vom Tod
"Wirt, mehr Wein! Mehr Wein!"
"Porthos, das ist schon deine vierte Flasche, das genügt doch langsam, oder?"
"Es ist genug, wenn ich es sage. Mehr Wein!"
"Lass ihn d'Artagnan, er ist doch schon total betrunken."
"Genau das macht mir ja sorgen. Am Ende sind wir wieder diejenigen die ihn, bei seiner Größe, zu dritt aus dem Wirtshaus tragen dürfen, weil er der Kellnerin zu nahe gekommen ist, und das bei dem Regen draußen. Ich find das gar nicht lustig Athos."
Diese Äußerung brachte den Musketier nur noch mehr zum Lachen. Eigentlich eine komische Sache, denn Athos lachte ansonsten nie. Aber das störte unsere vier Freunde nicht. Eher im Gegenteil. Es war seit Langem der erste Abend den sie zusammen verbrachten und die Stimmung war ausgelassener denn je. Die Enten waren vorzüglich gewesen und nun kam auch endlich der Wirt mit der, so ersehnten, Flasche Wein. Er stellte die Flasche auf den Tisch und ging, blieb aber nach ein paar Schritten wieder stehen und machte kehrt.
"Sie gehören aber nicht hier her ", sagte er ernst, "Ich kenne doch meine Kundschaft und Sie gehören nicht dazu."
Seine Worte waren an Aramis gerichtet, der sich jetzt ziemlich verdutzt umsah.
"Meinen Sie mich?"
"Ja, Sie."
"Das tut mir leid, Monsieur, Sie müssen mich mit jemandem verwechseln."
"Nein ich verwechsle Sie bestimmt nicht, Monsieur Aramis. Sie gehören hier nicht her. Gehen Sie bitte!"
"Ich weiß zwar nicht woher Sie meinen Namen kennen, Monsieur, aber ich finde Ihr Benehmen höchst empörend. Ich bin ein zahlender Gast und wollte nur mit meinen Freunden essen."
"Es tut mir leid ich muss Sie bitten zu gehen!" Die Stimme des Wirts klang jetzt schon etwas drohend.
"Ich verstehe Sie wahrhaftig nicht.", meinte Aramis, der in seinem Kopf krampfhaft nach einem Anlass für das verhalten des Wirtes suchte. Er fand keinen.
"Freunde, was sagt ihr dazu, Athos, d'Artagnan?"
"Er hat leider recht, mein Freund", sagte Athos ernst, zur größten Verwunderung seines Kampfgefährten, "du musst jetzt gehen, aber wir sehen uns sicher bald wieder."
"Ja, er hat recht.", meinte D'Artagnan betroffen und seine Stimme hallte im Raum, "Geh jetzt und leb wohl mein Freund!"
"Aber ich will nicht gehen, was soll das Ganze?" fragte Aramis verzweifelt. Doch bevor seine Freunde noch etwas erwidern konnten, fühlte er sich von zwei kräftigen Armen gepackt und in Richtung der Tür getragen, die sich wie von Geisterhand öffnete und auf der anderen Seite einen entsetzlich tiefen Abgrund erkennen ließ.
"Ich will nicht gehen, lassen Sie mich los." Aramis wehrte sich verzweifelt aber er konnte sich nicht aus dem festen Griff befreien. Plötzlich merkte er wie der Boden unter seinen Füßen verschwand und er fiel, fiel in ein schwarzes Loch.
Der Aufprall kam so unerwartet, das er aufschrie und seine zusammengekniffenen Augen öffnete.
Er fand sich auf einem Dielenboden wieder. Langsam fand er in die Wirklichkeit zurück. Es war alles nur ein Traum gewesen. Seine Freunde waren tot, schon lange tot.
Als er sich aufrichte gewahrte er seinen Diener.
" Herr Bischof, was ist denn passiert? Sind Sie vom Stuhl gefallen?
"Ja, wahrscheinlich bin ich das, Carlos.", erwiderte Aramis und setzte sich wieder an den Tisch. "Ich bin wohl kurz eingenickt. Welchen Tag haben wir?"
"Den 09.12.1674, Herr Bischof. Ich bringe Ihnen gleich Ihr essen."
"Danke Carlos."
Aramis blieb wieder allein mit seinen Gedanken. Mehr als sieben Jahre war es nun schon her, dass er d'Artagnan das letzte mal gesehen hatte und doch erinnerte er sich an dessen Worte, als wäre es gestern gewesen. "Mein Freund, du wirst mich überleben, denn die Diplomatie bedarf deiner. Mich verdammt die Ehre zum Tod."
Die Vorhersage hatte sich erfüllt. D'Artagnan war im Kampf gefallen, er selbst lebte noch immer, selbst wenn die Diplomatie seiner nun nicht mehr bedurfte. Aramis hatte sich von der Politik weitestgehend zurück gezogen. Hier in Pyrenäen war die Luft besser als in Madrid.
Der Bischof sah vom Tisch auf, in den großen Wandspiegel gegenüber. Man musste wirklich genau hingucken um in dem blassen, faltigen Gesicht dieses Greises mit dem weißen Haar den jungen, schönen Musketier von früher wieder zu erkennen.
72 Jahre war er jetzt alt, ein stattliches Alter mit dem man zufrieden sein sollte.
Aber die Träume die er seit einiger Zeit hatte ließen ihn nicht los.
Sie kamen immer wenn er einschlief und seit einiger Zeit nickte er stets und ständig ein.
Aramis hasste das. Manchmal passierte es dann, das er so tief einschlief, das man vergebens versuchte ihn zu wecken und ihm den Puls fühlte um zu sehen ob er nicht schon gestorben war, aber er starb nicht.
Nicht mal bei dem erbärmlichen Essen das man hier in La Vola bekam.
Und das Essen kam jetzt.
"Was gibt es heute, Carlos?" fragte er, obwohl er genau wusste was es geben würde, nämlich Spinat und Kartoffeln, ungesalzen.
"Spinat und Kartoffeln, ungesalzen."
"Warum denn ungesalzen Carlos, könntest du den Spinat nicht wenigstens ein bisschen..."
"Aber es ist doch Fastenzeit, Herr Bischof."
"Wie lange denn noch?"
"Na, doch erst seit gestern, Herr Bischof. Gestern war doch "Mariä Empfängnis".
Von gestern also bis Weihnachten."
"Und was war vor gestern?"
"Na, Allerseelen."
"Und davor?"
"Allerheiligen."
"Davor?"
"Mariä Himmelfahrt, Fronleichnam, Dreifaltigkeitsfest, Pfingsten, Christi Himmelfahrt und Ostern,
Herr Bischof. Nicht zu vergessen die Tage des Heiligen Paulus, Franziskus, Bartholomäus, Markus, Pius, Gabriel und Joseph sowie St. Martin, St. August, St. Georg ...
"Verdammt noch mal," schrie Aramis jetzt mehr oder weniger verzweifelt, "gibt es eigentlich auch Tage im Jahr, die keine Fastentage sind?
Carlos war merklich zusammengezuckt. "Oh," flüsterte er beängstigt, "Sie haben das böse Wort gesagt. Das Wort mit den zwei M."
"Ich weiß, dass macht drei Rosenkränze und vierzig "Vaterunser". Ich gehe in die Kirche."
Damit zog sich Aramis auch schon seinen Mantel an und ließ den verduzten Diener allein im Zimmer zurück.
"Der glaubt auch das ihm gleich der Himmel auf den Kopf fällt, wenn ich einmal: "Verdammt" sage. Er erinnert mich immer ein wenig an Bazin. Ach," seufzte er kurz, " der gute Bazin, der ist auch schon so lange tot und wahrscheinlich im Himmel."
Der Himmel, ein schöner Ort, weg von dieser Welt die nichts anderes mehr für unseren Freund übrig hatte als Kartoffeln, Spinat und Tagträume. Doch irgendetwas hielt ihn hier und das war nicht bloß die Angst vor der größten Sünde von allen, dem Selbstmord, der einzigen die man nicht beichten und dafür Vergebung erbitten kann, es sei denn, vor dem obersten Richter, der ihn scheinbar davon abhielt. Und in Erinnerung an einige wunderliche Ereignisse der letzten Tage versunken, spazierte Aramis weiter zur Kirche.
Kapitel Die Keilerjagd oder Herzinfarkt eines Schweines
Das erste Wunder hatte sich an letzten Samstag Vormittag ereignet, an dem Aramis sich, entgegen oder gerade wegen der bösen Vorzeichen, die Carlos ihm weissagte, wenn er sich mit diesen "gottlosen Heiden" einlassen würde, mit dem Bürgermeister und einigen Großgrundbesitzern der Umgebung zur Hetzjagd traf.
Der Keiler wurde losgelassen und schlug sich schnell ins Gebüsch, die Jagdgesellschaft, allen voran Diener und Hunde, hinter her. Aramis war schon lange nicht mehr bei einer Jagd gewesen, genau genommen das letzte mal vor sieben Jahren, an dem Tag als er d'Artagnan das letzte Lebewohl gesagt hatte. Doch Traurigkeit ließ er deshalb nicht aufkommen, vielmehr weckten die nur so an ihm vorbeifliegenden Bäume, das Bellen der Hunde und das Pferdegetrappel in ihm neue Lebensgeister.
Ob es nun aber an der Energielosen Kost oder doch an Aramis' Alter lag, jedenfalls verließen sie ihn leider viel zu schnell wieder und nach ein paar Kilometern war ihm so schwindlig, das er langsamer reiten musste. Auch einer der Gutsbesitzer, Senior Guillén, zügelte sein Pferd.
"Ist alles in Ordnung, Herr Bischof?"
"Ja, ja, reiten sie nur weiter, ich komme gleich nach. Sie wissen doch, die letzten werden die ersten sein."
"Na gut, wenn Sie meinen."
Mit diesen Worten gab der Gutsherr seinem Pferd die Sporen und jagte davon. Der alleingebliebene Aramis stieg vom Pferd und wollte es sich gerade unter einem Baum gemütlich machen, als es im nächsten Busch raschelte.
" Ich sagte doch sie sollen weiterreiten Senior, ich komme wirklich allein zurecht." sagte er ohne sich umzudrehen. Ein lautes Schnauben war die Antwort. Hinter Aramis stand der riesenhafte Keiler, den es eigentlich zu jagen galt.
Aramis wich kurz entschlossen an einen Baum zurück schloss die Augen und ebenso mit seinem Leben ab und harrte der Dinge die da kommen würden.
"Nun gut, Herr, wenn du es so willst, tu dir keinen Zwang an! Vor einigen Jahren hätte es mir wahrscheinlich etwas ausgemacht von einem Schwein zerfleischt zu werden, aber jetzt."
In zwischen Zeit hatte der Keiler wutschnaubend und den Boden mit seinen Hauern aufwühlend, Anlauf genommen und kam auf Aramis zu. Zehn Meter, fünf Meter, zwei Meter. Der Atem des Tieres war für ihn schon deutlich zu spüren als,... als er plötzlich aussetzte.
Aramis öffnete ein Auge. Der Keiler wälzte sich laut aber immer leiser quiekend auf den Boden und blieb schließlich erstarrenden Auges regungslos liegen, keine fünfzig Zentimeter von unserem Helden entfernt, der über diesen unerwarteten Glücksfall gar nicht so recht glücklich sein konnte.
Jetzt bahnte sich auch die Jagdgesellschaft ihren Weg durch das Gebüsch, auf die Lichtung.
"Also wirklich Herr Bischof, das sie es nun so genau mit ihrem Bibelsprüchlein nehmen, hätte ich nicht gedacht", meinte Senior Guillén lachend, nach einem Moment der Stille, "Wie haben sie ihn erlegt".
"Er ist einfach umgefallen." antwortete Aramis, der nun auch seine Stimme wieder fand, aber bei dem Ansturm des Gelächters, den er mit diesen Worten ausgelöste, nicht so recht mitlachen konnte, etwas betreten.
"Vielleicht will der Herr Sie ja noch nicht gehen lassen, weil sie noch nicht ihre letzte Beichte hinter sich haben, Herr Bischof, was für ein Glück für sie. Kommen Sie, steigen Sie auf!"
"Wahrscheinlich haben sie recht", brummelte Aramis und schwang sich auf sein Pferd, dass der Gutsbesitzer ihm am Zügel brachte, "Gottes Wege sind eben unergründlich".
Kapitel Mariä Empfängnis im Jahre 1674
Die letzten Worte des Herrn Gullién blieben bei Aramis nicht ohne Wirkung. Vielleicht war es wirklich die letzte Beichte, die ihn noch auf dieser Erde festhielt. Dieser Grund schien ihm äußerst logisch, weswegen er gleich am Tag nach der Jagd, den ehrwürdigen Pater Cruz, den Pfarrer von La Vola, am Ausgang der kleinen Dorfkirche abfing.
"Guten Morgen Padre, ein sehr schöner Gottesdienst war das heute wieder."
"Reden Sie nicht, Herr Bischof", war die verbitterte Antwort auf diesen Gruß, "ich hab genau gesehen, wie Sie während der Predigt geschlafen haben."
Der Schlag hatte gesessen. Aramis merkte wie er rot wurde.
"Tja, da haben sie mich wohl ertappt, Padre, aber was halten sie davon, wenn ich es gleich im Beichtstuhl zu tiefst bereue und Sie mich auch noch von ein Paar anderen winzigen Sünden lossprechen."
"Beichten? Sie waren doch, seit Sie hier leben, noch nicht ein einziges Mal in der Beichte, so was schimpft sich Bischof."
"Vielleicht hatte ich es bis heute noch nicht nötig."
"Du sollst nicht lügen, sagt der Herr."
Auch der zweite und dritte Schlag hatten ihr Ziel nicht verfehlt, mit diesem Dorfpriester war anscheinend nicht zu spaßen. Doch Aramis ließ nicht locker.
"Und wenn schon, dann habe ich mich eben jetzt entschlossen zu beichten. Gott vergibt alle Sünden."
"Dann beichten Sie doch bei ihm, sehr lange kann es bei Ihnen ja nicht mehr dauern bis Sie mit ihm Bekanntschaft schließen."
" Gott geb's! Bei dir aber auch nicht du Pfaffe."
" Wie war das gerade?"
" Ach, nichts. Ich habe nur laut gedacht. Aber wenn Sie mir partu nicht die Beichte abnehmen wollen, dann lassen Sie uns doch ein wenig plaudern.
Wenn Sie wüssten was ich so alles erlebt habe. Ich meine, Sie haben ihr wunderbar ruhiges und langweiliges Leben ja vielleicht nur hier verbracht, aber ich habe Intrigen geschmiedet, in Kriegen mit gekämpft und Duelle ausgefochten. Was meinen Sie, ob Gott mir das vergeben kann?"
"Gut, Herr Bischof, kommen Sie mit rein, aber lassen sie mich mit ihren Geschichten ihn Ruhe."
Vollends zufrieden folgte Aramis dem Priester, der die Kirchentür wieder aufschloss und in dem dunklen Gemäuer verschwand.
Keine zehn Minuten später sprang die Tür wieder auf und der Priester erschien im Tageslicht.
"Raus, raus aus dieser heiligen Stätte! Wie können Sie überhaupt noch unter die Augen von Jesus Christus treten? Sie, sie Heide, sie wollen ein Christ sein? So eine Sündenlast kann ein einzelner gar nicht tragen! Aber dafür schmoren Sie ewig in der Hölle!"
"Ganz ruhig, ganz ruhig, Padre! Sonst platzen Sie noch vor lauter Wut und das wollen wir doch nicht, oder?", schallte es zur Antwort und nun tauchte auch Aramis am Ausgang auf und folgte dem ausgestreckten Finger des Paters zum Ausgangstor des Kirchengeländes, das sogleich in den kleinen Stadtpark führte.
"So eine Sündenlast kann kein einzelner tragen", äffte Aramis den erbosten Priester nach, "Wenn der jemals Athos, Porthos oder d'Artagnan begegnet wäre! Aber nach diesem trockenen Gespräch habe ich Durst, ich gehe in Wirtschaft."
Gesagt getan und wenig später saß unser Bischof bei einem guten Glas Wein in der Bar von La Vola und dachte darüber nach wie gern ihn die Kellnerinnen früher immer bedient hatten, als er noch jung war, doch eine grobe Stimme riss ihn aus seinen Erinnerungen.
"He Alter, nimm verdammt noch mal deine dreckigen Augen von meiner Frau, ich kann nicht leiden, wenn sie jemand anstarrt!"
Aramis schaute auf, diese, in einem fabelhaftem französisch gesprochenen, beleidigenden Worte kamen von einem schon ziemlich betrunkenen Edelmann in Reisekleidung.
"Entschuldigen Sie, mein Herr", antwortete er deshalb gelassen, "aber ich habe ihre Frau nicht angesehen."
"Wie, willst du damit sagen meine Frau wäre hässlich?" schnaubte nun der Trunkenbold.
Aramis konnte sich eines breiten Grinsens nicht erwähren. Dieser unhöfliche Mensch erinnerte ihn irgendwie an den Keiler von gestern und genau wie dieser schien sich jetzt auch der Reisende, trotz den möglichst beruhigenden Worten seiner Frau, zum Angriff bereit zu machen.
"Du lachst mich also aus, alter Mann, du willst dich also mit mir anlegen, ja?"
Nun wurde auch der Wirt auf seinen ungehaltenen Gast aufmerksam und forderte ihn auf gefälligst höflicher zu dem Herrn Bischof zu sein oder seine Bar sofort zu verlassen.
"Danke Herr Rentillo", meinte hierauf hin Aramis, in dessen Kopf sich eine Idee festzusetzen begann, "ich stehe über solchen Dingen. Aber wenn der Herr sich so schlimm beleidigt sieht, dann kann man dem, denke ich, Abhilfe schaffen."
"Ja Herr Bischof, ein Duell," meldete sich da wieder der betrunkene Reisende zu Wort, " heut Abend im Wald vor den Toren von diesem Kaff, da ist 'ne Lichtung, da treffen wir uns um Sechs, dann knall ich dich ab Herr Bischof, das wird dein letzter Spaziergang."
"Wenn Sie wüssten wie oft mir das schon jemand gedroht hat, aber ich will nicht zimperlich sein und nehme ihre Aufforderung an." meinte Aramis, "Bei einem Duell erschossen werden ist allemal besser als von einem Keiler zerrissen, auch wenn ich diese neumodische Art von Zweikampf nicht gerne habe, wenn man diesen Kugelwechsel überhaupt als Kampf bezeichnen kann."
Gegen Abend, als Aramis, Gott weiß welcher Sünden er sich wieder schuldig machte um eine Ausrede zu finden diesmal das Abendgebet ausfallen zu lassen, sich auf den Weg zum Kampfplatz machte, hatte sich der, am Morgen noch Wolkenlose Himmel, zugezogen.
Als er eintraf hatte sich sein Kontrahent bereits eingefunden. Hoffendlich etwas nüchterner als am Morgen, wie Aramis hoffte, damit er wenigstens richtig zielen können würde und seine Hoffnungen schienen sich zu bestätigen, denn der Herr nährte sich ihm höflich und half ihm sogar beim Absteigen.
"Ich muss sie um Verzeihung wegen meines Benehmens heute Morgen bitten, Herr Bischof, aber ich hatte wohl zuviel getrunken und wenn Sie sich wegen ihres Alters nicht in der Lage zu diesem Duell fühlen, bin ich gern bereit davon zurückzutreten."
" Danke mein Herr, aber nein Danke. Wenn ich mich dazu nicht in der Lage fühlen würde, dann hätte ich ihrer Aufforderung nicht zugestimmt. Außerdem bin ich in meinem Leben noch nie von einem Duell zurückgetreten. Geben Sie mir jetzt meine Waffe und lassen Sie uns endlich anfangen, ich bin nämlich heute noch mit ein paar alten Freunden verabredet müssen Sie wissen und ich komme ungern zu spät."
Der Reisende gab Aramis eine Pistole und beide nahmen Rücken an Rücken Aufstellung. Nach sieben bei jedem der beiden recht unterschiedlich langen Schritten, denn Aramis' Schrittlänge hatte sich sehr zu seinen Ungunsten entwickelt, drehten sich beide ruckartig um. Aramis drückte sehr schnell ab, es war ihm egal wo- hin er schoss, wenn nur sein Gegner nicht sein Ziel verfehlen würde, dann schloss er die Augen.
Zwei Schüsse hallten durch die Dämmerung.
Ein lautes kaum menschliches Geschrei ließ Aramis seine Augen öffnen. Er fühlte keinerlei Schmerzen und auch sein Gegenüber sagte kein Wort. Doch aus einem anderen Grund als Aramis, der aus Zorn schwieg immer noch am Leben zu sein. Denn in der Stirn seines Kontrahenten klaffte ein Loch.
Der Fakt war nämlich der, dass Aramis immer noch einer der sichersten Schützen überhaupt war und sein Gegner, der jetzt nach hinten umkippte, anscheinend einer der schlechtesten.
Das Geschrei entpuppte sich als das Wiehren von Aramis' Pferd, das von einer Kugel durchbohrt sein Leben aushauchte. Und kurze Zeit später war er allein mit seinem Zorn, der nun auch, in Form eines kräftigen Gewitters, über unseren Freund hereinbrach. Die Blitze erhellten den Himmel und der Sturm peitschte den Regen über die Lichtung.
Unser Held lief unter eine hohe Eiche um sich unter zu stellen und plötzlich fuhr ein heller, gleißender Strahl in diesen erwürdigen alten Baum, der mit einem lauten Krachen, begleitet von einem ohrenbetäubenden Donner zerbarst und als flammendes Skelett über Aramis zusammen brach. Wiederum schloss er die Augen.
Als er wieder zu sich kam lag er in mitten von brennenden Ästen, die neben ihm niedergefallen waren.
Völlig unversehrt richtete Aramis sich auf. Er war den Tränen nah. Warum er? Warum musste er übrig bleiben? warum musste er jetzt triefend nass und fröstelnd nach Hause laufen, weil irgend ein Hornochse sein Pferd statt ihn erschossen hatte? Warum?
Als er am Tor von La Vola eintraf wurde er schon erwartet, von einer ebenso nassen und dreckigen Figur wie er eine war.
"Hände hoch und Geld raus, Alterchen! Sonst schieß ich dich ab. Verstanden?"
Das war zuviel. Alles was ein Mann an Unannehmlichkeiten an einem Tag erleben konnte hatte er ruhig über sich ergehen lassen. Er hatte sich von einem Priester der Kirche verweisen lassen. Er hatte sich in der Gastwirtschaft anpöbeln lassen. Er hatte ein Duell und einen Blitzeinschlag hinter sich und war noch am Leben und jetzt wollte ihn ein kleiner möchtegern Bandit überfallen.
"Erschieß mich doch verdammt noch mal, versuch' s doch, drück ab", fing er an zu schreien, " aber ich sag dir, du wirst es nicht schaffen! Deine Waffe hat nasses Pulver, oder du hast vergessen zu laden oder der Blitz trifft dich wenn du versuchst zu zielen! Und weißt du warum? Weil der liebe Herrgott nichts besseres zu tun hat als darauf aufzupassen das ich nicht glücklich sterben kann. Weil der liebe Herrgott nämlich nie das tut was die Menschen wollen. Weil wir wahrscheinlich in so unverständlichen Worten zu ihm sprechen, die er nicht versteht. Und nenn mich verdammt noch mal nicht Alterchen."
Mit diesen Worten schuppste Aramis den verdutzten Räuber aus dem Weg und lief nach Hause.
Kapitel Vergebung und Erlösung
An dieser Stelle stoppten auch Aramis' Erinnerungen und er riss sich aus seinen Gedanken, denn er war vor der Kirche, aus der er gestern so unwirsch verwiesen wurden war, angelangt.
Er öffnete knarrend die Tür und trat ein. Der Pfarrer war nicht da. Aramis war allein, allein mit ein paar Engeln, den zwölf Jüngern, dem heiligen Geist und Jesus, die von der Decke auf ihn herabschauten und unter deren vorwurfsvollen Blicken er sich den Weg zum Altar bahnte, vor dem er in die Knie ging.
"Vergib mir Vater, denn ich habe gesündigt und zwar ziemlich reichlich. Ich meine, ich habe allein seit gestern gegen vier deiner Gebote verstoßen. "Du sollst nicht lügen!", "Du sollst nicht töten!", "Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau!" und "Du sollst den Namen deines Herrn nicht unnützlich führen wider deinen Nächsten!" Vor allem die letzte Sünde bereue ich zu tiefst. Wie konnte ich nur deine Allmacht in Frage stellen. Alles was du tust hat einen Sinn.
Aber überlege doch mal, ob nicht jemand anderes den Auftrag ausführen kann, den du für mich vorgesehen hast. Meine Freunde erwarten mich doch und ich will sie nicht mehr allzu lange warten lassen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund warum ich mich ziemlich dummen und gefährlichen Situationen ausgesetzt habe. Aber das hast du wahrscheinlich längst durchschaut. Lass dir meinen Vorschlag durch den Kopf gehen."
Als Aramis aus der Kirche trat, gewahrte er ein Rufen, das zuhören ihm die schwere Eichentür bisher nicht gestattet hatte. Das Schreien, das sich als Hilferuf entpuppte, kam aus dem Stadtpark und als Aramis ihm folgte, sah er bald einen kleinen Jungen, der in der Mitte des Dorfteiches zappelte und zu ertrinken drohte. Aramis zögerte keinen Augenblick und sprang trotz der niedrigen Temperaturen und trotz seines Alters in den See. Sobald er das Kind erreichte hielt dieses sich krampfhaft an ihm fest und drohte ihn mit nach unten zu ziehen, doch eine fast übermenschliche Kraft hielt unseren Helden an der Oberfläche und ließ ihn den kleinen Jungen am Steg absetzen. Doch als auch er sich hochziehen wollte versagten seine Kräfte. Er tauchte unter und trotz der eisigen Kälte die ihn umhüllte und ihn erstarren ließ, stieg eine wunderbare Wärme in ihm auf und er wurde vollkommen ruhig ein Gefühl des Losgelöstseins und der innigen Freude ergriff ihn. Die Dunkelheit um ihn verschwand und ein Licht umgab ihn heller und schöner als je zu vor und er jubelte seinen treuen Freunden entgegen die ihm im Tod vorausgegangen waren und zu denen er jetzt endlich den Weg gefunden hatte.
Beim letzten Atemzug strömte Wasser in Aramis' Lungen und er sank mit einem Lächeln auf den Grund des See.
Kurze Zeit später riss ein kleiner Junge die Tür zur Gastwirtschaft auf und fing völlig durchnässt und außer Atem an zu rufen.
" Helfen sie meine Herrn, bitte. Ein Mann hat mich gerade aus dem See gerettet. Aber jetzt sehe ich ihn nicht mehr, er reagiert auf kein Rufen. Bitte helfen sie ihm."
Sofort sprangen einige Männer auf und rannten zum Teich. Eine Kellnerin brachte dem Jungen, der sich gar nicht beruhigen wollte eine Decke.
"Du bist tapfer gewesen mein Kleiner, nun beruhige dich. Sag, wo ist dein Vater?"
"Mein Vater ist gestern von einem Spaziergang nicht zurück gekommen. Aber meine Mutter ist oben im Gästezimmer. Wir sind nur auf der Durchreise nach Frankreich."
"Wie ist dein Name?"
"Jean Babtist de la Pailleterie!"