Superkraft? von Percy 

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Kapitel Superkraft?

Superkraft?

 

Die Tür zum „Pomme de pine“ fliegt krachend auf, Tageslicht strömt ins rauchig-düstere Innere des Gasthauses.

D’Artagnan steht aufgeregt im Türrahmen, schaut sich unter den Zechern um.

Mehrere Gruppen drehen sich zu ihm um, „Ey, Mann, mach die Tür zu, wird kalt hier!“ beschweren sich die ersten.

Schließlich hat d’Artagnan seine Freunde gefunden, die in einer bequemen Sitzgruppe nahe beim Kamin herumlümmeln.

Rasch wirft er die Tür zu, rennt zu ihnen und baut sich erneut in Pose vor ihnen auf: „Hahaaaaaa!!!! Seht mal, was mir die Königin gegeben hat!!!!!“ Er hält die Hand hoch. An einem seiner Finger funkelt ein herrlicher Diamantring.

„Ich bin mir ganz sicher, dass ich damit SUPERKRÄFTE habe!!!“ Er steht immer noch mitten im Raum, wedelt mit der Hand herum, bis ihn Athos am Saum seiner Weste packt und ihn mit sanfter Gewalt auf einen Stuhl neben seinem Sessel zieht. „Mein Freund, Ihr erregt zu viel Aufmerksamkeit! Wenn Ihr nicht auf dem Heimweg von sämtlichen Meuchelmördern der Stadt verfolgt werden wollt, dann seid ein wenig diskreter……und zieht, um Himmels Willen, den Ring aus und packt ihn weg!“

„Nein, nein!“ widerspricht der Gascogner lebhaft. „Wenn ich diesen Ring trage, habe ich Superkräfte! Ganz bestimmt!“

Porthos räkelt sich auf einer alten Chaiselongue. „Und die wären?“ fragt er gelangweilt.

„Ja, nun, äh……“ D’Artagnan schaut auf den Ring, dann auf Porthos. „Äh, das hab ich noch nicht rausgefunden! Aber er fühlt sich phänomenal an!“

„Was? Fühlt sich phänomenal an?“ fragt Constance, die gerade vom Tresen zurückkommt, beladen mit einem großen Tablett voller Weinbecher für die Männer. Sie stellt vor jedem einen Becher ab und nimmt sich selbst ebenfalls einen, zwinkert d’Artagnan kokett zu.

D’Artagnan errötet, überlegt, was sie gemeint haben könnte und ist sich sicher, die Antwort zu wissen.

„Ja, nun, vielleicht…..ja, vielleicht bin ich mit diesem Ring ja der beste Liebhaber von ganz Paris? Ach, was sag ich: Von ganz Frankreich! Oder noch besser: Von der ganzen Welt!!!“

Constance schmiegt sich an ihn, himmelt ihn an: „Ach, Liebster, als ob Ihr dazu Superkräfte brauchen würdet! Das seid Ihr doch schon!“ D’Artagnan geht das Kompliment runter wie Öl, er zieht sie noch näher und küsst sie.

In der dunklen Ecke hinter der Sitzgruppe schiebt eine blonde, pfeiferauchende Frau verächtlich ihre dunkle Kapuze herunter, kippt ihr Weinglas und schnaubt leise: „Als ob die dumme Kuh das mit ihrer begrenzten Erfahrung zu bewerten wüsste!“ Grummelnd ertränkt sie ihren Widerspruch in Wein und zieht die Kapuze erneut in die Stirn, raucht inkognito weiter.

„Also, Liebster, welche Superkraft könnte es sein?“ fragt Constance und will sich schon auf seinen Schoß setzen, was er aber mit noch tieferem Erröten zu verhindern weiß. „Nicht hier, sonst fühlt sich gleich noch was ganz anderes phänomenal an!“

Er überlegt kurz, schaut erneut auf den Ring: „Vielleicht bin ich damit der beste Fechter Frankreichs!“

Athos schaut müde von seinem Becher auf: „Als ob Ihr das nicht schon längst wärt, mon ami! …… Vielleicht mal abgesehen von mir!“ Er konzentriert sich wieder auf seinen Wein.

„Äh, ja, stimmt! Ich bin einfach zu bescheiden!“ überlegt der Gascogner. „Dann bin ich mit diesem Ring aber bestimmt der stärkste Mann Frankreichs!“ Er wird unsicher, schaut zu Porthos. „Oder nicht?“

Porthos gähnt. „Ach, mon ami, Ihr habt viele Qualitäten, und schwach seid Ihr bestimmt nicht, aber Eure Stärke liegt wirklich eher im Kopf als im Arm!“ Porthos tippt sich auf Schädel und Bizeps, schiebt sein Hemd hoch und zeigt d’Artagnan, was er meint.

D’Artagnan schiebt ebenfalls seinen Ärmel hoch. Aramis schaut zwischen den Armen seiner Freunde hin und her, verdreht die Augen.

D’Artagnan bleibt beharrlich: „Wollt Ihr Armdrücken? Soll ich’s Euch beweisen?“ Er setzt den Ellenbogen auf den Tisch, nimmt die Haltung ein und fordert Porthos mit dem Blick auf.

„Ach mon ami…..nu‘ lasst das doch. Morgen habt Ihr dann den Arm verrenkt und kriegt beim Waffendrill die Muskete nicht hoch! Das hatten wir doch schon mal!“

D’Artagnan brummt, bereits überzeugt: „Aber…..aber heute habe ich doch den Ring mit der Superkraft……“

„Ja! Und anschließend womöglich gebrochene Finger!“ kommentiert Aramis spitz. „Nie mit einem Ring solche Kraftproben machen! Das tut weh!“ Er lehnt sich graziös in die fluffigen Polster der Couch zurück.

„Dann……“ konstatiert d’Artagnan bockig „….dann bin ich bestimmt der eleganteste Edelmann mit den vollkommensten Manieren! Ganz bestimmt!“

Aramis lächelt katzenhaft, schlägt ein Bein über das andere, nippt an seinem Wein und meint lediglich: „Mon cher ami, ich bitte Euch, überschätzt Euch nicht!“

D’Artagnan ist ratlos, sitzt zusammengesunken auf seinem Stuhl, dreht unschlüssig den Ring am Finger. „Und was hab ich dann? Ich meine, was bin ich dann?“ Er blickt auf: „Wer bin ich?“

„Ihr alle habt ja offenbar schon Eure ganz eigenen Superkräfte, nur ich……hab ich nichts?“ Er schaut auf, seine Augen groß, fast wie ein waidwundes Reh, denkt Athos und legt ihm den Arm um die Schultern.

„Mein lieber, junger Freund, seid doch einfach Ihr selbst! Ihr braucht weder Ring noch Superkraft! Da macht Ihr Euch doch nur abhängig von so einem…..Hilfsmittel, wenn Ihr dem Ring Superkräfte zuschreibt!“

Ein großer, schwarzgekleideter Mann mit auffälliger Narbe im Gesicht schiebt sich an ihren Tisch heran, nimmt d’Artagnan den Becher aus der Hand, leert ihn in einem Zug und meint süffisant: „Hängt Euer Herz nicht an den Ring, mein Lieber! Irgendetwas sagt mir, dass dieses Schmuckstück sowieso nicht bei Euch bleiben will!“

„Ach?“ fährt d’Artagnan auf „Und wieso nicht? Wie soll er sich denn davonmachen, bitteschön? Einfach zur Tür rausspazieren, oder was?“ Er wäre fast aufgesprungen, hätte ihn Athos nicht mit der Hand auf der Schulter auf dem Sitz gehalten.

Der Schwarzgekleidete beugt sich zu dem Gascogner herunter, lächelt ihn kühl an: „Im Übrigen weiß ich Eure Superkraft……“

„WAAAS???“ D’Artagnan ist fassungslos. „Ausgerechnet IHR??? Meine Nemesis??? Was fällt Euch ein???“ Athos drückt den jungen Mann erneut herunter, doch vergeblich, schon windet sich d’Artagnan aus dem Griff, kommt auf die Füße und stellt sich breitbeinig, mit den Händen in den Hüften vor den ihn um einen Kopf überragenden Mann. Kaum eine Handbreit Platz ist zwischen ihnen, doch der andere ist unbeeindruckt. „Seht Ihr? Eure Superkraft!“

„Hä? Was? Wollt Ihr mich verarschen?“ D’Artagnan steigt das Blut allmählich zu Kopf.

„Monsieur, könntet Ihr so freundlich sein, es zu unterlassen, unseren Freund zu provozieren?“ Athos schaut kühl auf, in seinen Augen ein gefährlicher Funke.

Der Angesprochene tritt sachte zurück, bringt wieder Abstand zwischen sich und d’Artagnan und deutet eine kleine Verbeugung in Athos‘ Richtung an. „Wie Ihr wünscht, monsieur le comte!“ Dann wiederholt er die Verbeugung, ein wenig karikiert, ein wenig süffisant in d’Artagnans Richtung: „Und Ihr, mein Lieber, solltet mir danken, dass ich Eure Superkraft nicht genutzt habe, um Euch in die Bredouille zu bringen!“

D‘Artagnan seufzt enerviert auf, zwingt sich zur Ruhe. „Was soll denn das heißen?“

Der Schwarzgekleidete grinst: „Nun, Eure Superkraft ist, alles und jeden herauszufordern, jemandem wie mir in Sekundenbruchteilen den letzten Nerv zu rauben und Euch Hals über Kopf in gefährliche Situationen zu werfen, ohne das Risiko vorher überhaupt abzuwägen!“

D’Artagnan lächelt überheblich: „Also hier gab es ja wohl gar kein Risiko! Was sollte denn hier schon geschehen?“

Seine Nemesis setzt ein geheimmnisvolles Gesicht auf: „Ach, vielleicht hätte ich es ja tun sollen, dann hättet Ihr schon längst begriffen, was ich meine! Aber ich bin nun mal ein friedliebender Mensch!“

„Ich auch!“ schnauzt ihn d’Artagnan an. „Und?“

„Und?“ Der Schwarzgekleidete lächelt nonchalant. „Dann überlegt mal, wie Ihr gerade vor mir gestanden habt! Ich hätte Euch mit einem Stoß meines Knies von jeder weiteren Argumentation abhalten können….Ihr wisst schon!“ Er deutet mit der Hand die Stoßrichtung an, d’Artagnan zuckt vor Schreck zusammen und nimmt sich vor, künftig vorsichtiger zu sein. „Äh….ja…..hrmmm….also…..ja, danke, dass Ihr nicht so weit gegangen seid!“

„Seht Ihr? Geht doch!“ lacht der Edelmann und mit einem großmütigen Tätscheln von d’Artagnans Wange und einem „Braver Junge!“ zieht er sich in einen anderen Teil des Wirtshauses zurück.

D’Artagnan schnappt nach Luft. „Ich geb dem gleich „Braver Junge!“!“

Seine Freunde verdrehen die Augen ob des jugendlichen Heißsporns, da nimmt Constance das Heft resolut in die Hand: „Nun, dann sollten wir uns jetzt mal Eurer…..sagen wir mal…..Vize-Superkraft widmen, von der ich eben gesprochen habe! Dann kommt Ihr nicht auf dumme….äh…..verwegene Gedanken bezüglich der ersten Superkraft!“ Und sie zieht ihn beherzt hoch vom Stuhl, hakt sich bei ihm ein und marschiert zielstrebig Richtung Treppe zum oberen Stockwerk. „Äh, wohin, meine Teure?“ hören sie d’Artagnan leicht verwirrt fragen, seine Stimme ein wenig rauh. „Oh, nur nach oben, dort gibt es ein feines Gemach…..“ „Aber ich wohne da nicht……“ „Kein Problem, hab’s für uns gemietet! Die ganze Nacht!“ Und damit dirigiert sie ihn, der keinen Wiederstand leistet, die Treppe hoch und sie hören ihn lachen, bevor die Tür hinter ihnen zufällt. „Na gut, DIESE Superkraft gefällt mir auf jeden Fall!“