Kapitel Überraschender Besuch
Das sanfte Licht des späten Nachmittags erhellte das Zimmer, Tauben riefen und Vögel zwitscherten, aber der Comte de la Fère bemerkte es nicht. Er saß in seinem Sessel, ein Glas Wein und eine halb geleerte Flasche neben sich auf dem runden Tischchen, und sein Blick verlor sich auf dem verblichenen Gobelin, der die Wand bedeckte, ohne jedoch wahrzunehmen, was er sah. Es waren schon zwei Tage vergangen, seit Raoul und er heimgekehrt waren nach La Fère, zwei Tage, in denen er versucht hatte, seinem Sohn zu erklären, dass die Verzweiflung des ersten Liebeskummers normal sei. Fast jeder Mensch kannte diesen Schmerz, er gehörte zum Leben dazu wie Krankheiten, wie Hunger, wie die Liebe selbst, man litt, aber der Schmerz ging vorbei, machte neuer Liebe, neuer Hoffnung Platz. Raoul war höflich, er hörte ihn an, er dankte ihm sogar, aber die Worte erreichten ihn nicht, bewirkten nichts, die Traurigkeit in seinen Augen blieb, ja, sie verstärkte sich womöglich noch.
Dabei hatte Athos Hoffnung geschöpft, nachdem Raoul und Porthos die Kutsche überfallen hatten - da hatten die Augen seines Sohnes vor Übermut gefunkelt, dreist und wagemutig war diese Aktion gewesen, parbleu, er war so stolz gewesen. Aber kaum waren sie in La Fère angekommen, hatten sich Raouls Augen getrübt, er war in sich zusammengesunken, war nicht länger der schneidige Offizier, sondern der leidende, verlassene, betrogene Geliebte. Er verkümmerte vor seinen Augen, schwand dahin, wurde von Tag zu Tag blasser … Gleich würde die Glocke läuten, würde zum Abendessen rufen, und Raoul würde wieder sein Essen auf dem Teller hin- und herschieben, würde höflich versuchen, Konversation zu machen, aber mit den Gedanken ganz woanders sein. Oh, Gott, er ertrug es nicht länger, was konnte er seinem Sohn noch sagen, was tun, damit er genas? Er hätte ihn in die Arme nehmen, ihm tausend Schmeicheleien sagen wollen, wie damals, als er noch ein Kind war. Das hatte die Schmerzen vertrieben und die Ängste verscheucht, aber heute wirkte das nicht mehr. Nichts wirkte mehr, gar nichts, nicht einmal der Alkohol, denn Raoul trank nicht. Athos griff nach dem Glas und leerte es auf einen Zug wie damals, schenkte sich gleich nach und trank wieder. Nein, er trank nicht, sein Sohn, dafür trank er selbst wieder. Es nutzte noch immer nichts, die Gespenster waren hartnäckig, aber ihre Stimmen wurden ein ganz klein wenig leiser. Bis auf diese eine Stimme, die neu war, diese grausame Stimme, die er am meisten fürchtete. Dein Sohn wird dran sterben, flüsterte ihm diese Stimme zu, er wird dran sterben, denn du hast ihm nie gelehrt zu leben.
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