Kapitel Letztes Treffen
Die Glocken von Notre Dame schlugen die achte Stunde, die abendliche Vesper war vorüber, das Tor öffnete sich, und die Schar der Gläubigen verließ, in ihre Umhänge und Mantillen gehüllt, die Kathedrale. Auch ein imposanter Herr von hünenhafter Statur trat hinaus ins Freie, schlug seinen Mantel um sich und bedeckte sich wieder mit seinem Hut, ehe er endlich geruhsamen Schrittes seinen Weg in die Rue des Ursins aufnahm. Doch seine Gedanken verharrten keineswegs bei den andachtsvollen Gebeten, die seine Lippen eben noch leise gemurmelt hatten. Wie ungewohnt war es doch, in einer Kirchenbank zu knien, seit seine betagte Gemahlin verstorben war! Sie hatte auf regelmäßigen Besuch der sonntäglichen Messe Wert gelegt, zwar nicht aus Frömmigkeit, doch aus Rücksicht auf gesellschaftlichen Anstand und die ländliche Moral, und er, Porthos, ihr angetrauter Gatte, hatte ihren Wunsch nach Ehrbarkeit und guter Sitte treu und gehorsam erfüllt, obwohl er am Sonntagmorgen weit lieber zur Jagd geritten wäre. Doch sei`s drum, wer weiß, womöglich hatten die Pfaffen doch recht, und der Allmächtige sah gnädig auf ihn herab und unterstützte sein Vorhaben mit segnender Hand! Wollte er doch, ihrer Absprache gemäß, seine Freunde und Mitverschworenen nun abermals in Bazins Wohnung aufsuchen, um zusammen mit ihnen die letzten Vorbereitungen zu treffen, denn der große Coup stand unmittelbar bevor! Morgen schon folgte Aramis seinem Freund und Gönner, Monsieur Fouquet, nach Vaux, um diesem am Schauplatz seines pompösen Festes wie gewünscht zur Seite zu stehen, und während den König ein dichtgedrängtes und überaus glänzendes Festprogramm erwartete, das die bedeutendsten Künstler Frankreichs daselbst vereinigte, sollte indessen, hinter Louis` Rücken, sein königlicher Bruder statt den steinernen Wänden seines Kerkers endlich den freien Himmel über sich sehen! Welch kühnen Plan hatten die Freunde doch geschmiedet, um ihn aus der Bastille zu befreien! Und nicht nur sie allein! Denn niemand anderer als Raouls Mutter, die Duchesse de Chevreuse, nahm daran teil! Dies hatte ihn, Porthos, zuhöchst verblüfft, denn er wusste, welch tiefe Feindschaft zwischen ihr und Aramis herrschte. Doch nun schienen sie wahrhaftig wieder miteinander versöhnt, wie Athos ihm versicherte, und er vertraute dem Wort seines Freundes. Nein, niemals hätte Aramis seine Zustimmung zu Maries Teilnahme an diesem Komplott gegeben, wäre er von ihrer unbedingten Loyalität nicht überzeugt! Aber ein wenig seltsam war es doch. Das klassische Dreieck, eine Frau zwischen zwei Männern, und das in Gegenwart ihres eigenen Sohns! Der Hüne lächelte und beschleunigte seinen Schritt, schon bog er um die Ecke, das wohlbekannte Haus kam in der abendlichen Dämmerung in Sicht, und nichts Verdächtiges wollte sich zeigen. Porthos drückte das schwere Tor auf, das ihn unversperrt erwartete, legte von innen den Riegel vor und wandte sich der schmalen Holztreppe zu. Er stieg die knarrenden Stufen hoch, schritt den bereits nachtdunklen Flur entlang, hielt vor Bazins Türe und klopfte mit dem vereinbarten Signal.
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