Was im Winter geschah von AlienorDartagnan

  Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 82 Bewertungen

Kapitel Das Mädchen mit den Stickdeckchen

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Kapitel Miséricorde von kaloubet 

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Kapitel Miséricorde (suite) von kaloubet 

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Kapitel Un acteur von AstridB 

Ein sichtlich erregter M. de Tréville trat aus der Tür seines Arbeitszimmers. „Athos, Porthos, Aramis in mein Arbeitszimmer,  tout  de suite.“ Die genannten Drei befanden sich allerdings nicht im Vorzimmer. Die anwesenden Musketiere gaben den Befehl weiter, durch das Haus und in den Hof, wo er Athos, Porthos und Aramis beim Betreten desselben erreichte. Die drei Freunde blickten einander erstaunt an und eilten sogleich zu M. de Tréville.

M. de Tréville empfing seine Musketiere nicht allein. Neben ihm stand ein forscher Jüngling, gekleidet als Musketier. Tréville begrüßte die Musketiere „Athos, Porthos, Aramis, ich möchte euch M. Malingré vorstellen. M. Malingré wurde vor kurzem neu an der Kompagnie des Theaters von Paris engagiert. Für das neue Bühnenstück von Racan benötigt M. Malingré gewisse Erfahrungen aus dem Umfeld des Königs. Seine Eminenz Kardinal Richelieu beliebte es, M. Malingré zum Musketier auf Zeit zu ernennen. Außerhalb dieses Raumes darf jedoch niemand erfahren, dass M. Malingré etwas anderes als ein einfacher Musketier ist. Lehrt ihn, was es heißt ein Musketier zu sein und bewahrt ihn vor Schaden.“ Er wandte sich an Malingré „Monsieur, diese drei Herren sind Athos, Porthos und Aramis, meine besten Musketiere. Ihr werdet sie in den nächsten Tagen begleiten. Vergesst jedoch nie: Das Leben der Musketiere am Hof folgt seinen eigenen Regeln. Diese vier Musketiere werden Euch vor Fehlern bewahren. Es ist daher unabdingbar, dass Ihr ihnen jederzeit gehorcht.“ Malingré nickte. M. de Tréville entließ die vier Herren mit einem Wink.

M. Malingré war ein schlanker, zarter Jüngling von fast mädchenhafter Gestalt. Sein bartloses Gesicht ließ ihn jünger erscheinen, als er war. Wie Tréville gesagt hatte, hatte Malingré schon in verschiedenen Theatern in der Provinz auf der Bühne gestanden. Er war der festen Überzeugung, dass er mit seiner Erfahrung aus Soldaten-Rollen im Theater bestens als Musketiere bestehen würde.

Kaum hatten die vier das Hôtel de Tréville verlassen, verabschiedete M. Malingré sich von den übrigen: „Messieurs, ich bitte Euch um Entschuldigung, ich habe eine dringende Verabredung.“ Athos, Porthos und Aramis sahen sich erstaunt an und setzten ihren Weg fort. An der Place St. Sulpice trafen sie Planchet mit einer Nachricht von d’Artagnan: „um 12 am Luxembourg“ las Athos vor. Aramis ergänzte: „Dann sollten wir uns beeilen, es ist schon kurz vor 12 Uhr.“ „D’Artagnan hat ein Duell und wir sind die Sekundanten.“ schlussfolgerte Porthos.

Pünktlich mit dem Glockenschlag trafen Athos, Porthos und Aramis ein wenig außer Atem am Karmeliterkloster am Luxembourg ein. Dort trafen sie auf d’Artagnan und … M. Malingré. „Ihr schlagt Euch mit M. Malingré?“ fragte Porthos. „Ihr kennt M. Malingré?“ antwortete d’Artagnan. „Aus welchem Grund schlagt Ihr euch?“ wollte Athos wissen. Verlegen sahen d’Artagnan und Malingré einander an: „Eine…“ d’Artagnan zögerte  „Uneinigkeit, über eine Verkehrsregel.“

„Meine Herren, lasst uns anfangen.“ mahnte Porthos. D’Artagnan und Malingré nahmen einander gegenüber Fechtposition ein. „Schnell, steckt die Degen ein.“ Rief da plötzlich Aramis, der die nahenden Kardinalsgardisten als erster entdeckte. Jussac hatte bereits die Degen entdeckt: „Ihr schon wieder. Missachtung des Duellverbots. Übergebt uns eure Degen. Ihr steht unter Arrest!“ „Niemals“ – „Undenkbar“ – „Unwahrscheinlich“ erwiderten die Musketiere. Athos, Porthos, Aramis und d’Artagnan verständigten sich mit einem Blick und stellten sich den Gardisten entgegen. Malingré drängte sich mit gezogenem Degen vor die vier Freunde. „M. Malingré haltet Euch zurück. Das hier ist kein Spiel!“ sprach Athos für die Gardisten  unhörbar zu Malingré. Dieser erwiderte kriegerisch, dass alle es hören konnte: „Genug der Worte, lasst uns kämpfen!“ und stürmte mit erhobenem Degen auf die Gardisten zu. Der nun folgende Kampf verlief völlig anders, als es sich M. Malingré vorgestellt hatte. Schnell zeigte sich, dass es Malingré an Erfahrung und Übung im Kampfe fehlte. Obwohl Athos, Porthos, Aramis und sogar d’Artagnan sich größte Mühe gaben, Malingré aus dem Gefecht herauszuhalten, gelang es Jussac und seinen Gardisten immer häufiger, Malingré in ernsthafte Bedrängnis zu bringen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Gardisten um Jussac das schwächste Glied der Verteidigung durchbrechen würden. Da hob Jussac die Hand um Einhalt zu gebieten. Die Musketiere stimmten dem Ende des Kampfes zähneknirschend zu. D’Artagnan folgte, wenn auch widerstrebend, Athos Vorbild. Athos und Aramis waren sich bewußt, dass sie durchaus diesen Kampf hätten gewinnen können, ohne M. Malingré. Allerdings war ihnen letzterer von M. de Tréville anvertraut worden, wenn er zu Schaden käme, wäre das unverzeihlich. So senkten die vier ihre Degen. Porthos hielt Malingré fest, der nicht aufgeben wollte. Jussac versammelte seine Gardisten „Messieurs, wir sehen, dass ihr Eurem Kadetten noch einige Lehrstunden geben solltet!“ sprach‘s und wandte sich mit seinen Kameraden mit lautem Gelächter zum Gehen. Porthos schäumte vor Wut.

„Unser Dienst beginnt, wir müssen zum Louvre. Hoffen wir, dass diese Geschichte mit Jussac und den Gardisten noch nicht an M. de Trévilles Ohren gelangt ist.“ So erinnerte Athos seine Freunde an ihren Dienst. D’Artagnan wollte, wie gewöhnlich, seine Freunde zum Dienst im Louvre begleiten.  Aramis intervenierte „d’Artagnan, ich glaube, heute wäre es nicht so günstig, wenn ihr uns begleitet.“ Und Porthos ergänzte grinsend „Da müsst ihr wenigstens M. de Tréville unter die Augen treten.“ Hoffnungsvoll blickte d’Artagnan zu Athos, doch der legte dem Jüngeren eine Hand auf die Schulter und schüttelte bedauernd den Kopf: „Mein Freund, ich kann es euch nicht erklären, aber heute dürft ihr nicht mitkommen.“

M. de Tréville wies den Musketieren in der Wachstube des Louvre gerade ihre Posten zu, als Athos, Porthos und Aramis mit Malingré eintrafen. Er quittierte ihre Anwesenheit mit einem Nicken und fuhr mit der Einteilung fort. „Ah, Athos und Aramis, ihr übernehmt das Tor der königlichen Gärten, Porthos, Ihr werdet mit M. Malingré die Gartentür zu denselben übernehmen.“

Nicht nur, dass die Drei diesen Schauspieler mitnehmen mussten, jetzt sollten sie sich auch noch die Beine in den Bauch stehen und das ausgerechnet an den langweiligsten Wach-Posten im ganzen Louvre! Für die Neulinge unter den Musketieren war es eine besondere Ehre, diesen Wachdienst zu versehen, da sie ab und an einen Blick auf den König oder die Königin in ihrem Privat-Garten erhaschen konnten, aber Athos, Porthos und Aramis bevorzugten sinnvolle Posten. Die vier verließen gemeinsam die Wachstube. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, Malingré über seinen Dienstort aufzuklären und so trottete er völlig orientierungslos hinter den drei verstimmten und wortkargen Musketieren her.

Sie erreichten die Gartentüre, an der Porthos und Malingré die Posten ablösten. Sie verabschiedeten sich von Athos und Aramis, die den Weg durch den Garten weitergingen. Porthos wies Malingré seinen Platz an: „M. Malingré, dies ist der königl. Privatgarten. Er ist der königlichen Familie vorbehalten. Unsere Aufgabe besteht darin, den König zu schützen und dabei nahezu unsichtbar zu sein.“ Malingré reagierte aufgeregt darauf: „Da sehe ich ja den König! Wache stehen ist ja leicht, das habe schon so oft auf der Bühne gespielt.“ Es schwang etwas Enttäuschung mit, M. Malingré hatte sich das wohl abenteuerlicher vorgestellt.

Der Dienst erwies sich, gelinde gesagt, als öde. Kein Mensch interessierte sich für den Garten und es war auch nicht abzusehen, dass irgendjemand in absehbarer Zeit den Garten betreten würde. Nun war Porthos ein durchaus geselliger Gefährte, der sich angeregt mit Malingré unterhielt. Durch die vertrauliche Atmosphäre ermutigt, gab Malingré schließlich Anekdoten zu Besten, die in den Tavernen erzählt wurden. Es handelte sich um Gerüchte, um König, Kardinal oder Königin Anna, nicht notwendigerweise schmeichelhafter Art. Im Fluss der Erzählung achtete Malingré nicht mehr auf seine Umgebung. Er hörte nicht auf Porthos Einwendungen, mit denen dieser versuchte, den Redefluss zu unterbrechen. Er wurde erst aufmerksam, als der König schon beinahe vor ihm Stand. Ob er etwas gehört hatte, oder nicht, der König beliebte darüber hinwegzusehen und begab sich in den Garten.

Nun, Malingré hatte Glück, dass der König seine ungebührlichen Aussagen überhörte. Porthos aber, war empört. Es stand einem Musketier nicht zu, Kritik an seinem Dienstherrn zu äußern. Bei der nächsten Inspektion durch Tréville, bat er diesen, in vertraulichem Gespräch, um die Ablösung Malingré’s.

M. de Tréville sandte zwei Musketiere als Ablösung für Athos und Aramis. Athos seinerseits sollte an Malingré’s Stelle mit Porthos Wachdienst versehen, während Aramis und Malingré zur Wachstube zurückkehrten.

M. Malingré zeigte keinerlei Unrechtsbewusstsein. Aramis versuchte Malingré zu erläutern, dass ihnen als Mitgliedern der Regimenter des Maison du Roi nicht anstand, Kritik an König, Königin oder Kardinal zu äußern. Der junge Mann bemühte sich, Aramis von diesem, ihm unangenehmen Thema, abzubringen, und lenkte das Gespräch daher auf Aramis‘ Vergangenheit. Es war unter den Musketieren wohlbekannt und Aramis machte auch kein Hehl daraus, dass er dem Priesteramt zugeneigt war. Dieser Umstand erweckte die Neugier Malingré’s und er forschte bei Aramis nach. Doch, was einen Priesteramtskandidaten bewog, Musketier zu werden, erfuhr Malingré nicht.

In der Wachstube hielten sich noch einige weitere Musketiere auf. Sie wechselten sich mit den Wache stehenden Posten ab, oder verschwanden für einige Zeit um in Außenanlagen zu patrouillieren. Es ging fröhlich und laut zu. Die Musketiere waren unter sich und unterhielten sich ungeniert, da sie sicher sein konnten, dass kein Höfling und schon gar nicht der König die Wachstube je betreten würden. Malingré war in seinem Element. Er verkürzte den anderen die Wartezeit und avancierte zu einem allseits beliebten Unterhalter.

Viel zu schnell, endete die kleine Pause und M. de Tréville beorderte Aramis mit seinem Schützling auf ihren Posten zur Ablösung von Athos und Porthos, die sich nun ihrerseits in der Wachstube stärken durften. Derweil standen Aramis und Malingré ziemlich einsam an der Gartentür, denn König Ludwig widmete sich bereits wieder seinen Staatsgeschäften. Es dämmerte und versprach ein langer, ziemlich öder Abend zu werden. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Aramis und Malingré standen dicht beieinander und unterhielten sich flüsternd. Im Laufe des Gesprächs rückte Malingré näher und legte seine Hand vertraulich auf Aramis Arm. Dieser zuckte zwar ein wenig, zog aber den Arm nicht zurück. Dadurch ermutigt, wanderte Malingrés Hand den Arm hinauf, Richtung Schulter. Aramis sprang zur Seite, als Malingré ansetzte, ihm über die Haare zu streichen. Aramis reagierte heftig: „Junger Mann, ich gehöre nicht zu denen!“ – „Monsieur, ich … ich dachte, … Ihr, ein Priester, der dem Zölibat verpflichtet ist…“ fing Malingré zu stottern an und zog sich sofort ein wenig zurück. Aramis lächelte den Mann an, um ihn zu beruhigen. „Ich weiß, unter euch Schauspielern gibt es einige, die Männer lieben. Das mag auch für manche Gottesmänner zutreffen, aber nicht für mich.“ Ängstlich stammelnd entschuldigte Malingré sich bei Aramis, der ihm noch einen Rat gab: „Unter den Musketieren ist die Liebe zu Männern nicht gerade angesehen, ich gebe euch den Rat, probiert das mit keinem Musketier, es sei denn, ihr wollt zu einem Duell gefordert werden.“ Er schlug Malingré beruhigend auf die Schulter, bevor er ein wenig zurücktrat. Den Rest ihrer Wache verbrachten die beiden in anregendem, geflüstertem Gespräch. Malingré hatte endlich erkannt, dass er die Musketiere falsch eingeschätzt hatte. Von Aramis erfuhr der junge Mann in der verbleibenden Zeit viel über das Wesen und den Ehrenkodex des Musketier-Corps. Malingré verstand nun, dass sein ungebührliches Verhalten auf Wache mit Porthos  dem Ansehen der Musketiere schadete. So entschuldigte er sich für dieses Verhalten bei Porthos und M. de Tréville, bevor sie den Louvre zum Ende ihres Dienstes verließen.

Athos, Porthos und Aramis fanden Gefallen an dem jungen Mann, der plötzlich nachdenklicher und weniger ungestüm wirkte. Sie luden ihn ein, zum Abschluss des Tages gemeinsam das Wirtshaus Zum Tannenzapfen aufzusuchen.

D’Artagnan entdeckte seine Freunde im Tannenzapfen an einem Tisch zusammen mit dem jungen Musketier vom Morgen. Athos saß wie üblich ruhig daneben, während Porthos und Aramis in ein fröhliches Spiel mit ihrem jungen Kameraden vertieft waren. Dass dieser junge Mann den Rock der Musketiere tragen durfte, hatte ihm bereits am Morgen einen Stich versetzt. Er war den ganzen Tag herumgerannt und hatte versucht, etwas über diesen geheimnisvollen Mann zu erfahren, er fand jedoch niemanden, der ihn kannte. Und diesem Niemand war gelungen, was ihm d’Artagnan bisher verwehrt wurde, obwohl es sein sehnlichster Wunsch war: Musketier zu werden. D’Artagnan setzte sich zu seinen Freunden. Dass sie so vertieft in ihr Spiel waren, dass sie ihn gar nicht bemerkten, nicht mal Athos, den er verehrte, versetzte d’Artagnan einen weiteren Stich. Seine Gesellschaft war ihnen wohl nicht mehr so wichtig. Er fühlte sich zutiefst verletzt und nur diesem Umstand war es zuzuschreiben, dass er alle Regeln des Anstands verletzte und das Gespräch seiner Freunde rüde unterbrach. Während Malingré seinen Kontrahenten vom Vormittag nur unverständig ansah, reagierten Porthos, Aramis und Athos ihrerseits gereizt. „Entschuldigt einen Moment.“ Bat Athos an die Runde und zog d’Artagnan auf die Seite „Junger Freund, mir scheint, ihr seid Eifersüchtig!“ „Und ich habe auch allen Grund dazu.“ Erwiderte d’Artagnan heftig. „Ihr behandelt mich, als wäre ich ein Fremder, ein Eindringling. Und ihr hofiert diesen jungen Schnösel Malingré.“ Porthos und Aramis merkten ebenfalls auf.  „Nennt mir einen Soldaten, der M. Malingré kennt? Niemand kennt ihn. Keiner kann mir mitteilen, auf welche Weise sich M. Malingré ausgezeichnet hat, dass er des Musketiers-Rock würdig ist.“ Aramis mischte sich nun in die Unterhaltung ein: „Aha, daher weht der Wind! Ihr seid auf M. Malingré Eifersüchtig. Doch bedenkt: die Ernennung zum Musketier obliegt alleine dem König. Weder Athos, noch M. de Tréville sind für M. Malingrés Ernennung verantwortlich.“

„Entschuldigt, daran habe ich nicht gedacht!“ lenkte d’Artagnan ein. Aber ganz so schnell war seine Wut noch nicht verflogen. Porthos lud d’Artagnan ein, sich an ihrer Unterhaltung zu beteiligen. M. Malingré folgte schweigend aber sehr aufmerksam dem Gespräch. Sein schauspielerischer Erfolg gründete darauf, zu erspüren, was das Publikum von ihm erwartete und selbiges dann auch zu erfüllen. Seine Feinfühligkeit half ihm nun auch, die besondere Schwierigkeit in der sich die Musketiere in Bezug auf d’Artagnan befanden, zu erkennen. So hörte er einige Zeit den vier Freunden zu, denn dass sie Freunde waren, sprach auch aus den harschen Worten, die sie wechselten. Dass Athos, Aramis und Porthos den jungen Mann zu beschwichtigen suchten, zeigte ihre tiefe Zuneigung zu d’Artagnan. Wäre er ihnen gleichgültig gewesen, hätten sie ihn einfach ziehen lassen. Es brach ihm beinahe das Herz, zuzusehen, wie sich die drei Freunde quälten, da sie sich um den Erhalt von d’Artagnan’s Freundschaft bemühten, ohne ihm die Wahrheit anvertrauen zu dürfen. Er spürte auch die Zweifel, die d’Artagnan beschlichen, die ihn um diese besondere Freundschaft bangen ließen. Wenn er auch nicht auf Freundschaft hoffen durfte, so erhoffte sich M. Malingré doch ihren Respekt zu erlangen. So sprach er Athos an: „Athos, ich möchte, dass ihr euren jungen Freund in die Angelegenheit einweiht. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit, versteht sich!“ Athos zögerte, reagierte dann jedoch erleichtert. Nur M. de Tréville durfte sie in seinen Augen, von ihrer Schweigepflicht entbinden. Andererseits war M. Malingré ja selbst Bestandteil dieses Gebots, sodass Athos ihm schlussendlich auch das Recht zur Entbindung von der Schweigepflicht zubilligte. Sie setzten sich alle wieder an den Tisch. Athos platzierte d’Artagnan zwischen sich und Malingré. Im Schutz der an den Nachbartischen geführten lautstarken Unterhaltungen, klärte er d’Artagnan flüsternd darüber auf, dass M. Malingré eigentlich Schauspieler war, aber auf Befehl Richelieus einmal den Alltag der Musketiere erleben sollte. Malingré nickte hin- und wieder um Athos‘ Bericht zu bestätigen. Porthos und Aramis forschten in d’Artagnan’s Gesicht, um zu sehen, wie dieser die Geschichte aufnahm. Am Ende der Erzählung verzog sich sein Gesicht zu einem herzhaften Lachen. Im Rückblick erkannten die Fünf die besondere Komik in den Geschehnissen des aktuellen Tages.

Kapitel La neige du décembre von Engel aus Kristall

Inhalt: eine Songfic zu dem Lied "Dezemberschnee" (aus dem Album "Dezemberlieder" von Pia Douwes). Ich mag das Lied sehr und hatte diese Szene auf einmal vor Augen. Das Ergebnis ist zwar irgendwie nicht so geworden, wie ichs gern wollte, aber ich wünsche trotzdem viel Spaß!

Rating: P12

Genre: Silent

 

La neige du décembre

von Engel aus Kristall

 

         Eine einsame Gestalt wanderte langsam durch den frisch gefallenen Schnee, der Wiesen, Bäume, Wege und Häuser bedeckte. Es mochte der kälteste Tag in diesem Jahr sein, eisiger Wind blies die winzigen Kristalle gleich eines wilden Tanzes durch die Winterluft. Die Sträucher und Bäume ächzten bereits unter der weißen Last. Hier war es nicht wie in den gepflegten Parkanlagen der Schlösser und herrschaftlichen Häuser, die er kennen gelernt hatte. Die Pflanzen streckten sich dem Himmel entgegen, ohne von menschlichen Händen in unterschiedliche Formen und Gestalten gezwängt zu werden. Trotz seines warmen Mantels fröstelte er, doch war es nicht so sehr aufgrund der Kälte, denn eines Schattens in seinem Geist. Die edlen Züge seines blassen, von dunklem Haar umrahmten Gesichts waren hart, wie aus Marmor geschnitzt.

Dichter Schnee fällt um mich her,
fällt in Fern und Nah.
Ich geh ganz allein hindurch,
du bist nicht mehr da.

         Die Erinnerungen, die in ihm lebten, schienen so fern zu sein, wie aus einer anderen Welt, obgleich kaum zwei Jahre vergangen waren. An einem Frühlingstag hatte er dieses Mädchen zur Gemahlin genommen, das sein Leben von Grund auf durcheinander wirbelte. Sie war noch so jung, schüchtern, beinahe scheu und erfrischend natürlich. Nicht wie die meisten Damen seines Standes, die er kannte, obwohl ihr Benehmen die Erziehung einer adligen Familie vermuten ließ. Sie verstellte sich nicht. Zumindest hatte er das damals noch geglaubt. Der Zorn darüber, dass er von Anfang an ihrer Täuschung erlegen war, glomm immer noch in ihm. Hatten ihn nicht seine Eltern davor gewarnt sich zu sehr von der Schönheit des Mädchens blenden zu lassen, von dem er nichts als den Namen wusste?

Vor zwei Jahren erst im Mai
war die Welt so sorgenfrei.
Ich hab mit Herz und Verstand
an deine Liebe geglaubt.
Wie hab ich's bereut.
Keiner hat mich da gekannt.
Keiner kennt mich heut.

         Anne. Wie hatte er den Klang dieses Wortes damals geliebt. Genauso wie alles an ihr, von ihrem roten Haar, bis zu ihrer porzellanhellen Haut. Doch die warmen Tage lagen weit zurück. Wie jeder Frühling mit seinen frischen Blütendüften, den Gesängen der balzenden Vögel und dem satten Grün der Wiesen dem nachfolgenden Sommer weichen musste, war auch die warme Zeit in seinem Herzen zu Ende gegangen. Die Blätter hatten sich schon zu verfärben begonnen, als jener verhängnisvolle Tag kam, an dem er das Mal an ihrer Schulter fand. Diese kleine, ihren makellosen Körper entstellende Brandnarbe in Form einer Lilie, die sie so geschickt vor ihm verborgen hatte, strafte jedes Wort, jede Berührung Lügen.

Alles deckt der Schneefall zu,
alles weit und breit.
Schritte der Vergangenheit
und der kommenden Zeit.

         Doch was er dann getan hatte, blieb für ihn ebenso unverzeihlich. Ja, er war wütend gewesen und zutiefst enttäuscht. Das Zeichen brandmarkte sie als gottlose Gesetzesbrecherin und er tat in seinem Rang als Graf nur, wie mit solchem Gesindel zu verfahren war. Er knüpfte sie am Ast einer alten krummen Eiche auf, ohne auch nur ein Wort der Erklärung anzuhören. Damals hatte es in seinen Augen keine Rechtfertigung für ihre Heuchelei gegeben. Später, nachdem der jähe brennende Zorn war abgekühlt war, kehrte er noch einmal zu dem Baum zurück. Selbst ein Geschöpf wie sie verdiente eine anständige Beerdigung, damit sie zumindest vor Gott ihren Frieden machen konnte. Er fand den Strick durchgeschnitten unter dem Ast der Eiche, doch von ihrem leblosen Körper fehlte jede Spur. Ob sich bereits ein zufällig des Weges kommender Wanderer ihrer erbarmt und sie in der kalten Erde begraben hatte?

Und wie anders fing es an,
wie es nie mehr werden kann.
Frühling im Park wie ein Traum,
und jeder Strauch, jeder Baum
von Blüten schwer.
Unter dem Dezemberschnee
sieht man das nicht mehr.

         An diesem Tag war seine Anne von ihm gegangen und er schwor sich sein Herz niemals wieder einer Frau zu schenken, denn zu groß war der Schmerz, als dass sein Leben lange genug wehren konnte, um ihn ganz zu überwinden. Mit ihr starb auch er selbst. Es war nicht nur ihr Strick, den er geknüpft hatte, sondern auch sein eigener. Olivier de la Fère hörte auf zu sein. Die Erinnerung an sie war in seinem Anwesen allgegenwärtig. Egal in welchem Raum er sich aufhielt, glaubte er sie zu spüren und ihren Duft zu riechen. So überließ er Rang und Titel seinem jüngeren Bruder. Er wurde zu Athos, dem Musketier, für den selbst der Tod keinen Schrecken mehr besaß. Wenn er in Ausübung seines Dienstes einen ehrenvollen Tod fand, so würden die düsteren Erinnerungen endlich schweigen.

Ach, wie jeder Tag mit dir
hell und kostbar war.
Beste Freunde waren wir,
nicht nur Liebespaar.

         In Momenten wie diesen, wenn er über die Vergangenheit sinnierte, stellte er sich immer wieder dieselbe Frage. Hatte sie ihn überhaupt jemals geliebt? Die Antwort würde er nie finden, es war sinnlos weiterhin nach ihr zu suchen. Und doch gelang es ihm nicht davon abzulassen. In der Ferne schlug eine Kirchenglocke fünf Mal und er hielt jäh in seinen Überlegungen inne.

         „Sacre bleu!“ fluchte er leise.

         Die Zeit war mit den Schneeflocken davon gewirbelt. Seine besten Freunde erwarteten ihn gewiss bereits in ihrem angestammten Wirtshaus, wo sie Heiligabend gemeinsam und gut versorgt mit Speis und Trank verbringen wollten. Porthos und Aramis würden ihn von seinem Trübsal abzubringen wissen, wenn er nur nicht wieder zu sehr dem tröstlichen Geschmack des Weines auf der Zunge verfiel.

Und mir fiel im Traum nicht ein,
es könnt je zu Ende sein.
Denn Hand in Hand wollten wir
den ganzen Lebensweg gehn,
nur du und ich.
Oh, nichts davon vergess ich je.
Ich denk immer an dich.
Nein, nichts davon vergess ich je.
Ich denk immer an dich.
Oh, ich denk immer an dich.

         Raschen Schrittes stapfte er den Weg zurück, den er gekommen war, und den einzig seine eigenen Fußabdrücke im Schnee markierten. Die Gestalt, die in einiger Entfernung bei einer Gruppe blattloser knorriger Linden stand, bemerkte er dabei nicht. Ein dunkler Umhang verhüllte den schlanken Körper einer Frau. Rotes Haar floss unter der Kapuze hervor, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Athos ahnte nicht, wie nahe er ihr eben noch gewesen war. Und er wusste nicht, wie sehr auch sie sich nach den hellen Frühlingstagen sehnte. Nach einer Zeit, ehe die Wärme für immer dem winterlichen Frost erlag. Sie lenkte ihre Schritte in die entgegen gesetzte Richtung, während die nun ganz dicht fallenden Flocken ihrer beider Fußstapfen langsam bedeckten.

Kapitel Neues Jahr, neues Glück von AlienorDartagnan

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Kapitel Athos und der Geist von AlienorDartagnan

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Kapitel Die Flucht nach Ägypten von Aramis 

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Kapitel Der kleine Lord de Winter von AlienorDartagnan

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Kapitel Die Witwe von Armand-Jean-du-Plessis

Die Witwe ging langsamen Schritts durch die engen Gassen der Madrider Altstadt. Es war ein eisiger Morgen und sie zog den dicken Wollmantel enger an ihren Körper. Sie war ganz traditionell in Schwarz gekleidet, nicht ein buntes Kleidungsstück war zu sehen, sogar den schwarzen, fast blickdichten Trauerschleier trug sie. Dieser hatte allerdings auch den Vorteil, dass er sie ein wenig gegen den kalten Wind abschirmte. Trotz der Kälte und der frühen Morgenstunde waren recht viele Menschen auf den Straßen. Dies hatte an diesem 21. Dezember 1631 einen besonderen Grund. Sie alle strebten dem Plaza Mayor zu. Der Plaza Mayor war schon immer der traditionell größte Marktplatz von Madrid gewesen, doch heute würde dort kein Markt abgehalten werden.

 

Wer hinter den Schleier der Witwe hätte sehen können, der hätte vielleicht ihren grimmigen Gesichtsausdruck bemerkt, als sie auf den Platz einbog. Sie nahm einen der schmalen der insgesamt neun Eingänge zum Plaza Mayor. An zwei Seiten des rechteckigen Platzes waren hohe Holztribünen errichtet worden. Zwölf Reihen in stufenaufsteigender Terrassenform boten wohl Platz für weit über tausend Menschen und davor waren noch einmal sechs Reihen mit Sitzplätzen für die wohlhabenden Bürger der spanischen Hauptstadt reserviert. Der Adel hatte noch bessere Plätze, denn an der Nordseite des Platzes war ein vierstöckiges Gebäude, das Casa de la Panadería, das mit seinen durchgängigen Balkonen in den drei oberen Stockwerken ein idealer Ort war, um das kommende Schauspiel zu sehen. Von den Arkaden des Erdgeschosses war heute nicht viel zu sehen und die großen Bäckereien, die dem Gebäude den Namen gegeben hatten blieben geschlossen. Vor den Arkaden war eine hohe Tribüne errichtet worden, die nur nach vorne offen war und auch überdacht worden war. Die Witwe gesellte sich auf die gegenüberliegende Südseite der Plaza Mayor, wo das einfache Volk in der Kälte ausharrte und wartete. Hier war es bei weitem nicht so prächtig. Die hohen Holzgebäude, die einst die drei anderen Seiten des Platzes umgeben hatten, waren beim großen Brand im Juli dieses Jahres fast völlig zerstört worden. Der König selbst hatte seinen berühmten Architekten Juan Gómez de Mora beauftragt, den Platz wieder neu aufzubauen, diesmal mit Steingebäuden wie an der Nordseite, aber die Bauarbeiten gingen nur schleppend voran und es würde noch Jahre dauern, bis der Platz in neuem Glanz erstrahlen würde. Die Witwe aber interessierte die Architektur des Plaza Mayor wenig, trotz der schwarzen Handschuhe, die sie trug, ließ sie geschickt die Perlen des Rosenkranzes durch ihre Finger gleiten. Sie schien tief in ihre Gebete versunken und ihr leises Murmeln ging in der immer größer werdenden Menschenmenge unter.

 

Wer hinter den Schleier der Witwe hätte sehen können, der hätte vielleicht bemerkt, dass sie doch aufmerksam den Platz beobachtete. Sie musterte genau die vielen Bewaffneten, die rings um den Platz postiert waren. Hier waren sowohl einfache Stadtgardisten, als auch königliche Soldaten zu sehen. Auch die Garde von Fernando de Austria, Kardinal-Erzbischof von Toledo war anwesend und das war doch ungewöhnlich, denn der dritte Sohn des Königs Philipp III. von Spanien sollte nicht hier sein. Dass auch noch die bewaffneten Büttel der Inquisition überall zu sehen waren, wunderte die Witwe hingegen nicht. Schließlich war dies der letzte Akt eines Autodafé. Das Glaubensgericht des Tribunal del Santo Oficio de la Inquisición hatte über Professor Juan Odon y Luengo de Martines wegen wiederholter Häresie die Todesstrafe verfügen lassen. Auf einem erhöhten Podest in der Mitte des Plaza Mayor war ein riesiger Scheiterhaufen errichtet worden und die Menge wartete begierig auf das Schauspiel. Obwohl, nicht alle in der Menge waren begierig, den angesehenen Professor der Universität brennen zu sehen. Er hatte ein, zwei Generationen von jungen Adeligen in Mathematik und Astronomie unterrichtet und war auch im Bürgertum sehr geachtet. So konnte man sich die vielen steinern Mienen auf den Balkonen und Tribünen nicht nur durch die eisige Kälte dieses Dezembermorgen erklären. Viele hatten gehofft, er würde seine Theorien von einem heliozentrischen Weltbild nach dem Vorbild von Nikolaus Kopernikus widerrufen, aber der Professor war stur und stolz wie ein Spanier geblieben. Wenn er heute nicht einmal im Angesicht des Scheiterhaufens widerrufen würde, dann würde er nicht einmal die Gnade der Erdrosselung durch den Henker erhalten, sondern bei lebendigem Leib den Flammen übergeben werden.

Die Ehrentribüne war inzwischen voll besetzt. Neben den vier Granden von Madrid und deren Familien war auch wirklich der Kardinal-Erzbischof Fernando de Austria erschienen. Neben ihm saß ein auf den ersten Blick unscheinbarer Dominikanerpater in der traditionellen schlichten schwarz-weißen Kutte. Und doch war bei seinem Erscheinen ein kurzes Raunen durch die Menge gegangen, gefolgt von einer unnatürlichen Stille. Emilio Bocanegra, Presidente del Tribunal del Santo Oficio de la Inquisición, war der vielleicht am meisten gefürchtete Mann Spaniens.

 

Wer hinter den Schleier der Witwe hätte sehen können, hätte wahrscheinlich eine gewisse Anspannung in ihrem Gesicht bemerkt, gefolgt von einer leichten Verwunderung. Der Verurteilte wurde nun auf den Platz gebracht. Ihm voraus schritt ein Inquisitor in prächtiger Kleidung, ganz als wolle er von Emilio Bocanegra ablenken, der still auf der Tribüne blieb. Auf der Brust der prachtvollen Robe prangte das Wappen der Spanischen Inquisition, neben dem Kreuz als Symbol für den geistlichen Charakter der Inquisition, hielten Olivenzweig und Schwert die Waage, wodurch das Gleichgewicht zwischen Gnade und Strafe angedeutet werden sollte. Dass sich diese Waage aber selten im Gleichgewicht befand, war aber allen Anwesenden nur allzu klar. Professor Juan Odon y Luengo de Martines musste barfuß, nur mit Sanbenito und Caroche bekleidet, erscheinen. Das Armesünderhemd war vorne und hinten mit dem Andreaskreuz und Flammen versehen und auf der hohen, zylinderförmigen Ketzer-Mütze waren Teufelsgestalten gestickt. Der alte Professor ging hocherhobenen Hauptes, aber mit einem seltsamen, leicht verklärten Blick. Als er auf das Podest zum Scheiterhaufen stieg, wich ihm der hünenhafte Henker fast ängstlich aus. Es entstand eine leichte Unruhe unter den Zuschauern, die das gesehen hatten. Auch der prunkvolle Inquisitor verhielt sich ungewöhnlich und erwies dem Gefangen so etwas wie Respekt und half ihm die letzten Stufen zu erklimmen. Auch der zuständige weltliche Richter war auf das Podest gestiegen. Alles wartete gespannt auf die Rede des Inquisitors, in der noch einmal alle Sünden und Häresien aufgelistet würden und das Todesurteil am Scheiterhaufen verkündet würde. Doch der Inquisitor zögerte merklich und blickte zur Ehrentribüne. Kardinal-Erzbischof Fernando de Austria erhob sich, ging gemessenen Schritts auf das Podest zu und erstieg es. Die Menge hielt den Atem an. Irgendetwas Seltsames ging hier vor. Dies war ganz und gar nicht das übliche Protokoll einer Hinrichtung durch die Inquisition.

Mit erhobenen Armen trat der Inquisitor nun an den Rand des Podestes, um sich der Aufmerksamkeit der Menge zu versichern. „Brüder und Schwestern in Christi, ich habe von einem Wunder zu berichten“, sprach er mit salbungsvoller Stimme. „Gestern um die zehnte Stunde des Abends gingen Seine Eminenz Kardinal-Erzbischof Fernando de Austria, der Hohe Richter Emanuel y Gomez de Tirado und der Henker von Madrid in die Zelle des hier vorgeführten Juan Odon y Luengo de Martines um ihm eine letzte Gelegenheit zur Beichte, Widerrufung seiner Häresien und Gewährung eines letzten Wunsches zu ermöglichen. Da geschah es, dass inmitten der Zelle der Heilige Jakobus erschien. Mit seinem Schwert, mit dem er den christlichen Königen in der Schlacht gegen die Ketzer und Mauren beigestanden hatte, deutete er auf den Verurteilten: ‚Sünder, du wirst an mein Grab pilgern und Buße tun!‘ – Das waren die Worte des Heiligen und diese Muschel als Zeichen der Pilgerreise übergab er dem reuigen Sünder." Der Inquisitor hielt eine große Jakobsmuschel hoch.

 

Wer hinter den Schleier der Witwe hätte sehen können, hätte bemerkt, dass sich ein Lächeln auf ihren Lippen breitmachte. Inzwischen waren der Kardinalerzbischof, der Richter und der Henker an die Seite des Inquisitors getreten und verkündeten laut: „Testaro. – Ich bezeuge!“. Die Menschenmenge war zum großen Teil auf die Knie gesunken und hatte zu beten begonnen. Dann brach ein unglaublicher Jubel aus. All die Menschen, die gekommen waren um einen Häretiker brennen zu sehen, feierten ihn jetzt wie einen Volkshelden. Ein Wunder – eine Heiligenerscheinung knapp vor Weihnachten, hier in Madrid, und noch dazu ein Akt der Gnade für einen angesehen Professor, den die Inquisition zum Tode verurteilt hatte – die Menge tobte. Freude und Frömmigkeit spiegelte sich auf allen Gesichtern der Anwesenden. Nur die Miene von Großinquisitor Emilio Bocanegra blieb steinern, ja fast säuerlich, als die Freudenrufe von der göttlichen Gnade über den Platz schallten. Zwei Diener hatten ein einfaches Pilgergewand und ein Paar Sandalen gebracht und Sanbenito und Caroche konnte der Professor nun ablegen. Auch die Jakobsmuschel wurde ihm an einem Band um den Hals gelegt.

Auf einen kaum wahrnehmbaren Wink von Bocanegra wurden jetzt die Bücher und Schriften von Professor Martines herbeigeschafft und auf den Scheiterhaufen gelegt. Der Henker entzündete diesen. Das Autodafé musste schließlich vollzogen werden und wenn man schon den Häretiker nicht verbrennen konnte, so doch zumindest seine häretischen Schriften. Aber sie wollten nicht so recht brennen. Mehrmals versuchte der Henker ein ordentliches Feuer zu entzünden, aber immer wieder erloschen die Flammen. Erst als man Öl ins Feuer goss, begannen sie zu glosen, aber ein richtiges Scheiterhaufenfeuer wollte sich nicht entfachen lassen. Die jubelnde Menge bekam von diesen Umständen nicht allzu viel mit, denn inzwischen war ein spontanes Volksfest entstanden, sogar Musiker begann aufzuspielen. Als Professor Martines vom Podest stieg um seine Pilgerreise zu beginnen, teilten sich die Menschenmassen wie vor einem gekrönten Haupt und der Jubel war wohl in ganz Madrid zu hören und es war auch nicht notwendig, dass man ihm den Weg bahnte. Der Großinquisitor aber verließ stumm und in Bedeckung durch ein Dutzend Bewaffneter über ein Seitentor die Plaza Mayor. Auch der Witwe schien der Trubel zu viel zu werden und sie begann sich einen Weg durch die Menge zu suchen, die Finger bewegten immer noch die Perlen des Rosenkranzes.

 

Wer hinter den Schleier der Witwe hätte sehen können und wer ein scharfer Beobachter wäre und sich auch ein wenig in der Politik Europas ausgekannt hätte, der wäre erstaunt gewesen, denn die Witwe war keine, sie war nicht einmal eine Frau. Es war der Comte de Rochefort, Kardinal Richelieus Mann für besondere Aufgaben.

Aber warum er in Madrid war und warum er diesem bemerkenswerten Autodafé beiwohnte, ist eine andere Geschichte.

Kapitel Das Christkind von AlienorDartagnan

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Kapitel Herbergsuche von Rochefort

Paris, 25.Dezember 1628:

Es fehlte nicht mehr viel auf Mitternacht. Mit einem leisen Seufzer lehnte sich Comte Armand de Rochefort in die Polsterung der Kutsche zurück. Der Kardinal, der ihm gegenüber saß, zog leicht eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Die Kutsche setzte sich in Bewegung. Seine Eminenz wollte noch seine Nichte, Marie-Madeleine de Combalet, heim zu ihrem Stadthaus bringen, bevor er ins Palais Cardinal zurückkehrte.

Während der Wagen durch die tief verschneiten Gassen von Paris rollte, ließ Rochefort den heutigen Tag noch einmal kurz Revue passieren – nur um festzustellen, dass sich seine Laune dadurch nicht besserte. Am höchsten Weihnachtsfeiertag standen einmal nicht die politischen, sondern die
geistlichen und gesellschaftlichen Verpflichtungen von Armand-Jean du Plessis
Kardinal de Richelieu im Mittelpunkt und sie hatten jede Minute des Tages bis
zur Neige ausgefüllt. Auch wenn der Politiker Richelieu stets Vorrang vor dem
Kardinal Richelieu hatte, so nahm der Erste Minister von Frankreich seine
persönliche, private Religiosität und die damit verbundenen Verpflichtungen
durchaus ernst. In der Kathedrale von Notre-Dame hatte er das Weihnachts-Hochamt zelebriert. Trotz der Eiseskälte, die in diesen Tagen herrschte, war die Kirche zum Bersten voll gewesen. Seiner Gewohnheit entsprechend hatte sich Rochefort einen Platz gesucht, von dem aus er alles gut überblicken konnte. Er musste sich eingestehen, dass seine Gedanken während des Gottesdienstes nur am Rande bei der heiligen Handlung der Messe und zudem weder besonders fromm noch weihnachtlich gewesen waren. Er hatte die versammelte Menge beobachtet und überlegt, was in den Köpfen des hier versammelten Hochadels und reichen Bürgertums von Paris wohl gerade vorging und war zu keinem erfreulichen Ergebnis gekommen.

Wie viele von denen, die hier scheinheilig fromm die Hände falteten, beteten und sangen, dachten währenddessen in Wahrheit daran, welche Intrigen sie gegen ihre Rivalen bei Hofe oder im Rat der Stadt als nächstes spinnen, wie sie ihren Gegenspielern am effektivsten schaden konnten? Wer von den hohen Herrschaften, die gerade mit heuchlerischen Mienen der Predigt des Kardinals lauschten, hätte ihn wohl lieber heute als morgen zum Teufel gejagt oder gar selbst die Hand mit dem Dolch geführt, der dem Leben des meistgehassten
Mannes von Frankreich ein Ende setzte? Nicht zum ersten Mal fragte sich der
Graf, wie Richelieu es ertrug, mit so viel Hass und Ablehnung zu leben.

Nach dem Hochamt hatte der König im Louvre ausgesuchte Gäste empfangen, darunter natürlich auch seinen Ersten Minister. Da Rochefort zu dieser erlauchten Runde nicht geladen war, hatte er sich notgedrungen die Zeit mit belanglosen Gesprächen mit im Palast anwesenden Höflingen vertreiben müssen und auch dies war nicht im Mindesten dazu geeignet gewesen, irgendeine Art von weihnachtlicher Stimmung in ihm hervor zu rufen. Wenn er es gewollt hätte, hätte Richelieu ihm natürlich den Abend frei gegeben, doch was sollte der damit anfangen? Daheim in seinem Stadthaus erwartete ihn nur die Dienerschaft, oder besser gesagt: jene wenigen Bediensteten, die nicht selbst frei hatten, um mit ihren Familien zu feiern. In früheren Jahren, als sein Vater und sein älterer Bruder noch gelebt hatten, war Armand über die Weihnachtsfeiertage meist nach Hause gereist und hatte die Festtage auf dem Schloss der Familie verbracht. Nun war er selbst der Comte de Rochefort. Doch er war unverheiratet und es gab auch sonst keinen engeren Familienanhang. Ja, entferntere Verwandtschaft war wohl vorhanden, die Rocheforts waren eine verzweigte, alte Adelsfamilie, doch zu diesen Verwandten hatte der Graf nur oberflächlichen, sporadischen Kontakt. Seine „Familie" – das mutete vielleicht seltsam an – aber seine „Familie" war jetzt der Kardinal!

So hatte er also getreulich ausgeharrt, bis Seine Eminenz die königliche Festgesellschaft endlich verlassen konnte. Ein Blick in die müden Augen des Kardinals hatte ihm genügt, um zu dem Schluss zu gelangen, dass dessen Empfindungen den heutigen Tag betreffend den seinen wohl nicht ganz
unähnlich waren.

Die Kutsche hielt vor dem Stadthaus von Madame de Combalet.

„Danke, Onkel, dass Ihr mich noch nach Hause gebracht habt."

„Aber gerne. Ich wünsche Euch ein gesegnetes Weihnachtsfest,
Marie." Zum Abschied drückte der Kardinal seiner Nichte wohlwollend die Hand. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass Rochefort ihn lächeln sah. Dann
wendete der Wagen und rollte in Richtung des Palais Cardinal.

*****************

Zitternd vor Hunger und Kälte starrte die kleine Katze auf die verschlossene Balkontür und stieß ein weiteres klägliches „Miau!" aus. Bis vor wenigen Tagen hatte sie nicht gewusst, was es bedeutet zu frieren oder nichts zu fressen zu haben. Drei Jahre lang war sie die geliebte Spielgefährtin des Mädchens gewesen, das nun zu einer jungen Frau heran gewachsen war und sie hatte immer nur die Geborgenheit und Sicherheit eines auch im Winter behaglich
warmen, vornehmen Hauses gekannt. Doch vor einiger Zeit hatte das Mädchen immer öfter von einer „Hochzeit" zu sprechen begonnen und dann, vor ein paar Tagen, war im Haus hektische Betriebsamkeit ausgebrochen, Kleider und Hausrat waren in Reisetruhen verstaut worden. Am nächsten Morgen hatte das Mädchen, in einen kostbaren, pelzbesetzten Mantel gehüllt, die Katze von ihrem Lieblingsplatz auf dem großen Lehnstuhl im Kaminzimmer aufgehoben, fest an sich gedrückt und gestreichelt. „Du wirst mir fehlen", hatte sie gesagt – und dann war sie fort gewesen. Ein bedrückendes Unbehagen beschlich das kleine Tier. Es fühlte, dass seine junge Herrin nicht wieder kommen würde.

Zwei Tage später war die Mutter des Mädchens plötzlich vor ihr gestanden und hatte mit missmutiger Stimme zu ihrem Mann bemerkt: „Jetzt, wo Antoinette fort ist, können wir die Katze ruhig nach draußen schaffen. Du weißt, ich war nie besonders begeistert davon, sie im Haus zu haben."

„Hmm, also eigentlich stört sie doch niemanden", brummte ihr Gemahl. „Aber wenn Ihr meint..."

„Ja, ich meine. Weil mich stört es nämlich, wenn sie überall ihre Haare hinterlässt. Im Stall kann sie Mäuse fangen und für sich selbst sorgen."

Der Mann zuckte mit den Schultern und kraulte die große Dogge hinter den Ohren, die zu seinen Füßen lag. Wegen einer solchen Lappalie wollte er mit seiner resoluten Gattin nicht streiten.

Ein Diener hatte die Katze hinunter in den Stall gebracht. Doch sie war als winziges Katzenbaby zu Antoinette kommen und von da an immer von Menschen umsorgt worden, hatte nie gelernt zu jagen und für sich selbst zu
sorgen. Gegen die anderen halbwilden Stallkatzen, die den täglichen
Überlebenskampf gewohnt waren, konnte sie sich nicht behaupten, obwohl sie sich tapfer verteidigte. Und immer, wenn sie versuchte, wieder in ihr Haus zu
gelangen, jagte man sie weg.

Schließlich war sie davon gelaufen, ziellos durch die engen, lauten Gassen von Paris irrend, bis sie, verfolgt von einem Straßenköter, in blinder Panik über eine hohe Mauer geklettert war. Dahinter lag ein weitläufiger, gepflegter Park, an dessen Ende sich ein riesiges Gebäude befand. Irgendetwas zog sie dort hin. Über ein Rosenspalier war sie auf einen großen Balkon geklettert und hatte laut miauend versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Nach einiger Zeit war Jemand gekommen, hatte die Tür geöffnet und sie verwundert betrachtet. Sie hatte schon gehofft, dass man sie nun ins warme Haus lassen und ihr etwas zu Fressen geben würde, doch der Mann hatte sie nur hochgehoben, durch endlose Flure und über eine lange Treppe hinunter getragen und einem anderen Mann in den Arm gedrückt. Und dieser hatte sie – zu den Stallungen gebracht! Riesigen Stallungen, um ein vielfaches größer, als es der Stall ihres ehemaligen Heimathauses gewesen war. Doch auch hier hatte es andere
Katzen gegeben, die sie, den fremden Eindringling, nicht in ihrem Revier dulden wollten, und die kleine Katze hatte sich zurückziehen müssen.

Einem unerklärlichen Instinkt folgend, hatte sie sich wieder einen Weg in den Park gesucht; es war stockdunkle Nacht. Abermals kletterte sie an dem Rosenspalier hoch, setzte sich vor die Balkontür und begann herzerweichend zu schreien: „Miau! Miau!" Und zum zweiten Mal ging die Tür auf und derselbe Mann erschien. „Da bist Du ja schon wieder. Das gibt's doch nicht." Er seufzte, schnappte sich das Kätzchen mit einem leichten Anflug von Ungeduld und trug es durch die hinter der Tür liegenden prunkvollen Räume auf den Gang hinaus.

*************

Richelieu atmete auf, als er seine Gemächer erreicht hatte. Endlich ausruhen! Diener eilten herbei, nahmen ihm noch auf dem Flur Mantel und Handschuhe ab und fragten nach seinen Wünschen: ob er sich umkleiden wolle, ob man etwas zu essen oder zu trinken richten solle. Der Kardinal winkte ab. Gerade als er seine Privaträume betreten wollte, öffnete sich die Tür und ein Bediensteter kam heraus, der eine kläglich maunzende Katze auf dem Arm trug.

„Was ist das für eine Katze?" wollte Richelieu wissen.

„Eine kleine Streunerin vermutlich, Euer Eminenz", antwortete der Mann. Sie ist schon zum zweiten Mal auf den großen Balkon geklettert. Ich bringe sie weg, damit sie Eminenz nicht stört."

„Nein, warte. Gib' mir die Katze."

Der Diener wirkte ein wenig überrascht, beeilte sich aber, dem Befehl des Kardinals nachzukommen und reichte ihm das Tier.

„Wenn jemand am Weihnachtsabend eine Bleibe sucht, sollte man ihn doch nicht abweisen, oder?" meinte Richelieu.

„Natürlich nicht, Euer Eminenz", beeilte sich der Diener zu erwidern und verneigte sich ehrerbietig.

„Besorge etwas Futter", wies Richelieu den Mann an, der sofort davon eilte.

Die kleine Katze schmiegte sich vertrauensvoll in die Falten der prunkvollen Staatsrobe des Kardinals. Große gelbgrüne Augen blickten flehend zu ihm auf.

Er drehte sich zu Rochefort, der schräg hinter ihm stand. „Sie hat ein hübsches Gesicht, findet Ihr nicht?"

Der Graf trat näher und betrachtete das Tier. „Ja, ganz entzückend. Und eigentlich sieht sie nicht aus wie eine Streunerin. Ihr Fell wirkt gepflegt und glänzt. Die kann noch nicht lange auf der Straße gelebt haben. Nur ziemlich mager ist sie."

Mit ihrer schönen, schwarzen Zeichnung auf dem graubraunen Fell und dem auffallend kurzen, am Ende eher stumpfen und mit drei schwarzen Ringen versehen Schwanz sah sie fast aus wie eine Wildkatze – nur war sie wesentlich kleiner als diese wilden Vertreter ihrer Gattung.

„Hm ...was machen wir jetzt mit Dir?" sagte der Kardinal dann halb zu sich selbst. Sie hatten inzwischen seine Gemächer betreten. Eine prächtige weiße Angorakatze und eine schlanke, dreifärbige Glückskatze kamen mit hoch erhobenen Schwänzen angelaufen um die Ankömmlinge zu begrüßen. Als sie
jedoch die fremde Katze erblickten, erstarrten sie mitten in der Bewegung. Die
Dreifärbige kauerte sich in angespannter Lauerposition auf den Boden, während
die große Angorakatze mit allen Anzeichen des Abscheus die Ohren anlegte, ein empörtes Fauchen ausstieß und wie der Blitz beleidigt in einem Nebenraum verschwand. „So habe ich mir das vorgestellt." Richelieu seufzte. „Immer dasselbe Theater, wenn eine Neue dazu kommt. Und eigentlich sind mir vier Katzen genug. Aber – Ihr könntet sie doch nehmen!" wandte er sich, einem spontanen Einfall folgend, an seinen Stallmeister.

„Ich?! ... Äh, ich weiß nicht ... die Katze hätte nicht viel von mir, so oft, wie ich unterwegs bin..."

„Immerhin hätte sie ein sicheres Zuhause, wo es ihr gut geht. Und wenn Ihr nicht in Paris seid, kann sie genauso gut wie Robyn in Eurer Wohnung hier im Palais bleiben." Rochefort hatte im Palais Cardinal eine eigene Zimmerflucht zur Verfügung, denn er verbrachte hier mehr Zeit als in seinem eigenen Stadthaus. Zudem pflegte der Kardinal oft bis spät in die Nacht zu arbeiten und wollte den Leiter seines Geheimdienstes in seiner Nähe wissen, wenn es etwas zu besprechen gab. Da war es überaus praktisch für Rochefort, wenn er auch gleich hier schlafen konnte.

Kurz entschlossen drückte Richelieu nun dem Grafen das Tier in die Hände.

Rochefort begann dem Kätzchen den Kopf zu kraulen, was augenblicklich mit lautem Schnurren beantwortet wurde.

„Seht Ihr, sie mag Euch."

Rochefort lächelte. „Scheint so."

In dem Moment pochte es an der Tür. Der Diener trat mit einem Futterschälchen ein und an ihm vorbei drängte sich Robyn. Er musste wohl
gespürt haben, dass sein Herr nach Hause gekommen war. Heftig wedelnd stürmte er heran, rutschte in seinem Überschwang beinahe auf dem glatten Holzparkett aus, trampelte ungeniert über die Schleppe der bodenlangen Kardinalsrobe, was deren Träger zu einem ärgerlichen Ausruf veranlasste, und schnüffelte neugierig zu der fremden Katze empor, die sein Herr da im Arm hielt. Auf das kleine Tier musste der riesige Wolfshund mit seiner imposanten Schulterhöhe von neunzig Zentimetern wie ein Ungeheuer wirken, dennoch fauchte es weder, noch machte es Anstalten die Flucht zu ergreifen. Robyn erinnerte das Kätzchen wohl an die große Dogge in seinem alten Zuhause, die immer sanftmütig zu ihm gewesen war.

„Erstaunlich. Sie hat gar keine Angst vor ihm", stellte Rochefort verwundert fest. „Sie muss wohl mit Hunden aufgewachsen sein."

Der Diener hatte das Futter derweil in eine Ecke gestellt und da gab es für das ausgehungerte Findelkind kein Halten mehr. Mit einem Satz sprang die Katze auf den Boden, sauste zu der Schüssel und begann gierig zu fressen. Der Wolfshund, dem der Fleischgeruch natürlich ebenfalls in die Nase gestiegen war, folgte ihr und stupste sie an. Doch die Kleine dachte nicht im Traum daran, sich von ihrer Mahlzeit verdrängen zu lassen. Die große, feuchte, behaarte Schnauze neben ihr geflissentlich ignorierend, tauchte sie ihren Kopf
noch tiefer in die Futterschale.

Der Kardinal und sein Stallmeister tauschten einen Blick und mussten beide schmunzeln. Dann ergriff der Graf Robyn am Halsband und zog ihn weg. „Lass' sie in Ruhe! Das ist nicht Dein Futter und ich bin mir sicher, Du hast heute Abend schon gefressen."

„Haben Eminenz noch Wünsche?" fragte nun der Diener.

Der Kardinal überlegte kurz, dann orderte er einen speziellen Kräutertee, welcher immer eine angenehm entspannende und beruhigende Wirkung auf ihn ausübte, und eine Flasche süßen Dessertwein, von dem er wusste, dass
Rochefort ihn besonders mochte. „Bringt das ins Studierzimmer! Und ich möchte dort nicht gestört werden." wies er den Diener an.

Das Studierzimmer grenzte an die große Bibliothek des Kardinals, die in einem besonders prachtvoll ausgestatteten Raum – eigentlich konnte man es fast schon einen Saal nennen – mit herrlichen bunten Deckenfresken untergebracht war. Dieses Zimmer war Richelieu vielleicht der liebste Raum in seinem ganzen Palais. Nicht zu groß, sodass eine beinah heimelige Atmosphäre herrschte und eingerichtet mit exquisiten Möbeln und Kunstgegenständen. Jetzt im Winter verbreitete ein knisterndes Kaminfeuer wohltuende Wärme. Und doch konnte der Erste Minister von Frankreich die Stunden, die er sich im Monat hier gönnen durfte, meist an den Fingern einer Hand abzählen ...

Als er mit seinem Stallmeister das Zimmer betrat, standen Tee und Wein bereits auf einem Beistelltisch, der zu einer bequemen Sitzgarnitur unweit des Kamins gehörte. Während die beiden Männer zwei Stühle nah ans Feuer zogen, platzierte sich Robyn möglichst weit weg vom Kamin – Hitze war nicht das seine. Die kleine Katze, nun satt und zufrieden, begann vorsichtig den Raum zu erkunden, nachdem ihr neuer Besitzer sie auf den Boden gesetzt hatte.

Bevor sich Richelieu nieder ließ, wandte er sich zu seinem Vertrauten: „Ein gesegnetes Weihnachtsfest, Rochefort." Dann zog er ihn in seine Arme. „Ein gesegnetes Weihnachtsfest, Monseigneur", gab dieser zurück und seine Worte kamen aus tiefstem Herzen. Er erwiderte die Umarmung fast ein wenig
ungestüm, so, als versuchte er damit die ganze innige Zuneigung zum Ausdruck zu bringen, die er für seinen väterlichen Freund fühlte. In diesem Augenblick war der Standesunterschied zwischen den beiden Männern aufgehoben – sie waren einfach nur zwei Menschen, die eine tiefe Freundschaft verband.

Sie saßen noch lange vor dem Kamin in dieser Nacht. Auf dem Schoß des Grafen hatte sich sein neuer Hausgenosse zusammengerollt und schlummerte selig. Rocheforts Blick wanderte durch den Raum, richtete sich auf das nun völlig entspannte Gesicht des Kardinals und blieb dann wieder an der kleinen getigerten Katze hängen.

„Ja...", dachte er, „...jetzt ist Weihnachten!"

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